11. Januar 2024
von Bernd Harder
36 Kommentare
Neuerlicher Vorstoß von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD):
Wie spiegel.de berichtet, habe Lauterbach ein Empfehlungspapier an andere Ministerien verschickt, in dem es heißt:
Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. Aus diesem Grund werden wir die Möglichkeit der Krankenkassen, in der Satzung auch homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen, streichen und damit unnötige Ausgaben der Krankenkassen vermeiden.
Unklar scheint dabei die Höhe des Einsparpotenzials zu sein. Der Spiegel schreibt von „höchstens zehn Millionen Euro“, tagesschau.de von „20 bis 50 Millionen Euro“.
Außerdem:
Es komme ihm in diesem Fall aber nicht auf das Geld an, betonte Lauterbach. Homöopathie habe nach wissenschaftlichem Sachstand keinen medizinischen Nutzen, sagte Lauterbach. Im Fall der Homöopathie gehe es ums Prinzip, sagte Lauterbach. Grundlage dessen, was vergütet werde, müsse der wissenschaftliche Sachstand sein. Alles andere müsse die Krankenkasse nicht bezahlen.
Exakt – darauf haben wir immer und immer wieder hingewiesen, zum Beispiel hier.
Bereits vor zwei Jahren hatte sich Lauterbach auf die Expertise von zwei GWUP-Mitgliedern berufen, nämlich Edzard Ernst und Nikil Mukerji („Why Homoeopathy Is Pseudoscience“):
Ob Lauterbachs erneuter Vorstoß nun endlich verfangen wird?
Werner Bartens kommentiert in der Süddeutschen:
Lauterbach geht auf Konfrontationskurs zu einer Klientel, der sich fast alles verkaufen lässt, wenn sie nur penetrant genug mit Phrasen wie sanft, natürlich und ganzheitlich umschmeichelt wird. Gerade unter den urbanen Besserverdienern und vermeintlichen Besserverstehern, dem rot-grünen Stammwählerpotenzial Lauterbachs, finden sich viele Anhänger der Kügelchen-Lehre.
Lauterbachs Initiative gegen die Homöopathie ist richtig und aufklärerisch, auch wenn ihm vorgeworfen werden kann, ein totes Pferd zu reiten. Viele Ärztekammern haben die Kügelchen-Chaos-Theorie längst aus der Weiterbildung gestrichen.
Die Kassenleistung für Homöopathie macht einen geringen zweistelligen Millionenbetrag aus. Doch selbst diese eher kleine Summe ist verschwendet. Sie könnte ein Grundstock dafür sein, die sprechende, zugewandte Heilkunde zu stärken.
Das ist es schließlich, was viele Menschen in der Medizin vermissen – und manche anfällig für obskure Heilsversprechen macht.
Bei faz.net schreibt Hinnerk Feldwisch-Drentrup:
Es bestehen keine ernsten Zweifel daran, dass hochverdünnte Globuli nichts anders als Placebos sind – Scheinmedikamente, während derer Einnahme der Körper die meisten Krankheiten von allein heilt. So entsteht der Eindruck einer Wirksamkeit.
Zu Recht warnen viele Ärzte davor, dass etwa Kinder durch die Gabe der Zuckerkügelchen konditioniert werden können, bei jedem Wehwehchen zu einem Mittelchen zu greifen – andere Arten der Zuwendung können genauso gut wirken.
Und auch bei Erwachsenen kann der Glaube an Homöopathie und Anthroposophie fatale Folgen haben, etwa bei gut therapierbaren Krebsarten zu vermeidbaren Todesfällen führen.
Feldwisch-Drentrup spricht ebenfalls von einem „richtigen Schritt“, wenn
… nicht nur der Gesundheitsminister, sondern sich auch die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hier nun auf die Seite der Wissenschaft stellt.
Bei spiegel.de kommentiert Julian Aé:
Mit der Kostenübernahme für die magische Methode will man Dinkeladvokaten und Sportskanonen in die eigene Kasse locken, denn sie verursachen langfristig weniger Kosten. Homöopathie und andere alternativmedizinische Verfahren sind in der Bundesschwurbelrepublik Deutschland Teil des Lifestyles […]
Niemand möchte die Homöopathie verbieten. Es ist aber völlig inakzeptabel, wenn die Solidargemeinschaft dafür aufkommt – oder wenn pseudomedizinische Verfahren durch irrige Gesetze sogar noch hofiert werden.
Ja – und „die Zeiten sind reifer denn je“, schreibt Natalie Grams heute in unserem Kommentarbereich.
Außerdem gibt’s bei spiegel.de ein FAQ zum Thema „Was Sie über den Lauterbach-Plan wissen müssen“:
Die Krankenkassen sollen nicht mehr für homöopathische Medikamente zahlen. Warum taten sie das bisher? Um welche Geldsummen geht es? Wirkt Homöopathie? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Ein Kommentar vom INH findet sich hier:
Wir wünschen Minister Lauterbach, dass seine Initiative politisch durchgesetzt werden kann.
Zum Weiterlesen:
- Lauterbach will Homöopathie als Kassenleistung streichen, spiegel.de am 10. Januar 2024
- Lauterbach will Homöopathie als Kassenleistung streichen – endlich, welt.de am 12. Januar 2024
- Reform in homöopathischer Dosis, zeit.de am 11. Januar 2024
- Lauterbach teilt Studie von Ernst/Mukerji: „Homöopathie ist eine Pseudowissenschaft“, GWUP-Blog am 16. September 2022
- Natalie Grams: Warum Krankenkassen endlich aufhören sollten, für Homöopathie zu bezahlen, vice am 3. Juni 2016
- Homöopathie als Kassenleistung streichen, GWUP-News am 12. Juli 2010
- „Muss mit auf den Tisch“: Keine Homöopathie mehr auf Kassenkosten, fordert Politiker, GWUP-Blog am 13. Juli 2022
- Homöopathie: It’s not ok, Jens Spahn, GWUP-Blog am 28. September 2019
- Spiegel: „Keinen Cent mehr für Homöopathie und Hokuspokus“ von der Krankenkasse, GWUP-Blog am 13. November 2021
- FAS: Globuli ins Süßwarenregal, GWUP-Blog am 14. Juni 2022
- Die Reaktionen in Deutschland: „Schluss damit“ – mit der Homöopathie auf Kassenkosten, GWUP-Blog am 11. Juli 2019
- Warum Homöopatie eine Pseudowissenschaft ist, GWUP-Blog am 15. September 2022
- „Homöopathie“ im neuen Podcast der Deutschen Welle, GWUP-Blog am 4. Januar 2024