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Neu im Skeptiker: Der Internet-Exorzist „Nature23“

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Offiziell gibt es in Deutschland keine Teufelsaustreibungen mehr. Aber in Sozialen Netzwerken verspricht ein selbsternannter Exorzist namens „Nature23“ vor allem jungen Frauen, sie von ihren „Dämonen“ zu befreien.

Hunderte sollen sich schon auf seine gefährlichen Rituale eingelassen haben, Betroffene erheben schwere Vorwürfe gegen den Mann. Warum stoppt ihn niemand?

Darum geht es in einer sechsteiligen Podcast-Serie der Süddeutschen Zeitung.

Dieser selbsternannte „Bibellehrer“ und „Exorzist ist auch Thema im neuen Skeptiker (4/2023).

Der 40-jährige Berliner, der im Internet unter dem Pseudonym Nature23 auftritt, sieht in psychischen Erkrankungen „Dämonen“ am Werk, die er mit „religiös konnotierten extremen Ritualen“ austreiben will, berichten Sektenexperten dem Skeptiker:

Er spreche gezielt Menschen mit psychischen Belastungen und Erkrankungen an, auch Minderjährige. Er gebe an, Erkrankungen durch diese Rituale heilen zu können. Die müsse als zutiefst unseriös und insbesondere bei vulnerablen Personen als gefährlich bezeichnet werden. „In einem bekannten Fall sicher“, in weiteren Fällen mutmaßlich seien die Behandlungen bei Minderjährigen ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten geschehen.

Marcus B. ist indes kein Einzeltäter. In verschiedenen Videos wirbt er für einen „Exorzistendienst“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz, mit dem „Möglichkeiten geschaffen“ worden seien, um „Menschen auf einfache Weise von ihrer Belastung durch jegliche Art unreiner böser Geister, die sie plagen, zu befreien“.

Auf Skeptiker-Anfrage äußert das Sekteninfo NRW „erhebliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit dieser Aktivitäten.

Der Anbieter zählt unterschiedliche psychische Erkrankungen, unter anderem Schizophrenie, Dissoziative Identitätsstörung oder Essstörungen, auf und verknüpft dies mit der Aussage, sämtliche Störungsbilder des ICD Katalog seien vermutlich durch „Dämonen“ verursacht. Damit suggeriert er, dass seine Behandlungsmethode wirksam ist und er für die Behandlung von zahlreichen psychischen Erkrankungen qualifiziert ist […]

Dies birgt die große Gefahr, dass erkrankte Menschen, im Vertrauen auf die vermeintliche Heilwirkung dieser Methode, ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe versäumen. Hinzu kommt, dass die Art und Weise der Durchführung dieser Methode auch unmittelbare Gefahren birgt. Das Angebot richtet sich gezielt an Menschen mit psychischen Problemen.

Ein „Exorzismus“ mittels möglicher „Fixierung“ „bis zu acht Stunden“ und gegebenenfalls unter Einsatz von „Feuer“ kann insbesondere bei psychischen Erkrankungen kontraindiziert und schädlich sein.

Lars Wienand berichtet bei t-online überdies von „Cybergrooming, um von Minderjährigen erotisches Material zu bekommen, es geht um Sex mit Minderjährigen, um mögliche Körperverletzung und Freiheitsberaubung“.

2022 hackte eine Cyberaktivistin die Accounts, Kanäle und Profile von Marcus B.

Ein Teil dieses Materials ist in einem Telegram-Kanal einsehbar. Weitere Dateien und Dokumente liegen dem Skeptiker vor.

Warum stoppt ihn niemand?

Diese Frage des SZ-Reporters ist schwierig zu beantworten. Angeblich sind verschiedene Ermitlungsverfahren anhängig, „Nature23“ bestreitet aber jedwede Anklage oder gar Verurteilung.

In einem Artikel des Sekteninfo NRW über „rechtliche Grenzen nicht wissenschaftlicher Heilmethoden“ heißt es:

Der Glaube kann eine Ressource beim Umgang mit Erkrankungen sein – er sollte aber als solcher klar erkennbar sein. Intransparente Vermischungen zwischen Glauben und Hei­lung können zu gesundheitlichen Fehlentscheidungen führen und lebensgefährliche Folgen haben.

Betroffene können sich zum Beispiel an das Sekteninfo NRW oder andere Beratungsstellen wenden.

Das Skeptiker-Heft kann man hier bestellen (auch als epaper).

Update vom 3. Januar 2024:

  • Die Süddeutsche Zeitung über Nature23

Zum Weiterlesen:

  • Der Exorzist, Skeptiker 4/2023
  • Dämon – der Exorzist aus dem Internet, Süddeutsche am 7. Dezember 2023
  • Nach 500 Fällen wird es eng für den Exorzisten, t-online am 1. August 2022
  • Exorzismus in Deutschland, GWUP-Blog am 27. November 2023

11 Kommentare

  1. Eine Grauzone unter der Grauzone (der der Heilpraktiker), verfassungsgerichtlich vor gesetzlichen Eingriffen geschützt. Zitat aus dem Ratgebernewsblog, Thema „Hokuspokus ist nicht strafbar“:

    „Wenn all dies, was der Angeklagte da gemacht hat, Scharlatanerie gewesen sein soll, so erfüllt dies nicht den Tatbestand des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz, sondern wäre ganz einfach nur Hokuspokus. Und das ist nicht strafbar“, begründete Amtsrichter Jürgen Seichter. Somit seien die Behandlungen mit Pendel und Handauflegen, die der Mann aus Biebertal bei den Kranken, die ihn aufgesucht haben, durchgeführt hat, keine „Heilbehandlung im eigentlichen Sinne – wie zum Beispiel eine Psychotherapie“, erklärte Seichter.

    Der Angeklagte war von der Staatsanwaltschaft wegen des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz und 58-fachen Betruges angeklagt, wobei es bei zwei Fällen beim Versuch geblieben sein soll. „Diese Art von Behandlung ist ein Grenzbereich“ – ein „dritter Weg“, wie es im Saal des Amtsgerichts von allen Prozessbeteiligten formuliert worden ist und von Seichter nochmals hervorgehoben wurde.

    „Ob das, was der Angeklagte dort gemacht hat, Hokuspokus ist oder nicht, entzieht sich jedoch wissenschaftlicher oder juristischer Beurteilung“, so der Richter. Dies alles sei eine Sache des Glaubens. Über solche Dinge zu urteilen, sei keine Aufgabe des Gerichts.“

    So sieht es aus hierzulande – auch noch fast zehn Jahre nach diesem Urteil. Zum Weglaufen. Wenn man den Freiraum lässt, dann „entzieht sich“ Scharlatanerie auch „wissenschaftlicher und juristischer Beurteilung“.

    Kommt es nicht darauf an, wie die hilfesuchenden Menschen denken, was sie letztlich erwarten? Oder setzt der Richter die Mentalität der Kundschaft solcher Scharlatane mit denen gleich, die auf der Kirmes zum Spaß zwei Euro an der Schießbude hinlegen?

    Übrigens war es die Fraktion der Grünen / Bündnis 90, die in den Vorberatungen eines entsprechenden Gesetzentwurfes (Lebensbewältigungshilfegesetz, es wäre vermutlich nicht bei diesem sprachlichen Verkehrsunfall geblieben) massiv torpediert hatte, so dass er in der Versenkung verschwand und bislang nicht wieder auftauchte.

    Dazu kam dann auch noch das „Geistheilerurteil“ des Bundesverfassungsgerichts, das die Bevölkerung für ausreichend mental ausgestattet hielt, die Unsinnigkeit und medizinische Irrelevanz entsprechender Angebote zu erkennen. Und daher staatlicher Regulierung wg angeblicher fehlender Notwendigkeit bis heute einen Riegel vorschob.

    Ein „dritter Weg“, meinte damals der Amtsrichter in Gießen. Wenn er das so sieht … aber dann bejaht er auch, dass die Menschen bei Scharlatanen ganz real Hilfe suchen und nicht Hokuspokus. Dazu zähle ich dann auch die Angebote unseres Exorzisten hier, q.e.d.

    Kurz gesagt: Wählt den ersten Weg, nämlich fachkundige Hilfe bei (medizinischen und psychischen) Problemen. Nicht den zweiten (wir wissen, wer hier gemeint ist) – der führt ins Verderben. Und nicht den dritten, der führt in den Untergang.

    Was der Gesetzgeber in Fragen der physischen und psychischen Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger so alles gleichmütig hinnimmt …

  2. Wenn der Typ behauptet, er könne damit psychische Erkrankungen behandeln, stellt dies das Ausüben von Heilkunde dar und bedarf entweder einer Approbation als Arzt oder einer Zulassung als Heilpraktiker. Wenn er die nicht hat, macht er sich strafbar. Ist dieser rechtliche Weg schon beschritten worden?

  3. Vielleicht gibt es offiziell keine Exorzismen mehr, aber zumindest noch vor 10 Jahren habe ich mit einem „Beistandsbeauftragten“ des Bistums gesprochen, der meinte, dass er und sein Team aus Leuten mit übersinnlichen Fähigkeiten jedes Jahr noch ca. 3-5 Exorzismen durchführen würden.

    Allerdings nicht mehr nach dem alten Katechismus mit Schmackes, sondern nach der Neufassung von 1999, die ärztliche Aufsicht und andere Sicherheitsvorkehrungen vorschreibt.

    90% aller Hilfesuchenden würde er auch an konventionelle Therapeuten weiterleiten, aber bei den restlichen 10%, so meinte er, „da hab ich schon alles gesehen, was sie sich vorstellen können.“

  4. Schrecklich, wie aus dem Leid körperlich und / oder psychisch Erkrankter Profit geschlagen werden kann. In einem esoterischen Forum konnte ich bereits lesen, wie bereitwillig man selbsternannte „Exorzisten“ ins Haus ließ – um Angehörige die „besessen“ wären zu „heilen“. Nicht einmal die absurdesten Aktivitäten der „Heiler“ brachten Angehörigen Einsicht.

    Ich dachte, so etwas wie mit Anneliese Michel könnte heute nicht mehr passieren.

  5. Faszinierende Person, muss ich schon sagen.

    Ich fragte ihn damals, ob es eigentlich Theorien dazu gäbe, was Dämonen mit Besessenheit eigentlich erreichen wollen.
    Seine Antwort: „Die wollen ihre Beziehung zu Gott stören“.

    Ich fand das nicht so nachvollziehbar und meinte, dass sie damit ihren Opfern doch eher einen Beweis für die Existenz des Übernatürlichen liefern würden, woraufhin diese dann eine Motivation dazu hätten Gott um Hilfe anzurufen.

    Darüber dachte er einen Moment nach und meinte dann: „Ja, und daran sehen sie: Dämonen sind dumm.“

  6. @CVA:

    In der Tat habe ich auf diese Frage, was „Dämonen“ mit einer offenkundigen Präsenz, die das Einleiten von Gegenmaßnahmen provoziert, denn eigentlich bezwecken wollen, ebenfalls nie eine – für mich – plausible Antwort bekommen.

    „Die wollen ihre Beziehung zu Gott stören“.

    Dazu hätten echte übernatürliche Wesen mit entsprechenden Fähigkeiten und Möglichkeiten hunderte anderer Optionen, die allesamt diskreter und erfolgversprechender wären.

    Stellt sich also die Frage, wer hier „dumm“ ist.

  7. @Bernd Harder:

    Ja, schön gesagt. Wenn ich jetzt so zurückdenke, war das wohl das beste Beispiel für Confirmation Bias, das mir live untergekommen ist.

    Er hatte mir auch von einer Mitarbeiterin erzählt, die angeblich hellseherische Kräfte besitzt. Das hatte er getestet, indem er sie in ein Zimmer geführt hat und dann sagte, hier wäre irgendwo ein Kruzifix versteckt, das sie jetzt aufspüren solle.

    Daraufhin meinte die Dame dann: „Oh je, das ist mir jetzt so peinlich. Das ist mir noch nie passiert, aber hier fühle ich gar nichts.“

    Damit hatte sie den Test bestanden, denn es gab gar kein verstecktes Kruzifix.

    Das nicht-Aufspüren eines nicht existierenden Kruzifix hatte er also als Beweis für übersinnliche Fähigkeiten gewertet.

    Das bringt mich mal wieder zu einer der für mich wichtigsten Erkenntnisse überhaupt: Recht haben allein genügt nicht. Man muss auch beweisen können, warum man recht hatte.

  8. @CVA:

    Schönes Beispiel.

    Ja, als er damals von seinen „geistbegabten“ Mitarbeitern erzählt hat, war ich auch ziemlich fassungslos.

    Der Mann ist ja promovierter Psychologe – und „testet“ sowohl seine Mitarbeiter als auch „Besessene“ mit albernen Spielchen, wie „echtes“ Weihwasser vs. „normales“ Wasser.

    Als ob sein Gegenüber das

    a) nicht schon in x-Interviews von Müller vorher gelesen hat

    oder

    b) Müllers Erwartungshaltung an seiner Körpersprache ablesen kann.

    Könnte ein studierter Psychologe natürlich wissen – falls er seinen Verstand nicht an der Klosterpforte in Freising abgegeben hat.

  9. „Der „SZ“- Podcast „Dämon – Der Exorzist aus dem Internet“ ist eine klassische True-Crime-Erzählung. Es gibt viel zu lernen – und zum Gruseln.“

    https://taz.de/Podcast-zu-Exorzismus/!5979173/

  10. Pingback: Ein Exorzist und die DIS - Debunking SRA

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