gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Die „Satanic Panic“-Fantasien der Putschisten um Prinz Reuß

| 10 Kommentare

Dass die Anhänger des Prinzen das System hätten stürzen können, gilt als ausgeschlossen. Die mutmaßlichen Pläne für den Sturm auf den Reichstag halten mit dem Verfahren befasste Ermittler dagegen für realistisch.

Den verharmlosenden Erzählungen von einem „Rollator-Putsch“ begegnen die Fachleute aus Bund und Ländern, aus den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden und den mit dem Verfahren betrauten Staatsanwaltschaften angesichts von rund 380 bei der Gruppe gefundenen Schusswaffen und 150.000 Munitionsteilen mit Unverständnis.

Das ist das Fazit eines Welt-Artikels zu der Anklage gegen die Reuß-Gruppe „Patriotische Union“, das sich mit der Einschätzung anderer Leitmedien deckt.

Auch Der Spiegel (51/2023) berichtet ausführlich über die „bizarre Wahnwelt der Reichsbürger-Putschisten“.

Der Beitrag geht im Besonderen auf die esoterischen und verschwörungsideologischen Überzeugungen der „sektenhaften Verschwörergruppe“ ein:

Auch Prinz Reuß, der mutmaßliche Rädelsführer, hatte offenbar ein Faible fürs Übersinnliche: Im Schlosspark entdeckten Fahnder eine begehbare goldene Pyramide mit Stühlen und Feldbett.

Eine zentrale Rolle spielten QAnon– und Satanic-Panic-Elemente:

So behauptete eine der Angeschuldigten, die früher in der Querdenker-Partei „Die Basis“ aktiv war, nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 im Ahrtal seien 700 Kinderleichen in einem Regierungsbunker entdeckt worden. In einer Vernehmung berichtete die Frau dann über satanische Rituale, bei denen Kinder angeblich misshandelt, gebraten und verspeist worden seien […]

Mal vermutete die Truppe die Eingänge zu den Tunnelsystemen im Schwarzwald, mal in der Schweiz. Dort hätten sie mithilfe der „seherischen Fähigkeiten“ von zwei Gruppenmitgliedern lokalisiert werden können.

Auch hier kommen die Autoren zu dem Schluss:

So tief sich die sektenähnliche Reuß-Truppe in ihrer Verschwörungswelt verfing – harmlos war sie offenkundig nicht, im Gegenteil. Wer glaubt, dass die herrschenden Eliten Kinder essen, scheint zum Äußersten bereit.

Die vorgebliche Opferschutzorganisation „Victims Mission“ verbreitet diese Verschwörungserzählung von den Satanisten-Tunneln in der Schweiz bis heute. Auch einen Brief des Reuß-Putschisten Maximilian Eder findet man im Online-Pressefach von „Victims Mission“.

Darin fabuliert der ehemalige Oberst der Bundeswehr von „satanischer und ritueller Pädophilie“, deren Aufklärung durch seine Festnahme verhindert werden solle.

Das ist beinahe schon das Level von kla tv, wo man (ernsthaft) lesen kann, dass zum Beispiel „Barack Obama, Michelle Obama, Joe Biden“ pädophile Satanisten seien – wie auch Peter Alexander und die drei Tenöre.

Zitat einer selbstdefinierten „Überlebenden“:

In England brachte mich Queen Elisabeth II. zur Westminster Abbey, wo sie zuschaute, wie ich auf der Streckbank gefoltert wurde.

Gleichzeitig kritisieren solche Aktivisten lautstark den Satire-Beitrag von Jan Böhmermann zur Satanic Panic. Kann man sich nicht ausdenken.

Hier ist übrigens das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vier Mitglieder des ZDF-Fernsehrates fordern, sich in der kommenden Sitzung im März 2024 erneut mit der Programmbeschwerde zu befassen. In dem Antrag heißt es:

Inzwischen hat das Thema auch in zahlreichen Medien für Unverständnis und negative Schlagzeilen über einzelne Mitglieder und das Gremium insgesamt gesorgt und insbesondere Betroffene zeigen sich entsetzt.

Fakt ist, dass Böhmermann – legt man etwa „Victims Mission“ und kla.tv zugrunde – noch stark untertrieben hat.

Zum Weiterlesen:

  • Warum die Umsturzpläne der „Reichsbürger“ mehr als ein „Rollator-Putsch“ waren, welt+ am 18. Dezember 2023
  • Die bizarre Wahnwelt der „Reichsbürger“-Putschisten, spiegel.de am 16. Dezember 2023
  • Anklage gegen den inneren Zirkel der Reuß-Gruppe erhoben, GWUP-Blog am 11. Dezember 2023
  • Video: „Die Umsturzpläne der Reichsbürger“ im Ersten, GWUP-Blog am 6. Dezember 2023
  • Podcast: Terrorverfahren in Reichsbürgerszene – Zwischen Gewalt und Wahnsinn, tagesschau.de am 7. Dezember 2023
  • Ärztin, Esoterikerin – und Putschistin? Neues aus der Gruppe um Prinz Reuß, GWUP-Blog am 18. November 2023
  • „Ein großer Irrwitz“: Die Vereinten Patrioten in Koblenz vor Gericht, GWUP-Blog am 11. November 2023
  • Die „Reichsbürger“ und Staatsdelegitimierer warten nur auf das nächste Thema, GWUP-Blog am 5. November 2023
  • Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin: Terror-Verdächtigte Malsack-Winkemann auf der Liste der AfD, tagesspiegel am 20. Dezember 2023
  • Fernsehrat: Mitglieder fordern Neubefassung, dissoziationen am 22. Dezember 2023

10 Kommentare

  1. In einem Vortrag äußerte eine Wissenschaftlerin, wegen ihrer Aufklärung zur Satanic Panic beschattet worden zu sein.

    Die Finanzierung der Aktion erfolgte wohl ebenfalls aus dieser Ecke.

    Die Radikalisierung dieser Bereiche ist teils wirklich eine Gefahr für Leib und Leben.

  2. Sogar Die Zeit kriegt endlich mal was mit:

    Am 8. September strahlte das ZDF eine Folge der Satiresendung ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann aus. Dieser übte darin Kritik an einer Verschwörungserzählung, nach der Kinder und Jugendliche in Deutschland von vermeintlichen „satanistischen Kulten“ systematisch sexuell missbraucht würden.

    Diese „satanic panic“ habe weltweit eine lange Tradition, ebenso wie die Existenz von Menschen, die mit dieser Erzählung Geld verdienten, indem sie vermeintliche Abhilfen gegen die angebliche Gehirnwäsche dieser Kulte anböten. Solche Menschen gebe es auch hier in Deutschland, sagte Böhmermann – im Gegensatz zu Beweisen irgendeiner Art, dass besagte Kulte wirklich existieren, wie auch Recherchen des Spiegels zuvor schon bestätigten.

    In den Fokus von Böhmermanns Kritik gerieten dabei die Psychotherapeutin Michaela Huber, die seit Jahren auf Vorträgen und bei Fortbildungen solche Thesen vertritt, sowie die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die für den Bund Ausmaß und Art sexuellen Kindesmissbrauchs untersucht und in der Vergangenheit Huber zu einem Werkstattgespräch geladen hatte. (Transparenzhinweis: Im Juni 2020 hat das zu ZEIT ONLINE gehörende Angebot ze.tt ein Video-Interview mit Michaela Huber veröffentlicht, das in der Böhmermann-Sendung aufgegriffen wurde.)

    Dieses Video von Poliana Baumgarten ist immer noch online. Die Autorin (laut Eigendarstellung „stets im Versuch stereotypische Bilder zu stören und herauszufordern“) hatte schon 2020 ein Gesprächsangebot von uns zu ihrer Satanic-Panic-Werbung unbeantwortet gelassen.

  3. Der Glaube an mind control wurde lange unterschwellig verbreitet. Als Teenager sah ich oft eine beliebte Vorabendserie. Dort war über einen langen Zeitraum von einer Frau die Rede, die ihre Persönlichkeit auf akustische „Zeichen“ hin „wechselte“. Sie wusste über lange Zeitabschnitte nicht was sie gesagt oder getan hätte.

    Eine ihrer „Persönlichkeiten“ war ein sanftes Wesen – die andere aggressiv, Meisterin in Karate und hochgefährlich.

    Auch eine amerikanische Psychologin, die in Sachbüchern von ihrer Förderschulklasse schrieb, nährte den Glauben an satanische Zirkel. So habe ihr ein vormals mutistisches Mädchen erzählt, sie würde nachts von Figuren einer Fernsehserie verschleppt werden, müsse Blut trinken und hätte an einem Ritualmord teilgenommen.

    Erzählen konnte sie dies ihrer Lehrerin, nachdem diese großzügig Insektengift versprüht hat, da die Satanisten „Spinnen als Spione“ aussenden würden.

    Die Lehrerin erfuhr, dass sich die damalige Lehrerin des Mädchens suizidiert hat. Vor ihrem Autoreifen fand sie eine etwas eingedellte Puppe und wollte enträtseln, was es damit auf sich hat. In einem „Zauberladen“ wird ihr mitgeteilt, dass die Puppe sie selbst symbolisieren würde. Und man ihren eigenen Suizid wünschen würde.

  4. Die Gedankenwelt von Heinrich dem Verdreizehntelten ist so obskur wie gefährlich, siehe z.B.:

    https://blog.campact.de/2022/12/heinrich-xiii-prinz-reuss-der-adelswahn-der-reichsbuergerszene/

    Interessant sind auch die Verbindungen zu einflussreichen Antidemokraten wie Hans-Hermann Hoppe.

  5. „First Church Seattle and Trinity United Methodist Church in Ballard invite you to the Seattle premier of “The Satanic Panic and the Religious Battle for the Imagination,” a documentary that was released in 2022 and won the “Best Gamer Film” award at the iconic Gen Con“:

    https://firstchurchseattle.org/events/satanic-panic-2023/

  6. Über Herrn Hoppe habe ich mich Ad-hoc etwas belesen. Der Mann hat ja recht spezielle Ideen, freundlich formuliert.

    Sind die in den WiWi alle so drauf?

  7. Hallo Bernd Harder,

    mein Kommentar hier hat keinen speziellen Bezug zu dem Thema.

    Ich wollte mich auf diese Weise nur einfach einmal recht herzlich bedanken, für die vielen Informationen, die Sie mühevoll zusammentragen, die gelungenen Blog-Artikel und den sicherlich oft großen Aufwand alles mögliche zu suchen, zu sichten, zu prüfen, zusammenzufassen u upzudaten. Sie ersparen Lesern wie mir jede Menge Zeit und Anstrengungen und haben meinen allergrößten Respekt verdient.

    Auch großen Dank an die vielen fleißigen Kommentar-Schreiber in und außerhalb der GWUP, die vieles auch noch wunderbar ergänzen!

    Ich wünsche Ihnen einen angenehmen und entspannten Jahresausklang und viel Kraft und Freude fürs neue Jahr.

  8. @ Positron:

    Natürlich sind in den WiWi nicht „alle so drauf“. Aber es gibt eben radikale Strömungen, die den Staat nicht als soziale Einrichtung sehen, sondern nur als eine der Sicherung des privaten Eigentums. Hoppe ist ein Fan von Murray Rothbard:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Murray_Rothbard

    Für vernünftig muss man das nicht halten:

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2023/07/16/die-oekonomische-vernunft-der-solidaritaet-eine-rezension-in-sieben-zeilen/

    Für wirkmächtig dagegen schon: In Argentinien ist mit Javier Milei vor kurzem einer gewählt worden, der genau solche anarchokapitalistischen Ideen umsetzen will:

    https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-12/javier-milei-argentinien-praesident-wirtschaftspolitik/komplettansicht

  9. @Helena Zarrabi:

    Ich danke Ihnen – und ebenfalls allen Kommentatorinnen und Kommentatoren für die engagierte Beteiligung und Unterstützung.

  10. Huch … heute etwas gefunden, was ich zunächst mit Victims Mission verwechselt habe:

    „[…] die Prostitutionsbekämpferin, die sich für die christliche Organisation „Mission Freedom“ gegen rituelle Gewalt und Zwangsprostitution einsetzt und ein Schutzhaus leitet.“

    https://www.moin.de/hamburg/hamburg-prostitution-ritze-tv-carsten-marek-hinnerk-baumgarten-id300405337.html

    Was auf der Homepage dieser christlichen Organisation steht ist durchaus … naja … typisch Verschwörungstheorie?

    https://mission-freedom.de/rituelle-gewalt/

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.