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„Teuflische Angst“: Die SZ über den Exorzisten „Nature23“

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Szenen wir aus einem Horrorfilm. Auf einem einfachen Bettgestell mit Matratze liegt eine junge Frau, die mit einem Ösengurt um Handgelenke und Oberkörper am Bettrahmen fixiert ist. Vor ihr steht ein Mann in unauffälliger dunkler Alltagskleidung und rezitiert mit aufgeschlagener Bibel das Vaterunser.

Die Mittdreißigerin bäumt sich auf, zerrt an ihren Fesseln, stößt fauchende Laute aus. Der Mann packt sie bei der Schulter, herrscht sie an, unablässig: „Unreiner Geist, verlasse diesen Körper in Jesu Christi Namen. Unreiner Geist, ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, von ihr auszufahren. Fahr hinaus aus diesem Körper, im Namen Jesu Christi.“

So beginnt der Artikel „Der Exorzist“ im aktuellen Skeptiker (4/2023) über den selbsternannten Bibellehrer Marcus B. aus Berlin, der sich in den sozialen Medien „Nature23“ nennt:

„Fass mich nicht an“, gibt die Frau mit verzerrter Stimme zurück. „Dann fahr doch aus“, verlangt der Mann und setzt drohend hinzu: „Wollen wir erst mit Gewalt anfangen? Ihr wollt doch nicht gequält werden.“

Wenig später ist zu sehen, wie er ein Streichholz entzündet und mit der Flamme den entblößten linken Unterarm der Frau streift. Sie schreit gequält auf, während er immer wieder seine Beschwörungsformel skandiert: „Verlässt du diesen Körper? Fahr aus, unreiner Geist, hinaus mit dir. In Jesu Christ Namen, fahre aus.“

Auch die Süddeutsche Zeitung griff den Fall „Nature23“ im Dezember in einer sechsteiligen Podcast-Serie auf. Jetzt ist im SZ-Magazin eine schriftliche Zusammenfassung der Recherche erschienen:

Viele Betroffene werfen Marcus B. Manipulation und psychischen Missbrauch vor, scheuen sich aber davor, ihre Geschichte öffentlich zu machen oder ihn anzuzeigen.

Während der Skeptiker auf den Aspekt der unerlaubten Heilkundeausübung und der Psycho-Quacksalberei fokussiert, leuchtet SZ-Reporter Marvin Ku vor allem die Thematik des sexuellen Missbrauchs aus.

Es geht unter anderem um einen Fall, der auch in diesem Youtube-Video von einer Freundin des mutmaßlichen Opfers geschildert wird:

Chatverläufe, die „schnell in eine übergriffige, sexuelle Richtung gehen“, liegen der SZ vor. Allerdings seien nach einer Anzeige wegen Ver­gewaltigung im Juni 2022 die Ermittlungen gegen Marcus B. im September 2022 bereits eingestellt worden, schreibt die SZ.

Das Problem sei laut Opferanwalt der Vorsatz:

Der Täter muss wissen und wollen, dass er gegen den Willen des Opfers handelt. Am Ende ist es wie so oft: Marcus B. ist kein Vorsatz nachzuweisen.

Darüber hinaus sei das damals 15-jährige Mädchen „exorziert“ und dabei in einer Badewanne unter Wasser gedrückt und auch festgebunden worden:

Marcus B. bestreitet auf Nachfrage des SZ-Magazins die Taufe und die Fesselung. Den Exorzismus aber nicht.

Der Artikel von Marvin Ku hat einen Schwachpunkt, nämlich was die Darstellung der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) angeht, die „Nature23“ mit seinem „Befreiungsdienst“ zu behandeln vorgibt. Aber er zeigt anschaulich die Gefahren auf, die von diesem freikirchlichen „Exorzisten“ ausgehen:

So zimmert sich Marcus B. sein Weltbild zusammen: Hinter psychischen Krankheiten und körperlichen Leiden stünden unreine Geister. Wissenschaftlich ist das Unfug; wie psychische Krankheiten entstehen, ist gut erforscht.

Weil die Gründe aber komplex sind, gibt es immer wieder Leute, die eine einfache Erklärung suchen. Marcus B. sieht Wissenschaft nur als eine Perspektive von vielen an.

Und:

Ihm sei schon klar, dass die Gesellschaft viele Dinge anders sehe als er. Auch den sexuellen Kontakt mit Minderjährigen. Marcus B. erzählt, dass sich sogar Elfjährige bei ihm melden würden, um von ihren Sexerfahrungen zu berichten. Weil er das interessant finde, frage er sie nach ihrem Intimleben aus, B. nennt das „Forschergeist“.

Wie geht die Geschichte nun weiter?

Seit August 2022 laufe ein Verfahren gegen Marcus B. bei der Staatsanwaltschaft Berlin. Die Ermittlungen dauerten an. Tatvorwürfe seien der sexuelle Missbrauch von Kindern sowie Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Schriften.

Zudem bestehen laut Sekteninfo NRW „aus rechtlicher Sicht erhebliche Zweifel, ob das Angebot [des Exorzismus, wie Marcus B. ihn durchführt] in dieser Form überhaupt praktiziert werden darf“.

Auch das sollte für die Behörden eigentlich ein Ansatz sein, wie „Nature23“ gestoppt werden kann.

Das Skeptiker-Heft mit dem Artikel über ihn ist hier erhältlich (auch als epaper).

Zum Weiterlesen:

  • Dämon – Der Exorzist aus dem Internet (Podcast)
  • Teuflische Angst, süddeutsche am 3. Januar 2024
  • Neu im Skeptiker: Der Internet-Exorzist „Nature23“, GWUP-Blog am 9. Dezember 2023

3 Kommentare

  1. Pingback: Ein Exorzist und die DIS - Debunking SRA

  2. Am Montag:

    „Nature23 – Der selbsternannte Exorzist aus dem Internet“:

    https://tv.spiegel.de/programm/artikel/spiegel-tv-nature23-der-selbsternannte-exorzist-aus-dem-internet

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