gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

9. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Verschwörungstheorien zu einem Thema von Kunst machen: der Komponist Moritz Eggert im neuen „Skeptiker“

Mit „Die letzte Verschwörung“ hat der Komponist Moritz Eggert einen „schwindelerregenden Ritt durch die verrücktesten zeitgenössischen Verschwörungsmythen“ vorgelegt. Nach der Uraufführung am 25. März 2023 in Wien erfolgte die deutsche Erstaufführung am 19. Oktober 2024 in Augsburg.

Eggert gilt als einer „der vielseitigsten und interessantesten Komponisten der Gegenwart“. Sein Werkverzeichnis von knapp 300 Stücken enthält 19 abendfüllende Opern, mehrere Ballette sowie Arbeiten für Tanz- und Musiktheater, Orchestermusik, Kammer- und Ensemblemusik und vieles mehr, darunter auch die Musik für die Eröffnungszeremonie der Fußball-WM 2006 in Deutschland.

Für den Skeptiker (4/2024) sprachen wir mit ihm über Flatearther, Nena und modernes Musiktheater.

Moritz Eggert (Pressefoto: Astrid Ackermann)

GWUP: Sie haben sich schon zu Beginn der Coronakrise 2020 in ihrem Bad Blog of Musick sehr dezidiert zu „Virusverharmlosern“ wie Wodarg, Bhakdi und Hildmann geäußert, ebenso zu der „Dramaturgenschande“ Anselm Lenz, denen Sie „Falschpropaganda“ und „Dummheit“ vorwarfen. Man sieht förmlich vor seinem geistigen Auge, wie Sie sich gleich danach ans Klavier setzen und voller Furor eine Oper zum Thema Verschwörungstheorien komponieren.

Moritz Eggert: Schönes Bild – stimmt aber so nicht. Tatsächlich ist „Die letzte Verschwörung“ ein Kompositionsauftrag von der designierten Intendantin der Wiener Volksoper gewesen. Lotte de Beer stand 2021 kurz vor ihrem Amtsantritt und wünschte sich für ihre erste Uraufführung eine moderne Oper oder Operette.

Zeitlich korrelierte das zwar mit der Corona-Pandemie, aber die Inspiration war eine andere, nämlich die Netflix-Doku „Unter dem Tellerrand“ von 2018 über die Flat-Earther-Bewegung. Die hatten wir beide gesehen und Lotte de Beer fragte mich, ob mir dazu etwas einfiele. Bei einer Zugfahrt habe ich dann ein Exposé entworfen, das von der Flat-Earth-Theorie ausgeht und in dem im Handlungsverlauf immer mehr Verschwörungstheorien wahr werden.

Sogar im GWUP-Blog gibt es Kommentatoren, die darauf beharren, dass die Flat-Earther-Bewegung ein Satire-Projekt und gar nicht ernst gemeint sei.

Das ist falsch, ich kenne Menschen, die an die Flache Erde glauben – darunter sogar eine Stewardess, die es eigentlich besser wissen müsste.

Sie kann ab einer gewissen Höhe die Erdkrümmung doch mit eigenen Augen durchs Flugzeugfenster sehen.

Das ist wirklich erstaunlich. Sie erklärt sich das irgendwie damit, dass die Fenster einen Effekt wie ein Fischaugenobjektiv erzeugen würden. Dabei ist die junge Dame durchaus intelligent. Ihr Vater, ein studierter Mathematiker, verzweifelt an ihren Ansichten und streitet sich dauernd mit seiner Tochter. Aber man kommt da nicht weiter, keine Chance.

Ging es Ihnen als Musiker und Kulturschaffender während der Pandemie nicht ähnlich, etwa mit Kollegen wie dem besagten Anselm Lenz oder vielleicht auch Nena und Naidoo?

Ja, ich war schon ziemlich sauer auf die und auch enttäuscht. Das sind ja zum Teil Helden unserer Kindheit und auch Leute, die man persönlich kannte und in gewisser Weise bewunderte. Das fand ich ziemlich hart. Gleichzeitig war ich für jeden dankbar, der vernünftig geblieben ist.

Im Bad Blog of Musick habe ich einfach den Versuch unternommen, darüber aufzuklären, dass ich in dieser Pandemie keine Elitenverschwörung mit einer Agenda der Kulturvernichtung sehe.

Sie schrieben: „Man möchte Idioten wie Michael Wendler, Xavier Naidoo oder Attila Hildmann gerne schütteln und ihnen ins Gesicht brüllen: Es gibt keine Chemtrails! Es gibt keine jüdische Weltverschwörung! Es ist keine Fake-Pandemie!“ Trotzdem spielt das Thema Corona in Ihrem Stück „Die letzte Verschwörung“ keine Rolle, bis auf einen Halbsatz über Merkel und die Impfung.

Ich habe Verschwörungserzählungen über die Pandemie ausgeklammert, weil ich sicher war, dass wir alle von dem Thema genug haben. Es war zwar schon so, dass die Arbeit an „Die letzte Verschwörung“ für mich persönlich auch etwas Kathartisches hatte, weil ich mir den ganzen Corona-Frust ein wenig von der Seele schreiben konnte.

Und natürlich habe ich Brüche erlebt, auch im engsten Bekanntenkreis, ich kenne Kollegen, die so weit abgedriftet sind, dass sie ihre Karriere ruiniert haben. Das ist alles sehr traurig, aber ich möchte das Publikum nicht mit Problematiken langweilen, die uns bis hier stehen.

Stattdessen beginnt „Die Letzte Verschwörung“ mit einem Flacherde-Anhänger, der einen Talkmaster von seinem Glauben überzeugen will – so ähnlich wie es mal ein Anrufer bei „Domian“ versucht hat.

Ja, ich fand das einen guten Ausgangspunkt, weil die Flache Erde offenbar für viele der Einstieg in den Verschwörungsglauben ist. Das liegt wohl auch daran, dass es da so ein paar Taschenspielertricks gibt, die auf den ersten Blick recht überzeugend klingen.

Wollen Sie mit Ihrer Oper Verschwörungsgläubige zum Umdenken bringen?

Wir pflegen in Deutschland so ein wenig das Klischee, dass Kunst erziehen soll. Bei einer Podiumsdiskussion von Kulturschaffenden ist mal der Satz gefallen: „Wir wollen unser Publikum zu liberalem Denken erziehen.“ Das halte ich für hochproblematisch.

Wenn ich einen Stoff wie „Die letzte Verschwörung“ behandele, dann möchte ich, dass das Publikum sich am Ende sich seine eigenen Gedanken macht, zu eigene Antworten kommt – die will ich nicht vorgeben. Kunst ist für mich ein wilder Raum, wo Ideen und Probleme verhandelt werden. Wichtig war mir nur, Verschwörungstheorien zu einem Thema von Kunst zu machen, damit diese Auseinandersetzung stattfinden kann.

Kann man das Stück auch als Nicht-Opernkenner genießen?

Wenn man neugierig und offen ist, hat man sein Erlebnis, denke ich, auch ohne Opern kennen zu müssen. Gesellschaftliche Themen werden ja in allen Bereichen von Kunst und Kultur verhandelt – nur in der Sparte der zeitgenössischen Oper hat sich in letzter Zeit wenig getan.

Eher war es so, dass man alte Stoffe auf modern getrimmt hat, wie zum Beispiel „Der Freischütz“, der dann hinter einem Gaze-Vorhang gespielt wird, auf den Videos des Bühnengeschehens projiziert werden. Ich finde das viel gezwungener, als Autoren von heute neue Stücke schreiben zu lassen, die etwas mit unserer Zeit zu tun haben. Die relevant und authentisch sind.

Das zeichnet meines Erachtens „Die letzte Verschwörung“ aus.

Ist das Thema damit für Sie erledigt?

Ich glaube schon, dass ich eine grundsätzliche Affinität zu dieser Problematik habe. Das nächste Stück, das ich plane, soll eine Mystery-Oper werden, und danach möchte ich das aufgreifen, was in den USA passiert ist und auch weiterhin passiert, die Erstürmung des Capitols, der Kampf um die Demokratie.

Das sind verwandte Themen, insofern bleibe ich dran.

Das vollständige Interview mit Moritz Eggert sowie mit dem Tenor Wolfgang Schwaninger und dem Intendanten André Bücker gibt’s im Skeptiker 4/2024, der heute erschienen ist. Einzelhefte kann man hier bestellen.

Ein Artikel von Moritz Eggert zum Thema „Ambivalenz aushalten“ ist im aktuellen Dreiklang-Magazin (Nr. 13) der Oper Leipzig erschienen.

„Die letzte Verschwörung“ wird am 28. Dezember 2024 und 6. April 2025 im martini-Park Augsburg aufgeführt. Karten gibt es hier.

Zum Weiterlesen:

  • „Die letzte Verschwörung“: Eine Oper zur Lage der Aufklärung feierte deutsche Erstaufführung, GWUP-Blog am 23. Oktober 2024
  • Verschwörungstheorien und KI haben in Augsburgs Theatern Hochkonjunktur – nur noch düstere Aussichten? augsburg-journal am 10. November 2024
  • Gespräch mit Moritz Eggert über seine Oper „Die letzte Verschwörung“, br-klassik am 16. Oktober 2024

8. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Doktor Whatson: „Astrologie ist nachgewiesenermaßen Quatsch“

Der Youtuber „Doktor Whatson“ (Cedric Engels) bespricht detailliert die Astrologie-Studie, über die wir hier berichteten:

Wie man beweisen kann, dass Astrologie Quatsch ist

Der Blog Clearer Thinking hat in einem sehr spannenden Experiment die Fähigkeiten von 152 Astrologen getestet. Das Besondere: Sogar beim Design waren Astrologen dabei, um auf jeden Fall einen fairen Test zu ermöglichen. Und einige der Ergebnisse haben mich wirklich überrascht. Wir steigen durch und schauen, was am Draht nach oben dran ist.

Spoiler:

Nichts ist dran.

Die Ergebnisse der Astrologen nicht besser waren als die zufällig erwarteten. Erfahrene Astrologinnen und Astrologen haben nicht besser abgeschnitten als unerfahrene. Sogar die selbsternannten Weltklasse-Astrologen hatten im Test keine Sternstunde. 

Fast auf den Tag genau vor 39 Jahren publizierte Nature eine ähnliche Studie.

Die „Clearer Thinking’s Astrology Challenge“ ist übrigens nach wie vor online.

Zum Weiterlesen:

  • „Fakten sind krass, aber was sagen die Sterne?“ Nichts – sie schweigen weiter vor sich hin, GWUP-Blog am 22. September 2024
  • Ironie oder voller Ernst? Das gewisse Etwas der Astrologie, GWUP-Blog am 8. November 2024
  • Der gewissenhafte Doktor Whatson, stifterverband am 16. Dezember 2020
  • A double-blind test of astrology, nature am 5. Dezember 1985

7. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Science Cops: Ein Impfgegner als US-Gesundheitsminister – Der Fall Robert F. Kennedy Jr.

2020 trat Robert F. Kennedy Jr. in Berlin auf – als Redner bei einer „Querdenken“-Demo.

Künftig könnte er als amerikanischer Gesundheitsminister nach Deutschland reisen. Der „Impfgegner und Verschwörungstheoretiker“ (DLF) wurde von Donald Trump für dieses Amt nominiert.

Wer ist Robert F. Kennedy Jr., oft nur RFK Jr. genannt? Und was ist von seinen Argumenten gegen Impfungen zu halten?

Das erklären die Quarks Science Cops in ihrem neuen Video:

Seine Lieblingserzählung: Impfungen lösen Autismus aus! Grundlage für diese Behauptung bilden zwei bekannte Studien aus den 90ern bzw. frühen 2000ern, die Wakefield- und die Verstraeten-Studie.

Problem dieser Studien, wie wir im Podcast zeigen: Die eine ist Betrug wie aus dem Lehrbuch, die andere völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Also letztendlich beide nicht aussagekräftig. Für Robert F. Kennedy herzlich egal.

Die Folge gibt es als Podcast und bei Youtube.

Zum Weiterlesen:

  • Robert F. Kennedy Jr.: Gesundheitsminister fernab der Wissenschaft, tagesschau.de am 29. November 2024
  • Robert Kennedy Jr. warnte 2020 bei „Querdenker“-Demo in Berlin vor 5G, rbb24 am 16. November 2024
  • Der wirre Kennedy, NZZ am 2. Dezember 2021
  • Langzeitstudie: MMR-Impfung verursacht keinen Autismus, GWUP-Blog am 5. März 2019
  • Andrew Wakefield: Der Vater aller Impfgegner, profil am 8. Januar 2022
  • Vor 20 Jahren – Andrew Wakefield und seine Studie, SciLogs am 27. Februar 2018
  • Maximilian Doeckel/Jonathan Focke: „Aber meiner Tante hat’s geholfen“ – Wie wir Scheinargumente, unwissenschaftlichen Unsinn und Pseudoexperten entlarven. Rowohlt 2024, 288 Seiten, 18 €

6. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Rosarote Lügen: Janos Hegedüs über das Pixi-Büchlein „Mias Besuch bei der Osteopathin“

Wie wir schon hier im Kommentarbereich schrieben:

Das Pixi-Büchlein „Mias Besuch bei der Osteopathin“ ist zwar im renommierten Carlsen-Verlag erschienen – aber eine Auftragsarbeit für den VOD (Verband der Osteopathen Deutschland).

Dementsprechend weist Carlsen jede Verantwortung für den pseudowissenschaftlichen Inhalt von sich:

Ob Leserinnen und Leser osteopathische Behandlungsformen wählen möchten oder nicht, obliegt ihrem alleinigen persönlichen Ermessen,

heißt es lapidar in der Antwort auf eine Anfrage von Janos Hegedüs:

Grund genug für eine „Reise in die Welt der Osteopathie – oder besser gesagt in den Sumpf der Pseudowissenschaften, der sich hinter dieser Praxis verbirgt“:

Anhand des Pixi-Buchs „Mias Besuch bei der Osteopathin“zeige ich euch, wie diese Methode bereits bei den Kleinsten und ihren Eltern salonfähig gemacht wird. Aber was steckt wirklich hinter den Versprechen der Osteopathie? Sind es sanfte Heilmethoden oder nur teurer Quatsch?

Gemeinsam werfen wir einen kritischen Blick auf die Geschichte der Osteopathie, ihre Grundprinzipien und die fragwürdigen Behauptungen, die bis heute aufgestellt werden.

Außerdem erkläre ich, warum das gezielte Marketing mit einem Kinderbuch besonders perfide ist und wie Eltern hier verunsichert werden, um teure Behandlungen zu rechtfertigen.

Zum Weiterlesen:

  • Unbelegt und unplausibel: Beim Thema Kinderosteopathie braucht niemand „leuchtende Augen“ zu bekommen, GWUP-Blog am 27. November 2024
  • „Unsere Kinder leiden, sie sind in Gefahr!“ Janos Hegedüs über Kinderosteopathie (1), GWUP-Blog am 12. Februar 2023
  • Video: „Kinderosteopathie“ 2 mit Testanleitung, GWUP-Blog am 26. Februar 2023

6. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Ein Teufelskreis, in dem Fakten geschaffen werden: Teil vier von „Geteiltes Leid“ über satanistisch-rituelle Gewalt und Mind Control

Am Ende sitzt man fassungslos da und weiß: Es ist alles noch schlimmer, als wir dachten.

Nicht nur, dass der vierteilige Podcast „Geteiltes Leid“ die Argumente der Skeptiker in jeglicher Hinsicht belegt und bestätigt. Die renommierten Journalisten Olga Herschel und Sören Musyal haben darüber hinaus noch einige weitere Absonderlichkeiten der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC) zutage gefördert.

Zum Beispiel:

  • Wie kommt die Zahl von vier bis sechs Prozent ritueller Missbrauchsopfer zustande, die der Fonds Sexueller Missbrauch in seinen Veröffentlichungen angibt?

Das eruieren Herschel/Musyal in der vierten Folge von „Geteiltes Leid“ anhand einer weiteren Betroffenen von RG-MC-Falschtherapien namens Amelie.

Olga Herschel erklärt:

Therapeutinnen, die an rituelle Gewalt glauben, erarbeiten in der Therapie mit ihren Patientinnen den Gedanken, dass ein ritueller Missbrauch stattgefunden haben muss. Irgendwann informieren sie sie über die Fördermöglichkeiten des Fonds.

So war es bei Leonie, und genau so erzählt es Amelie über die Klinik am Waldschlösschen in Dresden. Die Zahlen, die rituelle Gewalt belegen, wie zum Beispiel die Anträge beim Fond, die legitimieren wiederum das Engagement von Menschen wie Ellen Engel oder Eva Lauer-von Lüpke. Und so geht der Kreislauf wieder von vorne los.

Ein Teufelskreis. Ein Teufelskreis, in dem Fakten geschaffen und beeinflusst werden. Genau wie bei der Unabhängigen Kommission zur Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs und den pseudowissenschaftlichen Studien, die sie in Auftrag gegeben hat.

Kurz gesagt: Patientinnen werden Erinnerungen an „rituellen Missbrauch“ suggeriert und dann ermuntert, Geld beim Fond sexueller Missbrauch zu beantragen. Dort kann man ankreuzen, rituelle Gewalt erlebt zu haben.

Herschel weiter:

Und wenn mal die Kritik an der Erzählung rund um rituelle Gewalt überkocht, so wie bei Böhmermanns Sendung, dann passiert eigentlich nur eins: Die Anhängerinnen der Verschwörungserzählung wandeln die Begriffe, die typischen Schlagwörter, einfach nur um.

Darüber sprachen wir bereits beim „Skeptical“ im Mai in Augsburg. Der Autor unserer Broschüre

Rituelle Gewalt – Mind Control: Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?

Dr. Kai Funkschmidt (l.) trug dort vor:

Die spezifischen Elemente [der RG-MC-Verschwörungstheorie], die dazugehören, die verändern sich nicht. Das sind heute noch die gleichen wie 1980 in den USA. Aber die Bezeichnungen ändern sich, und das, was in der Öffentlichkeit gesagt wird.

Nach außen klingt das alles so, als ginge es um organisierte Pädokriminalität. An der zweifelt aber auch kein Mensch. Aber intern, etwa bei Fortbildungen, da ist dann nach fünf Minuten vom Satanismus die Rede. Nach außen heißt es aber immer: Nein, Satanismus sei ja gar nicht das Wichtigste – weil Satanismus inzwischen doch ein bisschen zu verschwörungstheoretisch klingt.

Das ist ganz typisch, und das macht es so schwer, die RG-MC-Protagonisten festzunageln.

Olga Herschel und Sören Musyal (Pressefoto: Shane Thomas McMillan)

Auch Olga Herschel und Sören Musyal ist das bei ihren Recherchen aufgefallen. In Teil 4 von „Geteiltes Leid“ sagt Herschel:

Zum Beispiel sind sie [die Anhängerinnen der Verschwörungserzählung] dazu übergegangen, von organisierter und ritueller Gewalt häufig in einem Atemzug zu sprechen. Auch auf der Homepage der UKASK ist von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt die Rede. Die Strategie dahinter ist ziemlich naheliegend.

Genauer erklärt das dann der Rechtspsychologe Andreas Mokros:

Das scheint mir so ein rhetorisches Abwehrmanöver zu sein. Man wirft halt zwei Dinge zusammen, von denen eines unstrittig ist, verbindet sie durch eine logische Konjunktion, und wenn jemand dann eines davon in Zweifel zieht …

kann man ihn als „Täter, Leugner, Bagatellisierer“ diffamieren, wie es die Schweizer Psychotherapeutin Hanna Egli-Bernd gerade wieder vorgemacht hat. Weil man in der RG-MC-Szene die beiden Begriffe so amalgamiert hat, dass sie praktisch untrennbar geworden sind:

Das Label „organisiert“ ist eine Art Alibi und soll dem „rituell“ einen seriösen Anstrich geben,

fasst Olga Herschel zusammen.

Ein anderes Beispiel seien die Begriffe „Mind Control“ und „Programmierung“. Die wolle auf einmal niemand mehr in den Mund nehmen, jetzt gehe es um „Konditionierung“ oder „automatisierte Reaktionen“ oder „Manipulationstechniken“:

Auch hier ist es das gleiche Spiel wie bei der Verbindung von organisiertem und rituellem Missbrauch.

Nicht umsonst lautet eine Kapitelüberschrift in unserer Broschüre „Verwirrung durch wechselnde Bezeichnungen“ (Seite 11).

Aber bleiben wir noch beim Thema „Zahlen“:

Ebenfalls untrennbar zum RG-MC-Narrativ gehören „abgespaltene Persönlichkeiten“ aufgrund einer absichtsvoll von Tätern erzeugten Dissoziativen Identitätsstörung (DIS).

Dazu kursieren erstaunliche Inzidenzen von „0,5 bis 1 Prozent in der Gesamtbevölkerung und 5 Prozent bei stationären psychiatrischen Patienten“. Oder anders: „Zirka eine Million Menschen sind in Deutschland von der Dissoziativen Identitätsstörung betroffen.“

Wirklich?

Fachleute wie der forensische Psychiater Frank Urbaniok sind davon überzeugt, dass es

… die DIS im Sinne von strukturell abgespaltenen Persönlichkeiten, die ein Eigenleben führen, nicht gibt.

Im „Geteiltes Leid“-Podcast sind es Olga Herschel (die als Ärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet hat) und der Psychiater Stefan Röpke, denen eine Dissoziative Identitätsstörung in der Praxis noch nie begegnet ist.

Mehr noch:

Das Grundkonzept der DIS, wie es in der RG-MC-Szene vertreten wird (dass Menschen sich bisweilen in mehrere Dutzend Innenpersonen aufspalten, die teilweise völlig eigenständige Existenzen führen und sich auch in körperlichen Merkmalen unterscheiden),

entspricht laut Röpke

… nicht dem, was ich jemals irgendwie nur in Ansätzen beobachtet hätte, und auch nicht, was in der akademischen Fachwelt in irgendeiner Weise nachgewiesen oder anerkannt wäre.

Wieso aber – und das ist der Standardargument der RG-MC-Gläubigen – ist die DIS dann in der ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation verzeichnet? Dazu findet Röpke klare Worte:

Eigentlich muss man sagen, da hat die WHO wirklich in dem Punkt versagt.

Letztendlich seien nur „vier sehr prominente Vertreter dieser Störung“ eingeladen worden, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und diese spezielle Kommission „ist nicht nach wissenschaftlichen Standards vorgegangen“, merkt Herschel an. Zum Beispiel fehlten internationale Feldstudien und andere wichtige Veröffentlichungen.

Das alles halte aber bestimmte Therapeutinnen nicht davon ab, eine Therapie anzubieten, für deren Wirksamkeit es genauso wenig Belege gibt.

Aber wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass

… eine seit Jahrzehnten bestehende Verschwörungstheorie weiterhin existiert und Menschen in Deutschland schweren Schaden zufügt,

heißt es im Blog von „Arbeit und Leben“, einer Einrichtung der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die die vier Folgen umgesetzt hat (im Rahmen des Projekts „Hast Du schon gehört?“ und mit Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung).

„Geteiltes Leid“ verdeutliche, wie Verschwörungstheorien in therapeutischen Kontexten, Medien und Gesellschaft schleichend Schaden anrichten können. Der Podcast rufe Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Verantwortung auf.

Wie sieht es mit dieser Verantwortung aus?

„Eigentlich müssten viele verschiedene Institutionen beim Thema rituelle Gewalt und Dissoziative Identitätsstörung längst hellhörig sein“, wundert sich Olga Herschel im vierten Teil. Krankenkassen zum Beispiel. Die Landespsychotherapeutenkammern. Und psychotherapeutische Ausbildungsinstitute.

Gerade dort finden aber nach wie vor Fortbildungen zu ritueller Gewalt statt, weil die Verschwörungsgläubigen seit Jahrzehnten mit am Tisch sitzen,

hat die promovierte Ärztin und Journalistin festgestellt.

Und so ähnlich sieht es auch auf der politischen Ebene aus. Es wäre die Aufgabe des Familienministeriums, sich von der Erzählung zu ritueller Gewalt bei der UKASK zu distanzieren. Aber die UKASK hat eine große Strahlkraft. Sie ist eine Art Leuchtturm für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Deutschland. Sie anzurühren, scheint sich niemand von den Politikern zu trauen.

Und Kerstin Claus, die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs?

Sie „scheint längst verstanden zu haben, dass bei dem Thema rituelle Gewalt etwas aus dem Ruder läuft“, schildert Herschel ihren Eindruck von einem Gespräch mit der UBSKM. Claus wünscht sich sogar, dass Journalisten noch mehr Fälle von ideologisch getriebenen Falschbehandlungen aufdecken. Sie könne aber nicht helfen, weil sie Betroffene nicht verprellen will. Und die UKASK wolle nicht helfen, weil sie an rituelle Gewalt glaubt.

Und dann formuliert Olga Herschel die entscheidende Frage:

Wie können wir von der Verschwörung erzählen, ohne die Menschen abzuwerten, die vermutlich schwer traumatisiert sind? Und die über sich sagen, sie hätten rituelle Gewalt erlebt?

Die Antwort darauf gibt sie sich selbst:

Kritik an schädlichen Pseudotherapien muss möglich sein. Das ist ja gerade im Sinne aller Betroffenen von Traumata.

Nur warum fällt es den Verantwortlichen so schwer, diese Haltung einzunehmen?

Warum tauchen alle diese Patientinnen mit DIS und RG-MC-Erfahrung nur bei einer kleinen Minderheit der Therapeuten, dort aber gehäuft auf?

Wieso distanzieren sich RG-MC-Anhänger zwar wortreich von „Satanic Panic“-Verschwörungstheorien wie „weltumspannenden, satanischen Eliten“ oder QAnon – ohne zu realisieren, dass das nur einen kleinen Teil der RG-MC-Verschwörungstheorie ausmacht, welche ganz konkret „in Psychotherapiepraxen, Krankenhäusern, Hilfezentren und auch in der Politik“ Einzug gehalten hat und „Opfer schädlicher Therapien“ hervorbringt, wie der Podcast-Produzent Khesrau Behroz in einem Interview sagt.

Herschel erklärt das am Ende der vierten Folge mit den persönlichen Benefits, die Verschwörungsgläubige aus ihrer Überzeugung ziehen: Komplexitätsreduktion, Selbstaufwertung, Entlastung und Selbstwirksamkeit, wie wir auch in unserer Broschüre schreiben (Seite 32).

Was die RG-MC-Anhänger mit ihren „offenkundig guten Absichten“ (Herschel) allerdings „aktiv ausblenden“, ist „die andere Seite: die Opfer der Erzählung von ritueller Gewalt“.

Dazu gibt es auch einen Beitrag im nächsten Skeptiker (4/2024):

Welches Fazit soll man nun aus den vier Folgen von „Geteiltes Leid“ ziehen, für die sich das Produktionsteam drei Jahre lang mit der Thematik beschäftigt hat?

Auch in der letzten Episode kommt wieder einmal der Vorwurf einer „emotionalisierten und undifferenzierten Berichterstattung“ auf, diesmal von der „Waldschlösschen“-Leiterin Martina Rudolph. Nichts davon ist in dem Podcast von Olga Herschel und Sören Musyal zu spüren. Eher wäre die Gegenfrage zu stellen:

Wie fundiert, differenziert und empathisch muss eine Berichterstattung über die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie noch sein, damit sich die Adressaten endlich selbstkritisch damit auseinandersetzen?

Zum Weiterlesen:

  • „Seit Jahrzehnten widerlegt“: Teil drei von „Geteiltes Leid“, ein Podcast über die RG-MC-Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 29. November 2024
  • „Die Frau spinnt“: Teil zwei von „Geteiltes Leid“, ein Podcast über die Verschwörungstheorie von der satanisch-rituellen Gewalt, GWUP-Blog am 22. November 2024
  • „It’s always going to be relevant“: Die Verschwörungstheorie über rituelle Gewalt und Mind Control, GWUP-Blog am 14. November 2024
  • Klarstellung zur DIS, dissoziationen am 19. Juli 2024
  • Renommierte Experten nennen die „Satanic Panic“ unverhohlen eine Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 17. April 2024
  • Rituelle Gewalt – Mind Control: „Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“ jetzt kostenlos zum Download, GWUP-Blog am 17. Juni 2024
  • „Satanic Panic“ der frühen 1980er-Jahre: Kultur-Phänomen mit musikalischen Schauplätzen, rollingstone am 30. November 2024
  • Podcast: „Mit dem Teufel im Bunde. Die Satanic Panic und der Metal“ vom 26. November 2024
  • Bennett Braun: The Psychiatrist Who Fueled the Satanic Panic, skeptical-inquirer am 22. April 2024
  • „Angst und Desinformation“: Die Satanic Panic der 1980er, GWUP-Blog am 4. Dezember 2024

4. Dezember 2024
von Bernd Harder
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„Warum Placebos funktionieren“ bleibt weiterhin ungeklärt

  • Placebos wirken auch dann, wenn Patienten und Patientinnen wissen, dass sie ein Scheinmedikament einnehmen.
  • Placebos können vor allem bei Beschwerden, an denen das Gehirn beteiligt ist, unterstützend wirken. Dazu zählen Schmerzen, aber auch einige immunologische Prozesse.
  • Bei physiologischen Funktionen, die sich nicht durch Erwartung beeinflussen lassen, stoßen sie an ihre Grenzen.

Das sind im Wesentlichen die (nicht neuen) Erkenntnisse aus dem Podcast

Keine Wirkung, trotzdem gesund? Warum Placebos funktionieren

in der Reihe Aha! Zehn Minuten Alltagswissen mit dem Medizinpsychologen und Placebo-Forscher Manfred Schedlowski.

Für die Frage „Warum Placebos funktionieren“ ist dann aber doch zu wenig Zeit.

Schade eigentlich, denn in der Süddeutschen Zeitung spricht Schedlowski von einer

… bahnbrechenden Arbeit, die detailgenau beschreibt, welche Mechanismen dem Placebo-Effekt zugrunde liegen.

Die Rede ist von einem Aufsatz in Nature Cardiovascular Research (Juli 2024):

Darin beschreibt die isrealische Psychoneuroimmunologin Asya Rolls, wie sie eine Art Placebo-Effekt im Tiermodell nachstellen konnte. Entscheidend dabei ist die Stimulation des Belohnungssystems im Gehirn beziehungsweise die Dopaminausschüttung.

Obwohl die Studie mit Mäusen gearbeitet hat, passten die Ergebnisse zu dem, was auch aus der Forschung mit Menschen bekannt sei, wird Schedlowski in der SZ zitiert. Allerdings gibt es eine neuere Studie, welche die Rolle von Dopamin bei der Entstehung von positiven Behandlungserwartungen und dem Placeboeffekt in Frage stellt.

Wie heißt es so schön:

Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist notwendig.

Zum Weiterlesen:

  • Keine Wirkung, trotzdem gesund? Warum Placebos funktionieren, welt.de am 18. November 2024
  • Was hinter dem Placebo-Effekt steckt, süddeutsche am 30. September 2024
  • Placebo: Ein Signal für das Belohnungssystem im Hirn, dgfi am 9. August 2018
  • Studie stellt Rolle von Dopamin bei Schmerzlinderung in Frage, uni-due.de am 25. September 2024
  • Video: Doktor Whatson über Placebo- und Nocebo-Effekte, GWUP-Blog am 1. August 2024
  • Vortragsvideo: „Die Macht der Erwartung“ – Placebo- und Nocebo-Effekte in der Therapie, GWUP-Blog am 19. Juni 2024
  • Die Quarks Science Cops über den Placebo-Effekt, GWUP-Blog am 14. Oktober 2023
  • Video: „Placebo Effekt erklärt – Wie Erfahrung, Glaube und Erwartung uns beeinflussen“ bei Gesundheit und Wissenschaft

4. Dezember 2024
von Bernd Harder
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„Angst und Desinformation“: Die Satanic Panic der 1980er

Schockierende Geschichten von satanistischen Netzwerken und ritueller Gewalt machten die Runde. Obwohl rein gar nichts an diesen absurden Anschuldigungen dran war, schien die Satanic Panic in dieser Zeit nicht aufzuhalten, und über zehn Jahre hinweg reihten sich Anschuldigungen, krude Theorien und Prozesse aneinander.

Im Podcast Déjà-vu Geschichte blicken Ralf Grabuschnig und Paul Wettl (Reise durchs Mittelalter) auf die „Satanic Panic“ der 1980er-Jahre zurück – insbesondere auf „eines ihrer Opfer: Musik und ganz besonders Metal“.

Ihr Fazit:

Die Satanic Panic sagt uns kaum etwas über den Satan und auch nicht über Metal oder Dungeons & Dragons oder sonst was, dafür aber umso mehr über die Abgründe der Menschheit. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Die Satanic Panic und die Verschwörungsmythen von heute, die laufen doch alle nach verdammt ähnlichen Mustern ab.

Das Musikmagazin Rolling Stone beschreibt die „Satanic Panic“ als ein

… faszinierendes Beispiel dafür, wie Angst und Desinformation gesellschaftliche Dynamiken und die Kunst beeinflussen können.

Davon ist auch im vierten und letzten Teil der Podcast-Reihe „Geteiltes Leid“ die Rede. Denn „the panic’s concerns resonate in the present“, wie die New York Times schreibt.

Apropos Satanismus:

Der WDR hat einen vierteiligen Podcast über Aleister Crowley produziert (es ist allerdings umstritten, ob Crowleys sexualmagisch aufgeladener Okkultismus als Satanismus bezeichnet werden kann):

Die einzelnen Folgen (jeweils zirka 30 Minuten):

Zum Weiterlesen:

  • „Satanic Panic“ der frühen 1980er-Jahre: Kultur-Phänomen mit musikalischen Schauplätzen, rollingstone am 30. November 2024
  • Schloss Jimmy Page einen Pakt mit Satan? Der Einfluss von Aleister Crowley und okkulte Mythen, rollingstone am 3. Dezember 2024
  • Podcast: „Mit dem Teufel im Bunde. Die Satanic Panic und der Metal“ vom 26. November 2024
  • NGF052 – Spezial: „Verschwörungsmythen in der Metal- und Musikszene“ vom 28. April 2022
  • Morde und Kirchenbrände: „Lords of Chaos“ über den satanischen Zweig des Heavy Metal jetzt im Kino, GWUP-Blog am 5. Januar 2019
  • Was sind und tun eigentlich Satanisten? Ein Interview, GWUP-Blog am 5. Mai 2014
  • Ozzy Osbourne, Satan und die Fledermaus, GWUP-Blog am 1. Mai 2010
  • Dr. Pop, wer hat die Rückwärtsbotschaft erfunden? 78s.ch am 24. August 2010
  • Judas Priest: Rob Halford über die einstige Anklage, metal-hammer am 30. November 2020
  • Decades on, we still haven’t fully learned the right lessons from the Satanic Panic, skeptic.org.uk am 12. Juli 2024
  • The New Satanic Panic, Political Science Quarterly am 28. August 2024
  • The origins and lessons of the „Satanic Panic“ of the 1980s, cei.org am 31. Oktober 2024
  • The Satanic Panic That Never Goes Away, New York Times am 27. Oktober 2024
  • Satan Wants You: Eine Doku über „Michelle Remembers“ und den Beginn der Satanic Panic, GWUP-Blog am 23. Februar 2024
  • Michelle erinnert sich falsch: Wie ein Psychiater im Jahr 1980 die „Satanic Panic“ lostrat, GWUP-Blog am 25. Dezember 2023

4. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Nach wie vor „ein Mysterium“: das Havanna-Syndrom

Typisch Galileo, ist man versucht zu sagen.

Wenn man sich das so anhört, hat das schon ganz, ganz viel mit Verschwörungstheorien zu tun,

erklärt der Reporter Raphael Lauer nach dem Besuch einer Convention von Geschädigten des „Havanna-Syndroms“.

Mikrowellenwaffen?

Theoretisch ja, aber praktisch undenkbar,

schlussfolgert Lauer nach einem Gespräch mit dem Physiker Giuseppe Malizia von der TU München.

Akustikwaffen?

Ein Experiment mit einem kleinen Ultraschallgerät ruft widersprüchliche Reaktionen bei den Probanden hervor. Um solche Effekte wie beim „Havanna-Syndrom“ auslösen zu können, noch dazu versteckt aus der Ferne, „müsste der Kasten deutlich größer sein“, hält Lauer fest.

Das haben wir hier schon erklärt.

Und dennoch will sich Galileo auf die derzeit beste Erklärung für das Phänomen („psychogenic mass psychology effects“) nicht einlassen, sondern gibt dem amerikanischen Neuroforscher James Giordano das letzte Wort, der von einer „Mikrowellen-Akustik-Kombiwaffe“ ausgeht und in der Zeit von einem „Schattenkrieg der Russen“ spricht.

Kritischer geht der Simplicissimus-Podcast „Unfassbar“ das Thema an. Dort erwähnen die Journalisten, dass „Fragezeichen bleiben“ und die Symptome mancher Betroffener „nicht ganz so unerklärbar“ erscheinen.

Ihr Fazit:

Es gibt keine endgültigen Beweise, woher die Symptome kommen, ob es sich um einen Angriff handelt und wenn ja, von wem. In zwei späteren Studien, in denen die Gehirne von Betroffenen untersucht wurden, wurden keine Unterschiede zwischen den Gehirnen von Betroffenen und einer Kontrollgruppe gefunden – anders als bei der Studie aus Pennsylvania, von der wir euch erzählt haben.

Es bleibt weiterhin ein Mysterium.

Auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Prof. Peter Berlit, hatte im April erklärt, die derzeitige Datenlage sei zu dünn, um sagen zu können, „womit wir es beim Havanna-Syndrom wirklich zu tun haben“.

Leider interessieren neurologische Befunde Galileo weniger als „Strahlenwaffen“. Hier geht’s zum Video (zirka 15 Minuten).

Zum Weiterlesen:

  • Das mysteriöse Havanna-Syndrom: Wie gefährlich sind unsichtbare Technologien wirklich? joyn.de am 4. Dezember 2024
  • Geheimwaffen lösen das Havanna-Syndrom aus – Physiker erklärt, was dahinter steckt, focus am 21. November 2024
  • Podcast: „Das Mysterium des Havanna-Syndroms“ vom 29. November 2024
  • Ursache des Havanna-Syndroms auch nach aktuellen Studien unklar, mdr am 8. April 2024
  • Havanna-Syndrom: Zu wenig wissenschaftliche Daten, um die Ursache klar benennen zu können, dgn am 5. April 2024
  • Das Havanna-Syndrom: Symptome sind noch kein Beweis, futurezone am 13. April 2024
  • Havanna-Syndrom: Angriffe oder psychogenes Massenleiden? GWUP-Blog am 13. September 2022
  • Geschmolzene Gehirne: Das Havanna-Syndrom im „Tatort“, GWUP-Blog am 20. März 2024

2. Dezember 2024
von Bernd Harder
3 Kommentare

Neuer Stoff für die Feindesliste: Das Goldene Brett 2024 geht an den „Healy“ und Ivo Sasek

Noch beim Skeptical im Mai in Augsburg waren die OCG, kla.tv und Ivo Sasek ein Thema:

Die ehemalige kla.tv-Redakteurin und OCG-Aussteigerin Claudia Müller (2.v.r.) äußerte dabei die Hoffnung, dass

… endlich einmal wirklich durchdringt, was kla.tv ist, und zwar in sämtlichen Kontexten, und dass die Behörden aktiv werden.

Zu Punkt eins hat heute Abend die Festveranstaltung zur Verleihung des Goldenen Bretts in Wien beigetragen. Dort erhielt OCG-Gründer Ivo Sasek den Preis fürs Lebenswerk:

Man muss ihn im Sinne der Aufklärung ins Rampenlicht zerren,

erklärte dazu der Laudator Hugo Stamm.

Alle, die auf der ominösen „Feindesliste“ des Schweizer Sektenpredigers stehen, gratulieren ganz herzlich:

Das „Goldene Brett“ ging an das pseudomedizinische Wellness-Gerät Healy, den „aktuellen Star unter den esoterischen Gadgets“.

In der Begründung heißt es:

Laut Hinweis im Online-Shop ist Healy ein Medizinprodukt zur Schmerzbehandlung bei chronischen Schmerzen, Fibromyalgie, Skelettschmerzen und Migräne sowie zur unterstützenden Behandlung bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angstzuständen und damit verbundenen Schlafstörungen.

Dabei misst ein „Quantensensor“ die ideale „Frequenz“ des Anwenders und bewirkt mit individualisierten „Mikrostrom-Frequenz-Programmen“ eine „bioenergetische Feldharmonisierung“. Der verwandte MagHealy wiederum „sendet quantenanalytische Frequenzen zur Harmonisierung des bioenergetischen Feldes durch ein erweitertes Magnetfeld in den umgebenden Raum.“

So viel wissenschaftliches Vokabular mag manche Kund*innen beeindrucken, lässt aber den Unfug-Detektor stark ausschlagen. Denn der Quantensensor ist nichts weiter als eine simple Infrarot-Diode, erhältlich um 20 Cent. Angesichts der geringen Materialkosten und den wohl kaum nennenswerten Entwicklungskosten stellt sich die Frage, wie sich der stolze Preis von bis zu 4500 Euro für Healy-Geräte der gehobenen Klasse ergibt.

Neben dem erheblichen kommerziellen Interesse und der weiten Verbreitung sah die Fachjury durch Versuche, Kritiker*innen gerichtlich mundtot zu machen, auch das Kriterium der Kritikresistenz in besonderem Maße als erfüllt an, weshalb sich Healy im Finale letztlich gegen die starke Konkurrenz durchsetzen konnte.

Der diesjährige Gewinner des „Goldenen Bretts“ war aus mehr als 160 Nominierungen ausgewählt worden. Im Finale standen neben „Healy“ der Fernsehsender AUF1 TV und die österreichische Tierärztekammer – die übrigens wenig amüsiert reagierte:

Auch zur Verleihungsveranstaltung entsandte die Kammer eine Entgegnung:

So kennen wir unsere Homöopathen.

In dem „Lebenswerk“-Preisträger Ivo Sasek sieht die Fachjury das „Vorzeige-Modell eines radikalen christlichen Predigers mit einem Hang zu Verschwörungstheorien“.

Wie wir im vergangenen Monat berichteten, verbreiten Sasek und seine OCG vehement die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie.

Aber nicht nur:

Seine Kanäle nutzt er dazu, Verschwörungstheoretiker*innen aller Art sowie seiner selbst gegründeten extrem-evangelikalen und antidemokratischen Sekte Organische Christus-Generation (OCG) eine Plattform zu bieten. Die OCG hat bis zu 2000 Anhänger im deutschen Sprachraum und beschäftigt seit Jahren landauf, landab die Sektenexpert*innen und -beauftragten,

erklärt die Jury.

Die ungustiösen Seiten Ivo Saseks und seines christlich-fundamentalistischen Familienimperiums sind sprichwörtlich. Unter anderem befürwortet er körperliche Gewalt bei der Kindererziehung, zeigt Sympathien für von der „Systempresse“ angeblich verleumdete Diktaturen und Regime wie ehemals Gaddafi in Libyen oder das iranische Mullah-Regime, verbreitet antisemitische Parolen und begegnet Holocaust-Leugnern mit Toleranz und gibt ihnen eine Bühne.

Seine OCG führt eine „Feindesliste“ mit über 8000 unliebsamen Personen und Organisationen, vor allem aus Politik und Medien. Beinahe harmlos mutet es da an, dass Sasek und viele OCG-Mitglieder Impfgegner sind und sich in ihren Reihen schon mal die Masern ausbreiten.

Und skurril wird es, wenn Sasek sich über Zensur beschwert, aber gleichzeitig ungehemmt alle Kanäle seiner Anti-Zensur-Koalition (AZK) nutzen kann, um seine abwegigen Ansichten in die Welt hinauszuposaunen.

Der Publikumspreis ging an die österreichische Politikerin Ursula Stenzel, die laut Nominierungsseite

… die erhöhte Sonnenaktivität („Magnetstürme“) für das Extremwetter verantwortlich gemacht [hat], das die Überschwemmungen in Mitteleuropa verursacht hat.

Das „Goldene Brett vorm Kopf“ wird seit 2011 von den Wiener Skeptikern (Gesellschaft für kritisches Denken, GkD) ausgeschrieben. Durch die Festveranstaltung im Stadtsaal führte der „Science Buster“ Martin Puntigam.

Die Laudationes auf die drei Finalisten wurden gehalten von dem Chemie-Professor und Wissenschaftler des Jahres 2018 Nuno Maulide von der Universität Wien (AUF1), der ehemaligen Wiener Pflege- und PatientInnenanwältin Sigrid Pilz (Tierärztekammer) sowie dem Klagenfurter Psychologie-Professor und aktuellem Vorsitzenden der Universitätenkonferenz Oliver Vitouch (Healy).

Die Chemikerin Stefanie Allworth vom Verein „Chemie On Tour“ demonstrierte, dass Bildung „das wichtigste Mittel gegen Pseudowissenschaften ist“:

Als weiterer Side Act sezierte die Schriftstellerin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel „die Menschenverachtung von Delfinschwingungen“, sprich: die Esoterik:

Esoterik ist mitnichten nur ein schrulliges Hobby gelangweilter Beamter. Esoterik ist nicht einfach ein liebenswerter Spleen von Tante Gundula. Esoterik ist Betrug. Esoterik ist eine Industrie verlogener Scharlatane.

Esoterik ist wissenschaftsfeindlich und soziopathisch, Esoterik ist Sabotage unserer Bildungsinstitutionen, Esoterik ist ein Nährboden für Verschwörungstheorien, Apolitisierung und Entsolidarisierung.

Trotzdem hat die Jugend ein neues Wort, sagte in seiner Schlussrede der GkD-Vorsitzende Prof. Ulrich Berger – nämlich „Aura“.

Es gibt also weiterhin viel zu tun für die Skeptiker.

Zum Weiterlesen:

  • Jugendwort 2024: „Boah, deine Aura ist minus!“ wdr am 19. Oktober 2024
  • „Aura“ ist das Jugendwort des Jahres, zdf am 19. Oktober 2024
  • Was bedeutet Aura? Das Jugendwort und der esoterische Ursprung einfach erklärt, glamour am 21. Oktober 2024
  • Goldenes Brett für das „pseudomedizinische Wellnessgerät“ Healy, derstandard am 2. Dezember 2024
  • Goldenes Brett vorm Kopf 2024 geht an Wellness-Gerät Healy, futurezone am 2. Dezember 2024
  • Satirepreis „Goldenes Brett“ geht an „pseudomedizinisches Wellness-Gerät Healy“, kurier am 2. Dezember 2024
  • „Healy“ – die nächste Runde, GWUP-Blog am 17. April 2024
  • Video: „So gut wie nutzlos“ – der „Healy“ bei Simplicissimus, GWUP-Blog am 15. März 2024
  • „Wie gefährlich ist der Healy?“ GWUP-Blog am 5. September 2023
  • Healy: fragwürdige Frequenztherapie, medizin-transparent am 31. August 2023
  • Video: „Healy“ – Heißer Scheiß der Esoterik?“, GWUP-Blog am 22. August 2023
  • Healy: „Beschiss mit Bioresonanz“ bei den Science Cops, GWUP-Blog am 30. Mai 2023
  • „Healy“ bei Psiram
  • „It’s always going to be relevant“: Die Verschwörungstheorie über rituelle Gewalt und Mind Control, GWUP-Blog am 14. November 2024
  • Und ewig gähnt der Zuschauer: Kla.tv und die „Kannibalen-Orgie“ der Skeptiker, GWUP-Blog am 17. Juni 2023
  • „Kannibalische Orgien“: Die sensationellen Enthüllungen der Satanic-Panic-Anhänger über uns Aufklärer, GWUP-Blog am 25. April 2023
  • Skeptiker-Interview: Hinter der Klagemauer – welche Ziele verfolgt das „alternative Medienportal“? GWUP-Blog am 24. Juni 2019
  • „Klagemauer-TV“: Angst und Verunsicherung schüren, Vertrauen erschüttern, GWUP-Blog am 26. Juli 2019
  • Die Verschwörungswelten des Sasekismus: Infobroschüre über die OCG und kla.TV, GWUP-Blog am 5. Mai 2023
  • Welch Ehre: GWUP, hpd und Co. auf der „Feindesliste“ der OCG, GWUP-Blog am 22. Februar 2020
  • Video: Internes Filmmaterial der OCG zeigt Sektenchef Ivo Sasek als Möchtegern-Diktator, GWUP-Blog am 2. Dezember 2022
  • Sektenboss Ivo Sasek träumt von einer Diktatur – und wird in diesem Video enttarnt, watson am 26. November 2022
  • „Die widerlichste Sekte Europas“: Der Dunkle Parabelritter spricht mit einer OCG-Aussteigerin, GWUP-Blog am 20. Juni 2022
  • Video: „Mein Ausstieg aus der OCG“, Teil 2, GWUP-Blog am 22. April 2022
  • „Schlaflose Nächte“ für die OCG und Ivo Sasek: Eine SRF-Doku über den Ausstieg seiner Söhne, GWUP-Blog am 15. April 2022
  • OCG-Aussteiger Simon Sasek, der „Sohn des Sektenführers“, im Interview mit STRG_F, GWUP-Blog am 17. November 2021
  • Geheimnisträger und Aussteiger: Simon Sasek über seinen Vater Ivo Sasek und die OCG, GWUP-Blog am 2. März 2021

1. Dezember 2024
von Bernd Harder
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Video: Homöopathie kommt für einen seriösen Arzt nicht in Frage, sagt „DoktorWeigl“

Sehr erfreulich:

Der bekannte Youtuber Dr. Tobias Weigl hält nichts von Globuli.

In seinem neuen Video

Diese 5 Medikamente nehme ich als Arzt NICHT – für einen bewussteren Umgang mit Deiner Gesundheit

erklärt Weigl (ab 1:42), für ihn „als seriösen Arzt, evidenzbasiert“, komme das nicht in Frage.

Homöopathische Präparate basieren auf der Idee, dass eine verdünnte Substanz heilend wirken kann. Doch als Arzt verzichte ich auf diese Mittel, denn es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass sie wirksam sind.

Studien zeigen, dass homöopathische Mittel oft nur einen Placebo-Effekt erzielen – was bei leichten Beschwerden harmlos sein mag. Doch die Gefahr liegt darin, dass manche Menschen ernste Krankheiten ausschließlich mit Homöopathie behandeln, was wertvolle Zeit kosten kann, die für eine wirksame Therapie genutzt werden könnte.

Stattdessen setze ich auf evidenzbasierte Medizin, die auf fundiertem Wissen basiert.

Auch der Auftritt von Eckart von Hirschhausen 2013 in der Bülent Ceylan Show zum Thema „Homöopathie“ ist heute bei Youtube wieder veröffentlicht worden.

Zum Weiterlesen:

  • „Unsinnig und unethisch“: Edzard Ernst über die vergleichende bayerische Homöopathie-Studie, GWUP-Blog am 1. Dezember 2024
  • Video: Janos Hegedüs und Udo Endruscheit über den Globuli-Skandal im „Oncologist“, GWUP-Blog am 28. November 2024