Von einem Kommentator sind wir auf einen Artikel des englischen Psychologen Steve Taylor hingewiesen worden:
Parapsychology: Inexplicable Communications – The surprising scientific evidence for mediumship.
Die deutsche Übersetzung ist bei Grenzwissenschaft aktuell erschienen:
Unerklärliche Kommunikationen: Die überraschende wissenschaftliche Evidenz für Mediumismus
Taylor behauptet, dass es in den letzten Jahren
… vermehrt wissenschaftliche Studien über hochrangige Medien mit erfolgreichen Ergebnissen
gegeben habe.
.Drei davon stellt er in seinem Blogbeitrag vor:
Eine Schachpartie zwischen dem lebenden Großmeister Viktor Kortschnoi und dem verstorbenen Großmeister Geza Maroczy, die an seiner statt von dem „Medium“ Robert Rollans gespielt wurde, der behauptete, mit Maroczy in Kontakt zu stehen.
Organisiert wurde das Ganze 1985 von dem Schweizer Schachamateur Wolfgang Eisenbeiss, der sich selbst als „Spiritualist“ bezeichnet.
Zweitens fokussiert Taylor auf das amerikanische Trancemedium Leonora Piper (1857-1950), der es gelang, den berühmten Psychologen Williams James von ihren Fähigkeiten zu überzeugen.
Drittens verweist Taylor auf eine aktuelle Meta-Analyse, die zeige, dass „die Medien signifikant besser abschnitten als der Zufall“.
Wir baten den Psychologen Prof. Wolfgang Hell, Mitglied im GWUP-Wissenschaftsrat, um eine Einschätzung:
Propaganda statt Wissenschaft
Mit einer Mischung von Neugier und Skepsis habe ich den Artikel gelesen. Taylor führt im Wesentlichen drei Belege für Mediumship (Kontaktaufnahme zu Toten) auf:
1. Ein Schachspiel zwischen Viktor Kortschnoi und Géza Maróczy, einem ungarischen Großmeister, der zum Zeitpunkt der Partie zwar schon tot war, aber von Robert Rollans, einem Medium mit unbedeutenden Schachkenntnissen, im Jenseits kontaktiert wurde, um seinen jeweiligen Zug mitzuteilen. Kortschnoi hat nach 47 Zügen gewonnen.
Schachexperten (unter anderem Bobby Fischer) haben den von Rollans mitgeteilten Zügen Großmeisterniveau attestiert, allerdings mit einem altertümlichen Spielstil, wie er zu Maróczys Lebzeiten gängig war.
2. Leonora Piper war ein Medium, das häufig getestet wurde, und insbesondere von William James, einem der Begründer der Psychologie, nach einigen Tests für glaubwürdig und echt erklärt wurde.
3. Empirische Untersuchungen von Medien mit überzufällig vielen Treffern, die in einer Meta-Analyse bestätigt werden.
Ich war nach der Lektüre und vielleicht fünf bis zehn Minuten anschließender Websuche verärgert und ein wenig fassungslos. Der Artikel zeichnet sich insbesondere dadurch aus, was er nicht erwähnt.
Taylor hat entweder keine tiefer gehende Kenntnis von dem Gebiet oder er verschweigt mit Absicht Informationen, die eine Leserin/einen Leser zu einem von Taylor nicht gewünschten Urteil kommen lassen könnten.
- Leonora Piper
Schon ein kurzer Blick in den Wikipedia-Beitrag zu ihr gibt Aufschluss darüber, dass bei weitem nicht alle Untersucher von ihrer Kontaktaufnahme mit Toten überzeugt waren. Taylor hat sich mit der Nennung nur von William James ausgerechnet denjenigen herausgesucht, der die größte Affinität zu Übersinnlichem hatte.
Er war Mitgründer der „American Society for Psychical Research“ und hat in seinem Buch „The varieties of religious experience“, das ich gelesen habe, gezeigt, dass er die subjektiven Wahrnehmungen und Interpretationen von Menschen gut nachvollziehbar referiert, aber ohne eine kritische Einordnung.
Taylor erwähnt nicht
- die negativen Stimmen zu ihr (gut eine Dutzend Namen in dem englischen Wikipedia Artikel)
- ihre Tricks
- ihre Fehler (wenn sie angeblich fremdsprachige Tote kontaktierte und keinerlei Sprachkenntnisse aufwies oder Unsinn zu Fragen produzierte, die der Tote leicht hätte beantworten können)
Taylors in meinen Augen größte Auslassung ist das Verschweigen von Pipers Bekenntnis (das sie später halb zurückgezogen hat):
I must truthfully say that I do not believe that spirits of the dead have spoken through me when I have been in the trance state.
Etwas später wird sie zitiert mit:
Spirits of the departed may have controlled me and they may not. I confess that I do not know.
Leonora Piper als Beleg für erfolgreiche Kontakte mit den Toten ist ein extrem schwacher Beleg.
- Schachspiel zwischen Viktor Kortschnoi und Géza Maróczy
Taylor enthält uns hier ein ganz winziges Detail vor: Die Partie hat sieben Jahre und acht Monate gedauert.
Es war eine Fernschachpartie mit Übermittlung der Züge meistens per Post. Die Partie ging über 47 Züge, das heißt, pro Halbzug hatten die Spieler jeweils (Postlaufzeiten hier außer Acht gelassen) fast einen Monat Zeit. Mit dieser Information kann man auf ganz andere Gedanken kommen, wie das Medium Robert Rollans zu den von ihm mitgeteilten Zügen kam (er nahm sich den Berichten nach typischerweise zehn Tage Zeit).
Aber vielleicht tue ich ihm Unrecht und er hat jeweils diese zehn Tage zur Kontaktaufnahme mit Maróczy gebraucht.
Natürlich gibt es verschiedene Interpretationen zu dieser Schachpartie. Wer die pro-Seite lesen möchte, wird bei einem Artikel von Eisenbeiss (dem ursprünglichen Organisator der Partie) und Hassler einen guten Einstieg finden. Wer etwas zur contra-Seite lesen möchte, sollte „An Alternative Hypothesis for the Géza Maróczy …“ googeln.
Meine Verärgerung nach der Lektüre und ein wenig Websuche resultiert nicht daraus, dass ich eine andere Interpretation als Taylor vorziehe, sondern weil Taylor einer ausgesucht einseitigen Weise Informationen berichtet beziehungsweise vorenthält. Das ist kein wissenschaftliches Vorgehen, das er als Dozent an einer Universität eigentlich kennen sollte, sondern Propaganda.
Seinen dritten Beleg, die empirischen Untersuchungen von Medien und eine Meta-Analyse, kann man nicht mit einer kurzen Websuche widerlegen. Dazu etwas Sinnvolles zu schreiben, dauert deutlich länger und erfordert mehr Zeit, als ich im Augenblick habe. Vielleicht komme ich darauf zu einem späteren Zeitpunkt zurück.
Zum Weiterlesen:
- Unerklärliche Kommunikationen: Die überraschende wissenschaftliche Evidenz für Mediumismus, grenzwissenschaft-aktuell am 24. August 2023
- Inexplicable Communications: The surprising scientific evidence for mediumship, psychology today am 13. August 2023
- Wolfgang Hell: Von Schafen und Ziegen – Der sechste Sinn und die unbewusste Wahrnehmung, Skeptiker 2/2010
- Wolfgang Hell: Wie tickt das Schaf? Gläubige und Skeptiker im Test, GWUP-Blog am 19. Juni 2014
- Wolfgang Hell: Wo liegt die wissenschaftliche Wahrheit? wissenschaftskommunikation.de am 25. April 2017
- Hightech-Hexenbrett: Doch mehr als nur der Carpenter-Effekt hinter den „Botschaften“? GWUP-Blog am 26. Juni 2020