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Deutsche Welle-Doku: Warum kann es bis heute tödlich enden, als Hexe zu gelten?

| 7 Kommentare

Zum „Internationalen Tag gegen Hexenwahn“ am 10. August hat die Deutsche Welle den Beitrag

Die Jagd auf Hexen – damals und heute

vom April unter dem neuen Titel „Warum kann es bis heute tödlich enden, als Hexe zu gelten?“ bei Youtube veröffentlicht:

Kultur Intensiv begleitet DW-Reporterin Karin Helmstaedt bei der Recherche, die vom kleinen Winzerort Winningen in Rheinland-Pfalz bis nach Ghana führt. Vom Beginn der europäischen Hexenjagden im 15. Jahrhundert bis hin zu Hexenverfolgungen im heutigen Afrika und Asien sucht Kultur Intensiv nach der Wahrheit.

Wer sind die vermeintlichen Hexen – wer ihre Ankläger? Warum kann es bis heute tödlich enden, als Hexe zu gelten?

In einem aktuellen Beitrag über den Verschwörungsglauben in den USA subsummiert Welt+ auch die „Satanic Panic“ der 1980er unter „Hexenjagd“:

Die größte Hexenpanik in der amerikanischen Geschichte fand überhaupt nicht in der Vorzeit statt, sondern in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts.Damals wurden Erzieher und Erzieherinnen in vielen amerikanischen Bundesstaaten beschuldigt, sie hätten Kinder nicht nur vergewaltigt, sondern sie auch noch gezwungen, an fantastischen satanischen Orgien teilzunehmen – Menschenopfer und Kannibalismus inklusive.

Die amerikanischen Vorstädte mit ihren braven Einfamilienhäusern und Basketballreifen an den Garagentüren schienen plötzlich voll entsetzlicher Geheimnisse zu stecken. Die Anklagen gründeten sich auf einen psychologischen Schwachsinn namens „revovered-memory therapy“; mithilfe von Hypnose und Suggestivfragen wurden Kindern albtraumhafte Scheinerinnerungen eingeredet.

Anfang der Neunzigerjahre wurden die fälschlich Beschuldigten aus der Haft entlassen, die Episode wurde in einem Anfall schamhafter Kollektivamnesie aus dem Gedächtnis getilgt.

Heute reden umgekehrt Traumatherapeuten von einer „Hexenjagd“, wenn auf die Missstände, die zur „Satanic Panic“ geführt haben, öffentlich aufmerksam gemacht wird.

Zum Weiterlesen:

  • „Satanic Panic“: Der bizarre Streit in der Psychiatrie zieht immer weitere Kreise, NZZ am 24. August 2023
  • Hexenwahn und Aberglaube: Schutzzentrum für Betroffene mit Preisgeld des Weimarer Menschenrechtspreises aufgebaut, thüringer-allgemeine am 10. August 2023
  • Eine Hexe in der Familie, dw.com am 30. April 2023
  • Warum so viele Menschen noch an Hexen glauben, dw.com am 11. Dezember 2022
  • Die Hexe und der Zufall, swr am 30. April 2023
  • Belief in Demons, Exorcism, and Ending Witch Hunts in Christian Africa, opinion-nigeria am 18. August 2023
  • ARTE-Video: Nigerias Hexenkinder – Dieser Aberglaube kostet Leben
  • Hexenglaube richtet in vielen Ländern der Erde Schaden an – Medien in Deutschland sind dagegen von Hexen fasziniert, GWUP-Blog am 26. November 2022
  • In 43 Ländern der Erde werden Frauen als Hexen verfolgt, GWUP-Blog am 20. August 2022
  • „Ein Gefühl von Kontrolle“: Die neuen Witchfluencerinnen aus der Hexen-Bubble bei TikTok, GWUP-Blog am 9. Juni 2023

7 Kommentare

  1. Den verlinkten Artikel in der NZZ vom 24.8. finde ich sehr interessant, mit „Hexenjagd“ im eigentlichen Sinn hat er eher wenig zu tun.
    Dagegen beleuchtet der Autor die Thematiken und Problematiken um „Satanic Panic“/ Traumatherapien/ Traumatherapeuten/ Traumapatienten m.E. sehr differenziert.

  2. @Chusa More

    Genau dieser vermeintliche Rundumblick macht den Artikel der NZZ für mich problematisch, weil es wichtige Punkte gibt, die eben nicht erwähnt werden und teilweise der Eindruck von Fakten erweckt wird.

    – Es ist höchst unwahrscheinlich, dass nach Jahren plötzlich Erinnerungen an Missbrauch wieder hochkommen. Egal ob vor oder während der Therapie.

    – Es ist nicht klar, ob es sich wirklich um DIS-Patienten handelt, die nun keine Therapie bekommen, oder Menschen, die aufgrund einer falschen Psychoedukation davon ausgehen eine DIS zu haben.

    Dass die Auslegung soweit geht, dass man schon eine DIS hat, sobald man sich traurig fühlt und überhaupt keine autonomen Identitäten vorliegen müssen, erkennt man gut an einem Video der Techniker-Krankenkasse, wo zuletzt nur RG-MC Vertreter zu Gast waren (https://www.youtube.com/watch?v=qcm2BJb8Okk).

    Auf der einen Seite beruft man sich auf die Existenz von DIS, da diese schließlich in den Diagnostic Manuals steht, allerdings ist es einem selbst egal, ob die Kriterien überhaupt erfüllt werden, die notwendig wären.

    – Das administrative Verfahren gegen Jan Gysi beruht nicht nur auf der Beschwerde einer einzelnen Frau, sondern auch, weil er versucht hat, Menschen Fußfesseln zu verpassen um KlientInnen sie zu überwachen.

    – Die Überführten stellen sich nun als Opfer hin und es erfolgt eine Täter-Opfer-Umkehr.

    – „Der Kritiker Thomas Maier“ ist für mich eine Formulierung mit suggestivem Charakter (seine Expertise wird nur am Rande erwähnt).

    – Anstatt zu erwähnen, dass es sich bei False Memories um einen bewiesenen Effekt von Gedächtnisverfälschung handelt, erwähnt man lediglich die Vereine False Memory, die dazu anraten, Therapeuten anzuzeigen – vielleicht frage ich in Deutschland mal an, ob die NZZ dort überhaupt angefragt hat.

    Es werden zwar verschiedene Aspekte beleuchtet, wobei im Unterton dann doch mitschwingt „der böse SRF“, „die bösen False Memory Vereine“, „die armen Opfer“ und „die armen Therapeuten“. Die Grundlage für ein Versteckspiel und so fortzufahren, wie man es die letzten Jahre schon gemacht hat.

  3. @Chusa More/Sebastian:

    Ich habe mit dem NZZ-Artikel auch Probleme – aus Gründen, über die wir schon diskutiert haben und wo wir wahrscheinlich auch keine Übereinkunft finden werden.

    Jahre oder sogar jahrzehntelang haben die seriösen Traumatherapeuten dem Treiben der Satanic-Panic-Fraktion tatenlos zugesehen. Die Kritik daran hätte ja schon längst aus dem beruflichen Umfeld selbst kommen müssen, anstatt von Journalisten.

    Jetzt, wo das Ganze endlich auffliegt, stellen sich die Kolleginnen und Kollegen der Huberianer und Co. als „Opfer“ dar, die angeblich unter einer generalisierten „Hexenjagd“ leiden würden.

    Sorry, dafür von mir null Verständnis.

  4. @ Bernd Harder

    „Jahre oder sogar jahrzehntelang haben die seriösen Traumatherapeuten dem Treiben der Satanic-Panic-Fraktion tatenlos zugesehen. Die Kritik daran hätte ja schon längst aus dem beruflichen Umfeld selbst kommen müssen, anstatt von Journalisten.“

    Ja, ohne jede Frage. Welche Gründe das sind, warum das nicht geschehen ist, darüber lassen sich „von außen“ wohl nur „mögliche Gründe“ benennen, was ich in einem „alten“ Kommentar ja auch gemacht hatte. Dass Journalisten diesen „Job“ nun machen, finde ich außerordentlich wichtig und gut.

    „…die Kolleginnen und Kollegen der Huberianer und Co…“

    Ich verstehe Simon Hehli in seinem Artikel so, dass er von Traumatherapeuten ganz allgemein spricht und nicht im Speziellen von „Huberianern und Co.“ („Die NZZ hat mit Psychiaterinnen und Psychotherapeuten aus Bern, Basel und Luzern gesprochen, die auf Traumabehandlungen spezialisiert sind.“).

    Ich verstehe ihn so, dass von der Wachsamkeit bezüglich „Satanic Panic“ nun Vorbehalte insgesamt gegen die ganze „Szenerie“ der Traumatherapeuten wohl am Entstehen sind. Er benennt „Satanic Panic“ klar als das, was es ist, eine üble VT, und er beschreibt die Probleme, die Patienten und Therapeuten jetzt haben, weil es jetzt wohl vorkommt, dass nun alle Traumatherapeuten in diesen „VT-Topf“ geworfen werden, so verstehe ich ihn.

    Deshalb finde ich diesen Artikel gut und differenziert.

    @ Sebastian

    Hehli thematisiert Pseudoerinnerungen und die üblen Auswirkungen davon.

    Hehli stellt, so verstehe ich ihn, in seiner Auseinandersetzung mit „DIS“ das Problem in den Mittelpunkt, dass betroffene Patienten nun keine oder schwer therapeutische Hilfe finden. Ich finde es gut, dass er auf dieses Problem nun hinweist.

    Und was Hehli über Thomas Maier schreibt, finde ich in keiner Weise suggestiv, ich finde, dass er sehr ernst nimmt, was Maier sagt.
    Und klar kann man zu Gysi noch mehr schreiben, aber ich finde, dass Hehli sich durchaus deutlich über ihn äußert.

    Was Gysi betrifft, kann man hier ausführlich nachlesen:

    https://www.beobachter.ch/gesundheit/psychologie/theorien-mind-control-und-rituelle-gewalt-berner-gesundheitsdirektion-fuhrt-administratives-verfahren-gegen-psychiater-jan-gysi-587456

    Darin steht:

    „Die Berner Gesundheitsdirektion führt derzeit wegen Hinweisen auf seine Nähe zu Mind Control ein administratives Verfahren gegen ihn…“. Ich gehe davon aus, dass mit „wegen Hinweisen“ genau das gemeint ist, was Hehli in seinem Artikel schreibt: „…dass dieses Verfahren allein auf der Anzeige der Mutter einer Littenheid-Patientin beruht…“.

    M.E. beruht der Vorwurf einer Täter-Opfer-Umkehr auf der Annahme, dass die Psychiater und Psychologen, mit denen die NZZ gesprochen hat, und die nun eine Diffamierung und sogar Hexenjagd beklagen, der „Satanic Panic“-„Szenerie“ angehören. Das kann ich aber nirgendwo in dem Artikel so herauslesen.

  5. @Chusa More:

    Ich verstehe Simon Hehli in seinem Artikel so, dass er von Traumatherapeuten ganz allgemein spricht.

    Ich auch. Mit den „Kolleginnen und Kollegen der Huberianer und Co…“ meine ich alle übrigen, seriösen Traumatherapeuten.

    Ich verstehe ihn so, dass von der Wachsamkeit bezüglich „Satanic Panic“ nun Vorbehalte insgesamt gegen die ganze „Szenerie“ der Traumatherapeuten wohl am Entstehen sind.

    Das verstehe ich ebenso – und halte das für Heuchelei, weswegen ich persönlich den Artikel nicht besonders gut finde.

    Die (seriösen bzw. „alle übrigen“) Traumatherapeuten, die darüber jetzt jammern, hätten schon vor Jahren etwas gegen die Umtriebe in ihrem Fachbereich tun können. Und damit meine ich nicht mal riskante, heldenhafte persönliche Interventionen, sondern die Storys sind ja öffentlich in sg. „Fachjournals“ erschienen, zB.:

    https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1711-8637

    Hat da auch nur einer von denen, die sich jetzt als Mit-„Opfer“ der Aufklärung sehen, mal einen kritischen Leserbrief dazu eingereicht – von Kollege zu Kollege?

    Auch an vielen weiteren Stellen ist der Artikel ungenau, widersprüchlich und, finde ich, tendenziös, zum Beispiel:

    «Die Erinnerungen waren bei mir ja auch schon vor dem Eintritt in die Klinik aufgekommen.»

    Ja und? Was beweist das jetzt?

    Dazu Prof. Oeberst im Skeptiker-Interview:

    Allerdings stellt sich schon die Frage, ob in diesem Fall [wirklich] keinerlei Fremdeinfluss vorlag. Darüber hinaus gibt es aber auch die Autosuggestion. Zum Beispiel haben eine ganze Reihe von Ratgeber- und Selbsthilfebüchern im Bereich des sexuellen Missbrauchs ein hohes Suggestionspotenzial, das Gleiche gilt für einige Selbsthilfeangebote.
    So können Symptome oder aber auch nächtliche Traumerlebnisse fälschlicherweise als bedeutsam und als Hinweis auf vermeintlich verdrängte Erinnerungen interpretiert werden. Es bedarf also nicht notwendigerweise eines therapeutischen Gegenübers für die Entwicklung falscher Erinnerungen.

    Oder:

    „Die Traumafachleute, mit denen die NZZ gesprochen hat, betonen unisono, es sei nicht ihre Aufgabe, herauszufinden, ob die Erinnerung einer Patientin wahr, teilweise wahr oder komplett falsch ist. Ebenso wenig sei für die tägliche Arbeit relevant, ob ein Täter möglicherweise absichtlich die Krankheit verursacht hat – oder ob diese gewissermassen ein Kollateralschaden ist.“

    Ach so? Für die „Satanic Panic“-Therapeuten ist dieser Punkt aber offensichtlich sehr relevant – sonst würden sie kaum versuchen, ihre Patienten wegzusperren, zu überwachen oder einen vorgeburtlichen Sorgerechtsentzug zum Schutz vor den Satanisten zu erwirken.

    Und all das ist den seriösen Kolleginnen und Kollegen nie aufgefallen und hat nie zu interner Empörung und Distanzierung geführt?

    Oder:

    „Sorgen um die Versorgung macht sich auch Anja Oswald, CEO der psychiatrischen Klinik Sonnenhalde in Basel. Aus ihrer Sicht hat die Berichterstattung jenen Kreisen in die Hände gespielt, die ein Interesse daran hätten, dass es möglichst wenig Aufklärung über die verschiedenen Arten der Traumatisierung, deren Auswirkungen und die damit verbundenen Symptome gebe.“

    Uhh – da sind sie ja wieder, die geheimnisvollen „Kreise“, denen die Aufklärung „in die Hände spielt“. Und die ein „Interesse“ daran haben, dass die Satanic-Panic-Therapeuten diskreditiert werden.

    Und ewig lockt die Verschwörungstheorie.

  6. @ Bernd Harder

    Jetzt verstehe ich Ihr Problem mit dem Artikel.

  7. @Bernd Harder

    Apropos Sorgerechtsentzug. In dem Leitfaden zur Ausstiegsbegleitung, N.I.N.A. e.V., wird bei DIS PatientInnen folgendes empfohlen:

    „Eine besondere Situation stellt sich dar, wenn Klient:innen minderjährige Kinder haben, die in ihrem Haushalt leben.

    Das führt nicht automatisch zu einer komplizierteren Beratung, erfordert aber einen erweiterten Blickwinkel.Über die Besonderheit dieser Situation und die Notwendigkeit, das Wohlergehen der Kinder im Blick haben zu müssen, sollten Sie mit den Klient:innen sprechen. Sie sollten den Aspekt Kindeswohl bedenken und zusammen herausfinden, welche häuslichen helfenden Personen eine verlässliche Hilfe sind.

    In diesem Zusammenhang hat es sich unserer Erfahrung nach bewährt, das Jugendamt als Institution bereits frühzeitig in beratender Funktion anzusprechen. Dadurch wird das Support-Netzwerk erweitert.“

    Da befürchte ich schon fast, dass der Fall aus dem Spiegel kein Einzelfall sein wird.

    Wenn ich mir anschaue mit welchen Symptomen die Arbeiten und vermutlich aufgrund falscher Psychoedukation regelmäßig Kindeswohlgefährdung an Jugendämter melden, wird mir richtig schlecht.

    Das alles aus dem Kontext einer Beratung heraus.

    Quelle: https://nina-info.de/images/Support-Ein_Leitfaden-komprimiert.pdf

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