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Armut als Charakterschwäche: Der alte neue Hype um das „Manifestieren“ von Geld

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Mit diesem TikTok-Trend

… befasst sich heute Spiegel+.

Anscheinend müssen wir bei der Esoterik-Aufklärung immer wieder bei null anfangen – etwa bei dem albernen „Gesetz der Anziehung“, über das Hugo Egon Balder und Jacky Dreksler bereits 2008 ein launiges Buch verfassten.

Auch die „Esoterikforscherin“ Judith Bodendörfer kommt im Spiegel-Interview am Ende kurz darauf zu sprechen, konkret auf „The Secret“ von Rhonda Byrne:

ein Buch über Wünsche ans Universum und ein angebliches „Geheimnis“ – das es erstaunlicherweise in jeder Buchhandlung zu kaufen gab.

Originär verortet die Religionswissenschaftlerin den Hype um das „Manifestieren“ von Gedanken in der Mitte des 19. Jahrhunderts, „als Elektrizität und Magnetismus wichtig wurden“. Die amerikanische „New Thought“-Bewegung ging davon aus, dass sich irdische Verhältnisse durch „kraftvolles Denken“ nachhaltig beeinflussen ließen.

Über den konsequenten Umkehrschluss schrieb Florian Aigner 2015:

Das ist praktisch, denn dadurch muss man keine Zeit mehr für Mitgefühl oder Anteilnahme verschwenden. Wer pleite ist, hat sich eben kein Geld gewünscht. Wer krank ist hat sich mental nicht ausreichend auf Gesundheit eingestellt. Sogar angeborene körperliche Behinderungen sind selbstgemacht.

Bodendörfer teilt weitgehend diese Einschätzung.

Spiegel: Wer nicht reich ist, hatte zu viele Zweifel?

Bodendörfer: Genau, Armut als Charakterschwäche, als Zeichen von mangelnder geistiger Kraft. Es ist kein Zufall, dass diese Bewegungen in den USA viel Einfluss hatten. Verteilungsgerechtigkeit wird hier zur Aufgabe des Einzelnen: Im Universum gibt es keine Knappheit. Es gibt jedem, der fordert.

Ansonsten geht das Gespräch nicht weiter in die Tiefe.

Sagen wir daher allen „Money Mindset“-Prophetinnen und -Propheten noch einmal nachdrücklich mit Dreksler/Balder:

Die Wunschtheorien versprechen: Du kannst Deine Probleme weg- und Millionen herbeiwünschen. Ohne Arbeit oder persönlichen Einsatz. Sie sprechen damit viele Menschen an, die verschuldet oder krank, depressiv oder verzweifelt sind. Und die bekommen dann Steine statt Brot, Bullshit statt Hilfe.

Genau hier hört der Spaß für uns auf. Die Wunschtheorien stehlen den Menschen nicht nur Geld und Lebenszeit, sondern – wie, glaube ich, James Randi sagte – auch ihre Hoffnung und ihre Würde.

Das ausführliche Skeptiker-Interview mit den beiden kann man hier nachlesen.

Zum Weiterlesen:

  • Esoterikforscherin über Geld-Manifestation: „Das Universum kennt keine Knappheit“, spiegel.de am 2. Mai 2023
  • Wünschelwichte: GWUP in der „Bunte“, GWUP-Blog am 6. November 2010
  • Die Wünschelwichte: Interview mit Hugo Egon Balder und Jacky Dreksler zu ihrem Buch „Wunschbullshit im Universum“, Skeptiker 2/2008
  • Dreksler & Balder: „Das ist doch alles Bullshit“, GWUP-Blog am 7. Juni 2008
  • Das wahre Geheimnis: Michael Shermer beleuchtet The Secret – Das Geheimnis und wird abgestoßen vom „Anziehungsgesetz“, hpd am 26. Oktober 2007
  • Wer positiv denkt, bleibt glücklicher dumm, futurezone am 13. Januar 2015

15 Kommentare

  1. Das „Manifestieren“ von Geld ist eine Spielart des ins Irreale übersteigerten „Positiven Denkens“. Dazu ist auch das schon etwas ältere Buch „Smile or Die“ von Barbara Ehrenreich sehr zu empfehlen, in dem es u.a. auch um falsche Heilungsversprechen geht.

    In dieser Denke spiegelt sich der moderne Meritokratismus wider: Jeder bekommt, was er verdient.

    Die wirklich Privilegierten sagen, es seien ihre Leistungen gewesen, nicht ihre Herkunft, ihr Erbe oder Glück, für arme Leute bleibt das Wunschdenken und das Selbst-schuld angesichts ausbleibender „Manifestierung“ des Geldes.

    Der Satz „Du kannst Deine Probleme weg- und Millionen herbeiwünschen. Ohne Arbeit oder persönlichen Einsatz“ ist mit Blick auf gesellschaftliche Determinanten sozialer Ungleichheit noch nicht ganz zuende gedacht, weil gerade die Ärmeren oft genug die Erfahrung gemacht haben, dass Arbeit oder persönlicher Einsatz nicht weit führen.

  2. Meines Erachtens fallen darauf Menschen herein, die nicht die Verantwortung für sich und ihr Handeln übernehmen möchten.

    Das Universum tritt an Stelle von Selbstverantwortung und ersetzt das Empfinden von Selbstwirksamkeit, zumindest verstehe ich das Thema so. Was ich dazu nachlesen und bei meinen Feldforschungen herausfinden kann bestätigt mir die Vermutung.

    Soweit mal mein stark vereinfachter Senf dazu. Es ist sinnstiftend und haltgebend, zumindest kurzfristig.

    Für die andere Seite bringt es dann tatsächlich Geld. Ganz unspirituell aus anderer Leute Geldbeutel.

  3. @ Yvonne:

    Das trifft den Punkt nicht.

    Das Manifestationsnarrativ schiebt ja im Gegenteil den Leidenden die Verantwortung für solche Dinge zu, die absolut nicht in ihrer Macht stehen. Es ist, so habe ich es einmal sehr zutreffend formuliert gefunden, im Kern eine diffamierende Deutung.

    Dass sie so erfolgreich wirbt, ist eher ein Nebenprodukt der Selbstoptimierungs-Erzählung in ihren vielen Spielarten, die von Schlankheits-, Mucki-, und Ernährungswahn längst gelöst ist und Milliardenumsätze in der Coaching- und Lebensberatungsszene generiert.

    Sie ruft den Menschen zu: wenn ihr uns nicht folgt, bleibt ihr Würstchen. Und Würstchen sein ist etwa das, was in den Religionen die Höllenstrafe war. Also nicht nur eine einfache Diffamierung, sondern eine mit Drohung verbundene.

  4. @klauszwimgenberger

    Das ist dann das Ergebnis, aber zunächst gibt man die Verantwortung ab. Man muss nichts tun außer wünschen lautet ja die Versprechung.

    Das klappt natürlich nicht und da gehen erst die Schuldzuweisungen los.

    Ich habe es nicht eindeutig als den Punkt der hinein führt benannt. Danke für die Rückmeldung.

  5. Der von vielen Menschen tief verwurzelte Wunsch ohne erhebliche Leistung zu Geld zu kommen, spielt Betrügern oft in die Hände. So wird manch einer nicht einmal misstrauisch, wenn ihm zu einem Gewinn einer ausländischen Lottospielgesellschaft gratuliert wird – und er lediglich fünftausend Euro zahlen müsste, damit der Gewinn auf ein deutsches Konto gebucht werden kann.

    Dabei fällt vielen nicht auf, dass sie gar nicht gewonnen haben können, da sie ja gar nicht an einer ausländischen Verlosung teilgenommen haben. Abgesehen davon, dass im Falle eines echten Gewinnes natürlich keine fünftausend Euro überwiesen werden müssten.

  6. DER Hugo Egon Balder hat ein Buch dazu geschrieben?

    Hat es hier jemand gelesen und kann vielleicht in zwei oder drei Sätzen etwas dazu sagen?

  7. @Pierre Castell:

    Es ist ausgezeichnet. In dem verlinkten Interview bekommt man bereits einen Eindruck davon.

  8. Ich sehe diesen unglaublichen Unsinn (unglaublich in dem Sinne, dass so etwas tatsächlich in der Gedankenwelt mancher Menschen einen Platz findet) als eine Art metaphysische Variante eines rüden Sozialdarwinismus an.

    Und: Setzen wir „Gott“ statt „Universum“, sind wir zwanglos beim Calvinismus angelangt.

  9. @Pierre Castell

    Es gibt auch ein Hoaxilla Gespräch mit ihm zum Buch.

    https://hoaxilla.com/hoaxilla-206-herr-balder-und-wunsch-bullshit/

  10. Calvinismus, Karma – alles der gleiche menschenverachtende Kram. Setzt natürlich ein moralisches Universum voraus, aber diese Moral wäre ja schon sehr zweifelhaft.

  11. Es ist doch so Damen & Herren, dass „Skeptiker“, dank einer selbst auferlegten Denkblockade, nicht in der Lage sind Manifestationen des Geldes zu bewirken bzw. zu erkennen. Die Manifestation gelingt mir praktisch jeden letzten Werktag eines Monats. Über die Summe die ich ab der Monatsmitte – zwischen dem 10. und den 20. – voller Optimismus manifestiere möchte ich nicht sprechen, um eine Neiddebatte zu vermeiden. Bis heute hat der Service der Deutschen Rentenversicherung nicht einmal versagt! Soviel zu Manifestationen.

  12. @ Bernd Harder

    Vielen Dank für den Hinweis. Wie das oft so ist, wenn man leider nur etwas „überfliegt“: Hatte den Link übersehen.

    @ Yvonne
    Besten Dank!

  13. @Hans-Peter

    Ich teile Ihren Humor. Die alten Römer wussten allerdings schon: cum hoc ergo propter hoc.

  14. Die Manifestation des Geldes funktioniert zumindest, wenn man die Produkte der Leute kauft, für die Verkäufer.

    Aus der Produktbeschreibung des „Manifestationskalenders 2022“:

    “Die Seiten sowie das Cover sind spirituell hochfrequent gestaltet und Menschen mit feinfühliger Wahrnehmung spüren die besondere Energie bereits beim Anschauen des Kalenders. (…) Der strahlende lemurianische Ring am Cover sowie lemurianische Symbole erhöhen die energetisch Schwingung und begleiten die Planungen und Manifestationen mit einer besonderen energetischen Frequenz.”

    Autor ist übrigens der Verleger des neuen Buchs von Sucharit Bhakdi „Der Weg der Wahrheit“.

  15. Bhakdi schwurbelt immer noch in Deutschland rum? Thailand scheint also endgültig nicht das Traumziel für den letzten Lebensabschnitt zu sein.

    Übrigens: Das Buch soll am 5.6 erscheinen und hat ein Vorwort von seiner Frau Karina Reiss. Eben ein echtes Nightmare-Team.

    Der (unfreiwillig komischen) Buchbeschreibung nach scheint es eine Mischung aus Lebenserinnerungen, Selbstbeweihräucherung, Abrechnung mit dem Establishment und weiterer Verbreitung von Pseudowissenschaft zu werden.

    https://www.amazon.de/Weg-Wahrheit-Sucharit-Bhakdi-Gespr%C3%A4ch/dp/3936767726

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