gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

25. September 2023
von Bernd Harder
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Geld, Erfolg, schönes Leben: „Access Consciousness“ und die Heilpraktiker von nebenan

Zeit-Online warnt vor einer „Psychogruppe, die sich rasant in Deutschland ausbreitet“ und „deren Radikalität selbst Experten überrascht“.

Es geht um „Access Consciousness“, ein pseudowissenschaftliches Angebot aus den USA:

So wie viele Gruppen ist sie kaum bekannt, kommt harmlos und doch größenwahnsinnig daher. Schon ihre Webseiten sprechen tiefste Sehnsüchte an. Nach Geld, nach Erfolg, besserem Sex, einem schöneren Leben. Da steht: „Wer würdest du sein, wenn du alles sein könntest?“

Und dann: „Access Consciousness erlaubt dir alles zu verändern, das du nicht ändern kannst, und alles zu kreieren, was du dir wünschst.“

Nachdem er Kontakt zu einem Betroffenen bekam, der seine Ehefrau nebst 50.000 Euro an die Gruppierung verlor, meldete sich Zeit-Autor Alexander Kauschanski zu einen „Kennenlern- und Austauschabend“ bei Access Consciousness in Berlin an.

Was er dort erlebte, zeigt deutliche Parallelen zu Scientology (worauf auch Psiram hinweist):

Emilia erklärt, wie die „Access Bars“ funktionieren. Auf ihrem Kopf hätten Menschen 32 Punkte, die würden sie stimulieren. „Diese Stellen sind mit Traumata aufgeladen – aus sechs Generationen plus der ganzen Menschheitsgeschichte“, sagt Emilia. „Zellerinnerungen.“ Die Frauen hängen an ihren Lippen.

„Wir drücken hier wie auf den Reset-Knopf beim Computer: LÖSCHEN! MÜLL RUNTER!“, ruft sie und presst zwei Finger auf den Tisch. Ein Lächeln. „Und dann, okay: Was brauchen wir jetzt? Was geben wir bei Google ein? Wir löschen das alte Programm und laden neue Dinge drauf. Du erlebst einen anderen Bewusstseinszustand.“

An nüchternen Fakten hat Kauschanski recherchiert:

  • Gegründet wurde Access Consciousness („Zugang zum Bewusstein“) von dem ehemaligen Immobilienmakler Gary Douglas Anfang der neunziger Jahre in Kalifornien.
  • Access Consciousness sei eine Psychogruppe, die sich als Wellness-Coaching tarnt.
  • In ihrer Lehre ähnele die Gruppe der Scientology-Sekte. Auch deren Mitglieder sollen auf einen „clearen“ Zustand hinarbeiten, der letztlich unerreichbar bleibt.
  • Zentral dafür sei ein sogenanntes Clearing-Statement – eine Mantra-artige Formel: „Right and Wrong, Good and Bad, POD and POC, All 9, Shorts, Boys and Beyonds“. Wiederhole man den Satz ständig, dringe man in verborgene Bewusstseinsschichten ein. So könne man aus dem Kopf heraus die eigene Wirklichkeit ändern.
  • Bleibt der Effekt aus, so seien die Anhängerinnen dafür selbst verantwortlich.
  • Hinter der Fassade von Access Consciousness verberge sich ein profitables Multi-Level-Marketing-Unternehmen. Recht schnell würden die Anhängerinnen ermutigt, als „Facilitator“ zu unterrichten.
  • Für das höchste Zertifizierungslevel zahlten die „Facilitator“ 15.000 Euro im ersten Jahr. Ein esoterisches Vermarktungssystem, das immer mehr Menschen hineinziehen solle.

Der grundlegende Unterschied zu Scientology sei indes:

Access Consciousness hat so gut wie kein Hauptquartier, keine festen Organisationsstrukturen, keine festen Begegnungsorte, keine Mitgliederpolitik. Es sind Heilpraktikerinnen, die Coaches von nebenan, die im regionalen Dialekt sprechen, die den Kontakt zu Access herstellen.

Im Zeitalter sozialer Medien bewerben sie Access Consciousness auf YouTube, auf Instagram, auf ihren Webseiten. Selbst eine Access-App gibt es. In ihren Wohnzimmern, in Heilpraxen kommen die Anhängerinnen dann zusammen.

Der evangelische Weltanschauungsbeauftragte Oliver Koch warnt vor psychischer und sozialer Abhängigkeit. Derzeit gebe es rund 1000 „Access Consciousness“-Kursanbieterinnen in Deutschland.

Eine entsprechende Heilpraktiker-Webseite sieht zum Beispiel so aus:

Sogar vor „Traumatherapien“ schreckt Access Consciousness nicht zurück:

„Warum kann sich in Deutschland eine missbräuchliche Sekte einfach ungestört ausbreiten?“, fragt Kauschanski am Ende seines Artikels. Was kann man dagegen tun?

Nichts. Nur „Aufklärung“ und „Prävention“.

Zum Weiterlesen:

  • Sekten: „Meine Frau hat mit Geistern gesprochen, aber nicht mit mir“, zeit+ am 23. September 2023
  • „Access Consciousness“ bei Psiram
  • Die Esoterik als Antwort auf alles, kurier am 17. September 2017

24. September 2023
von Bernd Harder
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Löwenjagd in Berlin: Als die Panik den Verstand besiegte

Als am 20. Juli in Berlin die „Löwenjagd“ losging, haben wir uns von Anfang an auf eine klassische Sommerloch-Phantomsichtung festgelegt – was uns zunächst durchaus Kritik einbrachte.

Heute veröffentlicht Welt am Sonntag die Einsatzprotokolle der Polizei Berlin und der Gemeinde Kleinmachnow:

Sie beinhalten auch die Mitschriften der Einsatzleitzentrale, die die Notrufe entgegennahm, sowie Bürgerhinweise, die über ein Online-Formular eingingen.

Benjamin Stibi erzählt in der WamS exklusiv „eine Geschichte mit falschen Fährten und wildem Aktionismus“ – und „wie Panik den Verstand besiegte“.

Und so fing es an:

02:12 Uhr Auf Twitter postet der User @lqzze1 ein Handyvideo. Zu sehen: ein Baum am Straßenrand im Scheinwerferlicht eines Autos, vor dem Baum die Konturen eines löwenartigen Tieres, das etwas zu verschlingen scheint. Das Video habe ein Freund um Mitternacht aufgenommen und anschließend die Polizei verständigt, so @lqzze1.

In den Morgenstunden wird das Tier dann auch von einer Polizeistreife gesichtet, „auf 20 m Entfernung ohne Zweifel“, heißt es im Einsatztagebuch. Die Jagd beginnt. Als Kleinmachnow erwacht und die Geschichte von dem Löwen die Runde macht, häufen sich die Notrufe.

Nach Informationen des Tagesspiegel ereignete sich diese „Sichtung“ von zwei Polizeibeamten um drei Uhr nachts – also in völliger Dunkelheit und zudem aus einer erheblichen Distanz.

Wie man daraus sofort und „ohne Zweifel“ die reale Existenz eines Löwen in freier Berliner Wildbahn stricken kann, bleibt das Geheimnis der örtlichen Polizei. Wahrnehmungspsychologie gehört dort anscheinend nicht zur Ausbildung.

Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Sobald die „Sichtung“ amtlich zum Faktum erklärt wird, sieht praktisch jeder Spaziergänger überall Löwen.

Den Protokollen zufolge geht der erste Anruf bereits um 7.30 Uhr ein. Gesehen hat die Anruferin im Grunde nichts, die Rede ist lediglich von „Geräuschen“ und einem „wackelnden Gebüsch“ und dass „etwas“ von der Frau „weggesprungen“ sei.

Eine reine Luftnummer also – aber selbstgewiss rekurriert die Anruferin darauf, dass sie sich auskenne und es sich auf keinen Fall um ein Reh oder Wildschwein gehandelt haben kann.

Wieso nicht? Das bleibt völlig offen. Anscheinend fragt auch keiner nach.

Ähnlich gehaltvoll die nächsten Anrufe ab 7.52 Uhr.

Ein Augenzeugenbericht dreht sich vage um ein „großes gelbliches Tier“, ein anderer um ein „sandfarbenes helles Tier“, beim nächsten Telefonat geht es nur darum, dass der Haushund beim Gassi gehen irgendwie „panisch“ reagiert, andere berichten von einem „verdächtigen Wildtiergeruch“ oder dass „etwas Gelbes durch den Garten“ flitzt.

Die Highlights:

21:04 Uhr Der Drohnenführer meldet ein Tier, das in Richtung Autobahn läuft.

21:29 Uhr Es war nur ein Reh.

23:17 Uhr „Frau mit Kindern hat ein großes Tier gesehen und traut sich nicht vom Auto ins Haus.“

01:37 Uhr Aus Berlin-Zehlendorf melden „2 unabhängige Anrufer Löwengebrüll“.

01:40 Uhr Über den Polizeifunk kommt die Meldung, dass ein Auto auf einer Shell-Tankstelle in Berlin-Zehlendorf „Löwengebrüll abspielt.“

Ermittlungen bei Zirkussen, wie Rogall und Berolina, bleiben ohne Ergebnis. Aufkommende Gerüchte, der Löwe sei dem Remmo-Clan entlaufen, verweist das LKA ins Reich der „Provokation und Wichtigtuerei“.

Obwohl es also praktisch keinen ernstzunehmenden Hinweis auf ein reales Raubtier gibt, ist die Berliner Polizei mit 300 Beamten im Einsatz, die Polizei von Brandenburg mit 250, Drohnen und ein Hubschrauber steigen auf, um nach der Großkatze Ausschau zu halten.

Erst am Freitagmorgen (21. Juli) setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es sich bei der „Löwin“ auf dem Video um nichts weiter als „ein Schwarzwild in Sommerdecke“ handelt:

Am frühen Nachmittag wird der Polizeieinsatz beendet.

Allerdings reißen die Löwenmeldungen natürlich nicht ab, sodass

… der Fokus sich nun darauf richtet, die Bevölkerung zu überzeugen, dass es nie einen Löwen gegeben hat.

Genauso gut kann man versuchen, verstreute Federn wieder einzusammeln.

Am Ende fragt Benjamin Stibi auch nach den Kosten für das 40-stündige Spektakel. Die seien nicht zu beziffern:

Keine Ahnung, so die Antwort der Polizei.

Schätzungen gehen von „mehreren 100.000 Euro“ bis in die Millionen aus. Was soll man dazu noch sagen, außer:

Einfach unbezahlbar, dieses Sommermärchen.

Der neue Skeptiker (3/2023) kostet nur sieben Euro. In dem Artikel „Ungeheuer in unseren Köpfen – Warum Kryptiden nur in unserer Vorstellung leben“ von Georgy Kuakin heißt es:

Schlechte Wetterbedingungen, Nebel, große Entfernungen und Wahrnehmungstäuschungen können fast jedes Objekt als Monster erscheinen lassen.

Zum Weiterlesen:

  • Sommerloch-Alarm: Der Löwe ist los – endlich wieder mal, GWUP-Blog am 20. Juli 2023
  • Löwenjagd-Protokolle: Wie in Berlin die Panik den Verstand besiegte, welt+ am 24. September 2023

23. September 2023
von Bernd Harder
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Skeptics in the Pub Köln: Fakten und Fehlannahmen zu Burgen in Realität und Fiktion

Am Mittwoch (27. September) bei Skeptics in the Pub Köln:

Faszination Burg – Fakten und Fehlannahmen zu Burgen in Realität und Fiktion

Mit den am weitesten verbreiteten Mythen und Fehlvorstellungen zu Burgen und mittelalterlichen Befestigungen wird sich dieser Vortrag eingehender befassen:

die Drehrichtung von Wendeltreppen, der Begriff der „Ritterburg“, Geheimgänge, Schlossgespenster/-geister, der Zusammenhang von Pechnasen und dem Begriff „Pech gehabt“ sowie weitere mittelalterliche Herleitungen von Sprichwörtern: All dem wird auf den Grund gegangen.

Darüber hinaus werden auch die gerade im deutschsprachigen Raum verbreiteten Rekonstruktionen aus der Zeit der Burgen-Romantik des 19. Jahrhunderts kritisch betrachtet, und auch Burgen aus fiktionalen Werken wie „Game of Thrones“ oder „Der Herr der Ringe“ werden einer genaueren Inspektion unterzogen.

Los geht’s um 19.30 Uhr – vor Ort im Herbrand’s oder live bei Youtube.

Ein Interview mit dem Referenten Dr. Jochen Blom gibt’s bei den GWUP-News.

Zum Weiterlesen:

  • Skeptics in the Pub über Fakten und Fehlannahmen zu Burgen, gwup-news am 15. September 2023

22. September 2023
von Bernd Harder
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Braco gibt wieder seinen Blick – und nimmt dafür 20 Euro.

Prinz Valium ist wieder da.

In Köln, Zürich und Frankfurt schaut Braco ein paar Minuten lang leicht belämmert ins Publikum, kassiert dafür 20 Euro von jedem Besucher und verschwindet wieder von der Bühne.

Der „gebende Blick“ nennt sich das. Kann man sich nicht ausdenken.

Das sind so Momente, in denen man sich – mit Kolja Half von der Süddeutschen Zeitung – fragt, ob es überhaupt sinnvoll ist, „diesen ganzen albernen Selbstbetrug gründlich auseinanderzunehmen“ beziehungsweise „gegen eine vermeintliche Esoterikwelle anzuschreiben“.

Kolja meint nein – und plädiert für eine „neue Einstellung zu alternativen Glaubensformen“.

Wie etwa diese (aus Welt-Online):

Braco steht auf einer Bühne und blickt stumm ins Publikum. Umgeben von Musik blickt er durch die Reihen, in denen Zuschauer weinen, schwanken, Fotos ihrer Liebsten halten. Dies geht einige Minuten so, bevor Braco abtritt.

Davor und danach gibt es Reden und Filme über Bracos vermeintliches Wirken – und, natürlich, allerlei Schmuck und Bücher zum Kauf.

Ist jetzt die Frage, ob man solchen Quatsch tatsächlich „gesellschaftlich integrieren kann – statt [ihn] zu belächeln oder davor zu warnen“, wie der SZ-Autor meint.

Welt+ zitiert heute unseren Skeptical-Gast Nicolas Wöhrl von Methodisch inkorrekt:

Das Schweigen sei geschickt, sagt Wöhrl. Der Physiker kennt Bracos Hinweis, kein Heiler zu sein. „Damit will er sich aber wohl eher vor juristischen Problemen schützen. Sein Internetauftritt, die Videos und Berichte von Zuschauern suggerieren definitiv einen heilenden Effekt.“

Braco sei ein geschickter Geschäftsmann. „Scharlatane wie Braco, Phänomene wie Homöopathie oder anderer Wunderglaube machen mir große Sorgen“, so Wöhrl.

In Folge 127 wird Braco kurz erwähnt (ab 1:16:40), und zwar als „der absolute Inbegriff von Esoterik-Abzocke“:

Dass dieser Mensch sich überhaupt noch auf die Straße traut.

So kann man’s auch sehen.

Zum Weiterlesen:

  • Wenn sich der „Wunderheiler“ fürs Schweigen bezahlen lässt, welt+ am 22. September 2023
  • „Braco“: Wenn Prinz Valium den Wunderheiler gibt, GWUP-Blog am 1. Februar 2015
  • „SOKO Stuttgart“ mit aktuellen Bezügen: „Fredo, der heilende Blick in deine Seele“, GWUP-Blog am 2. Februar 2020
  • Schweigen ist Gold – wie Geistheiler Braco die Welt narrt und dick Kasse macht, watson am 30. September 2017
  • Guru im Test: Wunderheiler Braco mit dem „gebenden Blick“, derStandard am 20. Februar 2018
  • Spüren Sie’s? Sein Blick soll heilen können, welt.de am 1. Februar 2015
  • SkepKon 2019: das Skeptical, hpd am 18. Juni 2019
  • Esoterik: Tun wir ihr Unrecht? Süddeutsche am 10. Februar 2023
  • Spiritualität auf Abwegen, spektrum am 17. Dezember 2021
  • Esoterik: „Wir leben in magischen Zeiten“ – und das ist nicht nur politisch hochbrisant, GWUP-Blog am 14. September 2023

22. September 2023
von Bernd Harder
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Video: Ken Jebsen ist zurück, und zwar „als er selbst“

Ken Jebsens „neue Pläne“, über die wir im vergangenen Jahr berichteten, haben sich wohl weitgehend zerschlagen.

Mittlerweile nennt Jebsen sich wieder Kayvan Soufi-Siavash und ist „zurück als er selbst“, wie es auf seiner neuen Plattform Soufisticated heißt.

Verschwörung & Fakten hat sich das Formal mal angesehen.

Das Video verdeutlicht, wie Kayvan Soufi-Siavash um neue Themen bemüht ist und daran scheitert.

Er meint, dass es eine Verschwörung der Eliten gibt, die die Menschen wie in der Truman-Show in einer Scheinwelt leben lässt. Das Mittel dazu ist die Psychologie, auf die er gern verweist, aber den Stand der Wissenschaft nicht zu kennen scheint.

Es werden das Stanfort-Prison-Experiment, das Stockholm-Syndrom und das Werk „Psychologie der Massen“, auf die Soufi-Siavash referenziert, unter die Lupe genommen.

Zum Weiterlesen:

  • Ken Jebsens neue Pläne, GWUP-Blog am 4. August 2022

21. September 2023
von Bernd Harder
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Krebs und Esoterik: Was tun gegen das Geschäft mit der Verzweiflung Schwerkranker?

Am 16. Juni fiel das Urteil im Heilpraktiker-Prozess von Ingolstadt (wir berichteten).

Neben der Heilpraktikerin Renate G. wurde auch der Hersteller des wirkungslosen Krebs-„Wundermittels“ BG-Mun zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt.

Als Zeugin in dem jahrelangen Gerichtsverfahren gegen das betrügerische Duo war die Medizinstudentin Sandra Kloiber aufgetreten, die auch von Stern-TV interviewt wurde.

Die Mutter der 29-Jährigen erkrankte 2015 an Brustkrebs und suchte unter anderem Hilfe bei dem BG-Mun-Hersteller Ulrich B. Sandra Kloiber war dabei und schildert in einem aktuellen SZ-Artikel ihre Eindrücke:

Allein schon der Treffpunkt: Ein Büro im Osten Bayerns, billig eingerichtet mit Pflanzen auf griechischen Säulen. Und dann Ulrich B., ein Mann in schlabbrigem T-Shirt, das schüttere Haar zum Pferdeschwanz gebunden, auf seiner Visitenkarte ein falscher Adelstitel.

Er zeigte ein Video, das an Unterkomplexität kaum übertroffen werden kann: Ein Mann hatte Krebs, dann ging es ihm wieder gut, der Grund: BG-Mun. Einfach so sollten sie das glauben. Wie es genau wirke, wollte Kloiber wissen und B. redete von Metastasen, die sich verflüssigten. Er überzeugte sie nicht.

Ihrer Mutter gefiel, was er über die Pharmaindustrie sagte. Früher sei das Mittel zugelassen gewesen, aber die mächtigen Konzerne wollten mit Chemotherapien Geld verdienen. Kloibers Mutter nickte, sie fotografierte seine Kreditkarte ab, überwies später 6000 Euro.

Und spritzte sich gleich dort die erste Dosis in eine Bauchfalte.

Alexandra Kloiber starb 2018 mit 48 Jahren.

Allerdings war BG-Mun nicht der einzige Strohhalm, an den die Patientin sich klammerte. Von „Krebs-Diäten“ nach der Warburg-Hypothese über Pseudo-Ratgeber wie „Krebs als Chance“ bis hin zu Hyperthermie und einer dendritischen Zelltherapie versuchte Sandra Kloibers Mutter so ziemlich alles – nur keine evidenzbasierte Behandlung mit guten Erfolgsaussichten.

Und Sandra Kloiber, angehende Ärztin, musste hilflos zusehen:

Wie oft haben sie gestritten! Die Gespräche liefen immer gleich ab, sagt Kloiber. Ihre Mutter redete von einer neuen Methode. Ihr Vater sagte: „Ich bin Bäcker, was soll ich da sagen?“ Sandra Kloiber referierte ihre Recherchen und ihre Mutter reagierte „zickig“.

In dem SZ-Artikel geht es daher nicht nur um das Geschäft mit der Verzweiflung schwerkranker Menschen, sondern auch um die Fragen: Warum glauben Menschen diese kruden Theorien? Und wie könnte man das verhindern?

Bei Alexandra Kloiber waren es wohl „schlechte Erfahrungen mit Krankenhäusern“ und darüber hinaus das, was Edzard Ernst hier auflistet: der Glaube an das eigene Bauchgefühl und die Verlockung unhaltbarer Heilsversprechen.

Was hätte man dagegen tun können?

Verständlich erklären, was Krebs überhaupt ist, und die Angst vor der Chemo nehmen, sagt Prof. Jutta Hübner in dem Beitrag:

Ärzte seien nicht geschult darin, auf skeptische Patienten einzugehen […] „Viele Ärzte haben nicht ausreichend Zeit, sich um Nebenwirkungen zu kümmern. Für Ernährungsberatung ist oft kein Geld da. Da haben wir ein Riesenproblem.“

Noch ein Riesenproblem:

„Die Wunderheilerei findet weit verbreitet im System statt“, findet Jutta Hübner. Kliniken wie die, in die Alexandra Kloiber ging [für eine sogenannte regionale Chemotherapie] seien im Gesundheitssystem verankert, in ihnen arbeiten Ärzte, einige Therapien werden von den Kassen übernommen. Wirkt alles überzeugend.

Wie soll ein Laie wissen, dass er woanders, etwa in einem zertifizierten Brustzentrum, in dem Ärzte Abweichungen von den Leitlinien begründen und dokumentieren müssen, wahrscheinlich besser aufgehoben wäre?

Der Artikel endet damit, dass Alexandra Kloiber kurz vor ihrem Tod im Geldbeutel eine Visitenkarte von Ulrich B. findet und nach der Erinnerung ihrer Tochter „Was für ein Schwein“ flüstert.

Zu spät.

Zum Weiterlesen:

  • Krebs und Esoterik: Getrennte Welten, sz+ am 14. September 2023
  • Therapiefreiheit ist kein Freibrief für Betrug: Haftstrafen im Ingolstädter Heilpraktiker-Prozess, GWUP-Blog am 16. Juni 2023
  • Stern-TV über den BG-Mun-Prozess in Ingolstadt, GWUP-Blog am 25. Juni 2023
  • „Warum Deutsche ihre Heiler lieben“ von Edzard Ernst, GWUP-Blog am 6. September 2023

21. September 2023
von Bernd Harder
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Unheimliche Begegnung der dritten Art: Ufos in der DDR

Die einzige Ufo-Sichtung in der DDR, die es bis ins Project Blue Book

… und in die Archive der CIA schaffte:

Am 17. Juni 1950 ist der Bürgermeister von Gleimershausen (Thüringen), Oskar Linke, mit seiner elfjährigen Stieftochter Gabriele auf dem Heimweg von einer Vortragsveranstaltung im Nachbardorf, als er gegen 2.30 Uhr nachts mit seinem NSU-Motorrad auf der Landstraße liegenbleibt.

Später gibt er zu Protokoll, dass sie bei ihrem Fußmarsch nach Haselbach auf einer Wiese in etwa 40 Metern Entfernung zwei Gestalten in metallisch glänzender Kleidung erblickten, neben einem Objekt, das aussah „wie eine riesige Bratpfanne“ oder eine alte ovale Wärmflasche aus Zink.

Das Fluggerät habe Reihen von Löchern von etwa 30 Zentimetern Durchmesser besessen, auf der Oberseite habe sich „ein schwarzer und ungefähr drei Meter hoher Turm“ befunden. Als die beiden Personen in ihren dicken metallischen Overalls Linke und Gabriele bemerken, verschwinden sie in dem runden Objekt, das sich kurz darauf in die Luft erhebt und davonfliegt.

Ausführlich beschrieben wird der Fall Oskar Linke (der Ufo-Fans als authentische „Nahbegegnung der dritten Art“ gilt) im CENAP-Report 116, 121 und 122

… sowie von Ralf Bülow in diesem PDF.

Bülow konnte 2014 mit Gabriele Linke (r.) sprechen.

Sie blieb bei ihrer damaligen Geschichte und hielt zugleich „eine beinahe ironische Distanz“ zum Ufo-Thema, was ihr Bülow zufolge „eine gewisse Glaubwürdigkeit“ verleiht.

1951 flüchtete Oskar Linke mit seiner Familie in den Westen und hinterlegte im Sommer 1952 seinen Sichtungsbericht bei einem Berliner Notar. Die spektakuläre Ufo-Story wurde von verschiedenen Zeitungen und Agenturen aufgegriffen und landete schließlich in den Archiven amerikanischer Geheimdienste – obwohl Linkes Beschreibungen „den damaligen Stereotypen entsprachen, wie sie im Zusammenhang mit anderen Untertassenberichten in den Medien bereits kursierten“.

Gestern rekapitulierte auch der MDR noch einmal Oskar Linkes close encounter vor über 70 Jahren, verbunden mit der Frage nach weiteren Ufo-Fällen in der DDR.

Damit sieht’s aber ziemlich mau aus.

Wie schon der Soziologe Andreas Anton bei der SkepKon 2014 ausführte, galten in Ostdeutschland sämtliche Spielarten von Esoterik/Okkultismus offiziell als „Irrlehren, Täuschungen, Pseudowissenschaften“.

Der MDR schreibt:

In der DDR galt die Auffassung, dass es sich bei den meisten UFO-Sichtungen um Fehlinterpretationen von Flugzeugen, Asteroiden, der Venus und anderer Himmelskörper handelte. Der Rest der Berichte sei auf bewusste Täuschungen, Unsinn oder psychologische Probleme zurückzuführen.

Ein gewisses Interesse weckten lediglich ein paar wenige „Verletzungen des Luftraums im Grenzgebiet“ und ein „Ufo“ über Halle 1985, das sich als Meteorit entpuppte (wie schließlich „Zeitungen aus der Bundesrepublik“ aufklärten):

Vor Aliens hatte die Staatssicherheit dabei stets weniger Furcht als vor dem Klassenfeind. Unbekannte Flugobjekte in der Nähe von militärischen Einrichtungen deuteten nach Stasi-Lesart nicht auf Besucher von Mars oder Venus, sondern allenfalls auf ein besonders raffiniertes Täuschungsmanöver des „Gegners“.

Auch die angebliche „Entführung“ des 16-Jährigen Norbert Haase durch Aliens im Jahr 1962 in Stendal wurde als Hirngespinst zu den Akten gelegt.

Der größte Fall kam dann erst kurz nach der Wende: die Greifswald-Ufos von 1990.

Zum Weiterlesen:

  • Warum Ufos einen Bogen um die DDR machten, mdr am 20. September 2023
  • SkepKon-Rückblick: Der okkulte Untergrund der DDR, GWUP-Blog am 27. Juni 2014
  • Buchneuerscheinung: Das Paranormale im Sozialismus. Zum Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken in der DDR, grenzwissenschaft-aktuell am 10. Dezember 2018
  • Ufos in der DDR: Untertassen über Oberhof, mz am 4. Februar 2011
  • DDR und Außerirdische: Wie die Stasi auf Ufo-Jagd ging, mz am 17. April 2014
  • Das Haselbach-UFO von 1950 – die Augenzeugin spricht, grenzwissenschaft-aktuell am 26. Januar 2016
  • Der Fall Oskar Linke – Eine Ufo-Nahbegegnung in der DDR, ufo-information am 26. Oktober 2014
  • Die „Greifswald-Ufos“ fliegen immer noch – neue Videos zu einem alten Phänomen, GWUP-Blog am 24. August 2015
  • Alien-Mumien, UAPs und die NASA: der neue Ufo-Hype, GWUP-Blog am 17. September 2023

20. September 2023
von Bernd Harder
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Anthroposophie im „Skeptiker“

André Sebastiani zu Gast beim Podcast Vorpolitisch:

Wir sprechen über Leistungsdruck, Rassismus und rechte „Einzelfälle“.

Anthroposophie ist auch Thema im neuen Skeptiker (3/2023):

  • Mehr Weltanschauung wagen? Waldorfpädagogik zwischen Kritik und Kurswechsel

„Ist das noch Waldorf oder kann das weg?“, dieses Motto hatte der Bund der Freien Waldorfschulen für seine Delegiertentagung Anfang des Jahres gewählt. Man kann es als bezeichnend sehen für die Position der Waldorfpädagogik zwischen dem Bestreben um Neuerung und dem Festhalten an ihrer esoterischen Weltanschauung.

Doch wie viel ist Rhetorik und welches Potenzial zur Modernisierung darf man realistisch erwarten? Die Erziehungswissenschaftlerin Ann-Kathrin Hoffmann hat die aktuellen Debatten und den Umgang von Waldorf-Einrichtungen mit Kritik aufgearbeitet.

  • Der biodynamische Landbau und seine Sympathisanten im Nationalsozialismus

Mit der schwierigen Vergangenheit der Anthroposophie während der NS-Zeit tun sich viele Anhänger Rudolf Steiners besonders schwer. Ein typisches Beispiel ist die Praxis der biodynamischen Bewegung zwischen 1933 und 1945. Sie stellte das markanteste Beispiel für eine Zusammenarbeit von Anthroposophen mit den NS-Behörden bis zum Verbot ihrer öffentlichen Aktivitäten Mitte 1941 dar.

  • Neurodoron: Ein anthroposophisches Medikament

Anhand eines exemplarisch ausgewählten Arzneimittels der Firma Weleda, Neurodoron, wird der Frage nachgegangen, inwieweit das Unternehmen zum Wohlergehen der Menschen beiträgt.

Hier geht’s zum GWUP-Shop.

Zum Weiterlesen:

  • Neu: Skeptiker 3/2023
  • Alien-Mumien, UAPs und die NASA: der neue Ufo-Hype, GWUP-Blog am 17. September 2023

20. September 2023
von Bernd Harder
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Klimadashboard Deutschland, Kipppunkte, Ausreden und der neue „Handabdruck“

Stefan Rahmstorf im Podcast Denkangebot:

Wo stehen wir nach diesem Sommer 2023? Sind einige Kipppunkte womöglich gar nicht mehr zu verhindern? Und in was für einer Welt würden wir eigentlich leben, wenn es im Schnitt drei Grad wärmer wäre?

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gibt es dazu neu das Buch

Klimaschutz ist Menschenschutz – Warum wir anders über die Klimakrise sprechen müssen

von Michael Adler für 4,50 €.

Weitere bpb-Sonderausgaben zu diesem Thema sind

Seit einigen Tagen existiert außerdem ein deutscher Ableger des „Klima-Dashboards“, einer ehrenamtlichen Initiative aus Österreich, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Zahlen, Daten und Fakten rund um das Thema Klima anschaulich aufzubereiten.

Beachtenswert ist auch die Zeit-Serie „Klima-Ausreden“, die in 31/2023 begann und seitdem online fortgesetzt wird.

Eine kurze Übersicht:

Die Annahme, dass es in Deutschland nur gemütlich wärmer werde und wir davon profitieren würden, war und ist leider ein Trugschluss. Schon die massiven Veränderungen, die wir bei einer Abweichung der globalen Mitteltemperatur um 1,2 Grad erleben, zeigen es auf drastische Weise […]

Es wird hier nicht kuschelig warm, vielmehr wird es zunehmend krasser, mit extremen Gewittern, Starkregen und gleichzeitiger Dürre – kein Verlass mehr auf das, was das Wetter früher ausgemacht hat.​

Um die Welt zu fliegen ist fantastisch, und es ist ein Drama, dass diese Welt dadurch kaputtgeht. Denn, und damit sind wir dann doch beim Problematisieren: Es wird halt momentan zu viel geflogen. Knapp fünf Prozent der Erwärmung gehen aufs Fliegen zurück, that’s a fact.​

Es gibt zwar eine Weltatmosphäre, aber keine Weltregierung. Wasser und Luft teilen alle Menschen miteinander, den Ausstoß von Treibhaus­gasen kann immer nur ein Land für sich durch Gesetze begrenzen.

Die Chinesen verbrennen zwar noch mehr als zehnmal so viel Öl, Gas und vor allem Kohle wie wir. Es gibt aber auch weit mehr als zehnmal so viele Chinesen wie Deutsche. Auf den einzelnen Einwohner umgerechnet emittiert China – Stand 2021 – sogar etwas weniger Treibhausgase als Deutschland. Und die chinesische Regierung investiert gerade sehr viel Geld, damit der Abstand noch größer wird.

Wild aus heimischer Jagd zu verzehren ist (wenn man einmal von dem Methan-­Ausstoß der Tiere absieht) vielleicht noch kein Beitrag zum Klimaschutz, aber zumindest auch keine Klima­rüpelei.

Richtig ist: Die Welt wird kleiner ohne ­eigenen Pkw, das Freizeit- und Bildungsangebot ärmer und mancher Wintermorgen nass und ungemütlich. Wer das seinen Kindern nicht zumuten will, hat natürlich jedes Recht dazu.

Aber zu sagen, ein weniger motorisiertes Leben gehe nicht wegen der Kinder, ist in vielen Fällen einfach Quatsch. Es ist eine Frage der Prioritäten, auch die Kinder betreffend. Denn ob die eigenen Kinder in zehn Jahren und bei 2,2 Grad Erwärmung so überragend dankbar sein werden dafür, dass man sie einst mit dem Verbrenner durch die Gegend kutschiert hat, ist gar nicht mal so sicher.

Fast alle Wissenschaftler sind sich einig darüber, dass die Klimakrise real ist und dass es die Handlungen von Menschen sind, die die Erde wärmer machen. Nun fassen es Wissenschaftler aber nicht als ihre Aufgabe auf, diese Erkenntnis möglichst überzeugend zu verkaufen. Sondern sagen lieber, dass der Konsens unter Klimawissenschaftlern bei 99 Prozent liege.

Der einzige Kapitalismus, den wir bisher kennen, profitiert von billiger Naturaneignung. Geht es anders? Wissen wir nicht.

Die Dekarbonisierung ist eine noch nie da gewesene Herausforderung. Die Fortschritte, die seit den Neunzigerjahren erreicht worden sind, enttäuschen zwar quantitativ, methodisch jedoch sind sie vielversprechend. Innovationen eröffnen neue Möglichkeiten und neue politische Mehrheiten. Wesentliche Teile des Kapitals machen mit der Energiewende endlich Ernst.​

Insgesamt verursacht das Rauchen pro Jahr rund 84 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent, das sind 0,2 Prozent der globalen Treibhausgase. In der Schweiz gibt es die Bio-Zigarette Heimat Hell zu kaufen. Beim nächsten Besuch werde ich mich damit eindecken. Und ja: Wer raucht, sollte nicht auch noch Fleisch essen.

Stimmt. Doch erstens immer langsamer und zweitens auch nicht mehr ewig. Vor dem Ende des Jahrhunderts erreicht die Zahl der Menschen auf der Erde ihren Höchststand, dann schrumpft sie. Das ist genauso vorhersehbar wie der Bremsweg eines Supertankers.​

Die Reste des einst gefürchteten Wachstums entfallen überproportional auf Menschen, die keine nennenswerten Emissionen erzeugen.

Was hat das mit der Klimakatastrophe zu tun? Ein bisschen was schon, denn eine gesunde, biodiverse Natur hilft auch dem Klima. Eins zu null für Sie.

Aber: „Ich esse doch Bio“ als Rechtfertigung in der Klimakrise anzuführen ist in etwa so, als würden Sie Ihrem Arzt, der einen fiebrigen Infekt diagnostiziert, genervt entgegnen: „Aber ich putze doch schon meine Zähne.“

Der Atomkrieg ist nicht gekommen, weil die Raketen in den Silos blieben – heißt, wenn nichts geschieht, passiert auch nichts. Beim Klima ist es umgekehrt: Wenn nichts geschieht (oder zu wenig) dann wird es sehr, sehr übel.

Solange sich dieses industrielle Tierhaltungssystem nicht ändert, verbessert das Verbot des Kükentötens aus Klima- wie aus Tierschutzsicht wenig. Und bleibt deshalb: eine Ausrede.

Für irgendwen auf der Welt ist selbst der Autoverkäufer aus Herne, der eine Urlaubsflugreise in den weniger weit entfernten Süden antritt, eine Art Kylie Jenner. Für eine mittellose Person in Pakistan zum Beispiel.

Auf einer moralischen Ebene ist es sinnlos, sich am schlechten Verhalten anderer zu orientieren. Wenn ein Amokläufer Menschen erschießt, heißt das ja nicht, dass es okay ist, andere zu ohrfeigen.

Die Windkraftinvestoren finden im Moment kaum Flächen, um überhaupt zu bauen. Und die Kosten steigen so schnell, dass viele Unternehmen ihre Vorhaben gar nicht umsetzen. Es lohnt sich einfach nicht mehr […] Das Problem ist also aktuell nicht, dass es den Windradbauern nur ums Geschäft geht. Sondern, dass ihr Geschäft nicht gut genug funktioniert.

  • Aber es ist ohnehin besser, wenn die Menschheit ausstirbt …

Für den Planeten ist das nicht unbedingt eine Erlösung, denn tatsächlich ist es so: Jedes Artensterben zieht das Sterben anderer Arten nach sich. Der Mensch ist kein Eindringling auf der Erde, sondern ebenfalls eine Art, ein Teil des Ganzen. Homo sapiens existiert seit etwa 300.000 Jahren und war die meiste Zeit davon ein Bestandteil der Ökosysteme, kein Eindringling.

Ein Steak, eine Autofahrt und ein Transatlantikflug sind für die Atmosphäre egal. Millionen Steaks, SUV und Transatlantikflüge sind es nicht es mehr.

Oder anders formuliert: Wenn Millionen Menschen jeweils ein bisschen CO₂-Ausstoß verursachen, dann kommt eben doch ziemlich viel zusammen. Denn individuelles Verhalten hat immer dann eine kollektive Wirkung, wenn sich viele ähnlich verhalten.

Es ist halt nur so, selbst wenn alle nur Sandkörner sind, will doch keiner und keine nur Sandkorn sein. beim Klima scheint für viele nicht zu gelten, was auf anderen Feldern eine Frage des Anstands und des Selbstrespekts ist.

Der Verweis auf die eigene Leistung zur Beruhigung des schlechten Klimagewissens ist psychologisch nachvollziehbar, am Ende jedoch mehr eine moralische Setzung als objektiver Fakt. Wer also meint, er hätte sich die Flugreise nun einmal verdient, betreibt eine Art Moralismus.

Wenn sich das Klima um vier Grad erwärmt, und das kann ohne strenge Gegenmaßnahmen schon 2100 der Fall sein, könnte der Meeresspiegel um bis zu drei Meter steigen. Ganze Städte würden im Meer versinken. Was das für den Flugverkehr […] bedeuten würde, kann man sich ausmalen. Den traurigen Rest sicherlich auch.

  • Aber die Letzte Generation übertreibt …

Die Frage ist, ob die Letzte Generation tatsächlich übertreibt – und da sind wiederum Zweifel geboten […]

Und im Übrigen, wer wirklich will, dass die Letzte Generation mit ihren Blockaden und ihrem manchmal schwer erträglichen Pathos aufhört und endlich wieder studieren geht, müsste den Geist der Dringlichkeit halt selbst ausstrahlen.

Demokratie braucht Kompromisse, ja, ja und ja. Sie braucht aber auch das ein oder andere, das nicht zur Abstimmung steht, wie zum Beispiel die Freiheitsgrade der Zukünftigen, die ja teils schon Lebende sind.

Die Demokratie darf sich eben nicht in Extreme hineinkompromissieren, der Kompromiss kann nicht zum Schleichweg in die Katastrophe werden. Tja, tja und tja.

Kritik an der „Individualisierung des Klimaproblems“ wird indes in der Neuerscheinung

Hoch die Hände, Klimawende

von Gabriel Baunach laut:

Individuelle Ratschläge zum Verhalten und ganz allgemein der Fokus auf persönliche Emissionen öffnen die Tür für unfruchtbare Kulturkampf-Debatten, in denen sich Menschen persönlich für jede Bratwurst oder jeden Pkw-Kilometer angegriffen fühlen – und sich reflexhaft verteidigen, Klimaschutz als Affront empfinden, ihn als missgünstig und verbotsfetischistisch hinstellen.

Dem persönlichen Klima-Fußabdruck setzt Baunach das Konzept des „Handabdrucks“ entgegen:

Dahinter steckt die Idee, dass sich mit politischem Handeln ein viel größerer Nutzen fürs Klima erreichen lässt als durch persönlichen Verzicht […]

„Beispiel: Ich allein kann zuhause weniger Fleisch essen. Wenn ich aber dafür sorge, dass in der Firmenkantine mehr vegane Gerichte angeboten werden, essen viel mehr Menschen weniger Fleisch. So vergrößere ich meinen Handabdruck und werde zum Multiplikator für klimafreundliches Verhalten.“

Zum Weiterlesen:

  • Klimakrise und Kipppunkte, denkangebot am 18. September 2023
  • Mit dem „Handabdruck“ zum Multiplikator für klimafreundliches Verhalten werden, klimafakten am 24. August 2023
  • Klima-Dashboard“ bereitet auch für Deutschland vielfältige Daten zur Klimakrise anschaulich auf, klimafakten am 8. September 2023
  • SkepKon-Video: Klimadebatte zwischen Verharmlosung und Alarmismus, GWUP-Blog am 1. Juni 2023
  • Videos: Verschwörungen – Die Wahrheit der Anderen, GWUP-Blog am 5. August 2023
  • „Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise“ in der Schriftenreihe der bpb, GWUP-Blog am 21. August 2023
  • Wenn ich Klimaschwurbler wäre, futurezone am 16. September 2023

19. September 2023
von Bernd Harder
1 Kommentar

Ein Wimmelbild voller Verschwörungstheorien

Versuch, Jugendliche für das Thema Verschwörungstheorien zu sensibilisieren, der x-te:

Wimmelbild voll Verschwörungsmythen

Dieses Wimmelbild mit über sechzig Hinweisen auf Verschwörungsmythen, urbane Legenden und Radikalisierungsanzeichen haben das LKA Baden-Württemberg und das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) veröffentlicht.

Eine Version zum Anklicken und Vergrößern gibt es hier. Die Auflösung findet sich hier.

Dazu gehört auch das (schon ältere) interaktive Video „Chris und Lea“:

Was mit der Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen beginnt, kann schnell in rechtsextremer Gewalt münden – der neue interaktive Film der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes auf www.zivile-helden.de zeigt den Verlauf eines schleichenden Radikalisierungsprozesses auf.

Mit dem Videoclip und vielen Hintergrundinformationen sollen junge Menschen und ihr erwachsenes Umfeld gezielt über Antisemitismus und Rechtsextremismus aufgeklärt werden. Ziel ist es, jungen Menschen Handlungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, um Verschwörungsmythen im Netz kompetent begegnen zu können.

Lassen wir mal so stehen.

Und, wer hätte das gedacht:

Zweifelt jemand an der Existenz von objektiven Fakten, ist er anfälliger für Verschwörungstheorien und andere Pseudowahrheiten […] Verschwörungstheorien erscheinen vor allem dann glaubwürdiger, wenn Wahrheit zur Gefühlssache erklärt wird.

Und:

Menschen haben „zwei starke Motive, um Verschwörungsmythen zu verbreiten. Dabei wollten die einen ihre eigene Überzeugung teilen und sie dadurch auch stärken. Die anderen wollten dagegen Chaos stiften“.

Zum Weiterlesen:

  • Verschwörungsglaube: Fühlt sich richtig an, spektrum am 16. September 2023
  • The “need for chaos” is linked to the sharing of conspiracy theories, study finds, PsyPost am 27. August 2023
  • Conspiracy Theories Are Fueled By The “Need For Chaos”, Study Finds, ifl sience am 28. August 2023
  • „Die da oben“: Rapsong gegen Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 20. April 2023
  • „Aris Auftrag“: Vier Kurzvideos sollen Jugendlichen das Thema Verschwörungstheorien nahebringen – mit wenig Erfolg, GWUP-Blog am 15. April 2023
  • „Desinformation“: Video von Braunschweiger Gymnasiasten über Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 9. April 2023
  • Ein Wimmelbild voll Verschwörungsmythen – die Polizei wirbt für Zivilcourage, die neue welle am 19. September 2023
  • Radikalisierung verhindern: Film „Chris und Lea“ der Zivilen Helden zeigt Verlauf eines Radikalisierungsprozesses auf, presseportal am 7. September 2023