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War alles gar nicht so gemeint: Renommierte Fachleute treten von der Satanic-Panic-Ideologie zurück – aber nur halbherzig

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Plötzlich war alles nur ein Missverständnis. Mit einem Mal beginnen die Relativierungen.

  • Jan Gysi, der Schweizer Psychiater, der als „Spin Doctor“ und Netzwerker der Satanic-Panic-Szene gilt, will alles gar nicht so gemeint haben.

Im Spiegel:

Im Blick:

Peer Briken, der Hamburger Psychiater, in dessen „Studien“ von „gezielter Aufspaltung“ ritueller Missbrauchsopfer die Rede ist und der in der Satanic-Panic-Szene immer wieder als Kronzeuge für die Existenz Organisierter und Ritueller Gewalt angeführt wird, will gar keine Fakten behauptet haben.

Im Spiegel:

Vorläufiger Höhepunkt dieser Ausredensuche ist ein „Brief an die Redaktion“ des Fachjournals Praxis der Rechtspsychologie (2/2023) von Peer Briken, Johanna Schröder, Susanne Nick und Hertha Richter-Appelt – also jener vier Autoren, die mit ihrer anonymen Online-Befragung zu „Organisierter und Ritueller Gewalt in Deutschland“ von 2018 maßgeblich den Verschwörungsmythos Rituelle Gewalt-Mind Control befeuert und danach mehrfach weiter fortgeschrieben haben (69 Prozent der Befragten gaben an, rituelle Gewalt in satanistischen Gruppen erfahren zu haben).

Ihre aktuelle Einlassung (zusammen mit drei weiteren Autoren) ist eine Reaktion auf den Artikel

Wissenschaftsorientierung in Sexualstrafverfahren in Gefahr: Fortschritte und Opferinteressen stehen auf dem Spiel

in derselben Ausgabe, den die Rechtspsychologin Susanna Niehaus (Hochschule Luzern) und der Psychologe Andreas Krause (University of Applied Sciences and Arts Northwestern Switzerland) verfasst haben.

Beide sind profilierte Kritiker der Rituelle Gewalt-Mind Control-Theorie. Niehaus wird auch in einem Spiegel-Beitrag zum Thema zitiert:

In ihrem Artikel für Praxis der Rechtspsychologie beleuchten sie unter anderem das

Verschwörungsnarrativ: Mind Control durch eine elitäre und gut vernetzte Täterschaft mit
Spezialausbildung,

welches sie als Bedrohung für eine wissenschaftlich fundierte Glaubwürdigkeitsbeurteilung in Strafprozessen ansehen:

Es gibt weder eine wissenschaftliche Theorie, wie dieses als „Mind Control“ bezeichnete Konzept umsetzbar sein soll, noch irgendwelche seriösen empirischen Belege für eine solche Psychotechnik. Trotz selbst- und fremddeklarierter Opfer und jahrzehntelanger internationaler Ermittlungsbemühungen gibt es keinerlei kriminalistische Evidenz für ein Phänomen, welches von diesen Autor:innen (z. B. Fliß, 2012; Gysi, 2021) entgegen wissenschaftlicher Standards als existent vorausgesetzt wird […]

Insgesamt weisen vorgängige Argumentationen deutliche Kennzeichen eines Verschwörungsnarrativs auf. Diejenigen, die dieses Mind Control-Konzept der gezielten Spaltung und Programmierung von Menschen im deutschsprachigen Raum prominent vertreten bzw. bis vor Kurzem vertreten haben, sind einzelne Protagonist:innen aus Psychiatrie, Psychotraumatologie und Sozialwissenschaft, die sowohl publizieren als auch in der Praxis, etwa über Weiterbildungen oder Supervision, tätig sind.

Darauf reagieren nun Briken, Schröder, Nick und Richter-Appelt mit einem „Brief an die Redaktion“.

Wie schon Peer Briken im Spiegel redet jetzt die ganze Gruppe ihren anonymen Online-Fragebogen klein, mit dem 2018 „Angaben von 165 selbstdefinierten Betroffenen erfasst“ worden waren:

Ziel der Studie war es ausdrücklich nicht, Prävalenzzahlen zu organisierter und ritueller Gewalt zu erheben oder die Glaubhaftigkeit der Erfahrungsberichte zu beurteilen. Die Berichte können und sollten – wie Selbstberichte grundsätzlich – daher auch nicht als Evidenz für das Berichtete gewertet werden.

Ach nein? Haben Briken und Co. das auch den unzähligen Initiativen mitgeteilt, die sich nach wie vor auf die Autoren und deren „Studie“ berufen – bis hin zur Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs?

Im weiteren Verlauf ihrer versuchten Ehrenrettung distanzieren sich Briken und Co. nicht nur von dem Begriff „Mind Control“ („mit dem heutigen Wissen würden die Forschenden den Begriff psychologische Manipulation verwenden“), sondern treten sogar von dem Anspruch zurück, überhaupt „ein reales Phänomen“ zu beschreiben.

Wir sind gelinde sprachlos – aber keineswegs überzeugt.

Genauso wenig wie Susanne Niehaus und Andreas Krause, die noch im selben Heft eine Replik platzieren (die ausführliche, neunseitige Version findet sich hier):

Einige Highlights daraus:

Dass Schröder, Nick, Andresen, Gahleitner, Kavemann, Richter-Appelt und Briken nun nach Konfrontation mit Kritik behaupten, nie geäußert zu haben, dass es das von ihnen selbst untersuchte Phänomen ORG gebe, lässt sich mit den Formulierungen in ihren eigenen Publikationen sehr offensichtlich nicht in Einklang bringen.

Eine zentrale Erkenntnis internationaler Forschung lautet, dass trotz intensiver wissenschaftlicher wie auch kriminalistischer Bemühungen keine Belege für ORG mit Mind Control gefunden wurden. Statt hierauf einzugehen, strebt die Forschungsgruppe „Aufklärungsarbeit“ an.

In den Publikationen der Forschungsgruppe finden sich Hinweise darauf, dass die Angaben subjektiv Betroffener aufbereitet wurden. Jedoch sind die übrigen Formulierungen so gewählt, dass die Annahme eines Realitätsbezugs nicht ernsthaft in Frage gestellt werden kann, dies zeigt sich vor allem bei der  Interpretation der Ergebnisse und der Ableitung konkreter Konsequenzen.

Und der entscheidende Punkt:

In der Reaktion von Schröder, Nick, Andresen, Gahleitner, Kavemann, Richter-Appelt und Briken spiegelt sich wider, dass sie weder die Verantwortung für das von ihnen gewählte und aus wissenschaftlicher Sicht methodisch problematische Vorgehen übernehmen, noch für ihre nach dem Stand der Forschung unhaltbaren Schlussfolgerungen.

Es wird sich zeigen, ob Briken und Co. wirklich an einer faktenbasierten Untersuchung von Therapiemethoden und deren Auswirkungen interessiert sind. Oder ob sie weiterhin Protagonisten einer Verschwörungsideologie sein wollen, die Patienten massiv schädigt.

Zum Weiterlesen:

  • Satanic Panic: Ein Schweizer Psychiater „im Strudel einer Satanisten-Verschwörung“, GWUP-Blog am 19. November 2023
  • „Unhaltbare Thesen“: Die Verschwörungsideologie vom satanistisch-rituellen Missbrauch gerät immer mehr unter Druck, GWUP-Blog am 10. November 2023
  • Esoterische Parallelwelt, grober Unfug“: Claudia Fliß – Auch eine deutsche Therapeutin ist in die Satanic Panic in der Schweiz involviert, GWUP-Blog am 3. Dezember 2022
  • „Satanic Panic“-Update beim WTF-Talk am Montag, GWUP-Blog am 12. November 2023
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: Eine Verschwörungsideologie bedroht wissenschaftlich fundierte Standards, GWUP-Blog am 30. Mai 2023

18 Kommentare

  1. Was schrieb die Aufarbeitungskommission noch dazu

    „Seit 2017 hat die Kommission aus verschiedenen Perspektiven die Gewaltstrukturen von organisierter und ritueller Gewalt bearbeitet. Hier ist auch das Forschungsprojekt von Prof. Dr. Peer Briken und dessen Team aus Hamburg verortet. Methodische Vorgehensweise und Ergebnisdarstellung dieses Projektes sind der gängigen wissenschaftlichen Qualitätssicherung unterzogen worden.

    Alle Artikel wurden in Zeitschriften mit unabhängigem Begutachtungsverfahren aus dem Fachgebiet (peer review) eingereicht und publiziert. Zielsetzung der in Auftrag gegebenen Studien war, explorativ erste Erkenntnisse zu Erfahrungen, psychischen Belastungen, der aktuellen Versorgungssituation und besonderen Bedarfen hinsichtlich der Versorgung Betroffener zu erlangen.
    […]

    Die Forschung versteht sich als ein Beitrag zu beginnender universitärer Forschung zu dem Themenkreis.“

    Ja, alles in allem sehr überzeugend.

    https://www.aufarbeitungskommission.de/service-presse/presse/pressemitteilungen/stellungnahme-zur-pauschalen-infragestellung-von-betroffenen-sexuellen-kindesmissbrauchs-in-organisierten-und-rituellen-strukturen/

  2. „School district and The Satanic Temple reach agreement in lawsuit over After School Satan Club“:

    https://apnews.com/article/satan-club-pennsylvania-lawsuit-112e1cd6a71d708accaee36c1815a975

  3. Langsam aber sicher frage ich mich, wie bewusst die genannten Personen andere getäuscht haben, wenn sie nun alles wieder umtauschen und umformulieren?

    Bisher dachte ich immer, dass sie zumindest zu Grossen Teilen selbst daran glauben und eigentlich nur ‚helfen‘ wollen, aber je länger ich dem ganzen zusehe, umso klarer wird, dass es den besagten Personen wohl eher einfach um das eigene Privileg und Ansehen geht.

    Gut wird endlich besser hingesehen und offen kritisiert, was kritisiert werden muss.

  4. @Grace:

    Das denke ich mittlerweile auch und bringe mal noch das Wort „Forschungsgelder“ ins Spiel.

  5. Aha, Briken et al. wollen sich also von „Mind Control“ distanzieren und haben damit nichts zu tun?

    Die Seite „Wissen-Schafft-Hilfe.org“ verweist auf das „Infoportal Rituelle Gewalt“ – das ist voll mit diesem ganzen Zeugs und verweist sogar auf den Verschwörungstheoretiker Guido Grandt.

    Wer hat die Seite „entwickelt“? Hierzu heisst es:

    Entwickelt wurde das Wissensportal von Juli 2020 bis September 2022 vom Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in enger Kooperation mit N.I.N.A. e. V. (www.nina-info.de).

  6. Und das in einem Berufsfeld, in dem eigentlich mit den wohl fast verwundbarsten psychisch erkrankten Menschen gearbeitet wird. Echt unfassbar…

    Und makaber, wenn man die Aufmachung und das Auftreten der besagten Personen betrachtet- immer von Opferschutz sprechen – um diese dann auszunutzen. Na bravo, da bleibt einem echt erstmal die Spucke weg.

    Immerhin wird Jan Gysi’s Taxonomie im Hogrefe Verlag nochmals neu überprüft, zumindest scheint sich da was zu tun.

  7. Mir fällt da ganz zusammenhanglos ein Zitat von Prof. Bömmel aus der „Feuerzangenbowle“ ein, ich weiß auch nicht, wie ich darauf komme … :

    „Nä, wat habt ihr für ne fiese Charakter!“

  8. Mein Eindruck war immer der, dass sich verschwörungsgläubige Therapeuten selbst aufwerten wollen.

    Wenn nur sie einen Zusammenhang zu etwas „erkennen“ was bisher niemand „aufdecken“ konnte, sind sie ihren Kollegen weit voraus. Und Patienten, trotz allem Grauen, sind vielleicht erleichtert, etwas „Greifbares“ zu haben.

    Und dann gibt es sicher auch Patienten, die das freie Assoziieren sehr wörtlich nehmen, weil sie wissen, dass Therapeut oder Therapeutin auf bestimmte Aussagen sehr positiv reagieren.

  9. Mich würde schon die Rolle der (meist wohl weiblichen) Patienten dabei interessieren. Ich sehe diese ungern in Daueropferrollen.

    Sind das Patientinnen, die sich bereits klar über sexuellen Missbrauch sind und von Schwurbeltherapeuten auf einen falschen Pfad geführt werden?

    Oder sind das Patienten, die mit erstmal unklarer Ausgangslage ohne Diagnosen oder überhaupt irgendwelche Diagnostik in die Praxis kommen und gar nicht so genau wissen, warum es ihnen schlecht geht?

    Oder die zwar ahnen, welche Faktoren in ihrer Biografie eine Rolle spielen können, vielleicht auch wissen, was sie haben (Depression etc), aber keinen Überblick über ihr Gefühls-Chaos haben und sich in der Therapie mehr Klarheit und Ansatzpunkte erwarten?

    Welche Rolle spielt bei sämtlichen Patietinnen überhaupt sexuelle Gewalt, wenn sie in die Therapie kommen?

    Und noch eine wichtige Frage.

    Falls das Patienten sind, die Traumata oder Traumafolgestörungen haben, vielleicht bereits psychiatrisch diagnostiziert und behandelt, die auch an sexuelle Gewalt/Missbrauch in der Kindheit erinnern (wie sicher oder unsicher auch immer), was genau ist mit den realen Tätern?

    Wie werden die von Schwurbeltherapeuten eingeordnet?
    Bekommen die eine kultische, satanische, also ideologische Rolle zugewiesen?
    Die werden doch wohl hoffentlich nicht unter den Tisch fallen gelassen!?

    Da geht es ja auch um relevante Verjährungsfristen.

    Sofern es nicht überhaupt überlegenswert wäre, vor einer Therapie einen Anwalt für Strafrecht aufzusuchen, falls man sich sehr sicher in der Erinnung ist und es dafür auch Zeugen gibt.

    Ich denke halt, und darauf brachte mich Dr. Urbaniok, dass einige Patienten froh über das esoterische Angebot ihres Therapeuten sind, da ein kultischer, bösartiger Überbau -erstmal- leichter zu verdauen sein kann als die vernichtende Realität.

    Dass die eigenen Elternteile oder Großeltern sie im (Klein-)Kindalter betatscht, emotional und sexuell für ihre eigenen Bedürfnisse missbraucht haben bis hin zu regelmäßigen schweren Vergewaltigungen.

    So als Überlebensstrategie scheint mir das erstmal recht tauglich.
    Mittel- und langfrstig wird sie die Realität natürlich trotzdem (immer wieder) einholen.

  10. Ein lokales Onlinemagazin aus Münster berichtet inzwischen über die Thematik:

    https://www.rums.ms/beitraege/das-bistum-und-der-satanismus/

  11. Bei der diesjährigen Tagung der DGPPN war das Thema Gegenstand mehrerer Sessions, mit etwas unterschiedlicher Akzentuierung.

    Eine Session „Dissoziative Identitätsstörung und rituelle Gewalt: Fakten und Fiktionen“ mit Vorträgen von Stefan Röpke, Kathlen Priebe, Renate Volbert und Petra Hasselmann war sehr empirisch ausgerichtet, sehr informativ – und sehr kritisch gegenüber Mythen wie Mind Control usw.

    Auch im Zusammenhang mit der Frage eines angemessenen therapeutischen Umgangs mit den Betroffenen wird schnell klar, wie heikel die Redeweise von „unterschiedlichen Wissensordnungen“ werden kann.

  12. Hallo joseph,

    Kann man diese Vorträge auch online finden oder in Buchform?

    Liebe Grüsse.

  13. @ Bröselulme:

    Wer bei der DGPPN-Tagung angemeldet war, kann die gestreamten Sessions samt Folien noch bis März auf der DGPPN-Seite ansehen.

    Ansonsten gehe ich davon aus, dass die Referent:innen ihre Folien auf Anfrage gerne zur Verfügung stellen.

  14. Der Verein dessen Mitglieder Satanic Panic in der Wissenschaft salonfähig gemacht haben beschwert sich und schützt so Frau Huber.

    Und der Fernsehrat und die Bundesfamilienministerin stimmen naiv und gutgläubig in diese ungeheuerliche Instrumentalisierung der Opfer sexueller Gewalt ein. Die sogenannten „TheraupeutInnen“ können weiterhin Patienten traumatisieren.

    Ich habe die kleine Hoffnung, dass das als Bumerang zurückkommt und endlich für Aufklärung und echten Kampf gegen Kriminelle wie Huber und Co. sorgt.

  15. Pingback: Keine Aufarbeitung des Narrativs - Debunking SRA

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