Kein Satz bringt den „Wahn der Therapeuten“ in Sachen satanistisch-ritueller Missbrauch, wie Der Spiegel ihn in seiner aktuellen Ausgabe schildert, besser auf den Punkt als dieser:
„Die Therapeutin“ ist die Münsteraner Diplom-Psychologin Jutta Stegemann und die „ehemalige Klientin Malin Weber“ ein Opfer von suggestiv erzeugten Falscherinnerungen.
Wir sprachen mit Malin Weber und ihrem Lebensgefährten, der im Folgenden die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt (aufgezeichnet von Bernd Harder).
Ein nicht wiedergutzumachender Schaden durch einen hochgefährlichen Verschwörungsmythos
Die Begriffe „satanistisch-ritueller Missbrauch“ oder „Satanic Panic“ hatte ich noch nie gehört, als ich Anfang 2020 meine jetzige Lebensgefährtin Malin kennenlernte.
Wir begegneten uns in einer Selbsthilfegruppe, in der es um die Themen Ängste und Depressionen ging. Beim zweiten Treffen erfuhr ich, dass Malin schwanger sei. Die Zusammenkünfte fielen danach coronabedingt einige Monate lang aus. Erst im Dezember 2020, kurz vor Weihnachten, sahen wir uns wieder. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Tochter schon auf der Welt. Beide wohnten zusammen in einer Mutter-Kind-Einrichtung.
Bei einem unserer gemeinsamen Ausflüge erzählte mir Malin, dass zurzeit ein Sorgerechtsverfahren gegen sie laufe. Zentraler Bestandteil dieses Rechtsstreits waren zwei Gutachten, ein psychiatrisches und ein psychologisches. Das psychiatrische zur Klärung psychischer Erkrankungen und das psychologische zur Klärung ihrer Erziehungsfähigkeit Diese Ausfertigungen nahmen meine Partnerin sehr mit, zudem äußerte sie Zweifel an den Diagnosen und den damit verbundenen Schlussfolgerungen.
Das „Switching“ und der Wechsel der Augenfarbe
Die Widerspruchsfrist für das psychiatrische Gutachten war bereits abgelaufen, aber ich bot Malin an, zumindest das psychologische Gutachten mit ihr durchzusehen. Leider bekam ich nur einige Seiten daraus zu lesen, mit denen ich den gesamten Kontext noch nicht überblickte. Auch eine behauptete Diagnose „dissoziative Identitätsstörung“ konnte ich nicht im Detail einordnen.
Verwundert nahm ich Aussagen der damaligen Psychotherapeutin meiner Partnerin, die im psychologischen Gutachten zitiert wurde, zur Kenntnis. Ihrer Angabe nach würden beim „Switching“ der verschiedenen Persönlichkeitsanteile die Augen manchmal eine andere Farbe annehmen.
Meine Partnerin hat seit ihrer Kindheit selektiven Mutismus, eine Sprechhemmung in Stresssituationen oder gegenüber bestimmten Personen. Im Sommer 2021 nahm sie Kontakt zu dem Verein „False Memory Deutschland e.V.“ auf und ich unterstützte sie wegen ihrer Sprechhemmung bei den Telefonaten. Durch die Zusammenarbeit mit dem Verein bekam ich nach und nach Einblick in die kompletten Gutachten und verstand besser, um welche Hintergründe es bei diesem Verfahren wirklich ging.
Diagnose: DIS als Folge von satanistisch-rituellem Missbrauch
Zur Vorgeschichte sei erwähnt, dass Malin nach mehrjähriger Ehe und einer mit Gewalt verbundenen Trennung im Jahr 2017 das Gezeiten Haus in Wesseling aufsuchte, eine private Fachklinik für psychosomatische Medizin, wo sie fünf Monate lang behandelt wurde. Eine Therapeutin dort vermutete bei ihr eine dissoziative Identitätsstörung aufgrund von rituellem Missbrauch. Sie verwies Malin zur Weiterbehandlung an eine niedergelassene psychologische Psychotherapeutin in Münster, die Expertin für diese Diagnose sei.
Die ambulanten Therapiesitzungen erstreckten sich ab Mitte 2018 über einen Zeitraum von fast drei Jahren. Die Therapeutin Jutta Stegemann, eine Diplom-Psychologin und Mitglied der Psychotherapeutenkammer, bekräftigte die Vermutung der Vorbehandlerin und stellte die Diagnose: dissoziative Identitätsstörung als Folge von schwerstem sexuellem Missbrauch in einem satanistischen Kult.
Abstruse Aussagen der Therapeutin
Malin empfand die Aussagen ihrer Behandlerin teilweise als abstrus und implausibel. Beispielsweise ging die Therapeutin davon aus, dass die Täter – also die Kult-Mitglieder – meiner Partnerin einen Chip im Oberarm implantiert hätten, um sie jederzeit orten zu können. Außerdem wären darauf Codewörter gespeichert, mit denen meine Partnerin fremdprogrammiert sei.
Zudem behauptete sie, Malin stamme (von der Seite ihres Stiefvaters) in direkter Blutlinie von einem der Ranghöchsten des Kultes ab. Deshalb habe sie in dieser Gruppe den Status einer Adligen inne. Biologisch nicht möglich, aber sie behauptete das wirklich.
Vollständige Abschottung von der „Außenwelt“
Für eine erfolgreiche Therapie sei daher ein Kontaktabbruch zur gesamten Familie und die nahezu vollständige Abschottung von der „Außenwelt“ notwendig. Dies war sogar Bedingung, um die Therapie bei ihr machen zu können.
Die Wohnung meiner Partnerin müsse komplett abgedunkelt und die Fenster permanent geschlossen gehalten werden, um Licht- und Tonsignalen der Satanisten zu entgehen, die damit eine Programmierung und einen Persönlichkeitswechsel bei Malin auslösen könnten. Zu bestimmten Tagen, die für Satanisten eine besondere Bedeutung hätten, solle sie sich selbst in ihrer Wohnung einschließen oder einschließen lassen.
Skurriles therapeutisches Setting
Die therapeutischen Sitzungen waren teils sehr skurril. Während der Gespräche saß die Therapeutin auf einem Stuhl und Malin auf dem Boden. Auch als sie schwanger war. Um angeblich dunkle Persönlichkeitsanteile meiner Partnerin zum Vorschein zu bringen, fanden einige Therapiesitzungen bei Winterkälte auf dem unbeleuchteten Dachboden einer Co-Therapeutin statt.
In solch einer Atmosphäre würden sich diese Anteile wohler fühlen und zu Gesprächen eher bereit sein. Wie Frau Stegemann zu diesen Überzeugungen gelangte, konnte Malin nicht nachvollziehen.
Angeblich tausende Persönlichkeitsanteile
Wenn sie Zweifel an der Diagnose „dissoziative Identitätsstörung“ äußerte, wurde ihr gesagt, dass diese von täterloyalen Anteilen ihrer gespaltenen Persönlichkeit stammten. Im psychologischen Gutachten war zu lesen, dass die Therapeutin von Tausenden Persönlichkeitsanteilen ausging.
Ablehnung und Infragestellen interpretierte die Therapeutin als typisches Symptom und Bestätigung dafür, dass Malin tatsächlich Opfer von ritueller Gewalt gewesen und möglicherweise immer noch sei. Es gäbe auch Persönlichkeitsanteile, die das Sprechen verhindern würden. Die Therapeutin drängte meine Partnerin dazu, das Geschehene nicht länger zu leugnen und zu akzeptieren. Gleichzeitig baute sie immer mehr Druck auf, von Einzelheiten des rituellen Missbrauchs bei den Satanisten zu berichten.
Abwehr und Negierung = „Bestätigung“
Die Penetranz, mit der Frau Stegemann ihre Spekulationen vorbrachte, und die Vehemenz ihrer Befragungen führten dazu, dass Malin nach und nach ihre Anschauungen übernahm und das erzählte, was ihr Gegenüber hören wollte. Abwehrreaktionen deutete Frau Stegemann als Bestätigung, eine beschleunigte Atmung oder heftiger Herzschlag betrachtete sie als Anzeichen eines Persönlichkeitswechsels, bei dem sich auch die Augenfarbe verändern würde – was medizinisch unmöglich ist.
Die Therapie wird zur persönlichen Katastrophe
Diese völlig inadäquate Behandlung führte bei Malin zu immer stärkeren Ängsten und mehreren körperliche Zusammenbrüchen.
Zur persönlichen Katastrophe wurde die Therapie, als meine Partnerin bei einer Urlaubsreise um den Jahreswechsel 2019/2020 herum schwanger wurde und im September 2020 ihre Tochter zur Welt brachte. Die Therapeutin reagierte darauf mit der Mutmaßung, dass das Kind bei einer Massenvergewaltigung gezeugt worden sei.
Ebenso gab Frau Stegemann an, dass Malin „sehr wahrscheinlich“ bereits früher Kinder geboren hätte, die durch den Kult oder sie selbst geopfert worden seien. Die Täter hätten ein Interesse daran, weitere Kinder zu züchten. Das Attest einer Gynäkologin, welches Malin eine Erstgeburt bescheinigt, wurde von ihr ignoriert.
Vorgeburtlicher Entzug des Sorgerechts
Mit dieser Anschuldigung bewirkte Frau Stegemann bei den Behörden einen vorgeburtlichen Sorgerechtsentzug. Für das Verfahren gab das Amtsgericht die Anfangs erwähnten Gutachten in Auftrag. Beide Gutachterinnen übernahmen ungeprüft die Angaben der Münsteraner Psychotherapeutin.
Die Richterin schloss sich dem „überzeugenden“ (Zitat) psychiatrischen Gutachten „voll umfänglich“ (Zitat) an und ging davon aus, dass „die Fähigkeit der Kindesmutter nicht sicher gegeben ist, durchgängig und ausreichend die Tochter vor dem Zugriff durch die Täterkreise zu schützen“.
Das Attest einer Gynäkologin , das meiner Partnerin eine Erstgeburt bescheinigt, wurde dabei ignoriert. Zum Glück wurden direkte Aussagen von Frau Stegemann im psychologischen Gutachten zitiert, wodurch sich dieser Unsinn leichter nachweisen lässt.
Um bei ihrem Kind bleiben zu können, musste Malin sich gleich nach der Entbindung in die Mutter-Kind-Einrichtung begeben. Mit elf Monaten wurde ihre Tochter dann an eine Pflegefamilie vermittelt. Seitdem hat meine Partnerin nur noch alle drei Wochen, für jeweils zwei Stunden, einen sogenannten Umgangskontakt mit ihrem Kind, welcher nur mit zweifacher Begleitung stattfindet: nämlich der Pflegemutter und zusätzlich einer sozialen Fachkraft.
Ein „Gutachten“ wie aus einem Horrorfilm
Die Kommunikation mit den involvierten Ämtern und Behörden gestaltet sich als sehr schwierig, da diese überwiegend von einer tatsächlichen Gefährdung durch satanische Kulte ausgehen. 2021 strengte Malin ein Beschwerdeverfahren an, das derzeit anhängig ist. Das Beschwerdegericht hat einer erneuten Begutachtung zugestimmt, die neue Gutachterin wurde aber erst im Dezember 2022 bestimmt, wobei das Verfahren bereits seit August 2021 anhängig ist.
Das Gutachten soll bis Ende Mai 2023 fertiggestellt werden, wann der erste Verhandlungstermin ist, ist noch offen.
Das bisherige psychologische Gutachten, das umfangreich die Aussagen der ehemaligen Psychotherapeutin meiner Partnerin zitiert, liest sich für mich wie die Handlung eines Gruselfilms. Ähnliches war in den Akten des Jugendamtes zu finden.
Die damalige Psychotherapeutin berichtete von Massenvergewaltigungen, Menschenopfern, gezüchteten Kindern, Kannibalismus, programmierten Persönlichkeitsanteilen, Mind Control, satanischen Kulten, implantierten GPS-Sendern und mehr. Nicht alles ist schriftlich festgehalten worden, aber doch ein entscheidender Teil ist den Akten zu entnehmen.
Traumatisierung durch Fehlbehandlung
Ich selbst habe nie einen spontanen Identitätswechsel bei meiner Lebensgefährtin oder andere Anzeichen für eine dissoziative Identitätsstörung erlebt.
Anfangs glaubte sie die Diagnosen ihrer Therapeutin vielleicht noch, aber davon ist meinem Eindruck nach nichts mehr geblieben. Dass sie ein Opfer satanischer Kulte sei, hat Malin stets bestritten. Seit Malin nicht mehr bei Frau Stegemann in Therapie ist, hat sie deutliche Fortschritte in ihrer persönlichen Entwicklung gemacht.
Einen objektiven Beweis dafür zu erbringen, dass etwa der angebliche Ortungschip im Oberarm nicht existiert, wäre an sich nicht schwierig. Es würde meine Lebensgefährtin derzeit aber noch zu viel Überwindung kosten, mit so einer seltsamen Bitte an einen Röntgenarzt heranzutreten.
In meinen Augen stellt die Trennung von ihrer Tochter die größte Belastung für Malin dar. Dazu kommt die anhaltende Stigmatisierung und Traumatisierung durch Fehlbehandlung und -begutachtung.
Erschreckende Glaubensbereitschaft
Die Auswirkungen der Verschwörungsideologie vom satanistisch-rituellen Missbrauch sind aus meiner Sicht katastrophal – für die Betroffenen, das Gesundheitssystem und die Justiz. Dass es sich dabei um eine Verschwörungstheorie handelt (die von einem erstaunlich großen Kreis von Anhängern geglaubt wird, bis hin zum Betroffenenrat der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs UBSKM), steht nach intensiven Recherchen für mich außer Frage.
Dass solche offenkundig absurden Überzeugungen auch von anerkannten Therapeutinnen und Therapeuten verbreitet und salonfähig gemacht werden, ist erschreckend. Die Tatsache, dass einer Mutter aufgrund von solchen Verschwörungstheorien das Sorgerecht für ihr Kind entzogen wird, halte ich für einen Skandal.
Keine Fehlerkultur, nirgends
Der Schaden, der bei Malin und ihrer Tochter angerichtet worden ist, lässt sich nicht wieder gutmachen. Obwohl wir verschiedene Stellen angeschrieben haben, ist dort von einer gesunden Fehlerkultur nichts zu merken.
Zum Weiterlesen:
- „Keine Evidenz“: Der Spiegel widerlegt die Narrative der Verschwörungstheorie vom satanisch-rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 10. März 2023
- Spiegel-Reportage „Im Wahn der Therapeuten“, dissoziationen am 12. März 2023
- WTF-Talk über die „Satanic Panic“ jetzt bei Youtube, GWUP-Blog am 5. März 2023