Die „satanisch-rituelle Pädophilie“ werde „unter der Decke gehalten“, sagt der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian Eder in einem Video, das bei seinem Terrorprozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Ende Oktober abgespielt wurde.
„Alle möglichen“ seien beteiligt. „Das ist wirklich bis in die höchsten Kreise.“ Er selbst arbeite gerade daran, das nachzuweisen, heißt es weiter in der Rede, die Eder 2022 vor einer Reservistenkameradschaft in einem Wirtshaus in Bayern gehalten hat.
Ein ähnliches Video ist ausschnittsweise hier zu sehen.
Zumindest eine heute 42-jährige Schweizerin aus dem Kanton Solothurn glaubte dem Mitglied der Reuß-Gruppe diese Phantastereien. Sofia G. brachte 2021 ihren fünfjährigen Sohn Noah zu Eder ins bayerische Eppenschlag, weil sie befürchtete, dass ihr Kind missbraucht werde. Der Ex-Soldat sollte ihr helfen, den Missbrauchsvorwurf (gegen den Vater des Jungen) zu klären.
In einer „persönlichen Erklärung“ vom 28. Dezember 2022 berichtete Eder nicht nur von seinem „Kampf gegen Pädophilisten“, sondern schrieb auch:
Am vergangenen Freitag ist Sofia G. vom Amtsgericht Dorneck-Thierstein (Solothurn) „wegen qualifizierter Entführung und weiterer Delikte zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 17 Monaten und einer bedingten Geldstrafe“ verurteilt worden.
Noah lebt wieder bei seinem Vater, der das alleinige Sorgerecht hat.
Nach Einschätzung der Solothurner Staatsanwaltschaft sei der Aufenthalt bei dem „Reichsbürger“ Maximilian Eder „nicht nur ideologisch, auch hygienisch“ alles andere als kindertauglich gewesen. In der Anklageschrift war die Rede von „besorgniserregenden“ Zuständen. Dem Kindswohl sei die Entführung letztlich „in extremer Weise abträglich“ gewesen.
Das hält Eder durchaus nicht davon ab, sich mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu vergleichen – offenbar in jener Verschwörungsmentalität gefangen, die auch einigen Wortführern der „speziellen Traumatherapeuten-Szene“ zu eigen ist, an die wir unsere Kritik an der Rituelle Gewalt-Mind Control-Theorie (RG-MC) adressieren.
Jüngstes Beispiel ist die Schweizer Psychotherapeutin Hanna Egli-Bernd (die „langjährige Weiterbildungen“ unter anderem bei Michaela Huber angibt).
Egli-Bernd kann anscheinend nicht anders, als Aufklärung über RG-MC als „Feldzug“ und „Gesinnungsterror“ zu labeln, der darauf abziele, „die Glaubwürdigkeit von Missbrauchsopfern zu untergraben und TraumatherapeutInnen zu diskreditieren“.
In einem 62-seitigen „Positionspapier“ über angebliche „Hintergründe zur Medienkampagne („Satanic Panic“) und ihre Konsequenzen“ spricht die Psychologin und Psychotherapeutin sage und schreibe 72-mal von einer „Kampagne“, die irgendwie im Zusammenhang stehen soll mit „Bemühungen zur Entkriminalisierung pädosexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern“.
Da ist er also wieder – der „Täter, Leugner, Bagatellisierer und Zyniker“-Vorwurf, wie Frau Egli-Bernd sich auszudrücken beliebt.
Dabei handelt es sich bei der angeblichen „Kampagne“ um nichts weiter als eine Berichterstattung von Skeptikern und Journalisten, die darauf ausgerichtet ist, Missstände und Gefahren in der therapeutischen Praxis aufzudecken. Therapeutische Ansätze, die keinen wissenschaftlichen Standards entsprechen und sich stattdessen auf Verschwörungstheorien stützen, müssen selbstverständlich kritisch hinterfragt werden.
Dass solche ehrabschneidenden und abstrusen Anschuldigungen, wie zum Beispiel, dass RG-MC-Kritiker „die gesamte Community der TraumatherapeutInnen diskreditieren“ würden, sich bei einem Blick in unsere Publikation
Rituelle Gewalt und Mind Control – Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?
in Luft auflösen, ficht Egli-Bernd wohl nicht weiter an.
Dort (und nicht nur dort) ist durchgängig von einer „kleinen Minderheit“ oder einer bestimmten „Schule von Therapeutinnen“ oder von „kleinen eingeschworenen Kreisen“ die Rede.
Egli-Bernd eskaliert schließlich mit der Behauptung:
Wehe denjenigen, die sich den Medien und dem Narrativ [der RG-MC-Aufklärer] kritisch entgegenstellen.
Tatsächlich ist es genau andersrum. Die verschwörungsgläubige Szene bringt nicht konforme Zweifler wirkungsvoll zum Schweigen. So schreibt Dr. Kai Funkschmidt in unserer Broschüre:
Wer in Deutschland vertraulich mit Psychotherapeuten spricht, macht die gleiche Beobachtung: Viele betrachten das RG-MC-Konstrukt und die Aktivitäten ihrer Kollegen äußerst skeptisch, wollen aber nicht öffentlich die Auseinandersetzung suchen. Hier steht explizit die Angst im Raum, als „Täterschützer“ diffamiert zu werden.
Im Grunde verteidigt Egli-Bernd die Praxis, dass Berichte über „rituelle Gewalt“ und „Mind Control“ von Therapeuten nicht angezweifelt werden dürfen, wenn sie schreibt (Seite 42), es sei „schwer zu sehen, wie einem missbrauchten, traumatisierten Opfer geholfen wird, indem man seine Erinnerungen in Frage stellt“.
Auch das beantwortet Funkschmidt:
Für Therapie gilt das gleiche wie für Seelsorge: Man muss Ratsuchende ernstnehmen. Das ist aber nicht dasselbe wie man muss ihnen alles glauben.
Sinngemäß steht das auch in den „Guidelines for treating dissociative identity disorder in adults, third revision“ (Seite 169) der International Society for the Study of Trauma and Dissociation, die Egli-Bernd in einem weiteren Kommentar zum Thema sogar zitiert.
Darüber hinaus scheint die Psychologin und Psychotherapeutin zu ignorieren, dass Patienten durch die Etablierung und Verfestigung von RG-MC-Narrativen Gefahr laufen, in immer tiefere traumatische Zustände hineingeführt zu werden. Eine therapeutische Beziehung sollte darauf basieren, den Patienten dabei zu helfen, wieder ein Gefühl der Selbstbestimmung zu erlangen.
Diese Art der Behandlung, die auf Annahmen basiert, die weder bewiesen noch als Teil eines evidenzbasierten Ansatzes akzeptiert sind, steht in klarem Widerspruch zu den ethischen Richtlinien der Psychotherapie.
Mehr noch:
Diese Ansätze bergen das Risiko, dass Patienten geschädigt werden, da sie in einer therapeutischen Realität festgehalten werden, die durch spekulative und nicht evidenzbasierte Methoden geprägt ist. Das therapeutische Ziel sollte jedoch stets die bestmögliche Versorgung der Patienten sein, die auf fundierten und ethischen Grundsätzen basiert.
Vollends sonderbar wird das „Positionspapier“ auf Seite 34, wenn Egli-Bernd sich für einen „seriösen und tiefergreifenden Austausch über diese sehr ernste und hochkomplexe Thematik […] mit den Fachpersonen der Psychotraumatologie“ ausspricht.
Das fordern wir schon lange – und mittlerweile sogar auch Peer Briken, der für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller „beteiligten Disziplinen“ plädiert.
Nur geschieht nichts dergleichen. Aggressive Pamphlete zu verfassen, ist dann halt doch bequemer, als mit den Menschen zu reden, die man darin als „mediale Hetzer“ und ähnliches verunglimpft.
Dass schließlich Egli-Bernds Dauerkronzeuge für die „wahren Sachverhalte“ des satanistisch-rituellen Missbrauchs, der US-Politologe Ross Cheit, schon bei einer Erstinformationsquelle wie Wikipedia als voreingenommen erscheint („lässt wichtige Fakten aus“, „ignoriert wissenschaftlich relevante Informationen“), rundet ihre „Hintergrundanalyse“ trefflich ab. Eine nähere Betrachtung zu Ross Cheit gibt’s beim National Center for Reason and Justice.
Aber lassen wir Sofia G. und Hanna Egli-Bernd mal beiseite – denn immer, wenn wir denken, schlimmer geht’s nicht mehr, kommt kla.tv daher.
Nicht nur mit dem dritten Teil der „Blutsekte“-Reihe (diesmal mit „247 Opfern und 135 Zeugen“, die davon erzählen, wie Kinder „vor ihren Augen verwurstet“ worden seien) – sondern auch mit einem „Heilungszeugnis“:
Lebensqualität trotz überlebter satanisch-ritueller Gewalt
Was soll das nun wieder? Wir erkundigten uns bei einem ehemals hochrangigen OCG-Aussteiger:
Bei kla.tv ist gerade der dritte Teil von „Überwindung der Blutsekte“ erschienen. Parallel dazu gibt es bei sasek.TV ein vergleichsweise biederes Interview mit einer gewissen Damaris. Was halten Sie von diesem Video?
In meinen Augen ist das ein reines OCG-Werbevideo. Mit „ritueller Gewalt“ hat das im Grunde nichts zu tun, das ist nur der Aufhänger, um Damaris erzählen zu lassen, wie toll und „rettend“ die OCG doch sei und dass sie durch die OCG wieder Lebensqualität zurückgewonnen habe.
Die körperlichen Beschwerden ihrer angeblichen Traumatisierung, die sie am Anfang beschreibt, wie Muskeln- und Gelenkschmerzen oder Lebensmittelallergien, sind völlig unspezifisch. Menschen, die wirklich sexuell missbraucht wurden als Kind, haben ganz andere, wesentlich dramatischere und lebenseinschränkende Symptome.
Bei Minute 5 sagt Damaris, sie sei bereits seit 20 Jahren in der OCG. Kennen Sie die Dame?
Ich kenne Damaris aus meiner OCG-Zeit. Ich habe sie nie als psychisch auffällig erlebt, und auch durch den „Flurfunk“ nichts davon gehört, dass sie als Kind Missbrauch erlebt hätte. Dabei sind schlimme Kindheitsgeschichten von OCG-Mitgliedern durchaus intern kolportiert worden – natürlich nur, wenn die Kindheit nicht in der OCG verbracht wurde.
Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut daran, als eine langjährige OCGerin vor vielen Jahren bei einer internen Veranstaltung auf der Bühne stand und erzählte, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden war. Das ging mir damals durch und durch. Man hat ihr das auch angemerkt und gespürt, sie wirkte immer wie versteinert, das hatte sich über all die Jahre, die ich sie kannte, auch nie geändert. Damaris wirkte dagegen immer ganz unauffällig.
Sie halten dieses Video also für Fake, zumindest bezogen auf das „Überleben“ von „satanisch-ritueller Gewalt“?
Ja, ich denke, man hat Damaris diese Story übergestülpt. Ich hatte zunächst die Sorge, dass echte Missbrauchsopfer auf dieses Schauspiel hereinfallen könnten und tatsächlich Hilfe in der OCG suchen würden – das wäre für diese Menschen der Super-GAU. Aber dieses Interview ist so offensichtlich Propaganda, dass das wohl zum Glück nicht passieren wird.
Angenommen, der OCG gehen demnächst mal die „Opfer“ und „Zeugen“ für ihre „Blutsekte“-Reihe bei kla.tv aus: Können Sie sich vorstellen, dass man dann an dieses Damaris-Video anknüpft und einfach selbstkreierte „Opfer“ von rituellem Missbrauch präsentiert?
Das kann ich mir auf jeden Fall vorstellen, es gibt sicher genug OCGer, die dazu bereit wären. Als solche „Opfer“ würden sie ja auch in gewisser Weise eine Art Sonderstatus in der OCG einnehmen. Bei der Wahl potentieller Pseudo-Opfer würde man zudem sicher darauf achten, dass es keine Familienangehörigen außerhalb der OCG gibt, die wegen falscher Anschuldigungen dagegen klagen könnten oder die solche Berichte als Fake entlarven könnten.
Das Thema wird uns also weiterhin beschäftigen:
It’s always going to be relevant.
Das sagt Matthew Scott Kane, der Produzent von „Hysteria!“.
Diese achtteilige Serie ist die neueste künstlerische Auseinandersetzung mit der „Satanic Panic“ in den USA der 1980er. Ähnlich wie der Roman „Rainbow Black“ (2024), der Film „Late Night with the Devil“ (2023) und die vierte Staffel von „Stranger Things“ (2022) zeigt auch „Hysteria!“, dass
… die Amerikaner immer noch in Panik sind,
schreibt die New York Times:
Diese Ideen sind immer noch da draußen, und ihre Anhänger sind ebenfalls noch da.
Hierzulande erscheint morgen (Freitag, 15. November) die erste Folge der Podcastreihe „Geteiltes Leid“ mit den renommierten Journalisten Olga Herschel und Sören Musyal. Laut Ankündigung sprechen die beiden in vier Episoden über „die Verschwörungstheorie über rituelle sexualisierte Gewalt und Mind Control in deutschen Psychotherapiepraxen“:
„Geteiltes Leid“ ist ein Psychothriller im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um dubiose Psychotherapeut:innen, umstrittene Diagnosen – und um Familien, die in dieser Gemengelage zu zerbrechen drohen.
Vorab gibt’s ein Interview mit dem Podcast-Produzenten Khesrau Behroz:
Letztlich geht es um die Erzählung von satanischem, rituellem Missbrauch. Populär wurde die in den 80er Jahren in den USA während der sogenannten Satanic Panic. Aber sie besteht bis heute: in krasser Form bei rechtsradikalen Strömung wie QAnon. Oder eben als modernisierte, abgeschwächte Variante – mit neuen Begriffen – in den Köpfen einiger Personen in Psychotherapiepraxen, Krankenhäusern, Hilfezentren und auch der Politik.
Ganz wichtiger Satz:
Letztlich muss es auch darum gehen, das Vertrauen in Psychotherapien allgemein zu stärken. Der Bedarf wächst seit Jahren. Dazu gehört aber auch, Fehlentwicklungen anzusprechen.
Zum Weiterlesen:
- Gerichtsurteil: Mutter entführte Sohn zu Reichsbürgern – kein Landesverweis, srf am 8. November 2024
- Satanic Panic: Was es mit den falschen Erinnerungen auf sich hat, watson am 2. November 2024
- Video: „Spinner oder Terrorist? Die Gruppe um Prinz Reuß und der Aufstand der Wütenden“ vom 22. Mai 2024
- Hunde essende Migranten, Blut trinkende Eliten und die Debatte um rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 29. September 2024
- Ritueller Horror oder Justizirrtum? „Hanebüchenen Schilderungen auch mal Einhalt gebieten“, GWUP-Blog am 3. September 2024
- Kreuzigung und Kannibalismus? Psychologen-Fachverband in der Schweiz positioniert sich gegen RG-MC-Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 22. Juni 2024
- Rituelle Gewalt-Mind Control: Protagonisten fabulieren einen „Generalverdacht“ herbei – wir fordern einen neuen Ansatz, GWUP-Blog am 17. Februar 2024
- Stern-TV: „Rituelle Gewalt“ als Rechtfertigung für den Umsturz, GWUP-Blog am 6. Juni 2024
- Die Verkommenheit der Eliten: Satanic Panic als die „Big Lie“ der deutschen Reichsbürger, GWUP-Blog am 6. April 2024
- Die „Satanic Panic“-Fantasien der Putschisten um Prinz Reuß, GWUP-Blog am 22. Dezember 2023
- Dann vergleicht sich der angeklagte „Reichsbürger“ mit Stauffenberg, welt.de am 22. Oktober 2024
- Wirre Corona-Kritik als Indiz für Putschpläne? LTO am 22. Oktober 2024
- Psychology and the Satanic Ritual Abuse Controversy. A Brief Research Review, skepsis am 3. Februar 2007
- The Satanic Panic That Never Goes Away, New York Times am 27. Oktober 2024