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Das Beste aus drei Welten: Interview mit Lydia Benecke zum „WTF!? – Wissenschaft trifft Freundschaft“-Festival in Leipzig

| 1 Kommentar

Ein neues Wissens-Festival ist geboren.

Nach dem großen Erfolg von „WTF!? – Wissenschaft trifft Freundschaft“ am 3. und 4. Juni in Leipzig soll die Veranstaltung künftig jedes Jahr parallel zum WGT stattfinden.

Einen sechsseitigen Bericht mit vielen Fotos und Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern gibt’s im neuen Skeptiker (2/2022).

Am Rande des Events sprachen wir auch mit der Initiatorin Lydia Benecke.

GWUP: Der letzte Block der Veranstaltung am Samstagabend hieß „Zerteilte Leichen und Nachtmusik“. Kein Wunder, dass die Leipziger Zeitung diesen Claim aufgriff, denn prägnanter kann man das Besondere, die Vielfalt und Skurrilität von „WTF!?“ kaum ausdrücken. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Event?

Lydia Benecke: Beim Wave Gotic Treffen in Leipzig, kurz WGT genannt, bin ich von 2014 bis 2019 in jedem Jahr aufgetreten. Mein guter Freund und „WTF!?“-Co-Präsentator Christian von Aster war sogar 21 Jahre lang fester Bestandteil des Programms.

Bezüglich des ursprünglich geplanten und bis in dieses Jahr verschobenen WGT 2020 wurde uns vonseiten der WGT-Veranstalter mitgeteilt, dass man uns nicht zum WGT buchen würde. Und das, obwohl unsere Vorträge und Lesungen praktisch immer überfüllt waren. Die Hintergründe dieser Absage waren in beiden Fällen unterschiedlich und brauchen wir an dieser Stelle nicht zu vertiefen.

Jedenfalls haben wir daraufhin beschlossen, dass wir trotzdem zu Pfingsten nach Leipzig kommen. Denn zum einen sind wir besonders in dieser Zeit gerne hier, weil man zahllose befreundete und bekannte Menschen aus der schwarzen Szene aus allen Teilen Deutschlands trifft. Und zum anderen wollten wir die Menschen, die beim WGT sind und sich auf uns und unsere speziellen Programmpunkte freuen, nicht enttäuschen.

Deshalb habe ich sehr kurzfristig zusammen mit meinem Management eine Parallelveranstaltung zum WGT organisiert. Das „WTF!?“ ist mein eigenes, privat finanziertes Projekt. Und es hat mich sehr gefreut, dass Christian das Event mit seiner Person und seiner Popularität tatkräftig unterstützt und aktiv mitgestaltet hat.

Zwei, drei Vorträge von Dir und eine Lesung von Christian von Aster hätten es nicht getan?

Als ich mit meinem guten Freund und Manager Jan Diercksen sowie meinem Lebensgefährten Sebastian darüber gesprochen habe, ist die Sache immer mehr gewachsen. Erstens macht es für mich keinen Sinn, eine Location wie den Leipziger Kupfersaal mit Team und Technik nur für ein paar Stunden zu mieten.

Zweitens stehe ich immer schon auf dem Standpunkt: Think Big. Wenn schon, dann sollte das Ganze auch eine große, coole, diverse Nummer mit ganz verschiedenen Themen und Referent:innen werden.

Moderator Christian von Aster (l.) und Initiatorin Lydia Benecke sprechen mit Bernd Harder und Holm Hümmler über Verschwörungstheorien und modernen Geisterglauben.

Was es dann auch geworden ist. Ich zitiere nochmals aus der Leipziger Zeitung: „Diskutiert werden Themen wie Gewalt in Partnerschaften, autoerotische Unfälle, Leichenzerstückelungen sowie die überraschend verschiedenen Motive für Tötungsdelikte allgemein.“ Aber auch klassische skeptische Themen wie Verschwörungstheorien, Ghosthunting, Vampirzeichen und mehr standen auf dem Programm.

Bekanntermaßen bewege ich mich beruflich und privat in sehr unterschiedlichen Bubbles. Da gibt es zum Beispiel die Skeptiker, aber auch die sogenannte schwarze Szene. Diese beiden sozialen Gruppen wirken auf den ersten Blick sehr verschieden, aber ich sehe durchaus ein paar Gemeinsamkeiten.

Hier wie dort treffe ich Menschen, die offen sind für neue Erkenntnisse, Informationen und Erfahrungen. Das erklärt auch, warum mein Freundschafts- und Bekanntschaftskreis eine größere Schnittmenge beider Gruppen aufweist. Aus diesem Grund habe ich bei meinen WGT-Vorträgen stets einen Fokus auf Wissenschaftskommunikation gelegt, etwa zu der Frage, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert und warum die Beurteilung von Straftaten keine Sache des Bauchgefühls ist, sondern einer wissenschaftlichen Methodik folgt.

Die Überlegung vor dem „WTF!?“ war dann einfach die: Was wäre, wenn ich das Beste aus diesen beiden Subkulturen – Skeptiker und schwarze Szene – zusammenbringe und mit meinen Berufs- und Medienthemen Kriminalpsychologie und True Crime verbinde? Das ist im Grunde das, was hier zwei Tage lang passiert ist. Und da ich sehr viele großartige Menschen kenne, war es nicht schwierig, tolle Referentinnen und Referenten zu bekommen.

Auch das Publikum hat die Idee angenommen. Die Altersspanne der Besucher:innen war sehr groß, es waren – erkennbar an der Kleidung – viele Leute aus der schwarzen Subkultur da, aber auch viele nicht aus dem normalen WGT-Umfeld. Ebenfalls erkennbar an der Kleidung.

Der forensische Entologe Marcus Schwarz referierte über verschiedene True-Crime-Themen.

Bei aller Diversität des Programms konnte man allerdings trotzdem einen roten Faden erkennen.

Genau. Ich denke, eine Erkenntnis, die in fast allen Vorträgen rüberkam, ist die, dass der menschliche Verstand so seine Tücken hat. Zum Beispiel was die Realitätswahrnehmung angeht.

Egal ob es um Verschwörungsglauben, Geistererscheinungen, Gewalt in Partnerschaften oder Sagengeschichten rund um den Tod geht: Dass es faszinierende Wahrnehmungsphänomene gibt und Wahrnehmung daher immer subjektiv ist, konnten sicher alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit nach Hause nehmen.

Ich wünsche mir, dass durch die Art und Weise der Wissenschaftspräsentation beim „WTF!?“ die Leute merken, wie vielseitig, alltagsnah und anwendbar wissenschaftliche Erkenntnisse sind. Und dass daraus das Interesse erwächst, sich tiefer damit zu beschäftigen.

Der „Tatortreiniger“ Thomas Kundt.

Im GWUP-Blog wurde gerade das von zwei Kommentatoren in Abrede gestellt, weil der Titel „WTF!?“ falsche Assoziationen wecken und daher unseriös und abschreckend wirken würde.

Sorry, aber das ist die einzige negative Resonanz auf den Veranstaltungsnamen, die ich irgendwo gehört oder gelesen habe. Entstanden ist der Name, als wir in Köln zusammensaßen, mit Menschen, die nichts mit Skeptizismus oder Gothic-Kultur zu tun haben, und uns fragten, wie wir das Festival denn nennen könnten.

Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation sollten im Vordergrund stehen, aber auch Begegnung und Freundschaft, und das Ganze zeitgleich mit dem WGT. Zwei Freunde kreierten dann das Kürzel „WTF!?“. Das ist cool und jeder fragt sich erst mal, was es bedeuten soll.

Aus Marketingsicht also ideal. Immerhin ist das Event ein voller Erfolg geworden.

Die „Friedhofsflüsterin“ Anja Kretschmer.

Wie geht es damit weiter? Wäre es nicht möglicherweise doch anzustreben, dieses Wissenschaftsfestival offiziell ins WGT zu integrieren?

Das WGT ist natürlich eine phantastische Veranstaltung, aber das, was wir dieses Jahr hier im Kupfersaal auf die Beine gestellt haben, ein zweitägiges intensives Parallelprogramm – das gab es meines Wissens noch nie in dieser Form.

Der Grundgedanke war ja, weit über das hinauszugehen, was Christian und ich sonst beim WGT gemacht haben. Und wie großartig das geklappt hat, beeindruckt mich selbst total. Immerhin hatten wir nur drei Wochen Zeit für die Homepage, Ankündigung, Werbung, Pressearbeit und den Vorverkauf. Trotzdem haben wir es einfach mal ausprobiert. Mit einem deutlich größeren Vorlauf im nächsten Jahr bin ich sehr sicher, dass wir noch mehr Menschen dafür begeistern können. Auch die günstigen Eintrittspreise werden wir versuchen, beizubehalten.

Es geht nicht darum, mit dem „WTF!?“ etwas zu verdienen, sondern nur die Kosten zu decken. Das ist derzeit der Plan für 2023.

Lydia Benecke und Skeptiker-Chefreporter Bernd Harder.

Nicht nur wegen der Kosten ist es vermutlich illusorisch, ein solches Wissens-Festival in dieser oder ähnlicher Form zum Beispiel auf Regionalgruppen-Ebene zu organisieren?

Ohne Kontakte zur Veranstaltungsbranche ist so etwas in der Tat kaum zu stemmen. Aber was jede GWUP-Regionalgruppe oder Skeptiker-Stammtisch auf die Beine stellen kann, ist ein Skeptics in the Pub-Vortrag. Davon sollte es viel mehr geben. Da spielt der finanzielle Aspekt praktisch keine Rolle und über Social Media kann man eine große und vor allem auch jüngere Zielgruppe gut erreichen.

Der aktuelle Skeptiker kann hier bestellt werden.

Zum Weiterlesen:

  • WTF!? – Wissenschaft trifft Freundschaft, Skeptiker 2/2022
  • WTF? WTF! Warum beim WGT 2022 für Lydia Benecke einiges anders läuft, Leipziger Zeitung am 1. Juni 2022
  • Kriminalpsychologin Lydia Benecke im Interview: „Kaum ein Thema erzeugt so schnell und heftig Emotionen wie Verbrechen“, Leipziger Zeitung am 2. Juni 2022
  • Kriminelles, Sexuelles, Geister, Vampire, Verschwörungen: Das Wissenschafts-Event am Pfingst-Wochenende in Leipzig, GWUP-Blog am 15. Mai 2022

Ein Kommentar

  1. Wissenschaft / Kommunikation – Wissenschaftsfeindlichkeit

    https://youtu.be/7GRUwrULtVw

    Mir scheint, es gibt immerhin einen festen denkbaren Punkt, an dem das fanatische und blinde Zutrauen in zweifelhafte „Alternativ“-Methoden brechen würde, und das könnte so aussehen:

    Ein heftig schwurbelnder Liebhaber von Jebsenganser samt Engelsvibrationen verletzt sich bzw hat einen Krankheitsausbruch mit akuten arg niederträchtigen Schmerzen. Wimmernd wird er in so ein typisches Mainstream-Krankenhaus eingeliefert, bettelnd nach schneller fachlich-kompetenter Behandlung, wenn – Hauptsache – nur bald die Schmerzen vergehen mögen.

    Zügig wird er auf seinem Bett heulend in den OP-Bereich eingerollt, wo – zu seiner lauthals seufzenden Erleichterung – bereits das Team in der professionellen Aufmachung bereitsteht, die OP-Maske auf dem Gesicht, die den Schwurbelfreund an dieser Stelle erstaunlich wenig erregt. Mit ruhiger, vertrauenerweckender Stimme begrüßt der Chefarzt den neuen Patienten, seine OP-Bekleidung ausziehend, seine Maske abnehmend und das OP-Besteck beiseitelegend: „Lieber Freund, wir alle hier im OP-Team sind uns der Fehler unserer Vergangenheit bewusst geworden, wir sind wach geworden, bereit zum Ausbrechen aus starren Denkmustern, uns öffnend für die Energien, die der Himmel uns bereit hält. So werde ich mich nunmehr mitsamt dem Team auf den Weg machen zu gewissen keltischen Heilsteinen im Wald und von dort aus tüchtig Heilstrahlen herübersenden, die Ihr Leiden beenden werden, wenn es denn der Erzengel Metatron so wünschet…“.

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