Aufgeschreckt haben der Spiegel-Artikel über „Satanic Panic“ und das darauffolgende Interview mit Andreas Hahn die Szene durchaus.
Aber noch überwiegen dort heftige Abwehrreflexe, verbunden mit der Flucht in die immergleichen Narrative und unbelegten Behauptungen.
Eine aktuelle Stellungnahme der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) zeigt, dass dieses Gremium nicht einmal verstanden hat, worum es in der Debatte überhaupt geht und was die Kritiker der „Rituelle Gewalt-Mind-Control“-Theorie eigentlich sagen.
Selbstdefinierte Betroffene bekommen nach wie vor unkritische Medienpräsenz (zum Beispiel bei Terra XPlore), wo sie ohne jede Nachfrage die Beweiserbringung einfach weglächeln …
… objektiv unmögliche Behauptungen aufstellen …
… und dafür den üblichen Beifall aus ihrer Bubble bekommen:
Nein, das ist eben nicht möglich.
Was eine „simple Internetrecherche“ erbringt, ist, dass „sich bei 15 Prozent der weißen Bevölkerung zu einem späteren Zeitpunkt im Leben allmählich die Augenfarbe verändert“.
Mit der Betonung auf „zu einem späteren Zeitpunkt“ und „allmählich“ – aber nicht spontan, wenn eine Person „von einem Zustand, von einer Identität zur anderen switcht“ (so der Psychologe und Moderator Leon Windscheid wörtlich bei Terra XPlore).
Bei Debunking SRA liest man dazu faktenbasiert:
Auch mir hat man bereits unterschiedliche Augenfarben nachgesagt, was aber einem Trugschluss geschuldet war. Um meine grüne Iris befindet sich ein blauer Kreis. Je nach Lichteinwirkung sind meine Augen rein optisch (also nicht tatsächlich) mal grasgrün und mal strahlend blau.
Und schließlich taucht auch bei Terra XPlore wieder das altbekannte Problem auf, das kaum jemand in der „Satanic Panic“-Szene wahrhaben will:
Ganz wild wird es dann, wenn selbstdefinierte Betroffene (als „Beweis“ dafür haben wir Skeptiker gefälligst ein hingeknalltes „Ich bin/wir sind Betroffene! Punkt.“ zu akzeptieren) die Wissenschaft bemühen – indem sie zum Beispiel das „Lost in the Mall“-Grundlagenexperiment von Elizabeth Loftus kurzerhand für widerlegt erklären, weil eine spätere Studie „Fehler in der Originalstudie aufdeckte“.
Und?
Was Luni von DIS-obey dabei vergisst zu erwähnen, sind die zahlreichen Replikationen, die Loftus immer wieder bestätigt haben.
Die aktuellste Arbeit ist gerade erst erschienen (April 2023):
Diese neue Studie geht sogar explizit auf die methodischen Schwächen der „Lost in a Shopping Mall“-Vorlage ein und korrigiert diese, etwa durch eine Verfünffachung der Stichprobengröße und die Vorabregistrierung detaillierter Analysepläne.
Trotzdem konnte im Wesentlichen das Ergebnis bestätigt werden, dass Personen durch Suggestion davon überzeugt werden können, sich als Kind in einem Einkaufszentrum verlaufen zu haben. Und dass diese Suggestionen für die Betroffenen absolut real und überzeugend erscheinen.
Auch Psychologie Heute berichtet in der Mai-Ausgabe über Falscherinnerungen:
Der Artikel hebt nicht nur die Erkenntnisse der Gedächtnisforschung hervor („Im Durchschnitt gelingt es Forschenden, 30 Prozent ihrer Versuchspersonen falsche Erinnerungen einzupflanzen, weitere 23 Prozent glauben die suggerierte Vergangenheit wenigstens ein Stück weit.“), sondern stellt auch die richtige und wichtige Frage,
… warum Therapeutinnen manchmal auch dann insistieren, wenn Klientinnen abstreiten, missbraucht worden zu sein?
Also genau das, was Malin Weber und andere junge Frauen erlebt haben. Der Bericht eines männlichen Traumapatienten findet sich auf der Webseite von psychologie-heute.
In einem ergänzenden Interview erklärt der Psychiater und Psychotraumatologe Ulrich Sasse:
Natürlich findet in der Realität gravierender Missbrauch statt, ohne Frage. Grundsätzlich vermittele ich als Therapeut aber immer: Was in einer Therapie auftaucht, ist nicht unbedingt die Wahrheit. Sie müssen skeptisch bleiben.
Vielleicht ist das, was auftaucht, auch einfach ein sinnstiftendes Konstrukt. Es bügelt kognitive und emotionale Dissonanzen aus, innere Widersprüchlichkeiten, lässt also alles pausibel erscheinen.
Davon ist die „Satanic Panic“-Szene noch weit entfernt.
Zum Weiterlesen:
- False Memory: Eingeredeter Missbrauch? psychologie-heute am 7. April 2023
- DIS-obey und die rituelle Gewalt, dissoziationen am 5. April 2023
- „Science-Fiction und magisches Denken“: ein Psychiater über die Verschwörungsideologie vom satanisch-rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 29. März 2023
- „Die Projektion des absolut Bösen“: Spiegel-Interview über satanistisch-rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 1. April 2023
- Erinnerung und Trauma: War da was? Zeit+ am 1. April 2023
- A Small Town Became the Center of a QAnon Storm. It’s Fighting Back, wired am 12. April 2023