gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

10. Juli 2023
von Bernd Harder
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Alternativmedizin bei Hund, Katze, Pferd = Tiermisshandlung

Der Einsatz von Alternativmedizin bei Tieren kommt oft einer Tiermisshandlung gleich,

schreibt Edzard Ernst in seiner aktuellen Welt+-Kolumne:

Die Alternativmedizin bei Tieren sei noch schlechter belegt als beim Menschen.

  • In einer systematischen Zusammenfassung vom Herbst 2021 wurde die Wirksamkeit von 24 alternativmedizinischen Verfahren bewertet, die bei Katzen, Hunden und Pferden häufig eingesetzt werden.

Nur für neun Therapien waren überhaupt vereinzelte Forschungsunterlagen verfügbar. Für die Mehrzahl der Therapien wurden keine relevanten wissenschaftlichen Artikel gefunden. Dort, wo positive Ergebnisse berichtet wurden, konnten sie in unabhängigen Untersuchungen nicht repliziert werden. Viele der Artikel befanden sich auf den unteren Ebenen der Evidenzpyramide.

  • Auch eine Meta-Analyse von neun Untersuchungen kommt zu dem Schluss, dass es nur sehr begrenzte Evidenz dafür gibt, dass klinische Interventionen bei Tieren mit homöopathischen Mitteln von Placebo-Interventionen unterschieden werden können.
  • Bei der Akupunktur sieht es nicht viel anders aus.

Eine systematische Zusammenfassung von 14 randomisierten kontrollierten und 17 nicht-randomisierten kontrollierten Studien kommt zu dem Schluss, dass es keine belastbare Evidenz gibt, die den Einsatz der Akupunktur bei irgendeiner Erkrankung von Haustieren rechtfertigen würde.

  • Auch gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass chiropraktische oder osteopathische Wirbelsäulenmanipulationen bei Tieren wirksam sein könnten.

Eine Betrachtung manueller Therapien zur Behandlung akuter oder chronischer Schmerzsyndrome bei Pferden ergab, dass aussagekräftige Studien hierzu fehlen.

Fazit:

Das bedeutet, dass alternativmedizinisch behandelte Tiere häufig unnötig leiden müssen, wenn nicht die jeweils optimal wirksame Therapie eingesetzt wird.

Zum Weiterlesen:

  • Bei Tieren kommt Homöopathie oft einer Misshandlung gleich, welt+ am 10. Juli 2023
  • Video: „Terra X Lesch und Co“ über Tierhomöopathie, GWUP-Blog am 27. Oktober 2019
  • Einwand: Tierhomöopathie funktioniert aber doch! INH am 4. Juli 2016
  • Homöopedia: „Tierhomöopathie“
  • Globuli können Antibiotika im Kuhstall ersetzen? Nonsens, GWUP-Blog am 10. November 2016
  • Homöopathie bei Tieren: Warten, bis die Zeit vergeht, GWUP-Blog am 14. Oktober 2016
  • Video: „Pseudomedizin und Esoterik in der Tierarztpraxis“ bei Skeptics in the Pub Köln, GWUP-Blog am 24. Januar 2021

6. Juli 2023
von Bernd Harder
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„False Memories“ im Podcast Grams‘ Sprechstunde

Prof. Frank Urbaniok zu Gast beim Podcast Grams‘ Sprechstunde:

False-memory-Syndrom: Gedanken im Nachhinein konstruieren

Neben den realen Fällen von Missbrauch tritt aber auch immer wieder ein problematisches Phänomen in diesem Prozess der Aufarbeitung auf: das sogenannte False-memory-Syndrom.

Damit werden Erinnerungen an Ereignisse beschrieben, die so in der Realität nie stattgefunden haben. Sie werden von den Betroffenen aus verschiedenen Gründen erst im Nachhinein gedanklich konstruiert. Die so entstehenden Erinnerungen können dann zu falschen Vorwürfen gegen enge Familienangehörige führen und haben oft unüberwindbare Bruchlinien in den Familien zur Folge.

Auch für das Sexualstrafrecht sind false memories aufgrund der oft strafrechtlich relevanten Vorwürfe von Bedeutung.

Hier geht’s zur Folge (zirka 40 Minuten).

Zum Weiterlesen:

  • False-memory-Syndrom: Gedanken im Nachhinein konstruieren, Grams‘ Sprechstunde am 6. Juli 2023
  • Satanic Panic: „Systematische Fehlinformationen“ von hochoffizieller Stelle verhindern die kritische Aufarbeitung, GWUP-Blog am 9. Juni 2023
  • Nicht wiedergutzumachender Schaden: Unser Gespräch mit dem Opfer einer „Satanic Panic“-Fehlbehandlung aus der aktuellen Spiegel-Story, GWUP-Blog am 12. März 2023
  • „Satanistisch-ritueller“ Missbrauch: Die Beweisfrage wird einfach weggelächelt, GWUP-Blog am 14. April 2023
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: Eine Verschwörungsideologie bedroht wissenschaftlich fundierte Standards, GWUP-Blog am 30. Mai 2023
  • Video: „Die dunkle Seite der Psychologie“ von Frank Urbaniok
  • Video: „Satanic Panic“ mit Frank Urbaniok im WTF-Talk

5. Juli 2023
von Bernd Harder
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Wieder ein Ufo-Whistleblower, Raumschiffe und tote Aliens

Endlich ein Ufo-Whistleblower mit höherer Glaubwürdigkeit als Robert Lazar und seine Area 51-Märchen?

Immerhin ist der 36 Jahre alte David Grusch tatsächlich Physiker und dekorierter Air Force-Offizier sowie ehemaliger Mitarbeiter der Militärgeheimdienste National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) und National Reconnaissance Office (NRO).

Am 5. Juni berichtete die Website The Debrief (die nach Eigendarstellung wohl im Bereich „Grenzwissenschaften“ angesiedelt ist) ausführlich über Gruschs Enthüllungen, wonach die US-Regierung „seit Jahrzehnten bis heute“ intakte und teilweise intakte Raumschiffe nichtmenschlichen Ursprungs geborgen habe, „ob außerirdischer oder unbekannter Herkunft“.

Eine deutsche Übersetzung des Artikels findet sich bei grenzWissenchaft.aktuell.

In einem Gespräch mit dem Kabelsender News Nation wiederholte Grusch eine Woche später seine Aussagen:

Auch dieses Interview hat grewi übersetzt:

Sie sagen, die USA haben intakte Raumschiffe?“

Grusch: Ja, das haben wir.

Haben wir auch Körper, Körper nicht-menschlicher Spezies?

Nun, wenn man etwas sicherstellt, das entweder gelandet oder abgestürzt ist, so findet man manchmal auch tote Piloten. Und glauben Sie es oder auch nicht, so fantastisch das auch klingt, aber es ist wahr.

Haben Sie selbst Raumschiffe gesehen?

Ich selbst habe einige interessante Fotos gesehen und habe einige sehr interessante Berichte gelesen.

Und das ist auch schon wieder die Crux an der Geschichte:

Gleichwohl David Grusch einwandfreie Referenzen und Renommee besitzen mag, hatte er selbst nie mit dem angeblichen Bergungsprogramm, den abgestürzten Flugobjekten, deren Technologie und Piloten zu tun.

The only problem is, there’s nothing backing it up,

kommentiert denn auch The Atlantic.

Grusch beruft sich im Wesentlichen auf „detaillierte Informationen“ einer Reihe hochrangiger aktueller und ehemaliger Beamter, „die ich teilweise aus meiner Dienstzeit kannte“. Der ehemalige NGA-/NRO-Mitarbeiter will dem US-Kongress hunderte Seiten Verschlusssachen und andere Daten über die Geheimprogramme zur Verfügung gestellt haben – allerdings keine physischen Beweise wie extraterrestrisches Material.

Entsprechend fallen die Reaktionen auf die vermeintliche Sensation aus.

Auf der Homepage der Boston University erklärt der Ingenieurs-Professor Joshua Semeter, Mitglied im NASA’s UAP independent study team:

Ohne materielle Beweise befinden wir uns bei der Beurteilung auch hier wieder in einer Sackgasse. In der langen Geschichte der Behauptungen über außerirdische Besucher scheint dieses Maß an Spezifität immer zu fehlen.

Beim Webportal Big Think schreibt der Astrophysiker Adam Frank:

Bei all dem Aufruhr rund um die Whistleblower-Geschichte handelt es sich nur um Hörensagen. Ein Mann sagt, er kenne einen Mann, der einen anderen kennt, der von einem Mann gehört hat, dass die Regierung außerirdische Raumschiffe hat. Hier gibt es keine Beweise, die ein Wissenschaftler wie ich nutzen könnte, um tatsächlich etwas zu bestimmen.

Nichtsdestotrotz ist eine Anhörung „on whistleblower’s UFO claims“ im Repräsentantenhaus geplant.

Was dabei vermutlich nicht zur Sprache kommen wird, sind David Gruschs Verbindungen zur Szene der Ufo- und Para-Gläubigen, die der New York Post-Journalist Steven Greenstreet dieser Tage bei Twitter aufdeckte.

Demzufolge sind einige von Gruschs „Quellen“ im Umfeld der ominösen Skinwalker-Ranch in Utah zu verorten, die der exzentrische Geschäftsmann Robert Bigelow 1996 erwarb und die ein Tummelplatz für zahllose übersinnliche, ufologische und kryptozoologische Manifestationen sein soll.

Bigelow firmiert auch als Gründer des National Institute for Discovery Science (NIDSci), einer Art hochtechnisierter Geisterjäger-Organisation, und ist „absolutely convinced that extraterrestrial life exists and that extraterrestrials have visited Earth“.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist David Grusch für die Experten von ufo-info nur „ein weiterer Ufo-Whistleblower“. Die gesamte Geschichte klinge weder glaubwürdig noch mache sie Sinn.

In der Tat erweckt derzeit keine irdische Technologie den Anschein, als sei sie im Rahmen eines „Reverse-Engineering“-Programms anhand weit überlegener außerirdischer Flugobjekte entwickelt worden.

Schließlich bringen verschiedene Medien, wie etwa die New York Times und Die Welt, noch die Option einer gezielten Täuschung ins Spiel. Um mehr Geld für die Militärfinanzierung zu bekommen. Oder um Geheimwaffen-Tests zu verschleiern.

Auch das ist möglich.

Zum Weiterlesen:

  • Intelligence Officials Say U.S. Has Retrieved Craft of Non-Human Origin, The Debrief am 5. Juni 2023
  • Geheimdienstmitarbeiter erklären öffentlich, die USA hätten Flugzeuge nichtmenschlichen Ursprungs geborgen, grenzwissenschaft-aktuell am 5. Juni 2023
  • Zusammenfassung des TV-Interviews mit UFO-Whistleblower David Grusch, grenzwissenschaft-aktuell am 12. Juni 2023
  • US-Senator Rubio: „Es gibt weitere, hochrangige und direkte Zeugen für UFO-Bergungsprogramme der US-Regierung“, grenzwissenschaft-aktuell am 27. Juni 2023
  • Horten die USA Reste von Ufos? Ein Faktencheck, derStandard am 19. Juni 2023
  • Ufos im Besitz des Pentagon? Das Geheimnis des David Grusch, welt+ am 15. Juni 2023
  • Nur ein weiterer Ufo-Whistleblower, ufo-info am 29. Juni 2023
  • Crazy UFO-believing Pentagon bosses missed spy craft for years, nypost am 21. März 2023
  • Is A Utah Ranch The Strangest Place On Earth? rense.com am 10. August 1998
  • Bigelow’s Aerospace and Saucer Emporium, Skeptical Inquirer Volume 33, No. 4, July/August 2009
  • Claims About a Government “UFO Program”: How Much is True? skeptic May 2020
  • Die bizarre Geschichte der Skinwalker-Ranch, watson am 2. August 2019

5. Juli 2023
von Bernd Harder
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SkepKon-Video: „Coaching auf Abwegen“ mit Uwe Kanning

Neues SkepKon-Video:

Wider aller Vernunft – Coaching/HRM auf Abwegen

mit Uwe Peter Kanning:

Wer sich auf die Suche nach absurden Methoden der Weiterbildung begibt, wird im Bereich des Coachings sehr schnell fündig.

Manche Methoden – wie Timeline – setzen allein auf das Prinzip Glauben, wenn sie beispielsweise Führungskräfte in ein früheres Leben zurückführen, um deren beruflichen Probleme zu lösen. Alternativen – wie etwa Symbolon – kokettieren mit der Psychoanalyse. Wieder anderen geben sich zumindest den Anschein von Wissenschaftlichkeit, indem sie entweder nebulös auf die moderne Hirnforschung verweisen oder methodisch fragwürdige Studien zitieren.

Am Beispiel ausgewählter Methoden werden unterschiedliche Vermarktungsstrategie absurder Coachingansätze vorgestellt, um damit ein Stück weit die Frage zu beantworten, warum Menschen und Unternehmen für solch fragwürdige Dienstleistungen Geld ausgeben.

Zum Weiterlesen:

  • Uwe Peter Kanning: Wider alle Vernunft – Coaching und HR-Management auf Abwegen. Pabst 2023, 348 Seiten, 30 €
  • Das war die SkepKon 2023, hpd am 30. Mai 2023

4. Juli 2023
von Bernd Harder
7 Kommentare

Homöopathikum Neurexan: Nutzen laut GPSP „nicht durch klinische Studien belegt“

„Kompletter Müll“, „für die Katz“, „so ein Quatsch“:

Das sind nur drei Kommentare, die Janos Hegedüs in seinem neuen Video für diverse Homöopathie-Studien übrig hat, mit denen Globuli-Anbieter eifrig werben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Heel-Marketing für Neurexan:

Wie schon im April kommt die Publikation Gute Pillen – schlechte Pillen zu dem Ergebnis, dass die Werbung für das Entspannungsmittel „irreführend“ sei:

Der Nutzen des Präparats ist unseres Erachtens nicht durch klinische Studien belegt.

Zum Weiterlesen:

  • Neurexan: Weniger Stress, besserer Schlaf? GPSP am 27. Juni 2023
  • Homöopathie: „Irreführende Werbung“ für Neurexan? GWUP-Blog am 27. April 2023
  • Video: „Die Homöopathie steht nicht zur Debatte“ – Blattkritik mit Dr. Janos Hegedüs, GWUP-Blog am 3. Juli 2023
  • Schweiz: Homöopathische Behandlungen stark rückläufig, GWUP-Blog am 28. Juni 2023
  • INH: Systematische Reviews zur Homöopathie

3. Juli 2023
von Bernd Harder
9 Kommentare

Video: „Die Homöopathie steht nicht zur Debatte“ – Blattkritik mit Dr. Janos Hegedüs

DHU-Propaganda als Beilage in der Medizinfachpresse:

In dieser Broschüre werden viele Versprechen gemacht… Aber ihr könnt euch sicherlich schon denken, ob die den Lesern aufgedrängten Informationen tatsächlich nützlich und vor allem überprüfbar korrekt sind. Lasst uns also zusammen reinblättern.

Zum Weiterlesen:

  • Schweiz: Homöopathische Behandlungen stark rückläufig, GWUP-Blog am 28. Juni 2023
  • Pharmaziestudierende lehnen Homöopathie „entschieden“ ab, GWUP-Blog am 25. Mai 2023
  • INH: Systematische Reviews zur Homöopathie

2. Juli 2023
von Bernd Harder
2 Kommentare

Aluminium und tin foil hats: Sachsens Umweltminister beantwortet Chemtrail-Anfrage

Die Antworten der Politik auf Anfragen zum Thema „Chemtrails“ ähneln sich seit Jahren auf europäischer

… als auch auf nationaler Ebene:

Wie unser Kommentator Hendrik Endres am 24. Juni schrieb, hat nun auch die sächsische Landesregierung die Parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Sebastian Wippel zum Thema „Chemtrails“ beantwortet.

Nein, der Staatsregierung liegen dazu keine gesicherten Erkenntnisse oder Hinweise vor. Ebenfalls ist nicht bekannt, ob … Und so weiter, und so fort.

Zwei vom Standard abweichende Aperçus erlaubt sich der sächsische Umweltminister Wolfram Günther dann aber doch:

Es wird nicht ganz klar, was das bedeuten soll – möglicherweise hält Günther „Chemtrails“ für so etwas wie den Heiligen Gral der Verschwörungstheoretiker.

Und:

Offenbar betrachtet Günther „Chemtrail“-Gläubige als Aluhutträger – was ihm natürlich freisteht und was man in einem hochoffiziellen Regierungsschreiben durchaus originell finden kann.

Allerdings hätte man in dem Brief auch noch ein paar Fakten klarer herausarbeiten können – kritisiert Jörg Lorenz, der die Seite Chemtrail-Fragen betreibt, bei t-online.

Etwa, dass die Bodenkonzentrationen von Barium, Strontium und Aluminium nichts über etwaige „Chemtrails“ hoch am Himmel aussagen. Genau dort aber haben Messungen des Instituts für Physik der Atmosphäre „keinerlei Hinweise“ auf die behaupteten „Chemtrail“-Komponenten ergeben.

Lorenz:

Zum Weiterlesen:

  • Parlamentarische Anfrage: Gibt es in Sachsen Chemtrails? GWUP-Blog am 14. Mai 2023
  • Grünen-Minister verulkt AfD für Chemtrail-Anfrage, t-online am 25. Juni 2023
  • Atemluft, Regenwasser: Alles ist durch Chemtrails verseucht, sagen die Behörden – nicht, GWUP-Blog am 23. November 2016
  • Video: „Cloud Seeding“ hat nichts mit Chemtrails zu tun, GWUP-Blog am 1. Juli 2023
  • Geoengineering und Chemtrails: Interview mit Jörg Lorenz, GWUP-Blog am 12. Juli 2017
  • Dunkle Mächte, verdorbene Eliten – was ist dran an den Verschwörungstheorien? prima-magazin am 1. Juli 2023

2. Juli 2023
von Bernd Harder
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Ist Religiosität ein Treiber für Verschwörungsaffinität?

Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach:

Verschwörungstheorien erfüllen für Individuen und Gemeinschaften Funktionen, die denen der Religion „doch relativ ähnlich sind“, erklärt Prof. Michael Butter, etwa Sinngebung, die Einteilung der Welt in Gut und Böse und die Bewältigung von existenziellen Krisen.

Ergo sollte es eigentlich einen messbaren Zusammenhang zwischen dem Glauben an Religion und der Affinität zu Verschwörungstheorien geben.

Doch ganz so trivial ist es nicht. Offenbar kommt es auf die Form des Glaubens beziehungsweise die religiöse Praxis an:

Eine nur privat gelebte Religiosität hat eine Nähe zur Vorstellung von verborgenen Mächten und damit zum Verschwörungsdenken. Dort, wo Religion auch eine soziale Praxis hat, ist sie davor gefeit.

Wird der eigene Glaube als die einzig akzeptable Religion gesehen und andere Religionen abgewertet, findet sich bei diesen Menschen ein ausgeprägter Glaube an verborgene Mächte, die das Weltgeschehen steuern.

Und schließlich findet sich auch dort eine Nähe zum Verschwörungsdenken, wo das Gottesbild von Angst, Strafe und Schuldzuweisungen geprägt ist,

schreibt Andreas Hahn in seinem Buch „Entschwörung“ unter Berufung auf den Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster.

Tatsächlich hatte die Münsteraner Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand 2020 eine umfangreiche Online-Studie durchgeführt, die zeigte, dass

… diejenigen, die sich dem freikirchlich-evangelikalen Spektrum zuordneten, als besonders empfänglich für verschwörungstheoretische Ideen erwiesen haben. Die Zugehörigkeit zur katholischen oder zur evangelischen Kirche scheint hingegen die Abwehr gegenüber Verschwörungstheorien zu stärken.

Das heißt:

Ein exklusiver religiöser Glaube, der von einer „wir“ versus „die anderen“ (Othering)-Mentalität geprägt sei, scheine demzufolge ebenso wie Aberglaube und eine esoterische Tendenz eher zu einer Offenheit gegenüber Verschwörungserzählungen zu führen, als ein pluralistischer, toleranter Glaube, der auch für nicht-Mitglieder offen ist.

Auch andere Arbeiten als die von Hillenbrand/Pollack erbrachten, dass fundamentalistische oder alternative Religiosität positiv mit Verschwörungsglauben korreliert, während die in der Forschung etablierte Skala für Religiosität nicht oder sogar negativ damit in Zusammenhang steht (daneben existieren aber auch Studien mit dem Befund, dass Religiosität durchaus positiv mit Verschwörungsdenken korreliert, zum Beispiel hier oder hier – es gibt also unterschiedliche Erkenntnisse dazu).

Dass Menschen, die schlechter mit Unsicherheiten umgehen können, sich einerseits von eher fundamentalistisch-dogmatischen Glaubensrichtungen angezogen fühlen, aber auch gleichzeitig von Verschwörungsmentalitäten, sieht man zum Beispiel an der OCG und ihrem verschwörungsreligiösen „Sasekismus“.

Forscher am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Zürich fanden 2022 heraus, dass Religiosität per se kein signifikanter Treiber für Verschwörungsaffinität sei:

Es ist davon auszugehen, dass eine stärkere institutionell geprägte Religiosität die Verschwörungsaffinität nicht signifikant erhöht, da diese gesellschaftlichen und institutionell etablierten Strukturen bereits Halt in Krisenphasen geben.

Was allerdings die Affinität gegenüber Verschwörungsmythen massiv befördere, sei Spiritualität (definiert als Weltanschauung, die geprägt ist von der Annahme eines ganzheitlichen und lebendigen Kosmos und dem Gefühl eines spirituellen Selbst, das losgelöst von bestimmten religiösen Traditionen existiert).

Die Autoren schließen daraus, dass

… in säkularisierten Gesellschaften Spiritualität ohne die Einbindung in traditionelle religiöse Gemeinschaften mit einer verstärkten Offenheit für Verschwörungsmythen als Ersatzreligion einhergeht.

Mit „Conspirituality“ gibt es sogar bereits einen Neologismus für dieses neue Glaubenssystem.

Auch der Mainzer Sozialpsychologe Dr. Marius Frenken betont in einem Gespräch mit unserem Blog den starken Einfluss von Spiritualität auf den Glauben an Verschwörungstheorien. Was dagegen die Verbindung zwischen Religion und Verschwörungstheorien angeht, weist Frenken neben einem fundamentalistischen beziehungsweise alternativen Glauben auf einen weiteren bedeutsamen Faktor hin: die politische Überzeugung.

In seiner Studie „On the Relation Between Religiosity and the Endorsement of Conspiracy Theories: The Role of Political Orientation“ arbeitet der Sozialpsychologe heraus, dass eine Weltsicht, die zugleich religiös als auch politisch-ideologisch geprägt ist, die Affinität für Verschwörungstheorien erhöht.

Das bestätigt eine aktuelle Analyse aus den USA:

Je stärker die religiös-politische Identität eines Menschen ausgeprägt ist, desto hervorstechender ist auch der Glaube an Verschwörungen im eigenen Land – allerdings abhängig von nationalen Kontexten. Das betrifft zum Beispiel die christlichen Nationalisten in den USA.

Obgleich es auch in Deutschland rechte Christen gibt, sieht die Studie von Frenken hierzulande nur sehr geringe Wechselbeziehungen zwischen Religiosität, Verschwörungsmentalität und politischer Orientierung.

Zum Weiterlesen:

  • Verschwörung als Ersatzreligion? Religiosität, Spiritualität und Verschwörungsaffinität in Zeiten gesellschaftlicher Krisen, Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik am 29. November 2022
  • On the Relation Between Religiosity and the Endorsement of Conspiracy Theories: The Role of Political Orientation, Political Psychology am 11. April 2022
  • Christ, Country, and Conspiracies? Christian Nationalism, Biblical Literalism, and Belief in Conspiracy Theories, Journal for the Scientific Study of Religion am 8. Mai 2023
  • Andreas Hahn: Entschwörung. SCM Hänssler 2022, 208 Seiten, 17 €
  • Studie untersucht Verschwörungsmythen und Haltung zu Religion, kirche-und-leben am 12. Januar 2021
  • Verschwörungsdenken: Die gerechte Strafe Gottes, faz am 7. Januar 2021
  • Wie Religion und Verschwörungsglaube zusammenhängen, hpd am 17. Mai 2022
  • Verschwörungstheorien und Religion, tagesschau.de am 9. August 2018
  • Mit erhobenem Kruzifix: Sind christliche „Querdenker“ eine neue Gefahr für unsere Demokratie? web.de am 3. Dezember 2020
  • Die deutschen „Bible Belts“: Wie radikale Christen die „Querdenken“-Bewegung befeuern, focus am 24. November 2020
  • Faktoren des Glaubens an Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 28. Juni 2023
  • Verschwörungsmentalität und politische Orientierung, GWUP-Blog am 27. Juli 2022
  • Verschwörungsglaube und sozioökonomische Faktoren, GWUP-Blog am 27. Juli 2022
  • Dunkle Mächte, verdorbene Eliten – was ist dran an den Verschwörungstheorien? prima-magazin am 1. Juli 2023

2. Juli 2023
von Bernd Harder
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„Demeter“ im Waldorfsalat

Neu im Podcast Waldorfsalat:

Diesmal sprechen wir mit Hendrik Haase über Demeter, Marketing, Greenwashing, esoterischen Bio-Lifestyle und seine historischen wie aktuellen Anknüpfungspunkte an völkische und demokratiefeindliche Ideen. Hendrik Haase redet und schreibt über Lebensmittel, Esskultur und eine genießbare Zukunft in Zeiten ökologischen und technologischen Wandels. Außerdem ist er Kommunikationsdesigner und Unternehmensberater. 

Auch im neuen Skeptiker (2/2023) ist die Anthroposophie ein Thema:

  • Was ist Anthroposophie? (André Sebastiani)

Würde man diese Frage zufällig an Passanten in einer Fußgängerzone richten, kämen wohl vielfach nur fragende Blicke zurück. Waldorfschule und Namen tanzen wären vielleicht Assoziationen, Demeter-Käse und -Gemüse vielleicht weitere. Der Artikel nähert sich der Ausgangsfrage, indem er die Geschichte der Anthroposophie und ihren Gründer in den Blick nimmt.

  • Anthroposophische Versuche, Rudolf Steiners Rassismus aufzuarbeiten (Ansgar Martins)

Seit Jahrzehnten wird über Anthroposophie und Rassismus diskutiert. Selbst in anthroposophischen Kreisen scheint die Gruppe, die Steiners Stereotype offen verteidigt, allmählich zu schrumpfen. Aber: Unterdessen taucht irgendwie immer wieder Rassistisches an Waldorfschulen auf, und auch die Anthroposophische Gesellschaft zeigt, dass sie die Kritik noch immer nicht ernst nimmt.

Hier geht’s zur Bestellseite.

Zum Weiterlesen:

1. Juli 2023
von Bernd Harder
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Video: „Cloud Seeding“ hat nichts mit Chemtrails zu tun

„Aber die Hagelflieger …!“ kommt häufig als Gegenargument, wenn wir darüber aufklären, dass es Chemtrails gar nicht und Geoengineering nicht über das Ideenstadium hinaus gibt.

Ja – nur sind „Wettermanipulation, Geo-Engineering und Chemtrails völlig verschiedene Geschichten“ (chemtrail-fragen).

Und die Fähigkeit, „Wolken nach Belieben zu modifizieren und die Wetterbedingungen zu verändern, bleibt begrenzt“ (daswetter.com).

Ein kurzes Erklärvideo zum Thema Cloud Seeding gibt’s bei wetter.com.

Fazit: Die Methode existiert, aber im kleinen Maßstab und mit mäßigem Erfolg.

Zum Weiterlesen:

  • Ist Wettermanipulation möglich? wetter.com am 18. Mai 2023
  • chemtrail-fragen: Wurde nicht schon oft zugegeben, dass mit Flugzeugen das Wetter beeinflusst wird?
  • Hagelflieger und Wolkenimpfung, daswetter.com am 8. Februar 2022
  • Über Chemtrails, Geoengineering und andere merkürdige Verschwörungen, daswetter.com am 3. November 2022
  • Video: Die Kondensstreifen am Himmel – was ist dran? GWUP-Blog am 15. Juli 2022
  • Klima, Geoengineering, Ausreden und die Debatten nach Corona, GWUP-Blog am 1. Februar 2022
  • Video: „Geo-Engineering im Überblick“, GWUP-Blog am 18. August 2019