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Esoterik: „Wir leben in magischen Zeiten“ – und das ist nicht nur politisch hochbrisant

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Es kommt alles wieder. Wirklich alles. Jeder noch so große Humbug.

„Kurzvideos fürs Unterbewusstsein“ sind der neueste TikTok-Trend, berichtet die Süddeutsche.

Also sogenannte Subliminals, die Anfang der 1990er als Kassetten kursierten und damals schon nicht funktionierten, wie der Psychologe Colin Goldner 1994 im Skeptiker analysierte.

„Ebenso altbekannt wie einfallslos sind die Wünsche, die da herbeimanifestiert werden sollen“, schreibt der SZ-Netzkolumnist Michael Moorstedt:

Schönheit, Reichtum, haufenweise Freunde und hingebungsvolle Liebhaber. Gleichermaßen gibt es so gut wie keine gefühlte Unzulänglichkeit, die nicht flugs weggewünscht werden kann, egal, ob schlecht sitzende Haare, blasser Teint oder übermäßiger Körpergeruch.

Für den unbeteiligten Zuschauer seien die Subliminals vor allem deshalb faszinierend, weil sie „die lustigsten und peinlichsten Fantasien seiner Mitmenschen nach außen tragen“.

Doch ganz so spaßig, wie Moorstedt das Thema betrachtet, ist das Ganze dann doch nicht. Im Gegenteil: Der gegenwärtige Boom von Esoterik und Wunderglauben sei „kein gutes Zeichen“, meint der Historiker und Journalist Tillmann Bendikowski im selben Blatt:

Wir leben längst wieder in magischen Zeiten, in einer bunten, esoterischen Welt […] Das klingt vielleicht lustig, ist es aber nicht. Es ist politisch hochbrisant.

Nach einem historischen Abriss, der im Wesentlichen seinem neuen Buch „Himmel hilf!“ folgt, kritisiert Bendikowski die Esoterik als keineswegs ungefährlichen „Angriff auf die Realität“, der mit der Ablehnung moderner Wissenschaftlichkeit und einem tief sitzenden Antiintellektualismus ebenso einhergehe wie mit einer prinzipiellen Offenheit für Verschwörungsphantasien.

Parallel dazu kann man in der Braunschweiger Zeitung den Erfahrungsbericht eines 28-Jährigen lesen, der glaubte, einer schweren depressiven Erkrankung mit „Meditation, Astrologie und Wünsche ans Universum“ begegnen zu können.

Zum Weiterlesen:

  • Kurzvideos fürs Unterbewusstsein, Süddeutsche am 10. September 2023
  • Krisensymptom Esoterik: Wir leben in magischen Zeiten, Süddeutsche am 12. September 2023
  • „Sechs Jahre lang war ich in der Esoterikblase gefangen“, braunschweiger zeitung am 13. September 2023
  • GWUP-Thema: Subliminale Botschaften
  • „Iss Popcorn, trink Cola“ – ein zeitloser Klassiker, GWUP-Blog am 12. Juni 2018
  • „Die geheimen Verführer“ – Sebastian Bartoschek über den Mythos unterschwellige Werbung, GWUP-Blog am 1. Juni 2022
  • Video: „TikTok-Hexen und die neue Esoterik“, GWUP-Blog am 6. August 2023
  • „Ein Gefühl von Kontrolle“: Die neuen Witchfluencerinnen aus der Hexen-Bubble bei TikTok, GWUP-Blog am 9. Juni 2023
  • Fantasy-Autorin Liza Grimm: Esoterik ist gefährlich, GWUP-Blog am 18. August 2023
  • Eso-Coaching treibt Betroffene „eher in Richtung Suizid als auf den Weg der Heilung“, GWUP-Blog am 5. August 2023
  • Videos: Esoterik – das Business und die Gefahren, GWUP-Blog am 26. Januar 2023
  • Falsche Heilsversprechen für Geld: Marvin Wildhage und seine „Heilsteine“-Influencer, GWUP-Blog am 22. Juli 2023
  • Armut als Charakterschwäche: Der alte neue Hype um das „Manifestieren“ von Geld, GWUP-Blog am 2. Mai 2023
  • „Esoterik, Hexen, Astrologie: Wann wird’s gefährlich?“ bei 13 Fragen/unbubble, GWUP-Blog am 1. Juni 2023
  • Tillmann Bendikowski: Himmel hilf! Warum wir Halt in übernatürlichen Kräften suchen – Aberglaube und magisches Denken vom Mittelalter bis heute. C. Bertelsmann 2023, 320 Seiten, 25 €

5 Kommentare

  1. In der Tat: Hat eine neue New-Age-Ära begonnen?

    Viel scheint dafür zu sprechen. Nicht nur Dinge auf dem geradezu kindischen Niveau der Subliminals.

    Die WHO hält Kongresse zu „traditonellen Medizinen“ ab, Fachveröffentlichungen greifen das auf, ohne überhaupt zu realisieren, dass es hier darum geht, den Primat der wissenschaftlichen Medizin (der so alt ja noch nicht ist) in Frage zu stellen. Hokuspokus in der Medizin wird auch mehr und mehr damit gerechtfertigt, dass „Wissenschaft ja nicht alles“ sei.

    Ein großes Online-Medizinjournal lässt einen Anthroposophen darüber schwafeln, dass Ziel eines Gesundheitswesens nicht so sehr Medizin, sondern das Wohlbefinden „des ganzen Menschen“ sei.

    Und mehr. Alles bedenkliche Zeichen für einen sich offenbar erneut gegen die Aufklärung wendenden Zeitgeist. Nicht gut.

  2. Wenn alles wiederkommt, muss es dann nicht zuvor fortgewesen sein? War das magische Denken denn weg?

  3. @Carsten Ramsel:

    Nein, aber es geht uns nicht um magisches Denken im Allgemeinen, sondern um die massentaugliche Wiederkehr von einzelnen Praktiken, die bereits völlig out waren, wie Subliminals, Hexen, Ufos etc.

  4. @Bernd Harder

    Mir ging es mit meiner Bemerkung um Folgendes:

    Es ist das Verdienst der GWUP und des Blogs regelmäßig darauf hinzuweisen, dass „magische Praktiken“ und „Aberglaube“ (beides Begriffe der Alltagssprache) in unserer Gesellschaft fest verankert sind und sie von Zeit zu Zeit medial ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gespült werden; sie aber zu jeder Zeit praktiziert, geglaubt und tradiert werden bzw. Menschen sich damit ein „goldenes Näschen“ verdienen.

    Eine „Wiederkehr“ wäre demnach stark erklärungsbedürftig.

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