8. April 1665, gegen zwei Uhr nachmittags:
Sechs Fischer aus Stralsund liegen bei Barhöft vor Anker, als am Himmel ein großer Vogelschwarm vorüberzieht. Plötzlich verwandelt sich der Pulk in Kriegsschiffe, die unter Rauch, Feuer und gewaltigem Getöse mehrere Stunden lang miteinander kämpfen. Gegen Abend erscheint „mitten aus dem Himmel“ eine „runde, platte Form wie ein Teller“ über der Nikolaikirche.
Eine Ufo-Schlacht im 17. Jahrhundert?
14. April 1561, bei Tagesanbruch:
Über der Stadt Nürnberg formieren sich vor der aufgehenden Sonne kugel-, kreuz- und zylinderförmige Objekte, die „gut eine Stunde lang“ heftig streiten und kämpfen, ehe sie „mit viel Dampf vom Himmel herab auf die Erde“ sinken und sich auflösen. Der Briefmaler und Drucker Hans Wolff Glaser hält das Spektakel auf einem Flugblatt fest.
Ein Luftkampf zwischen außerirdischen Besuchern?
7. August 1566, kurz nach Sonnenaufgang:
Über Basel tauchen am Himmel „große, schwarze Kugeln“ auf, die „mit großer Schnelle und Geschwindigkeit“ vor der Sonne umherfliegen und gegeneinander prallen, „als ob sie einen Streit führten: Etliche davon wurden feurig und rot, zerfielen alsbald und verloschen dann.“
Ein glaubwürdiger Ufo-Bericht?
War der Luftraum über Deutschland und der Schweiz in der Frühen Neuzeit Schauplatz fortwährender Sternenkriege? Dieser Frage geht die Ausstellung
Ufo 1665 – Die Luftschlacht von Stralsund
in der Berliner Kunstbibliothek nach.
Zu sehen sind dort unter anderem Illustrationen der Ereignisse vom 8. April 1665, wie sie die Fischersleute Aßmus Barfoldt, Steffen Rode, Claus Sünnemann, Michel Rohde, Joachim Hasse und Hans Trebuss bezeugten. Inspiriert wurde der Direktor der Kunstbibliothek und Ausstellungskurator Moritz Wullen von dem Buch „Wonders in the Sky“ des französischen Ufologen Jacques Vallée.
Doch Wullens Erklärung für die seltsamen Himmelsphänome ist keine paranormale:
Im 17. Jahrhundert dachte niemand an ein Naturphänomen, sondern von vornherein immer an ein göttliches Wunderzeichen. Man lebte einfach in der Auffassung, dass der Himmel so eine Art Stadion-Screen ist, über den Gott mit der Menschheit kommuniziert, nur eben nicht über Fußballergebnisse, sondern über bevorstehende Strafgerichte und Apokalypsen.
„Wunderzeichen“ oder Prodigien wurden schon in der römischen Antike gesammelt, etwa von dem Schriftsteller Iulius Obsequens. In seinem Buch „Liber de prodigiis“ verzeichnete er
… die außernatürlichen Begebenheiten in der Natur […], alle Vorgänge gleichnishafter Art, durch die ein in der Zukunft liegendes Geschehnis angezeigt und sein Ablauf vorgedeutet wird.
Dazu zählten zum Beispiel „Blutregen, Kometen, Himmelszeichen und Fehlbildungen bei Menschen und Tieren“, schreibt die Volkskundlerin Michaela Schwegler.
Mit dem Beginn der Neuzeit nahm die Vorzeichendeutung einen neuen Aufschwung, maßgeblich beeinflusst von den Prodigiensammlungen des Humanisten und Universalgelehrten Conrad Lycosthenes:
Die Zeitumstände des 16. Jahrhunderts waren besonders geeignet, die Menschen an Furcht erregende Prophezeiungen glauben zu lassen.
Die Bauernkriege in Deutschland, die Kriege der protestantischen und katholischen Landesherren als Folgen der Schriften des Reformators Martin Luther, die Verunsicherung in Glaubensfragen, die Unterdrückung der Untertanen und die Zerstörung der Landschaften in diesen Glaubenskriegen ließen die Menschen erschaudern.
Man glaubte, dass alle diese Missstände auf dem Zorn Gottes beruhten, der Zeichen am Himmel erscheinen ließ, um die Menschen zur Umkehr zu mahnen.
In der Tat „ist in keiner Quelle des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit unerklärlichen Himmelserscheinungen von Außerirdischen die Rede“, heißt es in einem Begleittext zur Berliner „Ufo 1665“-Ausstellung.
Stattdessen entnehmen wir einer zeitgenössischen Beschreibung der „wunderbarlichen Stralsundischen Lufft-Kriege und Schiffstreite“, dass
… viel gelahrte und verständige Leute / sich allerhand Gedancken zwar gemachet; aber die rechte Außdeutung dennoch dem lieben GOtte gelassen haben / und auch wohl lassen werden; bis es die reiffe Zeit ausweisen wird / was der erzürnete GOtt auffs neue über jene Nordische Refier / für eine Vnglücks-Schale außzugiessen beschlossen habe.
Auch die Erläuterungen des Nürnberger Druckers Hans Wolff Glaser zu seinem Flugblatt von 1561 lassen kaum an ein hochtechnisiertes Luftgefecht denken, sondern bringen eine religiöse Botschaft unters Volk:
Was aber solche Zeichen bedeuten, weiß allein Gott.
Da wir aber kurz aufeinander so viele und verschiedene Zeichen am Himmel haben, die der allmächtige Gott – als wollte er uns ob unseres sündigen Lebens zu Buße reizen und locken – erscheinen lässt, so sind wir leider so undankbar, dass wir solche Zeichen und Wunderwerke Gottes verachten, spöttisch darüber reden und in den Wind schlagen.
Zu befürchten steht, dass Gott uns unserer Undankbarkeit willen eine schreckliche Strafe schicken wird.
Aber konkret welche „verschiedenen Zeichen“ machen das „Nürnberger Himmelsspektakel“ aus, dessen Darstellung in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt wird?
Realer Stimulus in der frühen Morgendämmerung war möglicherweise eine Halo-Erscheinung, die sich als Nebensonnen, Bögen, Kreise und ähnliche Lichtbrechungs- und Spiegelungseffekte manifestieren kann – und zum Beispiel auch im Augsburger Wunderzeichenbuch (Mitte 16. Jahrhundert) mehrfach abgebildet ist:
Bei den länglichen Zylindern handelt es sich um Kanonenrohre (nebst umherfliegenden Kugeln), wie sie auch auf anderen Flugblättern zu sehen sind:
Und der „große, schwarze Pfeil“ ist kein „Mutterschiff“, wie die Jungs vom „Ufo- und Mysterien-Kanal“ Hangar 18b bei Youtube mutmaßen, sondern ein Komet, der als „Zornrute Gottes“ galt und dementsprechend kriegerisch ausgemalt wurde:
Auch das Motiv der „Himmelsschlacht“ findet sich im Nürnberger Flugblatt von 1561 wieder, das aus Wolkenformationen oder Nordlichtern herausgelesen und als göttliche Warnung gedeutet wurde, dass die Menschen ihre Kriege beenden sollen:
Bleibt indes noch das „Rätsel“, das die Münchner Abendzeitung entdeckt haben will:
Derartige Naturphänomene treten selten zugleich auf …
Natürlich nicht.
Das berühmte Flugblatt von Hans Wolff Glaser ist allerdings auch ist keine Momentaufnahme, sondern eine Kompilation:
Autoren, Zeichner und Stecher haben damals sprichwörtlich abgekupfert, haben Motive gesamplet und neu zusammengesetzt.
Von einer „Recyclingmaschine“ spricht der Kurator der Berliner Ausstellung, Moritz Wullen, bei Welt-Online. Aus dem unerklärlichen Ereignis wurde eine fortgesetzte mediale Inszenierung, zumal Flugblätter im 17. Jahrhundert als „Sensationslektüre“ galten:
Für den Druckerverleger waren Flugblätter in erster Linie Mittel zum Zweck und dieser Zweck war das Verdienen von Geld. Er bestimmte den Inhalt nach wirtschaftlichen Erfordernissen. Schriften mit Berichten über Wunderzeichen und anderem sensationellen Inhalt verkauften sich besonders in den ländlichen Gegenden, die allgemein von einem ereignislosen Alltagsleben geprägt waren, gut.
Weder die Luftschlacht von Stralsund 1665 noch das Nürnberger Himmelsspektakel 1561 noch das Basler Flugblatt von 1566 belegen Besuche durch Außerirdische in früherer Zeit.
Dafür begegnen wir darin „den mentalen Wirklichkeiten des 17. Jahrhunderts, den Mythen, den Ängsten, den kosmologischen und technologischen Vorstellungen“, erklärt Wullen.
„Ufo 1665“ hat nichts mit Erich von Däniken-Stories zu tun, es ist eine kritische Bildgeschichte mit einem Schuss Spekulation.
Zum Weiterlesen:
- Das Ufo von Stralsund, welt+ am 6. Mai 2023
- Michaela Schwegler: Erschröckliches Wunderzeichen oder natürliches Phänomen? Frühneuzeitliche Wunderzeichenberichte aus der Sicht der Wissenschaft. Kommission für bayerische Landesgeschichte, Institut für Volkskunde, München 2002