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Ein „giftiges Gebräu“: Das Problem mit den Putschfantasien der Reichsbürger

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Interessanter Presseclub am vergangenen Sonntag im Ersten:

Natürlich, betonte Holger Stark von der Zeit, liege die Gefahr der „Reichsbürger“-Umsturzphantasien „nicht so sehr darin, dass da morgen ein Staatsstreich geschehen, der Reichstag gestürmt worden wäre und wir dann die Abschaffung der Demokratie erlebt hätten“.

„Wirklich beunruhigend“ sei aber (wie Stark auch schon bei Zeit-Online ausführte), dass

… die Grenzen zwischen Teilen des Bürgertums und aggressivem Rechtsextremismus so verwischt [sind], dass etwas möglich geworden ist, was noch vor ein paar Jahren unmöglich erschien.

Am rechten Rand ist ein übel riechendes, giftiges Gebräu entstanden, das sich aus den Milieus der Querdenker, aus Esoterikern und Anhängern großer Verschwörungen speist, die daran glauben, dass das jüdische Finanzkapital im Hintergrund die Strippen zieht. Schließlich die AfD, die mittlerweile ein nahezu lupenreiner Radikalenverein geworden ist.

Die Milieus haben sich überlagert und gegenseitig verstärkt. Die Bereitschaft zum Zündeln hat einen wild gewordenen Teil des Bürgertums erreicht. Der militante Rechtsextremismus trägt heute nicht mehr nur Springerstiefel, sondern auch Wildlederslipper und Seidenschal.

Die einende Idee, so Stark weiter, die diese verschiedenen Milieus verbindet, sei der Widerstandsgedanke:

Wenn es doch stimmt, dass die Regierungen korrupt, illegitim und ferngesteuert sind, dann ist Widerstand keine Straftat mehr, sondern moralische Pflicht. Einer muss es halt machen. Notfalls der Prinz.

Eben jener Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Frankfurt, um den es auch in der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte (50/2022) geht.

Die neunseitige Strecke besteht aus Kommentar, Interview und der Titelgeschichte

Die Putschfantasien der „Reichsbürger“-Truppe

Auch das Spiegel-Team fokussiert darauf, dass „überraschend viele aus der vermeintlich besseren Gesellschaft“ sich zur Operation Staatsstreich zusammengefunden hätten:

Mehrere ehemalige Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr gehören dazu, ein aktiver Elitesoldat, ein Polizist, der vom Dienst suspendiert worden ist, eine Richterin, die vier Jahre lang für die AfD im Bundestag gesessen hat; ein Pilot, ein promovierter Rechtsanwalt, ein Spitzenkoch, ein Tenorsänger, ein Unternehmer, eine Ärztin.

Der vielleicht entscheidende Satz in dem Artikel:

Die Aktion, so hofften einige der Verschwörer nach Einschätzung der Fahnder, sollte zu Unruhen im ganzen Land führen und schließlich zum Putsch.

Das entspricht im Grunde der Vorgehensweise der Roten Armee Fraktion in den 1970ern, die den Staat zu Überreaktionen provozieren und so als demokratisch getarnte Farce eines faschistischen Regimes demaskieren wollte.

Allerdings gibt es einen großen Unterschied:

Die RAF ist gescheitert. Sie hat das Volk nicht erreicht. Aber hier gibt‘s Leute, die fangen an, das Volk zu erreichen. Und das macht mir Sorgen,

sagte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum am Sonntag bei Anne Will.

Der Journalist Florian Flade ergänzte:

Die RAF hat nicht ihr sozialistisches Utopia bekommen und der NSU nicht sein Viertes Reich. Gemordet haben sie trotzdem.

In ihrem Kommentar zur Titelstory im Spiegel warnt die Politikredakteurin Ann-Katrin Müller denn auch vor einer Verharmlosung querdenkender Verschwörungsideologen als wirre Spinner.

Neben einer strikten Abgrenzung aller Demokraten von der AfD und Maßnahmen gegen den Hass im Internet spricht sich Müller für mehr Prävention aus, etwa in Form eines Demokratiefördergesetzes, das seit langem in der Luft hängt.

In diesem Zusammenhang weist der Tagesspiegel darauf hin, dass die Szene rechtsradikaler Machthaber und -anwärterinnen „vor der stabilen Kulisse eines Rückzugs der liberalen Demokratie“ agiere, denn nur wenige Gesellschaften stellten sich gegen den Trend: „Einen Trend, der die Welt seit der Jahrtausendwende beherrscht.“

Dass die Demokratie „extrem unter Druck steht“, erklärt auch die Sozialpsychologin Pia Lamberty im Spiegel-Interview am Ende der Titel-Strecke:

Sie wird von Rechtsextremisten und Desinformationskampagnen attackiert, vom In- und vom Ausland.

Zudem spricht Lamberty die Verharmlosung an:

Diese ganze „Reichsbürger“-Ideologie wurde ja lange belächelt. Aber die Idee dahinter ist extrem gefährlich: dass abgrundtief böse Mächte einen Geheimplan hätten und man die Welt davon befreien müsse.

Aus den USA gibt es zudem Daten, die belegen, dass die Radikalisierung über die QAnon-Ideologie deutlich schneller vonstattengeht als bei anderen Ideologien. Bei manchem Straftäter dort sprechen wir von wenigen Wochen.

Diese Menschen befinden sich kontinuierlich in einem apokalyptischen Status. Jedes Flugzeug ist für sie eine Gefahr, weil über sogenannte Chemtrails angeblich Menschen vergiftet würden. Sie fühlen sich als seltene Auserwählte, die in der Lage sind, diese Gefahr zu sehen.

Die logische Folge in dieser Sicht ist: Man muss das Ganze überwinden, dafür ist Gewalt ein legitimes Mittel. Sie sehen sich im Kampf gegen das absolut Böse.

Dazu passt, was Welt+ über die Radikalisierung von zwei der festgenommenen „Reichsbürger“ aus dem sächsischen Ort Olbernhau schreibt.

Obwohl „bei W. jeder wusste, dass er ein scharfer Hund und gegen die Zustände ist“, obwohl er „Übung im Schießen und Zugang zu Waffen“ hatte, obwohl er „immer wieder mit seltsamen Äußerungen aufgefallen ist“ und man ihn „für einen Verschwörungstheoretiker halten kann“, waren am Ende alle „überrascht“ und niemand „hätte damit gerechnet“.

Genau das muss aufhören.

Zum Weiterlesen:

  • „Reichsbürger“: Ermittler finden Goldbarren, Satelliten-Telefone und „Verschwiegenheitserklärungen“, rnd am 12. Dezember 2022
  • „Reichsbürger“ hatten wohl viele Mitwisser, zdf.de am 12. Dezember 2022
  • „Die Gefahr ist, dass die Mitte infiziert wird“, warnt Gerhart Baum, welt.de am 12. Dezember 2022
  • „Reichsbürger“: Verrückt, Zeit-Online am 9. Dezember 2022
  • Kein Spaß: Umsturzphantasien von „Reichsbürgern“ und Verschwörungsideologen, GWUP-Blog am 7. Dezember 2022
  • Gesetz der 3,5 Prozent: Wie wenige Aktivisten Regierungen in die Knie zwingen können, stern.de am 14. Dezember 2020

16 Kommentare

  1. Hallo Bernd !

    Was diese Spinner alles so vorhaben, Satellitentelefone ?! Das ist ja ein teurer Spaß !

    https://www.expeditionstechnik.de/satellitentelefon-iridium-9555-inkl-prepaid-sim.html

    Wer braucht bei einem Spinnerverein Verschwiegenheitserklärungen? Das klingt natürlich arg wichtig und hat einen seriösen Touch.

    Wenn mal recherchiert wann man eine Verschwiegenheitserklärung braucht, muss man schon lachen, für was dieser Spinnerverein sich gehalten hat:

    https://www.datenschutzexperte.de/verschwiegenheitserklaerung/

    Man wollte 286 „Heimatschutzkompanien“ bilden ? Wo sollen denn die ganzen „Freiwilligen“ herkommen ?

    Diese Heimatschutzkompanien sollten nach dem Umsturz bestimmte Menschen „festnehmen und exekutieren“. Man hat konkrete Listen gefunden, darüber wurde heute auch noch mal berichtet.

    Wer solche Fantasien hat, ist eine Gefahr für den öffentlichen Frieden und muss ohne wenn und aber bekämpft werden. Solche Personen gehören ganz sicher nicht in die Justiz und Sicherheitsbehörden.

    Man hört jetzt immer wieder, das Leute sagen, man wüsste ja gar nicht ob diese Reichsbürger wirklich so gefährlich wären und das wären ja nur Rentner. Ja, Rentner waren auch dabei, aber auch viele Personen die nicht im Rentenalter waren.

    Wer solch eine Vereinigung bildet, Vorbereitungen trifft – Waffen und Munition beschafft, abhörsichere Telekommunikation herstellen will, Schießübungen abhält, da gibt es kein Missverständnis warum man sich trifft .

    Da ist auch das politische Lager oder sind religiöse Ansichten austauschbar.

    Als Beispiel:

    https://www.spiegel.de/geschichte/sektendrama-in-waco-vor-20-jahren-david-koreshs-erzwungene-apokalypse-a-951104.html

  2. Danke für den Artikel und die Zusammenfassung verschiedener Sichtweisen.

    »Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung da.« schrieb Victor Klemperer, Autor des LTI. Notizbuch eines Philologen.

  3. Unglaublich, wie Rechte die Terroristen verharmlosen. Aber klar, Steil gehen, wenn nervige Klimaaktivisten sich irgendwo ankleben, aber bei rechtsextremen Terroristen schön die Augen verschließen und so tun, als wären das nur tattrige Rentner mit einem kleinen Überschuss an Umsturzfantasien. Hätten die Polizisten Kleber bei den Reichsbürgern gefunden und ein Flyer für Windkraft, oh dann Wehrhafte Demokratie handelt bevor jemand stirbt.

    Danke, dass ihr schon seit Jahren Reichsbürger kritisch thematisiert. Ist wirklich interessant, was in der Skeptikerszene schon im frühen Stadium erkannt und analysiert wird und erst Jahre später in die Massenmedien schafft. Weiter so

  4. @Mischa S.:

    Geld dürfte keine große Rolle spielen. Ich nehme mal an, das der Herr Prinz Von und Zu einen Jagdschein und somit ein ansehnliches Arsenal an Lang- und Kurzwaffen besitzt.

    Überhaupt scheint die „Jägerei“ in der Reichsbürgerszene beliebt zu sein, und das Waffenrecht erlaubt dem Inhaber des Jagdscheins den Besitz einer unbegrenzten(!) Anzahl von Langwaffen (wenn auch keine automatischen Waffen).

    Die Feuerkraft in der Szene dürfte daher beträchtlich sein.

  5. Die rechtsextreme Gewaltwelle vor dreißig Jahren ist mir zwar als fürchterlich in Erinnerung.

    Die Situation jetzt ist mir aber noch weniger geheuer, und das erlebe ich als Folge des Umstandes, dass durch die Aktivitäten in den einschlägigen sozialen Medien ständig ein brühwarmer tagesaktueller Tiefenblick in die Gedankenwelt dieser Menschen ermöglicht ist.

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechte-gewalt-und-popkultur-100.html

  6. Aktueller ausführlicher Schulungsvortrag durch die Amadeo-Antonio-Stiftung

    https://www.freie-radios.net/119252

  7. In der Zeit:

    Razzia gegen Reichsbürger: Wie gefährlich waren die Verschwörer?

  8. Die wollten doch nur Liebe, Licht und Frieden:

    „…Wir wollen den totalen Krieg. …“

    https://www.belltower.news/netzwerke-afd-und-fpoe-abgeordnete-zu-besuch-bei-us-rechtsextremen-144367/

  9. Die taz recherchiert seit geraumer Zeit zur Reichsbürgerszene. Aktueller Text zur Verbindung zur AfD untem verlinkt und der taz-Podcast „Bundestalk“ befasst sich auch mit dem Thema:

    https://taz.de/Verhaeltnis-von-AfD-zu-Reichsbuergern/!5900281/

    https://taz.de/Podcast-Bundestalk/!5902914/

  10. Die Gefahr geht meiner Meinung nach auch nicht von so einem Putsch aus, sondern dass, wenn diese Leute sich tatsächlich zusammengesetzt haben und so was geplant haben, dass es Tote hätte geben können, dass es auch Tote im Bundestag hätte geben können.

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article242721459/Joana-Cotar-Aus-der-AfD-ausgetretene-Abgeordnete-zu-Bedrohung-durch-Reichsbuerger.html

  11. Podcast vom Standard mit Pia Lamberty zu Esoterik, Verschwörungstheorien und den politischen Implikationen. Fasst viele wichtige Aspekte gut zusammen:

    https://www.derstandard.de/story/2000141858763/wie-gefaehrlich-ist-esoterik

  12. Mit Blick auf die jüngsten Festnahmen in der Reichsbürger-Szene erklärte der Chef des Inlandsgeheimdienstes, es sei besorgniserregend, wie schnell es diesem Zusammenschluss gelungen sei, sich bundesweit zu vernetzen.
    […]
    Der Verfassungsschutz-Chef warnte davor, die Gruppe aufgrund ihrer kruden Ideen zu verharmlosen. „Schon wegen ihrer Irrationalität und des Zugangs zu Waffen ist diese Gruppe gefährlich“, sagte er. Nicht in dem Sinne, dass man ernsthaft Sorge hätte haben müssen, ein Putsch hätte gelingen können – „dazu waren es zu wenig Leute mit den falschen Mitteln“.

    Doch auch ein versuchter Umsturz hätte schon „enorm schlimme Konsequenzen“ haben können.

    https://www.stern.de/politik/deutschland/afd–verfassungsschutz-chef-sieht-partei-auf-weg-nach-rechtsaussen–33027410.html

  13. Die Alternative für Deutschland (AfD) stellt sich oft als bürgernahe Volkspartei dar. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt: Die Partei wird ihrem Selbstbild nicht gerecht – und ist viel weniger in der Bevölkerung verwurzelt, als sie vorgibt.

    https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/knut-bergmann-matthias-diermeier-jan-felix-engler-melinda-fremerey-wenig-praesenz-in-der-flaeche.html

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