Hin und wieder stoßen wir darauf, dass „die Weltanschauungsgemeinde“ der Skeptiker „gruselige Zukunftsvisionen“ habe, die mit dem „freundlich klingenden“ Wort „Transhumanismus“ umschrieben würden.
Auch Christian Drosten wurde als „Transhumanist“ beschimpft, und bei einer „Querdenker“-Demo in Nürnberg erklärte eine Rednerin, dass „Zionisten, Satanisten, Transhumanisten und die Pharmamafia durch Sterilisation und Mord per Todesspritze […] die absolute Kontrolle jedes Einzelnen und die Auslöschung weiterer Teile der Bevölkerung“ herbeizuführen gedächten.
Nun ja, was „Transhumanismus“ ist, kann man zum Beispiel in der MIZ 4/2021 nachlesen oder beim Ferngespräch nachhören.
Der Psychologe Sebastian Bartoschek wird vom „Faktenfinder“ der tagesschau so zitiert:
„Diese Gedanken sind vielgestaltig und breit gefächert. Allerdings bleibt im öffentlichen Diskurs, zumal in den sozialen Medien, meist nur übrig, dass Transhumanisten gewissermaßen den ‚jetzigen Menschen‘ überwinden wollen.“ Das sei mit Blick auf die Mehrheit der Transhumanisten aber nicht der Fall.
Was Transhumanismus nicht ist, was aber Verschwörungsideologen daraus machen, sieht man hin und wieder bei Auf1.TV, etwa am vorvergangenen Sonntag.
Es geht also mal wieder um den „geheimen Plan“ der „Globalisten“, mithin also um eine lupenreine Verschwörungstheorie, die davon ausgeht, dass eine kleine Gruppe mit bösartigen Zielen sich gegen die Gesellschaft verschworen hat und sich dabei eines umfassenden Machtapparats bedient.
Das CeMAS hat einen Twitter-Thread veröffentlicht, der die Thematik kurz zusammenfasst:
Im September hatte der Politikwissenschaftler Markus Linden in der Zeit und in anderen Medien Transhumanismus als neuen „ideologischen Kitt für die Querfront“ erklärt.
Heißt:
Unter dem Deckmantel der Menschlichkeitsbewahrung werde Transhumanismus von den Putins, Dugins und Co. dieser Welt als Angriff auf ihr geschlossenes Kollektivitätsideal mit reaktionärer Ausrichtung gedeutet – mithin als eine Art Genozid:
Es geht um die Schaffung eines kampftauglichen Abgrenzungsnarrativs – was sich anbietet, denn der Begriff „Humanismus“ besitzt eine positive Konnotation.
Der russische Ultranationalist Alexander Dugin begreife zum Beispiel Cyborgs, Netzwerke der künstlichen Intelligenz und Produkte der Gentechnologie als Teil einer „posthumanistisch-identitätszersetzenden“ Agenda, die darauf abziele, „die Menschen zu ersetzen“, mindestens aber die Auflösung der menschlichen Werte und Normen und die Vernichtung aller ganzheitlichen sozialen Einheiten zu betreiben.
„Transhumanismus“ in diesem Sinne ist also eine „diffuse Sammelbezeichnung für alle möglichen Arten einer unterstellten technisch-autoritativ vorangetriebenen Entmenschlichung, durchgesetzt von globalen Eliten“.
Darunter fassen kann man so ziemlich alles, von „Bevölkerungsreduktion und Gedankenkontrolle, Genmanipulation, Genderpolitik, technischen Implantaten“ bis hin zum „Diktat der von einer Elite kontrollierten künstlichen Intelligenz“.
Anfällig für diese neue Verschwörungstheorie um die Schaffung einer „Post-Menschheit“ ist laut Linden ein ideologisch disparates Feld radikaler Antigruppen, darunter christliche Fundamentalisten, aber auch
… eine illustre Querfront-Schar aus rechtsradikalen Ideologen, von links kommenden Überwachungskritikern, libertären Freiheitsfetischisten oder friedensbewegten Anthroposophen.
Der „Faktenfinder“ erweitert diese Aufzählung um „Impfgegner, LGBTIQ-Feinde, Technologieskeptiker, Esoteriker, Klimawandelleugner oder Kapitalismuskritiker“.
Als Beispiel für dieses Zerrbild von Transhumanismus mag dieser Tweet von Stefan Homburg dienen:
Mit der eigentlichen Idee des Transhumanismus hingegen beschäftigen sich die Protagonisten dabei kaum – oder bestenfalls mit besonders extremen Vertretern.
Lindens Fazit:
Eine an sich legitime und notwendige Debatte über die Folgen der Veränderung von Körpern und wachsenden technologischen Möglichkeiten wird in „Alternativmedien“ und in antidemokratischen Ideologien durch machtdiskursive Begriffsarbeit zum Kampfinstrument umfunktioniert.
Und damit sind wir wieder bei unseren Globuli- und anderen Freunden.
Nein, wir Skeptiker betrachten den Menschen weder als „zu reparierende Maschine“ noch meinen wir, „der Mensch als solcher habe sich überlebt und müsse jetzt durch Cyborgs abgelöst werden“.
Wie man auf so einen Quatsch kommt, ist uns rätselhaft. Vermutlich fällt Euch sonst nichts mehr ein.
Zum Weiterlesen:
- Transhumanismus: Das nächste Ende der Menschheit, tagesschau.de am 24. November 2022
- Transhumanismus: Ideologischer Kitt für die Querfront, zeit.de am 11. September 2022
- „Transhumanismus“ als Verschwörungserzählung, gegneranalyse.de im August 2022
- „Transhumanismus“, christlicher Fundamentalismus und Verschwörungstheorien, forumdialog.eu am 3. August 2022
- Sina Klaß/Sebastian Bartoschek: Verschwörungsdenken an der Schnittstelle von Transhumanismus und Gesundheitswissenschaften. In: Bessere Menschen? Technische und ethische Fragen in der transhumanistischen Zukunft, Springer 2020
- WildMics Special #11: „Supermensch“ am 5. Juli 2020
- Verbesserte Menschen: Die vielleicht gefährlichste Idee der Welt, Süddeutsche am 8. Juni 2013
- Transhumanismus: Die Cyborgisierung des Menschen, zukunftsinstitut.de
- Visionen von „besseren Menschen“, Humanistische Vereinigung am 15. Oktober 2019
- MIZ 4/21 erschienen: Transhumanismus, hpd am 7. Februar 2022