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Die Medien und die Satanic Panic: Tipps von einem Kollegen

| 19 Kommentare

Das Online-Medienmagazin Übermedien versucht sich an einer Einordnung der Kritik an der Böhmermann-Sendung, die letztendlich dazu geführt hat, dass der Beitrag in der ZDF-Mediathek nicht mehr verfügbar ist.

Der Autor Sebastian Fobbe hatte bereits im Münsteraner Stadtmagazin Rums einen Artikel über die Satanic Panic veröffentlicht.

Fobbe stimmt den Beschwerdeführern darin zu, dass sich ein satirisches Format wie das ZDF Magazin Royale „mit seinen extremen Verkürzungen womöglich nicht für das Thema rituelle Gewalt eignet“. Der Begriff „dissoziative Identitätsstörung“ (DIS) etwa tauche als „anerkannte Diagnose“ in dem Beitrag „kein einziges Mal auf“:

So entsteht der Eindruck, dass sich Böhmermann über Betroffene lustig macht, die unter den Symptomen einer solchen Störung leiden.

Vermutlich war es jedoch genau andersrum. Hätte Böhmermann tatsächlich die komplizierte Fachdiskussion um die DIS auch noch mit eingebracht, hätte sein Sendungsthema auf die Zuschauer vollends skurril gewirkt.

Doch von diesen wenigen Kritikpunkten abgesehen, teilt Fobbe durchaus Böhmermanns Anliegen, die sogenannte Satanic Panic skeptisch zu betrachten:

Jan Böhmermann trifft in seiner Sendung einen Punkt: Er spricht das Problem der Suggestion in der Therapie an […] Tatsächlich bleibt in vielen Medienbeiträgen über rituelle Gewalt oft unklar, was belegt und was umstritten ist. Viele Medien versäumen es, Aussagen und Expertisen einzuordnen.

Als Beispiele nennt der Rums-Redakteur die taz und die Zeit, wo Michaela Huber in einem einstündigen Videointerview unwidersprochen über „Gehirnwäsche“ und eine „dunkle Elite“ schwadronieren durfte:

Doch das, was Michaela Huber bei Zeit-Online sagt, geht weit über den aktuellen Stand der Forschung hinaus […] Weder für „Mind Control“-Methoden noch für Programmierung gibt es aus wissenschaftlicher Sicht belastbare Anhaltspunkte.

Fobbe verweist auf einen Feuilletonbeitrag der NZZ, in dem eine Schweizer Kollegin darlegt, dass „Medien auch Erinnerungen an schlimmste Verbrechen, für die es keine Belege gibt, mit einem Vorbehalt versehen“ müssten.

Journalisten seien keine Co-Therapeuten. Und Hinterfragen sei nicht gleichbedeutend damit, das Leid der Betroffenen zu leugnen.

Als Faustregel für Journalisten formuliert Fobbe schließlich:

Es gibt organisierte sexuelle Gewalt. Und es gibt sexuellen Missbrauch, bei dem Rituale eine Rolle spielen können. Das heißt nicht, dass Geheimbünde Kinder abtransportieren und im Verborgenen rituell missbrauchen.

Es gibt Missbrauchsbetroffene, die von ritueller Gewalt berichten. Es gibt aber keine gesicherten strafrechtlichen Fakten, die auf rituelle Täternetzwerke schließen lassen. Das bedeutet nicht, dass hinter jeder Aussage über rituelle Gewalt Suggestion stecken muss. Und dennoch ist es in Ordnung, Aussagen zu kontextualisieren und zu prüfen, ohne das Leid der Opfer zu leugnen.

Es gibt die dissoziative Identitätsstörung, die als Folge von Trauma entstehen kann. Sie kann auch in einer schädlichen Therapie erzeugt werden. Für „Mind Control“, die gezielte Aufspaltung und „Programmierung“ einer Persönlichkeit, fehlt hingegen jede wissenschaftliche Evidenz.

Man wünscht seinem Artikel eine breite Leserschaft.

Zum Weiterlesen:

  • Rituelle Gewalt: Wer ist hier im Wahn? übermedien am 11. Dezember 2023
  • Satanic Panic: Ominöses rund um die Böhmermann-Sendung zum Thema rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 8. Dezember 2023
  • „Satanic Panic“: Die Szene gibt sich weiterhin verschlossen, während Recherchen die Missstände klar belegen, GWUP-Blog am 18. Oktober 2023
  • „Journalisten sind keine Co-Therapeuten“: Der schwierige Umgang mit den Themen „False Memory“ und „rituelle Gewalt“, GWUP-Blog am 10. Februar 2022

19 Kommentare

  1. Was ich von dem Artikel halten soll weiß ich nicht. Auch hier wird teils ausgeblendet, dass es nicht um sexuellen Missbrauch geht, sondern um Verschwörungstheorien im psychologischen Bereich (nicht nur Therapie).

    Ein ständiges Framing. Es ist für mich nicht akzeptabel, jede öffentliche Diskussion im Keim ersticken zu lassen, weil es unter dem Deckmantel sexuellen Missbrauchs verbreitet wird. Es wird immer jemanden geben der sich wegen irgendwas angepisst fühlt. Es brodelt und explodiert dann irgendwann.

    Stattdessen diskutiert man über und mit Begriffen, zu denen man nicht mal einheitliche Definitionen nutzt.

    Mind-Control, Konditionierung, Programmierung, rituell … im Grunde fehlt die Einheitlichkeit, um sich überhaupt irgendwie positionieren zu können.

    Was für mich hinzu kommt, dass sich der Fernsehrat nur mit den einflussreichsten Vertretern diese These an einen Tisch gesetzt hat, ohne gegenteilige Positionen zu berücksichtigen.

  2. „… [Zitat] es gibt sexuellen Missbrauch, bei dem Rituale eine Rolle spielen können …“
    „… [Zitat] bedeutet nicht, dass hinter jeder Aussage über rituelle Gewalt Suggestion stecken muss …“

    Leider verstehe ich den Autor der Zitationen nicht oder falsch. Es scheint, dass die Aussagen dahin führen, dass es so etwas wie „rituelle Gewalt“ tatsächlich gibt. Da es im Gesamtkontext eben um „satanische Gewaltpraktiken“ gegenüber Kindern geht, scheint der Zitierte also den grundsätzlich den diversen Anschuldigungen der Satanic-Panic-Fraktion zu folgen. „Nur“ einem hohen Organisationsgrad der Täter scheint er zu widersprechen.

    Oder lese ich hier Falsches hinein?
    (Nachtrag: wie/womit begründet er die Aussagen?)

  3. @ajki:

    In dem Artikel heißt es:

    Ein grundsätzliches Problem ist, dass der Begriff „rituelle Gewalt“ unscharf definiert ist. Mit ritueller Gewalt ist in der Regel eine Form des organisierten sexuellen Missbrauchs gemeint, der auf irgendeine Weise ideologisch gerechtfertigt wird. Die Täter können Sekten, Kulten oder politischen Gruppierungen angehören. Schon das macht die Sache kompliziert. In der Debatte vermischen sich juristische, therapeutische und weltanschauliche Fragen.
    Es gibt angebliche Expert:innen, die von Netzwerken im Verborgenen berichten, von elitären, mächtigen Kreisen und geheimen Psychofoltermethoden. Es klingt wie das perfekte Verbrechen – aber auch ziemlich unrealistisch.

    M.E. widerspricht der Autor damit nicht nur einem hohen Organisationsgrad der Täter, sondern dem, was wir vollständig „Rituelle Gewalt-Mind Control-Theorie“ nennen und was neben hoch organisierten Täterkreisen auch die Aspekte „Mind Control“, DIS etc. beinhaltet.

  4. Wie auch immer man zur Böhmermann-Sendung steht: Bedauerlich ist, dass offensichtlich sowohl der ZDF-Fernsehrat als auch die Beschwerdeführer den Vorgang mit dem Löschen der Sendung in der Mediathek als erledigt betrachten.

    Dabei wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, die Diskussion von Stil und Inhalt zu trennen und den Vorgang z.B. zum Anlass für eine moderierte Diskussion über die Inhalte der Sendung zu nehmen.

    So wird dagegen der Eindruck erweckt, dass man das Thema einfach vom Tisch haben will.

  5. Wieso „kann DIS auch in einer schädlichen Therapie erzeugt werden“?

    Ich dachte, DIS erzeugen geht grundsätzlich nicht.
    Manchmal dachte ich auch, DIS existiere gar nicht.

    Dass DIS nicht ‚erzeugt‘ werden kann, darüber herrscht wohl in der Fachwelt Konsens. DIS als solches ist ja durchaus auch umstritten.

    Fehlt nicht auch jede wissenschaftliche Evidenz, dass „DIS in einer schädlichen Therapie erzeugt werden kann“?

    Habe ich hier grundsätzlich was missverstanden?

  6. @zimtspinne:

    Dass der Autor die Fachdiskussion um die DIS nicht kennt, habe ich auch den Eindruck. Ich vermute, dass er hier

    kann DIS auch in einer schädlichen Therapie erzeugt werden“?

    nicht DIS, sondern falsche Erinnerungen meint.

  7. @Zimtspinne
    In einer solchen Therapie wird den Patienten eingeredet, sie hätten eine DIS. Das ist das Problem.

  8. Irgendwie kriege ich die Position des Autors nach wie vor nicht wirklich auf die Reihe.

    Einerseits macht er Faktenaussagen („es gibt sexuellen Missbrauch, bei dem Rituale eine Rolle spielen können“ – was doch wohl bedeuten muss, dass es dokumentierte Fälle dieses Typus gibt), andererseits schreibt er im von Herrn Harder im Kommentar erweiterten Zitat von „… angebliche Expert:innen … ziemlich unrealistisch. ..“, womit er schon (m.M.n.) verdeutlicht, dass er solchen „Experten“ nicht glaubt bzw. er die Einschätzungen nicht teilt.

    Wenn der Autor aber Faktenaussagen tätigt und sich NICHT auf die „Angeblichen“ bezieht, dann müßte er doch allermindestens irgendwelche unabhängigen (kriminalpolizeilichen / staatsanwaltlichen…) Belege im Auge haben. Ganz unabhängig von irgendwelchen begrifflichen Unschärfen.

    Das wäre nach meinem geringen Kenntnisstand in dem hiesigen Umfeld immerhin etwas völlig Neues.

  9. Mich widern sowohl Böhmermann als auch seine Sendung an, ich konnte sie keine zwanzig Minuten ertragen. Sie ist plump, plakativ, nicht einmal informativ und überhaupt nicht lustig.
    Trotzdem soll Böhmermann seine Quatsch verbreiten, denn was lustig ist, bestimme nicht ich, sondern der Geschmack des Publikums. Am besten in einem privaten Programm, das ich nicht mitfinanzieren muss.

  10. @ajki:

    Ich denke, das Problem ist in der Tat die (fehlende) Definition.

    Wir hier als „Experten“, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigen, wissen, dass es sich bei der „Rituelle Gewalt-Mind Control-Theorie“ um ein Konstrukt sui generis mit vielen unverzichtbaren Elementen handelt, die weit über organisierte pädophile Verbrechen hinausgehen.

    Das ist „da draußen“ aber sicher nicht jedem vollumfänglich geläufig.

    Zweitens arbeitet die „Satanic Panic“-Fraktion sehr hart daran, genau diese Unterschiede immer mehr verschwimmen zu lassen und das Phänomen gewohnheitsmäßig in einem Atemzug mit „normalem“ organisiertem sexualisiertem Kindesmissbrauch zu nennen.

    Wenn man jetzt z.B. nur mal bei Wikipedia nachliest, findet man:

    Charakteristisch für „rituelle Handlungen“ als Ausdruck eines Glaubenssystems seien wiederkehrende Symbolik und gleichförmige Handlungen, wie sie etwa während kultisch-ritueller, satanistisch-magischer Rituale vollzogen werden. Diese rituellen Elemente können auch in der Kinderpornografie zum Einsatz kommen und dienen als wiederkehrende Rahmenelemente bei sexuellem Kindesmissbrauch.

    Was soll das heißen? Dass alles „wiederkehrende“ zugleich auch „rituell“ ist?

    Ich kann nachvollziehen, dass jemand, der nicht tief in dem Thema drin ist, zumindest die Möglichkeit von Fällen, „bei denen Rituale eine Rolle spielen können“, in Betracht zieht, ohne das wirklich dokumentieren zu können – praktisch als plausible Annahme.

  11. B. Harder:

    „… jemand … zumindest die Möglichkeit von Fällen, „bei denen Rituale eine Rolle spielen können“, in Betracht zieht, ohne das wirklich dokumentieren zu können – praktisch als plausible Annahme“

    Das mag durchaus sein. Eine „plausible Annahme“ würde aber meiner Ansicht nach nicht rechtfertigen, allgemeine Aussagen zum Themenkomplex darauf zu stützen.

    Wenn jemand Ross&Reiter nicht nennen mag oder gar nicht nennen kann, wäre es vermutlich besser zu schweigen.

  12. @ajki:

    Auf Nachfrage kommen immer die gleichen Fälle, aktuell z.B. werden wir damit eingedeckt:

    https://www.dailymail.co.uk/news/article-12747709/Eight-guilty-Scotland-largest-child-abuse-ring-trial.html

    Was genau daran jetzt eine „Ideologie“ oder „rituell“ gewesen sein soll, erschließt sich mir nicht, aber es reicht vermutlich, wenn in den Berichten irgendwas von „Hexen“ und Satan und Quija-Brettern auftaucht.

    https://www.scottishdailyexpress.co.uk/news/scottish-news/horror-witchcraft-satanic-child-abuse-30867963

  13. @Zimtspinne, Du fragst:

    »Wieso „kann DIS auch in einer schädlichen Therapie erzeugt werden“?«

    Erzeugt in dem Sinne nicht, aber sie kann entstehen.

    Die Gefahr besteht vor allem bei schwer kranken Borderline-Betroffenen, denn Dissoziation ist u.a. ein Symptom dieser Störung und das kann natürlich durch eine falsche Behandlung verstärkt werden.

    In dem Fall spricht man von einer iatrogenen Entstehung.

  14. Ob wirklich immer eine iatrogene DIS vorliegt, fände ich ebenfalls diskutabel. Wenn bereits die Psychoedukation falsch ist, könnten Klient*innen ein vollkommen falsches Bild von einer DIS haben.

    Falls bereits ein schnellerer Puls oder unterschiedliche emotionale Zustände als Persönlichkeitswechsel interpretiert werden, sind die diagnostischen Kriterien vermutlich nicht im geringsten erfüllt.

  15. Sonnigen Tag in die Runde :)

    wie kann ich eine DIS erkennen ? Oder andersrum ..woran erkenne ich eine bewusst gespielte DIS ?

    Es macht mich fast wahnsinnig wenn ich Videos sehen indennen Frauen ihre Innenpersonen sprechen lassen,oder aufeinmal in Babysprache sprechen .

    Gibt es ein einziges Video , irgendwo , wo ich mir sicher sein kann : dieser Person hat an einer DIS .

    Mein Gefühl sagt mir nämlich das die Vergabe der Diagnose erst dazu führt, dass die Klientinnen erst richtig aufdrehen ,und immer mehr „Persönlichkeiten“ herbei fantasiert werden .

    es ist mir wirklich ein grosses Anliegen,diese Diagnose zu verstehen .

    Danke im vorraus :)

  16. Mehr eine Ankündigung für März 2024.

    Heikler Streit: Was ist dran an ritueller Gewalt

    https://eppendorfer.de/10703-2/

  17. Münchner Frauenärztin: Schock-Bericht über Prostitution – „Gesundheitszustand katastrophal“

    Die psychologische Psychotherapeutin Michaela Huber berichtet aus ihrer Praxis: „Suizidneigungen haben praktisch alle Frauen aus der Prostitution, die ich kennenlernen konnte.“ Prostitution sei ein grausames Geschäft: die Prostituierten würden entmenschlich auf extreme Weise: „Die Menschen, die die Frauen in die Prostitution zwingen, machen sie nackt, sperren sie ein, vergewaltigen sie immer wieder, urinieren auf sie…“ Die so genannte „freiwillige Prostitution“ ist für die Therapeutin „ein Mythos“.

    https://www.tz.de/muenchen/stadt/ueber-prostitution-muenchner-frauenaerztin-schock-bericht-zr-92367178.html

    Der Bericht der tz klingt für mich, als ob Michaela Huber ein neues Betätigungsfeld gefunden hat, nachdem es in Sachen „Satanic Panic“ nicht mehr so gut für sie läuft.

  18. @RPGNo1

    Scheint schon ein längeres Anliegen der Ärztin zu sein, mit ähnlichen Thesen wie der Huber.

    https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-prostitution-landtag-anhoerung-1.5583731

    Gibt es irgendeinen Mechanismus, dass eine Frau die Schwangerschaft verdrängt?

    „Ungewollte Schwangerschaften:
    Die meisten Frauen verhüteten mit der Pille oder der 3-Monats-Spritze. Natürlich kam es
    trotzdem öfter zu ungewollten Schwangerschaften. In einem Fall, den ich erinnere, war die
    Schwangerschaft schon so weit fortgeschritten und verdrängt ! , dass die Schmerzen, mit
    denen die Frau zu uns kam, tatsächlich Wehen waren, die direkt in den Kreissaal führten. […]“

    Quelle: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3453.pdf

    Vermutlich kennen Huber und Bissinger sich schon länger und die Verbindung rührt aus der Frauenrechtsbewegung.

  19. @Sebastian

    Ah, danke. In der Stellungnahme wird auf einen Emma-Artikel aus 2014 verlinkt, wo sich auch Michaela Huber äußert. Das ist wohl tatsächlich schon eine längerer Herzensangelegenheit von Frau Huber.

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