Endlich ein Ufo-Whistleblower mit höherer Glaubwürdigkeit als Robert Lazar und seine Area 51-Märchen?
Immerhin ist der 36 Jahre alte David Grusch tatsächlich Physiker und dekorierter Air Force-Offizier sowie ehemaliger Mitarbeiter der Militärgeheimdienste National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) und National Reconnaissance Office (NRO).
Am 5. Juni berichtete die Website The Debrief (die nach Eigendarstellung wohl im Bereich „Grenzwissenschaften“ angesiedelt ist) ausführlich über Gruschs Enthüllungen, wonach die US-Regierung „seit Jahrzehnten bis heute“ intakte und teilweise intakte Raumschiffe nichtmenschlichen Ursprungs geborgen habe, „ob außerirdischer oder unbekannter Herkunft“.
Eine deutsche Übersetzung des Artikels findet sich bei grenzWissenchaft.aktuell.
In einem Gespräch mit dem Kabelsender News Nation wiederholte Grusch eine Woche später seine Aussagen:
Auch dieses Interview hat grewi übersetzt:
Sie sagen, die USA haben intakte Raumschiffe?“
Grusch: Ja, das haben wir.
Haben wir auch Körper, Körper nicht-menschlicher Spezies?
Nun, wenn man etwas sicherstellt, das entweder gelandet oder abgestürzt ist, so findet man manchmal auch tote Piloten. Und glauben Sie es oder auch nicht, so fantastisch das auch klingt, aber es ist wahr.
Haben Sie selbst Raumschiffe gesehen?
Ich selbst habe einige interessante Fotos gesehen und habe einige sehr interessante Berichte gelesen.
Und das ist auch schon wieder die Crux an der Geschichte:
Gleichwohl David Grusch einwandfreie Referenzen und Renommee besitzen mag, hatte er selbst nie mit dem angeblichen Bergungsprogramm, den abgestürzten Flugobjekten, deren Technologie und Piloten zu tun.
The only problem is, there’s nothing backing it up,
kommentiert denn auch The Atlantic.
Grusch beruft sich im Wesentlichen auf „detaillierte Informationen“ einer Reihe hochrangiger aktueller und ehemaliger Beamter, „die ich teilweise aus meiner Dienstzeit kannte“. Der ehemalige NGA-/NRO-Mitarbeiter will dem US-Kongress hunderte Seiten Verschlusssachen und andere Daten über die Geheimprogramme zur Verfügung gestellt haben – allerdings keine physischen Beweise wie extraterrestrisches Material.
Entsprechend fallen die Reaktionen auf die vermeintliche Sensation aus.
Auf der Homepage der Boston University erklärt der Ingenieurs-Professor Joshua Semeter, Mitglied im NASA’s UAP independent study team:
Ohne materielle Beweise befinden wir uns bei der Beurteilung auch hier wieder in einer Sackgasse. In der langen Geschichte der Behauptungen über außerirdische Besucher scheint dieses Maß an Spezifität immer zu fehlen.
Beim Webportal Big Think schreibt der Astrophysiker Adam Frank:
Bei all dem Aufruhr rund um die Whistleblower-Geschichte handelt es sich nur um Hörensagen. Ein Mann sagt, er kenne einen Mann, der einen anderen kennt, der von einem Mann gehört hat, dass die Regierung außerirdische Raumschiffe hat. Hier gibt es keine Beweise, die ein Wissenschaftler wie ich nutzen könnte, um tatsächlich etwas zu bestimmen.
Nichtsdestotrotz ist eine Anhörung „on whistleblower’s UFO claims“ im Repräsentantenhaus geplant.
Was dabei vermutlich nicht zur Sprache kommen wird, sind David Gruschs Verbindungen zur Szene der Ufo- und Para-Gläubigen, die der New York Post-Journalist Steven Greenstreet dieser Tage bei Twitter aufdeckte.
Demzufolge sind einige von Gruschs „Quellen“ im Umfeld der ominösen Skinwalker-Ranch in Utah zu verorten, die der exzentrische Geschäftsmann Robert Bigelow 1996 erwarb und die ein Tummelplatz für zahllose übersinnliche, ufologische und kryptozoologische Manifestationen sein soll.
Bigelow firmiert auch als Gründer des National Institute for Discovery Science (NIDSci), einer Art hochtechnisierter Geisterjäger-Organisation, und ist „absolutely convinced that extraterrestrial life exists and that extraterrestrials have visited Earth“.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist David Grusch für die Experten von ufo-info nur „ein weiterer Ufo-Whistleblower“. Die gesamte Geschichte klinge weder glaubwürdig noch mache sie Sinn.
In der Tat erweckt derzeit keine irdische Technologie den Anschein, als sei sie im Rahmen eines „Reverse-Engineering“-Programms anhand weit überlegener außerirdischer Flugobjekte entwickelt worden.
Schließlich bringen verschiedene Medien, wie etwa die New York Times und Die Welt, noch die Option einer gezielten Täuschung ins Spiel. Um mehr Geld für die Militärfinanzierung zu bekommen. Oder um Geheimwaffen-Tests zu verschleiern.
Auch das ist möglich.
Zum Weiterlesen:
- Intelligence Officials Say U.S. Has Retrieved Craft of Non-Human Origin, The Debrief am 5. Juni 2023
- Geheimdienstmitarbeiter erklären öffentlich, die USA hätten Flugzeuge nichtmenschlichen Ursprungs geborgen, grenzwissenschaft-aktuell am 5. Juni 2023
- Zusammenfassung des TV-Interviews mit UFO-Whistleblower David Grusch, grenzwissenschaft-aktuell am 12. Juni 2023
- US-Senator Rubio: „Es gibt weitere, hochrangige und direkte Zeugen für UFO-Bergungsprogramme der US-Regierung“, grenzwissenschaft-aktuell am 27. Juni 2023
- Horten die USA Reste von Ufos? Ein Faktencheck, derStandard am 19. Juni 2023
- Ufos im Besitz des Pentagon? Das Geheimnis des David Grusch, welt+ am 15. Juni 2023
- Nur ein weiterer Ufo-Whistleblower, ufo-info am 29. Juni 2023
- Crazy UFO-believing Pentagon bosses missed spy craft for years, nypost am 21. März 2023
- Is A Utah Ranch The Strangest Place On Earth? rense.com am 10. August 1998
- Bigelow’s Aerospace and Saucer Emporium, Skeptical Inquirer Volume 33, No. 4, July/August 2009
- Claims About a Government “UFO Program”: How Much is True? skeptic May 2020
- Die bizarre Geschichte der Skinwalker-Ranch, watson am 2. August 2019