18. Oktober 2023
von Bernd Harder
4 Kommentare
Im März berichteten wir hier über eine junge Frau namens Malin, die während einer drei Jahre langen Traumatherapie in Münster das Opfer von suggestiv erzeugten Falscherinnerungen an satanistisch-rituellen Missbrauch wurde.
Auch Der Spiegel hatte den Fall aufgegriffen.
Kurz danach schloss das Bistum Münster die „Beratungsstelle Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt“:
Die Leiterin dieser Beratungsstelle, die Diplom-Psychologin Jutta Stegemann, war auch Malins Therapeutin gewesen.
Jetzt schreibt das Münsteraner Stadtmagazin Rums: Malin war kein Einzelfall.
Für meine Recherche habe ich mehrmals mit einer Frau gesprochen, die das Angebot der Beratungsstelle am Bistum genutzt hat und dazu mit Jutta Stegemann in Kontakt stand,
erklärt der Autor Sebastian Fobbe:
Was sie mir am Telefon berichtet, deckt sich weitgehend mit den Vorwürfen im Spiegel-Bericht: Es geht um fehlende professionelle Distanz, emotionale Abhängigkeit und suggestive Befragungsmethoden. Auch andere Quellen schildern mir ähnliche Erfahrungen von Klient:innen der Beratungsstelle.
Zudem hätten sich immer wieder Betroffene über die Beratung beschwert, teilte die Bistums-Pressestelle Fobbe mit. Weitere Nachfragen ließ man dort unbeantwortet. Die Psychotherapeutenkammer NRW will sich ebenfalls nicht zu dem Fall äußern.
Auch mit Michaela Huber (die „bei manchen als treibende Kraft hinter der Erzählung um rituelle Gewalt in der Psychotherapie“ gelte und bei der auch Stegemann „mindestens eine Weiterbildung“ besucht habe) nahm Fobbe Kontakt auf.
Daraufhin bekam der Journalist ein Schreiben von einem bekannten Medienanwalt mit „vier knappen Antworten, die ich zitieren darf, und einer Reihe von Hintergrundinformationen, die ich nicht zitieren darf“.
Huber verweist in ihrer anwaltlich übermittelten Stellungnahme auf eine vom Bistum Münster im Jahr 2022 vorgelegte Missbrauchsstudie, in der „sechs Fälle rituellen Missbrauchs beispielhaft dokumentiert“ seien.
Tatsächlich ist in den fast 600 Seiten lediglich die Rede von drei Betroffenen,
… die gegenüber dem Bistum Münster im Hinblick auf Zeiträume in den 1950er, 1960er, 1970er und 1980er Jahren angeben, sexuellen und rituellen Missbrauch in einem ideologisch oder okkult überformten Netzwerk erlebt zu haben.
Allerdings (Seite 358):
Bei allen drei Betroffenen haben sich die Erinnerungen allerdings erst Jahrzehnte nach den mutmaßlichen Taten wieder eingestellt, dabei in zwei Fällen im Zusammenhang mit einer Traumatherapie, im dritten Fall im zeitlichen Umkreis eines weiteren traumatischen Erlebnisses.
„Beispielhaft dokumentiert“ ist das Thema Ritueller Missbrauch in der Studie mitnichten, im Gegenteil (Seite 356/357):
Die Einordnung solcher Berichte ist schwierig und die Diskussion in der Öffentlichkeit sowie in Fachkreisen hochgradig polarisiert. Da die Erinnerungen häufig erst nach langer Zeit, mitunter erst nach Jahrzehnten und im Nachgang zu Therapien auftauchen, sind sie hinsichtlich der Faktizität des Erinnerten schwerlich als belastbar einzustufen.
Zudem scheint die Gefahr gegeben, dass durch suggestive Befragungstechniken seitens Therapeuten, kirchlichen Mitarbeiter:innen und anderen forensisch ungeschulten Personen Aussagen erzeugt werden, die sich einer empirischen Kontrolle vollständig entziehen.
Nicht zuletzt können auch populärkulturelle Formate und Phänomene die öffentlichen Diskurse um satanistische Praktiken antreiben.
Bei seiner mehrmonatigen Recherche gewann Fobbe zunehmend den Eindruck:
Wer sich kritisch mit diesem Thema beschäftigt, betritt gefährliches Gebiet.
Jutta Stegemann „schweigt“. Michaela Huber schickt ihren Anwalt vor, dessen Kanzlei den Journalisten „vorsorglich“ darauf hinweist, „dass sie bereits beauftragt wurde, gegen eine etwaige rechtsverletzende Berichterstattung vorzugehen“. Das Bistum Münster gibt sich „schmallippig“. Und von der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation im Mai in Münster wurde Fobbe kurzerhand ausgeschlossen.
Deren Vorsitzender Dr. med. Harald Schickedanz bezeichnete den eingangs erwähnten Spiegel-Artikel nebenbei als „Rufmord-Kampagne“.
Alles sehr merkwürdig.
Es bleibt also dabei, dass die „Satanic Panic“-Vertreter keinerlei Interesse zeigen, seriöse Untersuchungen und Forschung im Kreis der Rituelle Gewalt-Mind-Control-basierten Therapien anzustoßen und die Versorgungsqualität der Patientinnen von unabhängigen Gutachtern einschätzen zu lassen.
Stattdessen gerieren sich die Anhänger der RG-MC-Theorie weiterhin als geschlossener Zirkel, in dem sie sich gegenseitig in ihrem Glauben bestärken.
Zum Weiterlesen:
- Das Bistum und der Satanismus, rums am 17. Oktober 2023
- Nicht wiedergutzumachender Schaden: Unser Gespräch mit dem Opfer einer „Satanic Panic“-Fehlbehandlung aus der aktuellen Spiegel-Story, GWUP-Blog am 12. März 2023
- „Keine Evidenz“: Der Spiegel widerlegt die Narrative der Verschwörungstheorie vom satanisch-rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 10. März 2023
- Video „So ein Bullshit“ – Jan Böhmermann im Magazin Royale über die Satanic Panic, GWUP-Blog am 8. September 2023