Hin und wieder bekommen wir Anfragen zur EREAMS-Studie, die angeblich „wissenschaftliche Beweise für die Existenz von Jenseitskontakten“ liefern soll.
Hier im Kommentarbereich hatten wir das Thema mal gestreift.
Etwas ausführlicher:
EREAMS steht für „Empirical Research of the Effectiveness and Authenticity of Messages from Spirit“.
Dafür wurden nach eigenen Angaben
… 500 Jenseitskontakte (auch Sittings genannt) nach dem britischen Spiritismus untersucht, die von zwei renommierten und europaweit bekannten Medien durchgeführt wurden.
Kurz gesagt:
Die „Sitter“ (also Personen, die ein „Medium“ aufsuchen, um Kontakte zu Verstorbenen herzustellen), füllten einige Wochen nach der 45-minütigen Sitzung einen Fragebogen aus, in dem unter anderem abgefragt wurde, ob das „Medium“ verifizierbare Beweise dafür erbracht hat, dass tatsächlich ein Jenseitskontakt stattfand.
Nach Einschätzung der Autoren bringen
… die höchst signifikanten Ergebnisse dieser empirischen Studie nicht nur das materialistische Weltbild ins Wanken, sie bestätigen darüber hinaus sehr eindrucksvoll die Evidenz für ein Weiterleben unseres Bewusstseins auch nach dem physischen Tod.
Tatsächlich sieht das Ganze aber so aus:
Die vier Protagonisten dieser „Studie“ sind zwei berufsmäßige „Medien“, die mit „Jenseitskontakten“ Geld verdienen, sowie eine psychologische Psychotherapeutin, die angibt, „die Verbindung zu etwas Höherem“ zu suchen, und schließlich ein Informatik-Professor (Oliver Lazar), der nach „tiefgreifenden persönlichen spirituellen Erlebnissen“ die Welt nunmehr „ganzheitlich, völlig losgelöst von Weltbildern“ betrachtet und versteht.
EREAMS ist nicht in einem Fachjournal publiziert, sondern von Lazar als privat-kommerzielles Buchprojekt herausgebracht worden („Jenseits von Materie“), auf das er bei Nachfragen verweist. Die Resultate unterliegen mithin keinerlei Überprüfung, Einschätzung, Diskussion von und mit Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Neurowissenschaften, Studiendesign, Wissenschaftstheorie etc.
Lazar schreibt von „Evidenz durch objektive Verifikation“. Darunter scheint er zu verstehen, dass die Visionen seiner beiden „Medien“ von den Angehörigen der Verstorbenen „objektiv“ bestätigt worden seien.
Online finden sich zwei Beispiele:
Eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat, erhielt von dem Medium die Botschaft, dass ihr das Mädchen einen Hasen und einen einzelnen Fisch zeigen würde. Die Mutter bestätigte diese Botschaft, denn ihre verstorbene Tochter hatte tatsächlich einen Hasen bzw. ein Kaninchen und einen einzelnen Fisch als Haustiere. Sie schrieb in die Kommentare: „Welches Kind hat denn schon einen einzelnen Fisch als Haustier?“
Das ist mit Sicherheit nichts, was man erraten kann. Die genannte Information war eindeutig überprüfbar, die Mutter des Mädchens konnte die Infomationen eindeutig bestätigen. Genauso hätte sie diese Botschaft aber auch verneinen können.
Und:
Eine Mutter bekam von ihrem verstorbenen Jungen die Botschaft übermittelt, dass sein Lieblingslehrer bei seiner Beerdigung eine orange-farbene Jacke trug. Diese hoch-spezifische Information wurde von der Mutter eindeutig bestätigt. Die Kenntnis dieser Information kann unmöglich über Recherchearbeit, Coldreading oder eine sonstige natürliche Erklärung begründet werden.
Die genannte Information war eindeutig überprüfbar, die Mutter des Jungen konnte ganz klar sagen: „Ja, der Lehrer war tatsächlich da und er trug wirklich eine orange-farbene Jacke.“ Genauso hätte sie diese Botschaft aber auch verneinen können.
In beiden Fällen stellt sich allerdings die Frage: Warum hätte die Mutter das verneinen sollen?
Trauernde gehen ja deswegen zu einem „Medium“, weil sie Trost und Bestätigung suchen – nicht, weil sie in ihren Hoffnungen und Wünschen enttäuscht und widerlegt werden wollen.
Da hilft auch Lazars (r.) Einlassung nicht weiter:
Um die benötigten Informationen über den Lieblingslehrer und die orangefarbene Jacke zu erhalten, mussten weitere nicht am Trauerprozess beteiligte Personen befragt werden, die schließlich die hochspezifische Information über den Lieblingslehrer und die Farbe der Jacke bestätigten.
Und wer hat diese Informationen eingeholt? Niemand anderes als die Mutter (beziehungsweise die Eltern) selbst:
Sie befragten die Mitschüler nach dem Lieblingslehrer. Dann befragten sie den Lieblingslehrer nach der Kleidung, die er auf der Beerdigung trug.
Das ist aber mitnichten eine „objektive Verifikation“, wie Lazar behauptet. Stattdessen schiebt er die ganze Beweislast den trauernden Angehörigen zu – die verständlicherweise zahlreichen emotional-psychologischen Einflüssen unterliegen, wie selektive Wahrnehmung, Confirmation Bias und vieles mehr.
Lazar legt Wert auf die Feststellung, dass auch „absolute Skeptiker“ an den Sitzungen teilgenommen hätten (insgesamt 36), die „am Ende absolut überzeugt“ gewesen seien.
Ja und?
Erstens definiert er nicht, was „absolute Skeptiker“ sind.
Und zweitens wäre auch das keine Überraschung, selbst wenn es stimmen sollte, dass „die größten Skeptiker die besten Bewertungen hinterlassen“ haben.
Gerade Menschen, die „Jenseitskontakte“ für Unsinn halten, hatten ja nie einen Grund, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen und geraten gänzlich unvorbereitet in ein solches Setting hinein.
Ihnen fehlt also jedwede Kenntnis der psychologischen Effekte, die bei einer solchen Sitzung ablaufen – folglich haben sie auch kein Instrumentarium, um das Erlebte selbstkritisch zu reflektieren und einzuordnen. Das zeigen immer wieder Experimente mit Fake-„Medien“, die gerade eine kritisch eingestellte Klientel auf einfachste Weise verblüffen können.
In Grundzügen scheinen Lazar diese Probleme sogar bewusst zu sein. Aber seine Erwiderungen in der Rubrik „Die üblichen Einwände“ sind alles andere als überzeugend.
Warum er seine Arbeit nicht bei einem Peer-reviewed-Journal eingereicht hat, erklärt er so:
Peer review macht nur dann Sinn, wenn die Studie in das Weltbild der Gutachter passt. Wie groß ist wohl die Chance, dass ich mit meiner Studie über Jenseitskontakte, die das materialistische Weltbild zum Einsturz bringt, bei sechs materialistischen Gutachtern Erfolg hätte.
Das braucht man nicht mal zu kommentieren, so selbstentlarvend ist diese Aussage. Es geht Lazar also um nichts weiter als Bestätigungsforschung – und zwar die Bestätigung seiner persönlichen Überzeugung, die er anschließend in „Kauf mein Buch“-Manier (Allmystery) feilbietet.
Als weiteren Grund führt er an, dass die Studie „The experimental evidence for parapsychological phenomena: A review“ (2018) trotz positiver Begutachtung in „einem der renommiertesten Psychologie-Fachjournale weltweit“ es nicht auf die Titelseite einer jeden Tageszeitung geschafft habe.
Das ist also der Platz, wo Lazar sich offenbar sieht – auf der Titelseite einer jeden Tageszeitung.
Dass das nicht Sinn und Zweck eines Peer Review ist, müsste dem Informatik-Professor vielleicht mal jemand erklären. Oder hatte Lazar schlicht Angst vor Kritik, wie sie zum Beispiel an der besagten Studie geübt wurde?
Andere Wissenschaftler und deren Urteile interessieren mich nicht,
meint Lazar lapidar.
Und das ist auch genau der Grund, warum sich niemand außer ein paar Schwärmern für seine „Messages from Spirit“ interessiert.
Zum Weiterlesen:
- ARTE-Video: „Offenbar gibt es für beinahe jede Nahtod-Erfahrung eine diesseitige Erklärung“, GWUP-Blog am 14. Oktober 2022
- „Streitfrage Jenseitskontakte“, GWUP-Blog am 28. Februar 2021
- Sprechen mit Toten: Jenseitskontakt mit einem Medium, br am 27. Juli 2021
- Wenn ein „Medium“ mit Toten redet, nzz am 10. Juli 2020
- Jenseitskontakte – Ich war bei einem Medium und fand es ziemlich jenseits, srf am 1. März 2021
- Wo ist Herr Voggenhuber? GWUP-Blog am 5. Januar 2014