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2. Juli 2024
von Bernd Harder
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Alternativmedizin bei Tieren: Fast nichts ist ausreichend belegt

Eine neuere Umfrage (2022) zeigt, dass 85 Prozent der Tierärzte in Deutschland alternativmedizinische Verfahren anbieten.

Aber was bringt das, fragt Prof. Edzard Ernst bei spiegel.de:

Kurz zusammengefasst:

  • Eine systematische Literaturübersicht hat die Evidenz zu 24 verschiedenen alternativmedizinischen Verfahren, die bei Katzen, Hunden und Pferden gern eingesetzt werden, unter die Lupe genommen.

Dabei ging es unter anderem um Verfahren wie Aromatherapie, Homöopathie, das Aufsetzen von Blutegeln, Musiktherapie oder Vibrationstherapie. Für 15 der Behandlungsformen wurde überhaupt keine Evidenz gefunden. Nur eine einzige Studie fand sich, die die Autoren als belastbar und somit aussagekräftig einstufen konnten.

Die Schlussfolgerung der Autoren fiel entsprechend zurückhaltend aus: „Die wissenschaftliche Evidenz ist zu ungenügend, um die klinische Wirksamkeit der 24 Therapien zu benennen.“

  • Nahrungsergänzungsmittel für Hunde (bei Osteoarthritis):

Untersucht wurden Chondroitinsulfat, Glucosamin, ungesättigtes Typ-II-Kollagen, unverseifbare Avocado-Sojabohnen, Curcumin und mehrfach ungesättigte Fettsäuren als Mittel gegen Arthritis . Einige dieser Supplemente zeigten tatsächlich entzündungshemmende Effekte oder könnten dabei helfen, den Muskelabbau einzudämmen.

Zu bedenken ist aber, dass die sogenannte Bioverfügbarkeit von Stoffen wie Curcumin gering ist und dass belastbare klinische Studien nach wie vor Mangelware sind. Die Autoren meinen dennoch, dass Nahrungsergänzungsmittel bei der Arthritisbehandlung von Hunden in Betracht gezogen werden können.

  • Manuelle Therapie bei Pferden:

Eine Übersicht zu verschiedenen Formen manueller Therapien  in der Behandlung akuter oder chronischer Schmerzsyndrome bei Pferden ergab, dass die Wirksamkeit für die meisten Ansätze nicht ausreichend belegt ist.

  • Akupunktur:

Ein systematisches Review, an dem ich 2006 selbst mitgearbeitet habe, umfasste immerhin 31 kontrollierte Studien zur Anwendung bei verschiedenen Tieren. Ihre methodische Qualität war unterschiedlich, im Durchschnitt jedoch eher mangelhaft. Für Hautschmerzen und Durchfall ergaben sich ermutigende Hinweise, die weitere Untersuchungen rechtfertigen könnten […]

Selbst diese Studien bedürfen jedoch einer unabhängigen Bestätigung, bevor ihre Ergebnisse als wissenschaftlich gesichert gelten können. Letztlich war unser Fazit daher, dass es insgesamt keine belastbare Evidenz gibt, die den Einsatz der Akupunktur bei irgendeiner Erkrankung von Haustieren rechtfertigen könnte.

Tatsächlich wurde unser zurückhaltendes Fazit inzwischen mehrfach Tatsächlich wurde unser zurückhaltendes Fazit inzwischen mehrfach durch andere Arbeiten bestätigt.

  • Homöopathie:

In einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015  wurde die Hypothese geprüft, ob sich die Ergebnisse von tierärztlichen homöopathischen Behandlungen von Placebos unterscheiden lassen. Insgesamt konnten 15 Studien eingeschlossen werden, aber nur zwei davon waren aus methodischer Sicht aussagekräftig.

Die Autoren, bekannte Befürworter der Homöopathie, kamen zu dem Schluss, dass es „nur sehr begrenzte Belege dafür gibt, dass sich eine klinische Intervention bei Tieren mit homöopathischen Arzneimitteln von einer entsprechenden Intervention mit Placebos unterscheiden lässt“.

  • Bioresonanz:

Mit Bioresonanzgeräten kann man weder Krankheiten diagnostizieren noch behandeln.

Ernst zieht das Fazit, dass „so gut wie nichts ausreichend belegt“ ist. Allerdings gebe es auch bei Tieren den Placebo-Effekt, „Placebo-by-proxy“ genannt:

Im Gegensatz zu Menschen haben Tiere keine Wahl – ihnen wird die Behandlung verpasst, die der Besitzer oder die Besitzerin für richtig hält. Jeder verantwortungsbewusste Halter hat daher aus meiner Sicht die ethische Pflicht, seinem kranken Tier die jeweils wirksamste Therapie zukommen zu lassen.

Ein ähnlicher Beitrag von Ernst ist im vergangenen Jahr bei Welt-Online erschienen.

Zum Weiterlesen:

  • Hilft Alternativmedizin bei der Behandlung von Haustieren? spiegel.de am 29. Juni 2024
  • Video: Die Tierärztin Stefanie Handl über „Globuli für Waldi“, GWUP-Blog am 1. April 2024
  • Woo against All Odds: Stefanie Handl Battling Pseudoscience in Veterinary Medicine, Skeptical Inquirer am 9. November 2020
  • The European Skeptics Podcast: Stefanie Handl, the Skeptic Vet
  • SkepKon-Video: Die „Futterverschwörung“ – Trends in der Ernährung von Hunden und Katzen, GWUP-Blog am 15. Dezember 2019
  • Video von „Wissenschaft oder Wunschdenken?“ in Wien: Ernährungsmythen bei Mensch und Tier, GWUP-Blog am 6. Dezember 2018
  • Vortragsvideos von Stefanie Handl: Akupunktur, TCM und vegane Ernährung auch für Hund und Katze, GWUP-Blog am 3. Oktober 2018
  • Video: Von BARF bis vegan: Trends und Mythen in der Fütterung von Hunden und Katzen, Skeptics in the Pub Wien am 27. März 2017
  • Beste Medizin für beste Freunde, Skeptiker 3/2018
  • „Alternative“ Tiermedizin – So behandelt man keinen Freund! Susannchen braucht keine Globuli am 30. September 2018
  • „Unplausibel, irreführend“: Homöopathiekritik in tiermedizinischem Fachjournal, GWUP-Blog am 2. Februar 2024
  • Homöopedia: Tierhomöopathie
  • Colin Goldner: Vorsicht Tierheilpraktiker! Alibri, 312 Seiten, 29 €
  • „I Am So Skeptical That I Am Even Skeptical about Skepticism“: Edzard Ernst on So-Called Alternative Medicine, skepticalinquirer.org am 27. November 2023

2. Juli 2024
von Bernd Harder
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Vor 260 Jahren fand die „Bestie von Gévaudan“ ihr erstes Opfer

Am 30. Juni 1764 wird 14-jährige Jeanne Boulet aus der Pfarrei Saint-Etienne-de-Lugdarès in den Wäldern der Auvergne von einem mysteriösen Raubtier angefallen und stirbt einen grausamen Tod.

Das Hirtenmädchen gilt als das erste Opfer der Bestie des Gévaudan. Bis zum Jahr 1767 zeugen die Akten von 240 Überfällen und 112 Todesopfern. 53 Menschen kommen mit Verletzungen davon.

Beobachter berichten von einer Mischung aus Wolf, Leopard und Bär. Der Fantasie – und Angst – scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Regierung und Kirche nutzen die Panik, um ihre Macht zu festigen. Dragoner und Jäger werden entsandt, der Bischof von Mende erklärt, die Bestie sei eine Strafe Gottes,

schreibt die Zeitzeichen-Redaktion des WDR:

Erst drei Jahre später gelingt es dem örtlichen Jäger Jean Chastel schließlich, ein ungewöhnlich großes Tier zu erlegen. Die Angriffe hören auf, doch das Mysterium bleibt: War es ein übergroßer Wolf, ein hybrides Raubtier oder sogar das Ergebnis menschlicher Intrigen?

Der Historiker Utz Anhalt kann sich als „Bestie von Gévaudan“ einen Hybriden vorstellen, eine Züchtung etwa aus einem europäischem Grauwolf und einer französischen Dogge, die von einem Raubmörder (möglicherweise Jean Chastel selbst) gezielt abgerichtet wurde.

Auch der kanadische Wolfsbiologe R. D. Lawrence geht von einer Kreuzung eines Wolfs mit einem großen Hund aus:

Wie moderne Zuchtversuche zeigen, können gemeinsame Nachfahren außerordentlich aggressiv sein und zeigen – anders als ihre wild lebenden Ahnen – wenig Scheu vor Menschen.

Wie auch immer:

Die „Bestie des Gévaudan“ ist ein ungelöstes historisches Rätsel – mit geringer Aussicht, jemals vollständig aufgeklärt zu werden,

schrieben wir vor drei Jahren.

Zum Weiterlesen:

  • Spuk, Nahtod, Ouija-Brett, Blicke, Telekinese: „13 unheimliche Phänomene“ – wirklich? GWUP-Blog am 30. Dezember 2021
  • Die „Bestie von Gévaudan“: Werwolf, Hybride oder Serienmörder? GWUP-Blog am 30. Juni 2014
  • Sie fraß Dutzende Menschen, verschleppte sie oder biss ihnen den Kopf ab, welt.de am 30. Juni 2022

2. Juli 2024
von Bernd Harder
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„Atlantis“ bei Vorpolitisch

Was macht uns eigentlich so sicher, dass es Atlantis nicht gegeben hat – beziehungsweise eine Industriegesellschaft vor 100.000 oder einer Million Jahren, die technologisch ähnlich weit entwickelt war wie die unsere, oder vielleicht sogar noch weiter?

Dieser Frage geht Dr. Sebastian Schnelle in seinem Podcast Vorpolitisch nach.

Spoiler:

Die Abwesenheit von Beweisen ist zwar kein Beweis der Abwesenheit. Bei skeptisch-wissenschaftlicher Betrachtung spricht indes wenig dafür.

Da wir bisher weder zivilisatorische Spuren, wie Überbleibsel von Bauwerken, noch fossile Funde, noch Hinweise auf aus Anomalien in Verteilungen oder Zeitreihen haben, die irgendeinen Hinweis auf die Existenz lieferten, ist es vernünftig, davon auszugehen, dass es Atlantis wohl nicht gab.

In den vergangenen Tagen waren außerdem der Schweizer Skeptiker Marko Kovic und die Psychologin Esther Bockwyte bei Vorpolitisch zu Gast.

Zum Weiterlesen:

  • Eine „Kriegserklärung“ an die Archäologie: Die Pseudodoku „Ancient Apokalypse“ von Graham Hancock bei Netflix, GWUP-Blog am 18. Dezember 2022
  • Die „Wunderweltkarte“ des Piri Reis ist wenig wundersam, GWUP-Blog am 18. November 2023
  • ZDF-info: Die Suche nach Atlantis, GWUP-Blog am 8. Januar 2021
  • Die Karte des Piri Reis: das ewige Spekulationsobjekt, GWUP-Blog am 19. Juni 2017

28. Juni 2024
von Bernd Harder
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Video „Logische Fehlschlüsse“: Die Top 10 bei BiasedSkeptic

Jetzt auch in der Zusammenschau:

Logische Fehlschlüsse erklärt

von BiasedSkeptic:

Es geht um

  • 10. Cherry-Picking
  • 9. Schwarz-Weiß-Fehlschluss
  • 8. Anekdoten-Argument
  • 7. Scheinkausalität
  • 6. Zirkelschluss
  • 5. Äquivokationsfehlschluss
  • 4. Autoritätsargument
  • 3. Whataboutism
  • 2. Ad Hominem
  • 1. Strohmann-Argument

und den „Fehlschluss-Fehlschluss“.

Zum Weiterlesen:

26. Juni 2024
von Bernd Harder
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Osteopathie, Chiropraktik und Co.: Manuelle Therapie bei „Gesundheit und Wissenschaft“

In keiner Fußgängerzone kann man sein wärmendes Kirschkernkissen werfen, ohne die Praxis eines Manualtherapeuten zu treffen: Physiotherapeuten, aber auch Osteopathen, Chiropraktiker, Masseure und vieles mehr.

Aber was ist das eigentlich und was machen die? Das erklärt Konstantin Linder in seinem neuen Video:

Osteopathie, Chiropraktik und Co – Was kann manuelle Therapie?!

Ob Osteopathie, Chiropraktik oder Massagetechniken: Das Ertasten und beheben von Störungen mit den Händen ist extrem verbreitet. Kein Wunder, denn auch Rückenschmerzen sind weit verbreitet.

Aber helfen die Hände tatsächlich bei der Beseitigung der Beschwerden oder verschaffen sie nur kurzzeitige Linderung ohne langristigen Nutzen? Und was steckt hinter den Modellen? Stecken wirklich blockierte Lebensenergien, hypomobile Wirbel oder Haltungsschäden dahinter?

Demnächst gibt’s dann einen Podcast zum Thema mit Skeptical-Referent Lutz Homann.

Zum Weiterlesen:

  • Evidenz für OP? „Gesundheit und Wissenschaft“ über das Schulterimpingement, GWUP-Blog am 15. Mai 2024
  • Video: Der Youtube-Kanal Gesundheit und Wissenschaft beim Skeptical 2023, GWUP-Blog am 27. Juli 2023
  • Skeptical: „Mythen der Physiotherapie“ jetzt als Video, GWUP-Blog am 12. Juni 2024
  • Knack und gesund? Die Science Cops über Chiropraktik, GWUP-Blog am 27. Juni 2023

25. Juni 2024
von Bernd Harder
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Homöopathie raus der Kassenerstattung: „Es geht nicht um ein Berufsverbot“

Als der Ärztetag im Mai beschloss, die Homöopathie aus der GOÄ zu streichen, faselten einige Betroffene allen Ernstes von einem „Berufsverbot für homöopathisch tätige Ärzte“.

Und wir dachten immer, dass „Homöopathie“ bloß eine Zusatzbezeichnung für Ärzte sei, die grundsätzlich auch richtige Medizin können. Solche Aussagen lassen also tief blicken.

Wie auch immer:

Dass und warum das Geschwätz vom „Berufsverbot“ Unsinn ist, erläutert heute im Berliner Tagesspiegel der INH-Sprecher Dr. Christian Lübbers:

Selbstverständlich geht es nicht um ein „Berufsverbot“, was auch vor dem Ärztetag juristisch geprüft worden ist. Es geht vielmehr um die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gebot, die ärztliche Profession nach wissenschaftlichen Grundsätzen auszuüben. Und um die ethischen Fragen, die eine Anwendung von Homöopathie jedenfalls dann aufwirft, wenn sie nicht als Offenes Placebo erfolgt.

Zum Weiterlesen:

  • Es geht nicht um ein „Berufsverbot“, tagesspiegel am 25. Juni 2024
  • Ärztetag beschließt: Homöopathie soll aus der GOÄ gestrichen werden, Ärztezeitung am 10. Mai 2024
  • DPhG-Statement: „Homöopathische Arzneien sind (auch) keine Wundermittel“ vom 7. Juni 2024
  • Der Deutsche Ärztetag distanziert sich von der Homöopathie, INH am 13. Mai 2024
  • Aus für die Homöopathie? „Feiert noch nicht“, erklärt Dr. Hegedüs, GWUP-Blog am 24. Mai 2024
  • Wollen Sie wirklich ein Homöopathie-Verbot für ärztliche Kollegen, Dr. Hanefeld? ÄrzteZeitung am 21. Mai 2024
  • Homöopathie: Wie eine Apotheke Schweinsbeuschel zu Mutterkuchen-Globuli veredelt, derStandard am 21. Juni 2024
  • Homöopathie: Und täglich grüßt das Schwurbeltier, docCheck am 12. April 2024

23. Juni 2024
von Bernd Harder
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„Phänomenal Paranormal“ war gar nichts am Amityville Hoax

Bekanntlich ist uns Dr. Dr. Walter von Lucadou ein wenig gram, weil wir ihn hier im Blog mal als „tragischen Beglaubiger“ tituliert haben:

Aber wieso nimmt er uns das übel?

Wenn wir uns nicht völlig verhört haben, ist sich „Deutschlands bekanntester Parapsychologe“ (Stuttgarter Nachrichten) treu geblieben und scheint jetzt sogar das Schwindler-Paar Ed und Lorraine Warren sowie den ausgemachten Hoax von Amityville zu beglaubigen.

Und zwar in der neuen Podcast-Folge von Phänomenal Paranormal:

Bis zu Minute 47:10 könnte man eventuell noch vermuten, dass Lucadou Opfer einer unlauteren Gesprächsführung ist und seine Aussagen tatsächlich aus dem Zusammenhang gerissen werden. Denn bis dahin geht es eher allgemein um Stimmen hören, Schlafparalyse, Pareidolie, Ghosthunter und „Embodimentstörungen“.

Als er dann aber ernsthaft versucht, den „grünen Schleim“ im Spukhaus von Amityville zu erklären, können sich sogar die beiden Hosts das Lachen nicht verbeißen („Sorry Walter, Entschuldigung, Herr von Lucadou …“)

Zwar hält Lucadou die filmischen Darstellungen des „Amityville Horror“ für „total übertrieben“ – aber eben nur für „übertrieben“, nicht für frei erfunden.

Sowohl die „Dämonologen“ Ed und Lorraine Warren, die den Nonsens authentifizierten, als auch George Lutz, der die Story in die Welt setzte, finden Lucadous grenzenloses Wohlwollen, der am Ende alles irgendwie mit Wahrnehmungstäuschungen und Gedächtnisverfälschungen erklärt.

Klar, dass die Hosts Parshad und Marc Augustat das „cool“ und „schön“ finden, wie der Doppel-Doktor aus Freiburg „die Geschichte vom Amityville Horror-Haus“ glattzieht. So kann man wenigstens ganz schnell darüber hinweggehen, dass Augustat bei 52:30 eine einzige winzige Bemerkung fallen lässt, wonach „die Kritiker“ sagen, da sei „nichts dran an dem Spuk“.

Kein Wort darüber, dass maßgebliche Protagonisten des Schwindels nachweisbare Aussagen wie

We created this horror story over many bottles of wine.

oder

In other words, it was a hoax.

getätigt haben, etwa im People Magazine (1979):

Apropos „Kritiker“:

Am 29. Mai erreichte uns eine Anfrage der Phänomenal Paranormal-Produktionsfirma, ob wir „die einzelnen Vorkommnisse“ im Amityville-Haus „besprechen und einordnen“ könnten, darunter auch der besagte „grüne Schleim, der aus den Wänden sickerte“.

Unsere Antwort: Wir können keine Phänomene besprechen, die es nie gab – erklären aber gerne, von wem und warum diese Lügengeschichte aufgebracht wurde.

Daraufhin haben wir von dem Ersuchen nichts mehr gehört.

Der Vollständigkeit halber hier die Zusammenfassung des „Amityville Horror“, wie sie 2005 im „Lexikon der Großstadtmythen“ erschienen ist:


In dem Haus 112 Ocean Avenue in Amityville ist der Teufel los. Aus den Toiletten quellen stinkende Flüssigkeiten, grüner Schleim rinnt von den Wänden, überall erklingen unheimliche Geräusche, rot glühende Augen schweben körperlos in der Dunkelheit, eine solide Tür fliegt wie unter einem mächtigen Druck aus den Angeln.

So jedenfalls schildert der Hollywoodfilm „Amityville Horror“ jene Ereignisse, die im Dezember 1975 George Lutz und dessen Familie widerfahren sein sollen.

Das schmucke Gebäude auf Long Island (New York) war zum Schnäppchenpreis von 80.000 Dollar in den Besitz des Landvermessers übergegangen. Denn wenige Monate zuvor hatte darin ein 23-jähriger Amoktäter namens Ronald DeFeo seine Eltern und vier Geschwister erschossen.

Doch das vermeintliche Traumhaus entpuppt sich schnell als Alptraum. Nach dem Einzug der Familie Lutz häufen sich unerklärliche und Schrecken erregende Vorfälle, die darauf hinzudeuten scheinen, dass das Böse höchst selbst am Werk ist. Durch den Bestseller „The Amityville Horror – A true Story“ von Jay Anson und die Verfilmung erfährt die ganze Welt von dem mysteriösen Spuk.

So auch Dr. Joe Nickell.

Der ehemalige Privatdetektiv und heutige „Researcher“ der amerikanischen Skeptiker-Organisation CSICOP begibt sich zum Ort des Geschehens und überprüft akribisch die Details des Grusicals.

Schnell wird Nickell stutzig.

Die angeblich von bösen Geistern malträtierte Tür weist noch die Original-Lackierung und keinerlei Spuren einer Reparatur auf. Erkundigungen bei der lokalen Polizeidienststelle ergeben, dass keiner der Beamten je von Familie Lutz zu Hilfe gerufen worden ist – wie im Buch behauptet wird.

Weder die Nachbarn noch die übrigen Anwohner der Ocean Avenue oder die Vor- und Nachmieter der Lutzes haben je etwas von dämonischen Manifestationen mitbekommen. Der Ortspfarrer Rev. Ralph J. Pecoraro, der bei einem Besuch der Spuk-geplagten Familie angeblich unerklärliche Wunden und Brandblasen an den Händen davontrug, hat nach eigener Aussage des Haus nie betreten.

Auch mysteriöse, klauenartige Fußabdrücke im verschneiten Garten kann es nie gegeben haben. Wie Nickell recherchierte, herrschten an dem in Rede stehenden Tag milde Witterungsverhältnisse ohne Schneefall auf Long Island vor.

Der „Amityville Horror“ entpuppt sich schließlich als Amityville-Hoax. Der Anwalt des Mörders Ronald DeFeo, William Weber, hatte sich mit George und Kathy Lutz die medienwirksame Schauergeschichte ausgedacht.

Weber:

Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Flaschen Wein wir an jenem Abend intus hatten, aber es waren sicher mehr als vier. Und irgendwann fingen wir gemeinsam an, Ideen zu spinnen.

Das Motiv des Anwalts:

Weber versuchte zu dieser Zeit, ein Wiederaufnahmeverfahren für seinen verurteilten Klienten „Ronnie“ DeFeo anzustrengen. Und „Geisterstimmen“ im Haus oder eine Art dämonische Besessenheit des 23-jährigen Täters schienen ihm dafür hinreichend gute Argumente zu sein.

George und Kathy Lutz wiederum hatten Schulden und brauchten Geld. Am Ende machten sie lediglich etwa 300.000 Dollar mit ihrem Schwindel. Das ganz große Geschäft teilten diverse Buchautoren und Filmproduzenten unter sich auf.

Bis heute übrigens. Mittlerweile existieren sechs Sequels des Films von 1979, in denen alte Standuhren, Spiegel und sonstige Relikte des berüchtigten Amityville-Hauses die Hauptrolle spielen.

Ob dieser dreisten Geldmacherei wenden sich sogar die Autoren eines „Lexikons des Horrorfilms“ mit Grausen: „Es bleibt nur zu hoffen, dass in Zukunft nicht noch weitere dubiose Einrichtungsgegenstände für weitere – lediglich auf die schnelle Mark mit einem bekannten Titel bedachten – Fortsetzungen herhalten müssen.“


Mittlerweile umfasst die „Amityville“-Filmreihe mehr als 40 Streifen.

Und noch immer gibt es Influencer, die das Ganze als „Phänomenal Paranormal“ ausgeben.

Zum Weiterlesen:

  • Amityville: The Horror of It All, Skeptical Inquirer Vol. 27, No. 1/2003
  • The ABC-ville Horror, Skeptical Inquirer Vol. 27, No. 1/2003
  • The Amityville Horror Photographs, skeptical-inquirer am 5. Januar 2022
  • Was „Amityville Horror“ Based on a True Story? snopes am 15. April 2005
  • The Amityville Murders: Lutz vs. Weber
  • The Amityville Murders: Revealing the Facts
  • Amityville authors‘ haunt a hoax, ABC Science am 15. März 2011
  • „Amityville“ Prisoner Says Movie Money Tainted Defense, New York Times am 25. Juni 1992
  • Psi Encyclopedia: Amityville
  • Voice of Reason: The Truth Behind the Amityville Horror, livescience am 8. April 2005
  • The real story behind the infamous Amityville Horror house, New York Post am 16. März 2021
  • Die schaurige Geschichte des weltberühmten Amityville-Horrorhaus, travelbook am 25. November 2021
  • Der Amityville Horror, mimikama am 15. Mai 2015
  • Mörder, dessen Taten die „Amityville Horror“-Filme inspirierten, stirbt mit 69, ny-aktuell am 21. Februar 2023
  • „Amityville Horror“ killer dies in prison at 69, nbc am 15. März 2021
  • Ronald DeFeo, Killer Who Inspired „The Amityville Horror“, Dead at 69, rolling stone am 16. März 2021
  • Gespenstersehen: die isolierte Schlafparalyse, GWUP-Blog am 19. Juli 2021
  • Deutschlandfunk Nova: Wie aus einem Haus ein Geisterhaus wird, GWUP-Blog am 19. Juli 2018
  • „The Conjuring“: Zwei Geisterjäger im Reich der Fabel, GWUP-Blog am 18. Juli 2013
  • Lucadou im „Playboy“ – wieder mal mit der GWUP als Nemesis, GWUP-Blog am 10. Februar 2023
  • Lucadou – Der tragische Beglaubiger, GWUP-Blog am 20. November 2010
  • Lucadou, Uri Geller und die Löffelmagie der 1970er-Jahre, GWUP-Blog am 24. Januar 2024
  • „Geisterjäger“ klagt erfolgreich gegen das Land, stuttgarter-zeitung am 20. Dezember 2020

22. Juni 2024
von Bernd Harder
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Kreuzigung und Kannibalismus? Psychologen-Fachverband in der Schweiz positioniert sich gegen RG-MC-Verschwörungstheorie

Bei unserem Skeptical-Programmteil zum Thema Rituelle Gewalt-Mind Control (RG-MC) am 9. Mai in Augsburg war der deutsch-schweizerische forensische Psychiater Frank Urbaniok mit einer Video-Botschaft vertreten:

Darin erklärte er unter anderem, dass es keinen einzigen belegten Fall von „ritueller Gewalt“ gibt, denn:

Sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern haben entweder etwas zu tun mit Macht, mit Sex oder mit Geld. Aber es gibt eben nicht die ideologisch motivierte Tat, dass es aus satanistischen oder anderen Motiven zu sexuellen Handlungen kommt, aus irgendwelchen rituellen Gründen. Dafür gibt es nicht einen einzigen Beleg.

Hier das Skeptical-Video in einer aktualisierten Version:

Ausführlicher behandelt Urbaniok diesen Punkt in einem Fachaufsatz für das Journal Der Nervenarzt:

Es gibt trotz zahlreicher Ermittlungsverfahren bislang keinen einzigen Fall, in dem sexuelle Missbrauchshandlungen aus ideologischen Motiven durch eine mächtige subversiv arbeitende Organisation nachgewiesen wären […]

Es existiert eine große Zahl an Betroffenenberichten und aufgedeckten Taten schwerster Formen der Gewalt, in denen manipulative und instrumentalisierte Strategien von Täterschaften beschrieben werden. Kommt die spezielle Täter:innenstrategie der scheinbar ideologischen Einbettung hinzu, können zwar Glaubenselemente zur ideologischen Rechtfertigung also zur instrumentalisiert ideologischen Begründung genutzt werden.

Es handelt sich aber bei der verübten Gewalt nicht um ein Glaubensritual wie bei angeblich satanistischen Handlungen sog. ritueller Gewalt.

Machtmissbrauch als Täterstrategie ist bei allen Arten sexuellen Missbrauchs zu sehen und u. E. ist eine solche ideologische Rahmung als Rationalisierung oder scheinbar ideologische Begründung des Machtmissbrauchs einzuordnen.

Auch wenn die Täterschaft einer tatsächlichen Ideologie folgt, besteht die Primärmotivation nicht in der Ideologie, sondern im Rahmen der Ideologie werden Sexualstraftaten aus den bekannten Motiven von Macht, sexuellen und finanziellen Interessen verübt, wie z. B. in Sektenkontexten der Colonia Dignidad.

Der Begriff rituelle Gewalt ist somit zu hinterfragen, ebenso seine „Sonderstellung“.

Dass auch das immer wieder angeführte Beispiel der Colonia Dignidad (etwa von Bergmann et al. oder dem Betroffenenrat bei der UBSKM) mitnichten als „rituelle Gewalt“ im Sinne der RG-MC-Verschwörungstheorie betrachtet werden kann, erläuterte beim Skeptical die angehende Psychologin Jasmina Eifert (3.v.r.):

Und das sind keine Einzelmeinungen.

Die Föderation der Schweizer Psycholog:innen (der größte Berufsverband von Psychologen in der Schweiz) hat jetzt ein Faktenblatt zum Thema

Wissensstand dissoziative Identitätsstörung und Psycho-Traumatologie

veröffentlicht.

Darin heißt es:

Wenn ausgesagt wird, dass keine Fälle von ritueller Gewalt je bestätigt wurden, wird dadurch das Vorhandensein von organisierter Kriminalität nicht verleugnet. Schlichtweg gibt es aber keine Beweise für die Existenz einer Gruppe, die rituelle Gewalt ausübt, und dies obwohl seit den 80er Jahren immer wieder entsprechende Ermittlungen laufen.

(Sexualisierte) Gewalt in religiösen Gruppierungen wie auch Institutionen tritt immer wieder – wenn auch mit großer zeitlicher Verzögerung – ans Tageslicht. Meist gibt es in diesen Kontexten mehrere Opfer und oft auch mehrere Täter:innen.

Wenngleich davon auszugehen ist, dass die Täter:innen bisweilen voneinander wissen und sich untereinander decken, so steht hier dennoch die Befriedigung individueller (sexueller) Bedürfnisse im Vordergrund. Es bestehen in der Regel keine institutionalisierten Absprachen im Sinne von organisierten oder koordinierten Handlungen.

Erst vor kurzem hat sich einer der (bisherigen) prominenten RG-MC-Vertreter in Deutschland, der Hamburger Sexualwissenschaftler Peer Briken, dafür ausgesprochen, die „Begriffsverwendung“ im Zusammenhang mit „ritueller Gewalt“ kritisch zu hinterfragen beziehungsweise „an den zu verwendenden Begriffen künftig interdisziplinär“ weiterzuarbeiten, um endlich Klarheit darüber zu schaffen, was „genau unter rituelle Gewalt gefasst [wird] und wie sie von anderen organisierten Gewaltformen abzugrenzen“ ist.

Die neue FSP-Publikation bietet dafür hervorragende Ansatzpunkte.

Wir sind gespannt, wie ernst es Briken mit seiner Annäherung an die RG-MC-Kritiker wirklich ist – oder ob in der Szene weiterhin mit mindestens 20 verschiedenen Definitionen für „rituelle Gewalt“ hantiert wird (siehe Infoportal Rituelle Gewalt), die allesamt den Zweck haben, die Öffentlichkeit über die spezifischen Elemente der RG-MC-Verschwörungstheorie hinwegzutäuschen.

Außerdem geht es im „Faktenblatt“ der FSP um die neue „Satanic Panic“, um „Mind Control“ und um die Einordnung der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) „im Kontext von Satanic Panic“.

Das ist umso wichtiger, da gerade mal wieder eine selbstdefinierte Betroffene mit ihrem Buch durch die Medienlandschaft rauscht.

Darüber hinaus nimmt Frank Urbaniok im Beobachter zu einem aktuellen Fall (mit Video) von Falscherinnerungen Stellung:

Die ganze Geschichte lief wieder einmal genau so ab, wie wir es beim Skeptical mit einer Betroffenen diskutiert haben:

Zu Beginn der Therapie hatte die Patientin den Missbrauch noch verneint. So steht es in der Therapieakte […] Die Eltern sind sich sicher: Auslöser war die Psychotherapie von Bettina. Dort seien diese falschen Erinnerungen in ihrer Tochter hervorgerufen worden – mitsamt ihren deutlichen Anlehnungen an satanistische Rituale.

Tatsächlich tauchten mit praktisch jeder Therapiestunde mehr vermeintliche Erinnerungen und immer grässlichere Details im Kopf von Bettina auf. So dokumentiert es die Therapieakte. Nach und nach formte sich daraus das grausige, satanistisch gefärbte Horrorszenario.

Gewisse Therapeuten [glauben], dass vermeintliche Satanisten Menschen aufs Übelste missbrauchen und sogar töten. Diese Verschwörungstheorie heisst in Fachkreisen „Satanic Panic“. Sie machte sich in den vergangenen Jahren auch in mehreren psychiatrischen Kliniken der Schweiz breit.

Urbaniok dazu:

Zusätzlich verheerend an solch fehlgeleiteten Therapien ist, dass sie indirekt echte Opfer in Misskredit bringen.

Ein weiterer aktueller Bericht dieser Art findet sich bei False Memory Deutschland.

Und wir können in diesem Zusammenhang nur immer wieder auf das Fazit unserer Broschüre

Rituelle Gewalt – Mind Control: „Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“

verweisen:

Sicher ist die Zahl dieser Therapieopfer viel geringer als die Zahl der sexuellen Missbrauchsopfer. Aber das ist kein Grund, diese kleine Opfergruppe sich selbst zu überlassen.

Zum Weiterlesen:

  • „Satanic Panic“: FSP sensibilisiert Mitglieder mit wissenschaftlicher Aufarbeitung, psychologie.ch am 20. Juni 2024
  • Rituelle Gewalt – Mind Control: „Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“ jetzt kostenlos zum Download, GWUP-Blog am 17. Juni 2024
  • Lesetipp: Neue Infobroschüre über RG-MC, dissoziationen am 18. Juni 2024
  • Massaker, Kriegsverbrecher und Netzwerke, dissoziationen am 28. Mai 2024
  • Falsche Erinnerungen: Ein grauenhaftes Hirngespinst fordert reale Opfer, beobachter am 19. Juni 2024
  • Falsche Erinnerungen: Ein grauenhaftes Hirngespinst fordert reale Opfer, srf am 19. Juni 2024
  • „Menschenfleisch essen – das ist extrem unwahrscheinlich“, beobachter am 19. Juni 2024
  • „Der Fall Nathalie“: Wie sich ein angeblicher ritueller Missbrauch als Satanic Panic herausstellte, GWUP-Blog am 12. November 2022
  • Wie Familien an Falscherinnerungen zerbrechen, GWUP-Blog am 21. Oktober 2022

22. Juni 2024
von Bernd Harder
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Video: Die Quarks Science Cops über „Earthing“ und „Grounding“

Die Science Cops sind aus ihrer kreativen Pause zurück.

Ihr neues Thema:

Eine der angeblich größten Gesundheitsrevolutionen der Menschheitsgeschichte: das Earthing beziehungsweise Grounding – barfuß stehen oder laufen.

Die Science Cops erzählen im Podcast die Geschichte von Clint Ober, dem Pionier der Earthing- und Grounding-Bewegung.

Er behauptet, dass moderne Schuhe mit Gummisohlen die schlimmste Erfindung der Menschheit seien. Denn der Verlust des direkten barfuß Kontakts zum Erdboden führe zu vielen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck, zu Schmerzen, Schlaflosigkeit, Stress und Depression.

Schuhe isolieren den Menschen von der Erdoberfläche und führen dadurch angeblich zu einem gefährlichen Elektronenmangel.

Die Folge gibt es als Podcast und bei Youtube.

Zum Weiterlesen:

  • Macht Barfußlaufen gesund? Die Akte Earthing, quarks.de am 22. Juni 2024
  • Video: Schlechte Wissenschaft verhaften – Der „Science Cop“ Maximilian Doeckel beim Skeptical 2023 in Frankfurt, GWUP-Blog am 3. August 2023

21. Juni 2024
von Bernd Harder
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Arbeiter zu Anthroposophen? Eine neue Studie zu Esoterik und sozialer Schichtung

Der „typische“ Esoteriker?

Viele der Nutzer von esoterischen Angeboten entstammen der bürgerlichen Mittelschicht. Es sind vorrangig Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die über einen entsprechenden Bildungsgrad verfügen, die aber auch finanziell dazu in der Lage sind, solche Angebote in Anspruch zu nehmen und eben auch entsprechend über Zeit verfügen. Manche Kritiker sprechen sogar im Blick auf die Esoterik von einem modernen Bildungsaberglauben,

sagte der Religionswissenschaftler Prof. Hartmut Zinser 2010.

Stimmt das noch?

Es kommt darauf an – schreibt der Soziologe Prof. Daniel Lois von der Universität der Bundeswehr München in einer aktuellen Studie.

Lois unterscheidet zwischen „traditionell spirituellen“ und „populär spirituellen“ Menschen.

  • Traditionell Spirituelle

stünden den Bereichen „Aberglauben und Magie“ nahe und seien klar im unteren sozialen Schichtspektrum zu verorten. Möglicherweise hat das etwas mit Unsicherheiten, dem Ausschlusses von realer gesellschaftlicher Macht und Kontrollbedürfnis zu tun.

  • Populär Spirituelle

neigten Bereichen wie Esoterik, Mystik, Paramedizin, New Age, Zen, Anthroposophie zu und wiesen die höchste soziale Schichtposition aller religiösen Typen auf:

Ihren Bedürfnissen nach Selbstverwirklichung entsprechend, suchen sie sich selbstbestimmt passende Angebote alternativer Religiositätsformate […] Zudem scheinen diese Formen insofern „bildungsaffin“ zu sein, da mit ihnen medizinische oder pädagogische Ziele verfolgt werden (z. B. Anthroposophie, Homöopathie) oder der Geltungsanspruchs wissenschaftlicher Ideen und Erkenntnisse auf jenseitige Fragen ausgeweitet wird

Am Ende wirft Lois die Frage auf, wie lange diese starke soziale Stratifizierung noch zu beobachten sein wird, da die „populär Spirituellen“ ihre soziale Spitzenposition allmählich verlören:

Gerade für den Bereich der Esoterik, Mystik und Paramedizin scheint es so, als seien Angehörige höherer sozialer Schichten in älteren Kohorten die „Pioniere“ dieser alternativen Religiositätsformen gewesen und als komme es nun, im Zuge des allgemeinen Bedeutungsgewinns alternativer Religiosität, zu einer „Diffusion“ in niedrigere soziale Schichten.

Was das genau heißt?

Etwa dass „bald auch Arbeiter zu Anthroposophen werden“, merkt die FAZ dazu an.

Zum Weiterlesen:

  • In welchen sozialen Schichten Esoterik angesagt ist, FAZ am 3. Juni 2024
  • Neu erschienen: „Esoterik in der politischen Bildung“, GWUP-Blog am 21. Juni 2024
  • Wenig Wirkung, viel Psychologie: Esoterik-Kritik bei idowa, GWUP-Blog am 20. Juni 2024