12. September 2024
von Bernd Harder
2 Kommentare
Von „Akupunkturorientierter Energiearbeit“ bis „Viralfeld-Diagnostik und -Therapie“: Auf der Webseite der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin“ (GGTM) findet sich praktisch jedweder Nonsens, wie er auch in humanmedizinischen „Alternativ“-Praxen angeboten wird – einschließlich „Anthroposophischer Tiermedizin“:
Beim Tier, das nicht aufrecht zwischen Himmel und Erde steht wie der Mensch, sondern seine Wirbelsäule waagrecht und parallel zur Erdoberfläche trägt, scheint das mittlere, das rhythmische System nicht so eigenständig wie beim Menschen zu funktionieren, so dass sich die Prozesse des „Vorne“ und des „Hinten“ in der Mitte vermischen.
Was sich da vermischt, scheint eher Geschäftssinn und Voodoo zu sein.
In der Süddeutschen Zeitung beleuchtet Titus Arnu diesen Trend:
Analog zur Skepsis gegen Humanimpfstoffe wächst auch bei Haustierhaltern- und halterinnen der Vorbehalt gegenüber Standardimpfungen und medizinischen Eingriffen.
Gegner der klassischen Veterinärmedizin verzichten auf Kombinationspräparate gegen Ekto- und Endoparasiten, sie verabreichen keine Spot-on-Pipetten oder Kautabletten gegen Zecken, Flöhe und Würmer.
Stattdessen setzen sie auf Bernsteinketten, Schwarzkümmel, Kokosöl, Geranienduft, mit Sonnenenergie „positiv aufgeladene“ Keramikhalsbänder und homöopathische Globuli.
In der Folge seien – analog zu den Masern bei Kindern – impfpräventable Tierkrankheiten wie Leptospirose und Parvovirose auf dem Vormarsch.
Allerdings ist Arnus Artikel eher anekdotisch gehalten und krankt ein wenig an der unentschlossenen Haltung des Autors, der Bernsteinketten gegen Parasiten zwar für wirkungslos hält, aber am Ende doch irgendwie ganz „hübsch“ findet.
Stärker ins Detail ging im vergangenen Jahr das Tierärzteportal vetline:
Die Skepsis gegenüber Impfungen wächst auch in der Tiermedizin.
Eine Umfrage von 2022 ergab, dass 85 Prozent der hiesigen Tierärzte alternativmedizinische Verfahren anbieten, vor allem Homöopathie und „biophysikalische Behandlungen “ wie die Bioresonanztherapie.
Zwar sehen mehr als die Hälfte der Befragten die „unklaren“ Wirksamkeitsnachweise für solche Methoden als nachteilig an (ebenso die „hohen Erwartungen“ der Tierhalter), aber insgesamt überwiegt die „Kundenzufriedenheit“ und die Möglichkeit, das Behandlungsspektrum zu erweitern.
Anregungen dafür gibt’s bei der GGTM, zum Beispiel „Radionik“ oder die Seelenbehandlung, eine „gemeinsame Reise mit dem Tier durch alle Ebenen seines Seins, um traumatisierende Erlebnisse aufzuspüren und deren körperlichen Auswirkungen harmonisch aufzulösen“.
Gibt’s das wirklich? Anscheinend.
„Seit Luna [ein Mischlingshund] mal eine Spritze bekommen habe“, schreibt Arnu in der SZ,
… sei sie traumatisiert, berichtet das Frauchen, was nun von einer anthroposophischen Tiertherapeutin mittels Geistheilung und Energiearbeit aufgearbeitet werden müsse.
Wie erklärte Edzard Ernst vor drei Monaten bei spiegel.de:
Im Gegensatz zu Menschen haben Tiere keine Wahl – ihnen wird die Behandlung verpasst, die der Besitzer oder die Besitzerin für richtig hält.
Zum Weiterlesen:
- Nach mir die Seuche, SZ+ am 22. August 2024
- Alternativmedizin bei Tieren: Fast nichts ist ausreichend belegt, GWUP-Blog am 2. Juli 2024
- Video: Die Tierärztin Stefanie Handl über „Globuli für Waldi“, GWUP-Blog am 1. April 2024
- The European Skeptics Podcast: Stefanie Handl, the Skeptic Vet
- Beste Medizin für beste Freunde, Skeptiker 3/2018