Bei der repräsentativen GWUP-Umfrage
Der Glaube an Paranormales
von 2021 kam das Thema „Elektrosmog“ auf Platz eins.
56,1 Prozent stimmen der Aussage zum Elektrosmog zu („Die Strahlung durch Elektrogeräte, Handymasten oder Stromleitungen ist gesundheitsschädlich“).
In einer Studie von 2006 bezeichneten sich fast sieben Prozent von mehr als 2000 Befragten als „elektrosensibel“. Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt, dass zirka ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sich selbst für elektrosensibel halten.
Skeptikern kommt dabei unwillkürlich diese Geschichte in den Sinn:
Und tatsächlich ist das keine reine Urban Legend, wie Mimikama recherchiert hat.
Die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft „Biologische und gesundheitliche Auswirkungen elektromagnetischer Felder“ an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité führte 2010 ein Experiment durch, bei dem 400 Menschen in zehn Ortschaften ohne Handyempfang entweder echten elektrischen Feldern durch Mobilfunkmasten oder einer Scheinbelastung ausgesetzt wurden.
Es zeigte sich, dass bei Probanden mit Strahlenängsten signifikant häufig Schlafstörungen auftraten, auch wenn die Masten nicht sendeten.
Der Münchner Umweltmediziner Prof. Dennis Nowak sagt in einem aktuellen Spiegel+-Interview:
Die sogenannte Elektrohypersensibilität, also das vermeintliche Erleben von Beschwerden durch diese Felder, ist kein naturwissenschaftlich reproduzierbares Phänomen. Das Leiden der Patientinnen und Patienten ist aber echt.
Nowak führt dies vor allem auf den Nocebo-Effekt zurück. Dieses Phänomen konnte in Studien nachgewiesen werden (zum Beispiel hier oder hier oder hier). Mittlerweile wird für „Elektrosensibilität“ auch das Kürzel „IEI-EMF“ verwendet: idiopathische Umweltintoleranz gegenüber elektromagnetischen Feldern.
Dass selbstdefinierte „Elektrosensible“ sich ohne laufende elektrische Geräte in der Umgebung besser fühlen, erklärt der LMU-Facharzt damit, dass solche Ort oft „abseits des Alltags liegen. In den Bergen oder im Wald zu sein – am besten noch ohne ständige Erreichbarkeit –, kann beim Stressabbau helfen und so etwa auch Kopfschmerzen oder Herzrasen lindern oder vorbeugen.“
Nowak warnt vor „alternativmedizinischen Verfahren“ wie Ausleitungen oder Abschirmungen, von denen vor allem die Behandler profitierten. Ärzten, die mit „elektrosensiblen“ Patienten zu tun haben, rät er, „körperliche und psychische Aspekte gleichzeitig und nicht getrennt voneinander zu betrachten“:
Oft nennen Patienten bei psychosomatischen Leiden in einem längeren Gespräch selbst Schlüsselwörter, berichten etwa von Ängsten. Bloß muss der Arzt oder die Ärztin die dann auch aufgreifen, statt sie zu ignorieren.
Der Psychologe Prof. Christoph Böhmert schrieb 2020 in der Internistischen Praxis, IEI-EMF entstehe möglicherweise „durch eine Ursachenzuschreibung (Attribution) von bereits vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf elektromagnetische Felder“. Vor allem bei der Aufrechterhaltung von „Elektrosensibilität“ komme dem Nocebo-Effekt eine große Bedeutung zu. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass IEI-EMF öfter ein vorübergehender Zustand sei.
Aus ärztlicher Sicht sagt Dennis Nowack im Spiegel-Interview, auf der körperlichen Ebene gehe es ganz pragmatisch darum, die Symptome der Patienten zu verringern – zum Beispiel gemeinsam zu besprechen, in welchen Situationen die Beschwerden nachlassen und auch „was die Leute tun können, um den Kontakt zu elektromagnetischen Feldern zu verringern“.
Auf die Frage von Spiegel-Mitarbeiter Jonas Strehl, ob er damit den Nocebo-Effekt nicht verschlimmere, sagt der Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin:
Ich helfe niemandem, indem ich aufs Rechthaben bestehe. Das führt eher in eine Verhärtung.
Zum Weiterlesen:
- Woher kommt die Angst vor elektromagnetischen Feldern im Alltag? spiegel.de am 28. August 2024
- Der Glaube an das Paranormale: Eine Umfrage der GWUP, GWUP-Blog am 24. Juni 2021
- Energie, Schwingungen und die Angst vor Strahlen, Gesundheits-Check am 11. Mai 2019
- Video: „Biologische Wirkung elektromagnetischer Felder“ bei Skeptics in the Pub Wien, GWUP-Blog am 29. Juni 2023
- Video: Krank durch Bluetooth, WLAN & Handy? Biologische Wirkungen des Elektrosmogs, GWUP-Blog am 20. September 2016
- Ein Tag bei Menschen, die überzeugt sind, gegen WLAN allergisch zu sein, Vice am 29. Januar 2018
- maiLab-Video: „Kann Handystrahlung Krebs versursachen?“ GWUP-Blog am 12. Mai 2019
- Nocebo-Effekt: Von der Macht der Worte, aerzteblatt.de
- Planet Wissen: Der Nocebo-Effekt
- Macht Strahlung krank? quarks.de am 13. Juni 2019
- Elektromagnetische Felder lösen nicht „Elektrosensibilität“ aus, br am 15. März 2024
- Die Telekom errichtet einen Mobilfunkmast, mimikama am 12. September 2022