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Plazentophagie als neuer Trend der Celebrity-based Medicine

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Schon im vergangenen Monat hatte Professor Edzard Ernst bei Welt-Online über einen extravaganten „neuen Gesundheitstrend“ berichtet: das Perineum-Sonnen.

Kaum weniger bizarr ist sein aktuelles Thema – allerdings rät Ernst dazu, den Artikel erst nach dem Frühstück zu lesen:

Es geht nämlich um ein relativ neues und wenig appetitliches Phänomen, das in alternativen Kreisen zunehmend an Beliebtheit gewinnt: die Plazentophagie. Dabei wird die Plazenta, oder zumindest Teile des Organs, nach der Geburt von der Mutter verspeist.

Kurz zusammengefasst:

  • Es handele sich nicht direkt um ein alternativmedizinisches Verfahren, sondern eher um eine Variante der „Celebrity-based Medicine“, also einer Medizin, die sich das Verhalten von Prominenten zum Vorbild nimmt. Inspiriert von Stars wie Kim Kardashian, schwören immer mehr, meist gebildete Frauen aus der Mittelschicht, auf die Methode.
  • Sie behaupten insbesondere, dass das Verspeisen der Plazenta postpartale Blutungen, Depressionen, Schmerzen, Milchmangel und andere Probleme reduziert, unter denen Frauen nach der Geburt eines Kindes leiden können. Auch viele Hebammen sind aufgeschlossen für derartige Behauptungen.
  • Hartgesottene Befürworterinnen der Praxis verzehren ihre Plazenta roh, gekocht, oder geröstet. Zarter besaitete Frauen bevorzugen ihre Plazenta getrocknet, eingekapselt oder in Form von Smoothies und Tinkturen. Inzwischen bieten auch zahlreiche Unternehmen (zumeist illegal und teuer) an, die Plazenta für den alsbaldigen Verzehr zuzubereiten. Puristen finden das jedoch eher fragwürdig, denn nach der Verkapselung der Plazenta sollen kaum noch Nährstoffe und Hormone in dieser zurückbleiben.

Und was bringt das Ganze?

Plazentophagie ist laut einigen Berichten mit positiven Wirkungen verbunden. Diese sind jedoch rein subjektiv und vermutlich auf den wohl recht erheblichen Placebo-Effekt zurückzuführen. Objektive Messungen zeigen keine oder nur vernachlässigbar geringe Effekte. Zudem bestehen Risiken, die nicht von der Hand zu weisen sind.

Wie bei einigen anderen Beispielen gilt auch hier: „Celebrity-based Medicine“ ist zwar häufig spektakulär – aber nur selten zum Nachahmen geeignet.

Überflüssig zu erwähnen, dass es natürlich auch Plazenta-Globuli gibt.

Zum Weiterlesen:

  • Warum das Verspeisen der Plazenta ein Gesundheitstrend ist, Welt+ am 29. September 2022
  • Neuer Gesundheitstrend: Da, wo die Sonne nicht hinscheint, GWUP-Blog am 3. September 2022
  • Promi-Kultur à la Gwyneth Paltrow: Hort der Pseudowissenschaft, GWUP-Blog am 1. April 2015
  • Plazentaglobuli – im Ernst? Susannchen braucht keine Globuli am 4. Juli 2017

15 Kommentare

  1. Na ganz so neu ist das Ganze nicht.

    Meine Mutter musste vor bald 15 Jahren auf der frauenärztlichen Privatstation mehrmals im Jahr Gedecke für das Plazentamal auftischen.

  2. Ist jetzt auch nicht so neu: https://www.psiram.com/de/index.php/Plazentophagie – der Artikel wurde bereits 2010 angelegt. Bin gespannt, wann wir demnächst wieder Mumia, Armesünderfett, Leichenhand und „des Königs Tropfen“ in der Offizin finden.

  3. Diverse andere Säugetiere machen das, aber die sind eher nachwuchsbedingt eingeschränkt in der Nahrungsbeschaffung, können die Proteine gut gebrauchen und so ne duftende Nachgeburt zieht halt auch Beutegreifer und Aasfresser an.

    Vielleicht wäre so ein Wurfkessel wie bei Bachen ganz passend statt Kreißsaal.;)

  4. Würg. Mich überkommt Ekel. :(

  5. Wir haben da auch was – mit einem Link dazu, dass der Quatsch nicht mal ungefährlich ist:

    https://susannchen.info/?p=368

  6. So was selten Dämliches!

    Mich überkommt zwar kein Ekel, aber für ganz knusper kann ich solche Typen nicht halten. Im Gegenteil, für ziemlich durchgeknallt!

    Und ja, es ist wohl inzwischen (oder schon immer) auch die „Mittelschicht“ ziemlich durchgeknallt.

    Da frage ich mich ernsthaft: Reichen die existierenden Widerstände noch aus, um diesen Trend der mE Wohlstandsverwahrlosungen noch zu stoppen?

    Die verbünden sich doch wieder, auf „minimal-Konsens“ geeicht mit den sonstigen Protest-Gruppen!?

    Seh ich zu schwarz?

  7. Nicht der Verzehr, sondern das Nichtabtrennen von Plazenta und Nabelschnur nach der Geburt ist in diesem Beispiel gemeint:

    https://twitter.com/tine_sommerkind/status/1577292851200884736

    Und siehe da, mit diesem Irrsinn muss sich doch auch Geld verdienen lassen:

    https://lotusgeburt.com/

    Wobei es im Grunde vollkommen ableistisches Handeln ist – Anna Fuhrmann zahlt bestimmt bei allen Verkäufen drauf, denn „Ich […] freue mich sehr über Rückmeldungen und Erfahrungsberichte, die mich immer wieder innerlich sehr erfüllen, da sie für mich der wahre Lohn für meine Arbeit bedeuten![sic!]“.

    Auch hier der Hinweis zur schwallartigen, retroperistaltischen Entleerung des Magen- oder Speiseröhreninhaltes durch die Speiseröhre und den Mund, welcher beim Besuch der Internetseite auftreten kann (wird).

  8. @ Sebastian Taege:
    Danke für diese Websumpfblüte! Ich glaube, wenn ich meine Kolleginnen (allesamt gestandene Mütter mit bis zu fünf Kindern) danach würde fragen, was sie davon halten, dann würde ich mich damit lächerlich machen. – Wie verstrahlt kann man denn eigentlich noch sein?!

  9. @borstel

    Aktiv danach gesucht habe ich nicht. Es wurde mir durch einen Algorithmus „serviert“.

    Vielleicht würden sich die Kolleginnen diesem Kommentar anschließen?

    „Das NEIN ist empathisch und klar genug. Ein WIE BITTE, ICH GLAUB ICH SPINNE?!, wäre mir da über die Lippen gekommen. Könnte man dann vielleicht als unempathisch werten, aber auch das würde nichts an der Tatsache ändern, dass eine Lotusgeburt Quark ist.“

  10. Die „Natürlichkeit“ der Lotusgeburt kennen wir ja alle aus Tierdokus: Tagelang liegen junge Gazellen, Kälber, Fohlen und Schimpansen mit ihren Plazenten verbunden herum, während ihre Mütter sie säugen, ohne selbst nach Nahrung suchen zu müssen.

    Oh, wait…

    Offensichtlich ist die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate in „der westlichen Welt“ seit Jahrzehnten so weit gesunken, dass diverse Mutterkolleginnen und auch Hebammen auf die schrägsten Ideen kommen, weil sie die Geburtsgefahren gar nicht mehr realisieren.

    Mütter aus Afghanistan oder Somalia freuen sich derweil, wenn sie hier gute medizinische Versorgung im Krankenhaus kriegen und ggf. einen lebenrettenden Kaiserschnitt.

  11. @ Sebastian Taege:
    Unbedingt, würden meine Kolleginnen unterschreiben! Interessanterweise hatten sie alle während der Geburt auch besseres zu tun, als die Farbgebung der Wände des Kreißsaals kritisch zu würdigen. Ich vermute mal, daß sie beschäftigt waren, ihr Kind zu gebären. Vielleicht waren sie aber auch noch unerleuchtet.

  12. Ein Rezept mit Plazenta. Nicht zum Essen, sondern gegen Fallsucht (Epilepsie) aus C. F. Paullini, Heilsame Dreck-Apotheke.

    Von der fallenden Sucht

    D. Wiedeholtz, Physikus zu Kauffbeyern in Schwaben, hat D. Sachsen diß Pulver communicieret:
    Nimm des Pulver der Nachgeburt von der ersten Geburt 1. Loth,
    Präparirter Regenwürme, Gebrandten Maulworffs, Hertz und Leber vom Storch, Bibergeil, Gepülvert Menschenblut, Pulver des Zahns vom Meerferd, Horn und Klauen vom Elend, Pfauenkot, Wolfsherz, Drachenbluts, jedes ein Quintlein,
    Gedörrt Vipernfleisch, Krebsaugen, jedes anderthalb Quentl.
    Karpffenstein, (so wie ein halber Mond über den Augen der Karpffen gefunden werden), ein Serupel,
    Pöonienwurtzel, im Leuen und Julio gesammlet, 1. Loth,
    Giffthevel (anthor), Gifftwurtz (contrayev.), Eichelmispeln, Lindenblüth, Blüth von Gifftheyl und Rauten, jedes 1. Quintl.
    Opponac, 2. Serupel.
    Mische alles zusammen, und gieb einem Erwachsenen ein Quintlein auff einmal davon.

  13. Nebenbei:

    Wenn ich es richtig verstehe, dann dürfte insbesondere der wenig appetitliche Ansatz, die Nachgeburt am Neugeborenen zu belassen („Lotusgeburt“, was immer das mit der Pflanze zu tun hat), bis sie von selbst abfällt, dazu führen, daß das wertvolle stammzellreiche Nabelschnurblut einfach verschwendet wird.

    Danke, liebe Esos, danke!

  14. „Lotus-Geburt“ hat sogar einen eigenen Wikipediaeintrag.

    Die Bezeichnung Lotus-Geburt geht auf die amerikanische Hellseherin Claire Lotus Bay zurück […]

    Die Lotus-Geburt hat also nichts mit dem reinen Geburtsvorgang zu tun, nichts mit der Lotusblume oder dem Lotussitz, sondern beschreibt ausschließlich, dass die Plazenta mit dem Neugeborenen verbunden bleibt.

    Postuliert wird eine spirituelle Einheit zwischen Neugeborenen und der Plazenta, was zu Geborgenheit und Glück im späteren Leben führen würde.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Lotus-Geburt

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