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… denken kritisch seit 1987.

1. Oktober 2024
von Bernd Harder
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Geistlicher Missbrauch: Exorzismus, Sekten, Freikirchen, Esoterik im Tagungsband der EI

Der Bericht zur Jahrestagung 2024 der Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus (EI) ist jetzt erschienen:

Die einzelnen Beiträge:

  • Birgit Schreiber:

Erfahrungsbericht: Reiki, Esoterik und fundamentalistische Bewegungen

  • Swetlana Nowoshenowa:

Erfahrungsbericht: Rechtsextremismus und Verschwörungsmythen in der Anatasia-Bewegung

  • Sarah Pohl:

Psychologische Aspekte der Zugehörigkeit zu einer geschlossenen weltanschaulichen oder religiösen Gruppierung

  • Sarah Pohl:

Zwischen den Welten: Filterblasenkinder verstehen und unterstützen

Erfahrungsbericht: Freikirchliche und fundamentalistische Bewegungen

  • Oliver Koch:

Access Consciousness: Schnell und einfach alles verändern?

Jasmina Eifert und Bernd Harder mit EI-Vorstandsmitglied und Tagungsleiter Udo Schuster

  • Bernd Harder:

Exorzismus in Deutschland

  • Bernd Harder:

Der Internet-Exorzist Nature23

  • Jasmina Eifert:

Exorzismus: Betrachtung aus einer psychologischen Perspektive

Die Publikation steht hier zum kostenlosen Download bereit. Gedruckte Exemplare können angefordert werden.

Zum Weiterlesen:

  • Verschwörungstheorien, Freilerner, Falscherinnerungen im Tagungsband 2023 der EI, GWUP-Blog am 18. Dezember 2024
  • „Grotesk, aber gefährlich“: Exorzismus im neuen Skeptiker, GWUP-Blog am 18. September 2024
  • Die großen Pläne „Gottes“ … sind undurchschaubar, MIZ 2/2024
  • „Mission Freedom“: Eine verschwörungsgläubige Organisation darf im Allgäu traumatisierte Kinder betreuen, GWUP-Blog am 16. Juli 2024
  • Geld, Erfolg, schönes Leben: „Access Consciousness“ und die Heilpraktiker von nebenan, GWUP-Blog am 25. September 2023
  • „Der Anastasia-Kult“ als sechsteilige Podcast-Reihe im BR, GWUP-Blog am 1. Oktober 2022
  • „Denkangebot“-Podcast über die Anastasia-Bewegung, GWUP-Blog am 6. Dezember 2022

1. Oktober 2024
von Bernd Harder
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Der ORF blickt in die Sterne und die Skeptiker wohl in die Röhre

Am Ende scheint die „Astro Show“-Moderatorin Sasa Schwarzjirg den verschwurbelten Banalitäten ihrer Astrologin Lori Haberkorn selbst nicht zu trauen – als es um die Frage geht, ob „Blick in die Sterne“ wie geplant am 27. Oktober fortgesetzt wird:

Hast Du eine Voraussicht, zum Beispiel was die Sendung betrifft: Geht es weiter, geht es erfolgreich weiter? Hast du noch eine Möglichkeit, außer in die Sterne zu blicken?

will sie von der „Moon und Life“-Coachin wissen.

Und ganz zufällig hat Haberkorn auch ihre Tarot-Karten dabei – natürlich, denn „es gibt schließlich einen gemeinsamen Nenner: esoterischer Humbug“, wie der Standard die Chose kommentiert.

Ebenso zufällig zieht Schwarzjirg „Das Ass der Stäbe“, woraufhin die Modern-Mystik-Multi-Performerin Haberkorn ein „Oh wow!“ ausstößt und in der farbenfrohen Symbolik ein „sehr schönes Zeichen“ für „Projekte und Visionen“ ausmacht:

Da ist auf jeden Fall, glaube ich, das Glück und das Universum an unserer Seite.

Während Schwarzjirg/Haberkorn also das Glück und das Universum bemühen, hat Sigrid Pilz, die ORF-Stiftungsrätin der Grünen, sich an eine irdische Instanz in Gestalt des ORF-Generaldirektors gewandt:

Der Journalist Oliver Mark schreibt in seinem TV-Tagebuch:

Sollte sich jemand fragen, warum in Österreich Schwurbelsender und -plattformen erfolgreich sind und Wissenschaftsskepsis Hochkonjunktur hat, dann muss er nur am Samstag um 16 Uhr auf den ORF und die neue Astro Show schauen. Was ORF 2 mit dem Mäntelchen „Unterhaltung“ umhüllt, ist Nonsens auf niedrigem Niveau.

Eine Rezension der ersten Folge hat der Astronom und „Science Buster“ Florian Freistetter verfasst.

Sein Fazit:

Da wird sehr ernst erklärt, dass die Astrologie ein tatsächliches Instrument sei, mit dem man etwas über die Zukunft und den Charakter von Menschen herausfinden kann. Es wird behauptet, dass Astrologie funktioniert, dass die Planeten Einfluss auf unser Leben haben, und so weiter.

In der ganzen Sendung gibt es keinen einzigen Hinweis darauf, dass die Astrologie vielleicht etwas anderes sein könnte, als ein reales und wertvolles Werkzeug zur Untersuchung der Welt. Und so etwas ist problematisch, auf jeden Fall, wenn es in einem öffentlich-rechtlichen Sender passiert.

Nun haben wir Skeptiker schon 2017 versucht, dem ORF zu erklären, dass gänzlich unironische astrologische Ratgebersendungen keine Unterhaltung sind, was aber leider nicht mal zum Gelingen einer vorgeblich „kritischen“ Astro-Doku im Jahr 2022 beitrug.

Offenkundig sind „Gänsehautmomente“ und „Aha-Erlebnisse“ (heißt es in der Pressemitteilung zu „Blick in die Sterne – Die Astro Show“) wichtiger, als „keine Esoterik-Propaganda zu produzieren“, wie Freistetter fordert.

Wir sagen hier und heute voraus, dass Glück und Universum sich wohl gegen die tapfere Sigrid Pilz durchsetzen werden. Allerdings stehen solche Sendungen nicht immer unter einem guten Stern, wie wir wissen, seit die „Astro Show“ der ARD in den frühen 1980ern „massiven Spot“ auf sich zog und schließlich zu einem „großen Flop“ geriet.

Auch beim neuen „Blick in die Sterne“ des ORF scheint das Publikumsinteresse durchaus „überschaubar“ zu sein, meint der Standard.

Zum Weiterlesen:

  • „Verdummung durch Esoterik“: ORF-Stiftungsrätin fordert Aus der „Astro Show“, derStandard am 30. September 2024
  • Neue „Astro Show“ im ORF: Eine Sternstunde der Schwurbelei, derStandard am 28. September 2024
  • Freistetter: „Eine Astrologieshow im ORF ist ein No-Go“, derStandard am 27. September 2024
  • „Blick in die Sterne – Die Astro Show“: Das große Problem des ORF mit der Pseudowissenschaft, Astrodicticum simplex am 27. September 2024
  • „Blick in die Sterne – Die Astro Show“: eine Rezension, sternengeschichten am 30. September 2024
  • Astrologie: So sieht beim ORF ein „kritischer Blick in die Sterne“ aus, GWUP-Blog am 14. Januar 2022
  • Nein, astrologische Ratgebersendungen sind keine Unterhaltung, lieber ORF, GWUP-Blog am 5. Juni 2017
  • Astrologie ist Unterhaltung – glauben auch nur die Programmchefs, GWUP-Blog am 14. Februar 2015
  • Astrologen raus aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, GWUP-Blog am 7. Januar 2015
  • Der neue Astro-Hype, GWUP-Blog am 14. April 2024
  • „Fakten sind krass, aber was sagen die Sterne?“ Nichts – sie schweigen weiter vor sich hin, GWUP-Blog am 22. September 2024

29. September 2024
von Bernd Harder
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Hunde essende Migranten, Blut trinkende Eliten und die Debatte um rituellen Missbrauch

In Springfield essen sie die Hunde, die Leute, die hierhergekommen sind, sie essen die Katzen. Sie essen die Haustiere der Menschen, die dort leben.

Dass Donald Trump an dieser Stelle im TV-Duell mit Kamala Harris (wie später auch sein Vizepräsidentschaftskandidat JD Vance bei X) Fake News verbreitete, lässt sich bis zu einem Buch des amerikanischen Erzählforschers Jan Harold Brunvand aus den 1980ern zurückverfolgen:

So weit, so „absurd“, wie Mimikama schreibt – aber fast noch harmlos gegen den Auftritt der Komikerin Roseanne Barr am Mittwoch bei einem Interview mit dem ehemaligen Fox News-Moderator Tucker Carlson in Fort Worth:

They eat babies. That is not bullshit. That’s true,

brach es aus der 71-Jährigen heraus.

It’s not just the dogs and the cats. There are full on vampires, and everybody still thinks I’m crazy. But I’m not crazy. They’re full on vampires. They love the taste of human flesh, and they drink human blood. They do, Tucker.

Wer „sie“ sind, blieb wie immer vage – vermutlich „die Eliten“ vom ominösen Deep State, den Trump angeblich bekämpft.

Das Gleiche hatte sie bereits im April bei einer Spendenaktion der Trump-Unterstützerin Kari Lake von sich gegeben.

1991 erzählte Barr dem People-Magazine, dass sie während einer Therapie „verdrängte Erinnerungen“ an sexuellen Missbrauch in ihrer Familie wiedererlangt hätte. 2018 rückte sie davon ab, als sie in einer Fernsehshow auf die Frage „Now you don’t think you were sexually abused?“ antwortete:

Well, I think psychologically. Everybody in my whole family is messed up.

Bei ihrem öffentlichen Bekenntnis 1991 in einer Presbyterianerkirche in Denver sei sie „mehr als 20-mal von Applaus unterbrochen“ worden, schrieb People damals. Der Skeptical Inquirer warnte dagegen schon 1993:

Roseanne Barr recently learned for the first time, while in therapy, that she had been repeatedly molested by her parents, starting when she was three months old! Barr’s parents and sisters deny it and have threatened legal action. […]

The point is not to deny that hideous sexual abuse of children occurs, but that, when it does, it is not forgotten and only “remembered” decades later under hypnosis.

Warum Roseanne Barr heute von Babys fantasiert, deren Blut getrunken wird, wissen wir nicht. Der Fall zeigt aber, wie wichtig aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtungen sind, worauf wir gestern bei unserem Update zum „Horror-Prozess“ von Braunschweig hingewiesen haben.

Wie wenig sich indes die einschlägig bekannte Rituelle Gewalt-Mind Control-Szene (RG-MC) darum schert, erlebte der evangelische Weltanschauungsbeauftragte Andreas Oelze (Stuttgart) bei der Online-Fortbildung „Rituelle sexuelle Gewalt, auch mit satanischem Hintergrund“ der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT):

An einem Abend sei sie vom „Hohepriester“ der Gruppe in den Wald geführt und dort lebendig begraben worden. Zurück im Keller habe er sie, ihre Hand mit einem Messer leitend, dazu gezwungen, auf die übrigen Kinder einzustechen und sie umzubringen. Sie selbst habe nach Aussage des „Hohepriesters“ nur deswegen überlebt, weil ihr Geburtstag auf einem satanischen Feiertag liege.

Einige Tage später habe in der Kapelle der [heute nicht mehr bestehenden Lungen-] Klinik eine Trauerandacht mit sechs Kindersärgen stattgefunden. Zurück im Kinderheim habe sie immer wieder Albträume von in schwarzen Kutten gekleideten Männern und von der Trauerfeier gehabt.

Indessen habe sie an all diese Geschehnisse zunächst keine aktive Erinnerung mehr gehabt. Erst mit der Geburt ihrer eigenen Tochter seien die Erinnerungen wieder ausgelöst worden.

Solche Schilderungen einer „Erfahrungsexpertin“ nimmt man einfach gläubig hin:

Fragen zur Existenz solcher Gruppen […] oder zum Fehlen kriminologischer Belege wurden nicht ernsthaft aufgenommen,

schreibt Oelzen in der Zeitschrift für Religion und Weltanschauung (4/2024).

Auch Falschbehauptungen waren zu hören, zum Beispiel:

Es gibt keine „False-Memory-Bewegung“, sondern Gedächtnisforschung als akademisches Feld, die sich natürlich nicht nur mit „ritueller Gewalt“ beschäftigt, sondern mit Falscherinnerungen in verschiedenen Kontexten.

Oelzens Fazit:

Die Frage nach der faktischen Realität des Erlebten wie nach der Existenz von Gruppierungen, die organisierte rituelle Gewalt im Kontext satanistischer Rituale durchführen, wurde nicht diskutiert.

Auch die Annahme, dass eine Dissoziative Identitätsstörung (DIS) gezielt von Tätern erzeugt werden könne oder dass diese dauerhaft „mind control“ über ihre Opfer ausübten, blieb unhinterfragt.

Insgesamt konnte die Veranstaltungsreihe so dem eigenen Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte, nüchterne Stimme im aufgeheizten und polarisierten Diskurs zu sein, leider nicht gerecht werden.

In seinem Artikel streift Oelzen auch die Magazin Royale-Sendung zum Thema „Rituelle Gewalt“ vom September 2023, die aus der ZDF-Mediathek entfernt wurde, nachdem der Fernsehrat des Zweiten sich mit knapper Mehrheit der Kritik von einigen Interessengruppen daran angeschlossen hatte – unter anderem der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Wie grotesk deren Programmbeschwerde auf allen Ebenen war, hat jetzt der Jurist und Chefredakteur von Legal Tribune Online (LTO), Felix W. Zimmermann, herausgearbeitet:

Für die angebliche „unabhängige“ Aufarbeitungskommission darf es schon keine Debatte über die Glaubhaftigkeit von Aussagen über sexuellen Missbrauch geben, selbst wenn darin Satanismus vorkommt.

Dass auch diejenigen Personen schützenswerte Opfer sind, denen durch manipulative Therapeuten Missbrauchserfahrungen eingeredet werden, übergeht die Aufarbeitungskommission dabei vollständig und lässt derartige Personen mithin im Stich.

Denn ihr offenbar unantastbares Credo lautet, dass Missbrauchserfahrungen nicht angezweifelt werden dürfen.

Das ist fatal – hat das Urteil von Braunschweig gerade wieder gezeigt.

Zum Weiterlesen:

  • ZDF-Magazin-Royale-Sendung über „Rituelle Gewalt“ weiter offline: Rettet der ZDF-Fern­sehrat seinen Ruf? lto am 26. September 2024
  • Blaming Immigrants For Eating Pets Is An Old American Urban Legend, forbes am 15. September 2024
  • Migranten essen Haustiere: Trump verbreitet absurde Fake News, mimikama am 11. September 2024
  • Wie J.D. Vance zum Verschwörungstheoretiker wurde, essentiel.lu am 25. September 2024
  • Die sonderbare Evolution von J.D. Vance, Jüdische Allgemeine am 26. September 2024
  • Tucker Carlson Just Hit a New Low, The New Republic am 27. September 2024
  • „They Eat Babies“: Roseanne Barr Goes On Wild Rant During Tucker Carlson Event, International Business Times am 27. September 2024
  • Roseanne Barr warns of baby blood-drinking Democrats in bizarre communiqué from Mar-a-Lago, salon am 4. April 2024
  • Deep State USA: Verschwörungsmythos oder reale Gefahr? Deutschlandfunk am 13. September 2024
  • A Star Cries Incest, people am 7. Oktober 1991
  • Roseanne Barr Walks Back Story About Incest Claims, Tells Sean Hannity Abuse Was Only Psychological, entertainment tonight canada am 27. Juli 2018
  • Roseanne makes startling live TV retraction and DENIES her father sexually abused her, despite detailing in 1991 interview how he „molested her until she left home at 17“, dailymail am 27. Juli 2018
  • Martin Gardner: The False Memory Syndrome, Skeptical Inquirer Volume 17, No. 4 (auch als PDF)
  • Ritueller Horror oder Justizirrtum? „Hanebüchenen Schilderungen auch mal Einhalt gebieten“, GWUP-Blog am 3. September 2024
  • „Ohne jede Skepsis“: SWR über die aktuellen Memory Wars und das Thema Rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 13. Februar 2024
  • Positionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs, Infoportal Satanic Panic am 16. März 2024
  • „Böhmermann hat nichts falsch gemacht“, urteilt die größte psychiatrische Fachgesellschaft Deutschlands, GWUP-Blog am 28. Januar 2024
  • Ominöses rund um die Böhmermann-Sendung zum Thema rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 8. Dezember 2023
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: „Esoterischer Unsinn“ – und die Sache mit der Strafbarkeit, GWUP-Blog am 16. September 2024

27. September 2024
von Bernd Harder
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Und wieder die homöopathische Lungenkrebsstudie: Ein paar „Korrekturen“ ändern nichts an der massiven Kritik daran

Auch mal ein origineller Einfall:

Die fragwürdige „Lungenkrebsstudie“, die 2020 in dem renommierten Journal The Oncologist publiziert wurde und mit der Frass et al. angeblich belegen konnten, dass eine homöopathische Therapie ergänzend zur normalen Behandlung nicht nur die Lebensqualität der Studienpatienten mit Lungenkrebs steigerte, sondern sie auch länger überlebten, steht nicht mehr unter einer „Expression of concern“.

Mit dieser „Besorgnisäußerung“ von Dezember 2022 war gemeint, dass die Studie

… unter Verdacht steht, nicht zuverlässig zu sein. Eine ausführliche Untersuchung des Vorwurfs laufe,

schrieb Prof. Edzard Ernst dazu im Mai bei spiegel.de.

Zurückgezogen hat die angesehene Fachzeitschrift die Arbeit allerdings nicht.

Seit drei Tagen ziert nun ein „Korrektur“-Vermerk den Artikel.

Das ist schon leidlich seltsam. Aber wer hat diese „Korrektur“ verfasst?

Erinnern wir uns noch einmal an die Antwort, die die Spiegel-Redaktion auf eine ergänzende Anfrage zu dem Gastbeitrag von Edzard Ernst bekam: Der Oncologist erklärte damals, Bedenken „in Bezug auf die akademische Integrität“ sehr ernst zu nehmen, die Prüfung der Studie dauere an.

Und nun lesen wir im Kleingedruckten unter der „Correction“:

Ernsthaft? The Author(s)?

Also federführend wohl Michael Frass, über den Ernst bei spiegel.de schrieb:

Mir war Frass vor Jahren aufgefallen, nachdem er hintereinander zig Untersuchungen in den unterschiedlichsten medizinischen Fachgebieten publiziert hatte, von denen entgegen jeder Wahrscheinlichkeit alle eine Wirksamkeit von Homöopathie nahelegten.

Entweder hat er eine ganz ungewöhnliche Begabung, so dachte ich mir, oder etwas stimmt da womöglich nicht.

Dass auch mit seiner Lungenkrebsstudie „womöglich“ etwas nicht stimmt, legten ausführlich das INH und die österreichische Initiative für wissenschaftliche Medizin dar (eine Chronologie der Ereignisse findet sich hier).

Die Initiative für wissenschaftliche Medizin ging selbstverständlich davon aus, dass die Untersuchung „durch die Herausgeber“ des Oncologist erfolgen würde. Stattdessen listet nun anscheinend der Hauptautor Frass selbst ein paar belanglose Zusatzinfos auf, die allesamt nichts mit dem schweren Vorwurf der Datenmanipulation zu tun haben.

Und die Redaktion vom Oncologist?

Schiebt ein wirres Editorial nach, in dem die Vorsitzende des Editorial Boards, Susan E. Bates, über eigenwillige homöopathische Mixturen, molekulare Pharmakologie, Wirkmechanismen, die Wissenschaft und deren Nachweismöglichkeiten schwadroniert, offensichtlich ohne Peilung, was Homöopathie eigentlich ist und was die Studienkritiker konkret bemängeln.

Trotzdem erklärt sie die Angelegenheit für abgeschlossen.

Der Blog Retraction Watch holte daraufhin eine Stellungnahme von Norbert Aust ein, der sagte:

Die Autoren erklären einige Kleinigkeiten, aber der Elefant im Raum bleibt unerwähnt.

Frass glaubt offenbar ernsthaft, es wäre „nun bewiesen“, dass seine Lungenkrebs-Studie korrekt sei.

Auch das ist in gewisser Weise originell. Wir sind sicher: Es ist noch nicht vorbei.

Zum Weiterlesen:

  • Komplementärmedizin: Leitlinie für die Behandlung von Krebspatienten – „Je mehr Wallawalla, desto großzügiger“, GWUP-Blog am 13. Juli 2024
  • Gute Absicht, schlechte Medizin: Edzard Ernst über die Studie zu Homöopathie bei Lungenkrebs, GWUP-Blog am 27. Mai 2024
  • Ein neuer Tiefpunkt in der Homöopathieforschung, Skeptiker 4/2022
  • Homeopathy Research Hits New Low, Skeptical Inquirer Volume 47, No. 3, May/June 2023
  • Homöopathie bei Krebspatienten: Fast zu schön, um wahr zu sein, profil am 28. Oktober 2022
  • Eine weitere Vorzeigestudie der Homöopathen endet als Desaster, GWUP-Blog am 26. Oktober 2022
  • Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Update zur Studienkritik, INH am 25. Oktober 2022
  • Forschung auf Homöopathisch – Ein Update zu: Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? INH am 9. August 2021
  • Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Eine Studienkritik, INH am 8. Juni 2021
  • Die neue Vorzeige-Studie der Homöopathen: nachträgliche Anpassung der Ergebnisse? GWUP-Blog am 9. Juni 2021

27. September 2024
von Bernd Harder
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Video: „Manifestieren“ bringt nichts ohne Tun und Handeln

Unsere Skeptiker-Interviewpartnerin Gabriele Oettingen, Professorin für Psychologie an der New York University, an der Universität Hamburg und an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, ist zu Gast bei Vollbild (l.):

Gefährliches Wunschdenken? Der Hype um Manifestation

Der Beitrag des SWR-Investigativformats beleuchtet die Geschäftspraktiken von Manifestations-Influencern wie Laura Malina Seiler oder Raffael Bettencourt. Kursteilnehmer berichten unter anderem von Schuldumkehr und „unfassbar viel Druck“, immer gut drauf sein zu müssen.

Als Kritiker kommen neben Oettingen der Psychologe Lucas Dixon und die Verbraucherschützerin Julia Gerhards zu Wort.

Im Skeptiker (3/2024) erklärt Oettingen, dass den Manifestierern häufig eine entscheidende Eigenschaft fehle: „die Energie zum Handeln“:

Das haben 20 Jahre Forschung in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen gezeigt.

Zum Beispiel Hochschulabsolventen, die positiv darüber fantasierten, gut ins Berufsleben zu gleiten, bekamen weniger Stellenangebote und verdienten nach zwei Jahren weniger Geld als Studierende, die auch negative Gedanken zuließen. Je positiver Personen, die sich zu einem Programm für Gewichtsreduzierung angemeldet hatten, über ihren Erfolg im Programm fantasierten, desto weniger Gewicht hatten sie nach drei Monaten verloren.

Oder ein Beispiel im Bereich der mentalen Gesundheit: Je positiver Personen in die Zukunft fantasierten, desto weniger depressiv waren sie im Moment, aber über die Zeit wurden sie depressiver.

Kurz gesagt: „Wenn wir Sachen verändern wollen in unserem Leben, müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen.“

In dem Gespräch mit Bärbel Schwertfeger stellt die Psychologieprofessorin auch eine

… wissenschaftlich fundierte mentale Strategie, mit der Menschen ihre Wünsche finden und erfüllen, Präferenzen festlegen und ihre Gewohnheiten ändern können

vor, nämlich WOOP (Wish, Outcome, Obstacle, Plan).

Der neue Skeptiker kann hier bestellt werden (auch als ePaper).

Zum Weiterlesen:

  • Fataler Glaube, Skeptiker 3/2024
  • Hype um Manifestation: Gefährliches Wunschdenken, tagesschau.de am 24. September 2024
  • Gefährliche Coachings: Wenn Manifestation zur Abzocke wird, Deutschlandfunk Nova am 25. September 2024
  • „Ich ziehe Wohlstand an“: Wann der Manifestations-Trend der Gen Z zu weit geht, frankfurter-rundschau am 25. September 2024
  • Die Pseudowissenschaft der Manifestation im Skeptiker und bei den SRF-Sternstunden, GWUP-Blog am 9. April 2024
  • Die Pseudowissenschaft der Manifestation, Skeptiker 1/2024
  • SkepKon-Video: „Macht die Visualisierung von Erfolg erfolgreich?“ mit dem Psychologen Timur Sevincer, GWUP-Blog am 18. Juli 2023
  • „Wünsche manifestieren per Quantenphysik?“ neu bei den Quarks Science Cops, GWUP-Blog am 28. Oktober 2023
  • Armut als Charakterschwäche: Der alte neue Hype um das „Manifestieren“, GWUP-Blog am 2. Mai 2023
  • Video: „Die Money-Machine der Coaches“ mit mirrellativegal, GWUP-Blog am 25. Februar 2023
  • Warum mich Laura Malina Seiler wütend macht, krautreporter am 17. Mai 2023

27. September 2024
von Bernd Harder
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Broschüre: „Parallelwelten“ von Pseudomedizinern, Freilernern, Reichsbürgern und Co.

Nach „Apokalypse now what“ und „Was Esoterik macht“ hat das Zentrum Liberale Moderne eine dritte Publikation in der Reihe „Narrativ-Check“ herausgegeben:

Parallelwelten

Darin geht es um Themen wie Pseudomedizin, Freilerner und „Reichsbürger“:

Die Broschüre steht hier zum kostenlosen Download bereit, die einzelnen Beiträge sind auch online verfügbar.

Zum Weiterlesen:

  • „Was Esoterik Macht“: Neue Download-Broschüre, GWUP-Blog am 24. Februar 2024

26. September 2024
von Bernd Harder
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„Heiler aus der Hölle“: Hamer und die Germanische Neue Medizin im „Mordlust“-Podcast

Nach Mord auf Ex befasst sich auch der True Crime-Podcast Mordlust der Journalistinnen Paulina Krasa und Laura Wohlers mit der Germanischen Neuen Medizin und Ryke Geerd Hamer.

Olivia hat Krebs. Die Diagnose, die ihre Tochter erhält, reißt Erika und Helmut Pilhar den Boden unter den Füßen weg. Sie wollen, dass die Sechsjährige so schnell wie möglich gesund wird. Doch anstatt die Hilfe derjenigen anzunehmen, die Olivia retten könnten, flieht die Familie und läuft stattdessen einem Menschen in die Arme, der sie in Gefahr bringt.

In dieser Folge geht es um einen Mann, der Linderung verspricht, aber Leid vermehrt – und darum, welche fatalen Folgen es haben kann, einem Wunderheiler mehr zu vertrauen als der Wissenschaft.

Eine aktuelle Stellungnahme zur GNM gibt es von Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft:

Die „Germanische Neue Medizin“ ist mit allem Nachdruck als gefährlich und unethisch zurückzuweisen.

Zum Weiterlesen:

  • Heiler aus der Hölle, mordlust am 25. September 2024
  • Tödliche Heilsversprechen: Die Germanische Neue Medizin im „Mord auf Ex“-Kriminalpodcast, GWUP-Blog am 7. Juni 2024
  • „Seine Heilkunde tötet“: Die Science Cops über Hamer und die Germanische Neue Medizin, GWUP-Blog am 2. Oktober 2023
  • „Mein Studentenmädchen“ gegen Krebs: Neues Todesopfer der Germanischen Neuen Medizin, GWUP-Blog am 21. September 2015

22. September 2024
von Bernd Harder
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Alles ist plausibler, als dass Homöopathie wirklich wirkt: MAITHINK X über Placeboeffekte und die „Alternativmedizin“

Es beginnt mit einer Rätselfrage:

Ein Landwirt stellte vor einigen Jahren fest, dass die Eierschalen seiner Hennen brüchig wurden. Nach der Gabe eines homöopathischen Medikaments über das Trinkwasser änderte sich das. Innerhalb von vier Tagen produzieren fast alle Hühner wieder Eier mit robusten, harten Schalen – bei 18.000 Hühnern wohlbemerkt.

Im weiteren Verlauf der MAITHINK X-Sendung

Alternativmedizin – Mehr als der Placeboeffekt

heute Abend (22. September, 22.15 Uhr bei ZDFneo) dekliniert Mai Thi Nguyen-Kim die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten durch – von Placebo by proxy und Regression zur Mitte über den Beobachter-Bias bis hin zu Problemen mit der Futtercharge, einem leichten Infekt oder anderen unbemerkten Einflüssen.

Wie auch immer:

Alles ist plausibler, als dass Homöopathie wirklich wirkt.

Im Kern geht es in den 30 Minuten darum, zu erklären, dass der Placebo-Effekt keine Einbildung ist, sondern messbare physiologische Wirkungen zeitigt, und dass er auch dann wirkt, wenn man nicht daran glaubt.

Dazu hat das ZDF noch den Text „Die ehrliche Lüge: Open-Label-Placebos“ veröffentlicht.

Am Ende stellt die Moderatorin klar, dass es keine „Alternative“ zur evidenzbasierten Medizin gibt, bei „ergänzenden Methoden“ kann sie aber doch „mitgehen“.

Alsdann spricht sie zu den Homöopathie-Fans:

Es ist doch gar nicht nötig, so zu tun, als gäbe es ein Wassergedächtnis oder als hätten Globuli eine echte biologische Wirkung. Es kann einem auch ohne Wirkstoff bessergehen, dank Placeboeffekt oder Regression zur Mitte oder Placebo by proxy, you name it – ist doch viel geiler als eine Potenzierung.

Vor diesem Fazit weist sie allerdings auf die Grenzen von Placebos und die mitunter tödlichen Risiken von „Alternativmedizin“ hin.

Die Sendung gibt es hier in der ZDF-Mediathek.

Zum Weiterlesen:

  • Die ehrliche Lüge: Open-Label-Placebos, zdf.de am 22. September 2024
  • Placebo hilft, auch wenn du weißt, es ist ein Fake, dw am 5. September 2024
  • Placebos wirken auch, wenn man nicht dran glaubt, GWUP-Blog am 2. November 2016
  • Placeboeffekt bedeutet doch Einbildung, oder? INH am 27. Januar 2019
  • Video: Mai-Thi über den „Nocebo-Effekt“, GWUP-Blog am 27. Februar 2019
  • Neues maiLab-Video: „Fünf Missverständnisse über den Placebo-Effekt“, GWUP-Blog am 25. August 2019
  • Neues mailab-Video: Homöopathie – „Deutschlands schlechtestes Gesetz“, GWUP-Blog am 12. Juli 2019
  • Homöopathie – das Geschäft mit dem Placebo, INH am 28. März 2016
  • Und wenn es nur Placebo ist – was macht das schon? INH am 27. Januar 2019
  • Placebo by proxy – was ist denn das? INH am 10. Februar 2017
  • Homöopedia: Tierhomöopathie
  • Darum gibt es den Placebo-Effekt bei Tieren, quarks am 3. Februar 2021
  • Der Kluge Hans: Das Pferd, das rechnen konnte, watson am 22. August 2021
  • „Placebo-Eingriffe sind kein gemeiner Trick, sie können sehr effektiv sein“, welt+ am 20. September 2024
  • To what extent are surgery and invasive procedures effective beyond a placebo response? A systematic review with meta-analysis of randomised, sham controlled trials, BMJ Open 12/2015
  • Die Homöopathie, die Politik und die Ärzteschaft – eine aktuelle Gemengelage, MIZ 2/2024
  • Homöopathie hat keinen Platz in der Medizin – und ebenso wenig in der Meeresbiologie, GWUP-Blog am 1. September 2024
  • Ein „Bund“ zwischen Ärzten und Heilpraktikern? Das freut nur die Pseudomediziner, GWUP-Blog am 21. Juni 2015
  • Homöopathie, Ganzheitlichkeit und die sprechende Medizin, GWUP-Blog am 20. April 2013
  • Komplementärmedizin: Leitlinie für die Behandlung von Krebspatienten – „Je mehr Wallawalla, desto großzügiger“, GWUP-Blog am 13. Juli 2024

22. September 2024
von Bernd Harder
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„Fakten sind krass, aber was sagen die Sterne?“ Nichts – sie schweigen weiter vor sich hin

Der eigentliche „Wirkstoff“ von Globuli, Schüßler-Salzen oder Heilsteinen ist eine große Prise Irrationalität,

schreibt die Schriftstellerin und Journalistin Ronya Othmann heute in ihrer FAS-Kolumne „Import Export“:

Grundsätzlich hat Othmann nichts gegen „ein bisschen Aberglaube“ einzuwenden, wie etwa „Glückssocken“, und auch alternative Heilmethoden könne man natürlich „ein bisschen ulkig“ finden:

Wenn man aber dann von der Mutter einer alten Bekannten hört, die ihren Krebs von einem Wunderheiler behandeln ließ und starb, ist das weniger ulkig. Und nicht nur das.

Bei ihrem kurzen Parforceritt durch die Anderswelt streift die FAS-Kolumnistin Homöopathie („Basiert nicht auf Wissen, sondern primär auf Glauben“), Heilpraktiker („Noch heute kann man, wenn man nicht den NC fürs Medizinstudium hat, einfach Heilpraktiker werden“), die rechte Anastasia-Bewegung und die Germanische Neue Medizin („Spätestens da sollte man die Heilsteine einpacken“), um zu dem Fazit zu gelangen:

Auch wenn die Esoterik in den verschiedensten Farben und Formen daherkommt, auch wenn in ihr viele ihre Nische finden, birgt sie für mich doch immer einen antimodernen Kern. Dem vermeintlich Kalten, Rationalen, Künstlichen wird etwas Sanftes, Ganzheitliches, Natürliches entgegengesetzt oder besser: entgegengeraunt.

Um mit einem Meme (auch heilsam) des Instagramaccounts@ruth_lol zu enden: „Fakten sind krass, aber was sagen die Sterne?“

Nun ja – nichts.

Das hat gerade mal wieder eine Studie von amerikanischen Mathematikern gezeigt:

Greenberg et al. stellten Astrologen detaillierte Informationen zu Charaktereigenschaften und Lebensumständen einer realen Person zur Verfügung. Damit sollten die Sternseher unter fünf Auswahlmöglichkeiten das tatsächliche Geburtshoroskop dieses Menschen herausfinden.

152 Astrologen stellten sich dem Test (1000 Dollar gab es dabei auch noch zu gewinnen) – ihre Trefferquote entsprach durchwegs der Zufallserwartung und hätte auch mit bloßem Raten erreicht werden können.

Das Studiendesign wurde übrigens gemeinsam mit Astrologen entwickelt. Greenberg testete also nur das, was die Sternseher selbst glaubten zu können. Aber nicht einmal das konnten sie.

Wer’s mal ausprobieren will: Das Testverfahren bleibt weiterhin online.

Zum Weiterlesen:

  • Warum Esoterik für mich antimodern ist, faz+ am 21. September 2024
  • Astrology shown to be no better than random guessing, New Scientist am 19. August 2024
  • Does astrology work? We put 152 astrologers to the test, clearer-thinking am 7. August 2024
  • Can astrological sun signs (or zodiac signs) predict facts about people’s lives? We tested it, clearer-thinking am 10. Januar 2024
  • Neu erschienen: „Esoterik in der politischen Bildung“, GWUP-Blog am 21. Juni 2024
  • Wissenschaftsfeindlichkeit: Ein antidemokratischer Cocktail aus Religion, Esoterik und Verschwörungsglaube, materie.at am 21. August 2024
  • Wenig Wirkung, viel Psychologie: Esoterik-Kritik bei idowa, GWUP-Blog am 20. Juni 2024
  • „Naheliegende Vorhersagen“: Die FAZ über eine Wahrsagerin, GWUP-Blog am 19. September 2024
  • AstroTV stellt Sendebetrieb via Kabel und Satellit ein, GWUP-Blog am 16. Mai 2024

21. September 2024
von Bernd Harder
3 Kommentare

Hoffnung durch Übersinnliches? Das falsche Spiel der „Vermisstenhellseher“

Einmal, so steht es in der aktuellen Ausgabe von Zeit Verbrechen (28/2024), soll ein deutsches Gericht ernsthaft auf den Gedanken gekommen sein, eine Zeugin könne „tatsächlich mediale Fähigkeiten“ besitzen.

Das war 2006, bei einem Mordprozess vor dem Landgericht Freiburg.

Eine „Seherin“ hatte angeblich den entscheidenden Hinweis gegeben, der zur Entdeckung der Geldbörse einer vermissten 41-Jährigen in einem Waldstück bei Wehr (Landkreis Waldshut, Baden-Württemberg) führte.

Als die Frau und ihre elf Jahre alte Tochter schließlich tot aufgefunden wurden, avancierte das schwarze Mäppchen für die Ermittler zum wichtigen Indiz. Sie gingen davon aus, dass der Ehemann der Toten das Kartenetui mit Scheck- und Krankenkassenkarten nahe dem eigenen Haus versteckt hatte, „um später den Mord an seiner Frau und seiner Tochter zu verschleiern, indem er mithilfe der Karten ein Weiterleben der Toten an einem fernen Ort inszeniert“, schreibt die Zeit-Autorin.

2011 wurde der Mann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Dass die Umstände des Börsenfunds „rätselhaft“ waren, räumten die Richter durchaus ein. Möglicherweise gebe es dafür auch eine rationale Erklärung.

Die lieferte im Grunde Der Spiegel, der 2009 unter der Überschrift „Das Medium und der Polizist“ über den Fall berichtete.

Reporter Jürgen Dahlkamp beschrieb in seinem Artikel ein eigentümliches Bündnis zwischen einem okkultgläubigen Ermittler (A.) der Kripo Waldshut-Tiengen, der Schwester der Ermordeten (H.) und einer ortsansässigen „Hellseherin“ (F.) – plus einem Waldarbeiter und dessen Sohn.

Dahlkamp zufolge hielt das Gericht „die merkwürdig präzise Vorhersage der Fundumstände durch die Seherin, wie sie von Polizist A. und der Schwester H. bestätigt wurde“, für vernachlässigbar. Irgendwie merkwürdig, das alles, mehr aber nicht.

Dahlkamp:

Merkwürdig war eher, dass sich das Gericht für all die Merkwürdigkeiten nicht sehr interessierte: beispielsweise den Zufall, dass der Arbeiter ausgerechnet den Stein verschoben haben soll, unter dem das Mäppchen lag, einen 46 Kilo schweren Findling. Genau dieser Waldarbeiter wohnte auch noch keine 150 Meter von der Schwester entfernt – angeblich, ohne dass man sich kannte.

Wörtlich heißt es im Urteil:

Nur durch Zufall verkeilte sich ein Ast mit einem etwa 40 mal 20 mal 30 cm großen Findling, wodurch dieser zur Seite geschoben wurde […] Dass es sich bei der Ablage unter dem Findling um ein Versteck für das Kartenmäppchen handelte, schließt die Kammer […] aus der besonderen Lage des Mäppchens. Es lag nach den Angaben des Zeugen … an einer nur schlecht zugänglichen Stelle.

Nach der Schilderung des Zeugen musste man zum Erreichen des Steins erst eine steile Böschung am Rande des Waldwegs überwinden und danach mehrere Meter steil bergauf durch unwegsames Gelände laufen […] Das Auffinden durch den Zeugen … war schließlich auch nur einer Verkettung mehrerer Zufälle zu verdanken.

Und so weiter, und so fort.

Was der Spiegel-Gerichtsreporter letztlich andeutet, ist, dass an den „übersinnlichen“ Fähigkeiten der Wahrsagerin realiter gar nichts dran war. Dazu passt, dass der Polizist A. ein Treffen mit der hellsichtigen Dame F. kurz vor dem Mäppchenfund „vorsorglich aus den Ermittlungsakten tilgte“, wie in Zeit Verbrechen zu lesen ist.

Wie auch immer (der Anklagte hat die Tat nie gestanden und der Bundesgerichtshof hob das Urteil gegen ihn zweimal auf):

Mit einem „glücklichen Zufall“ oder gar einer „intuitiven Begabung“ der Hellseherin F. hatte der Mordfall Wehr sicher nichts zu tun, wie der Rechtswissenschaftler Thomas Fischer und der Journalist Holger Schmidt in ihrem True-Crime-Podcast spekulieren, offenkundig ohne sich jemals mit dem Thema „Vermisstenhellseher“ beschäftigt zu haben.

Es gibt bislang keinen Grund, von dem abzuweichen, was die Kriminalpsychologin Lydia Benecke in dem Crime-Format Der Fall sagt:

Man sollte auf gar keinen Fall auf Angebote eingehen, die auf jeden Fall nicht funktionieren und die nichts anderes als Schaden hinterlassen, mindestens emotionalen Schaden.

Es geht in der Folge um das Verschwinden und den bis heute ungeklärten Mord an der neunjährigen Peggy Knobloch aus Lichtenberg in Oberfranken.

Auch hier drängten „Scharlatane wie Wünschelrutengänger und Hellseher“ ins Rampenlicht, schrieb die Ostthüringer Zeitung – wie etwa der berüchtigte „Seher“ Michael Schneider, dem skrupellose Medien immer wieder bereitwillig eine Bühne geben:

Überflüssig zu erwähnen, dass die Leiche des Mädchens in einem Wald in Thüringen gefunden wurde.

Die Berliner Polizei verbat sich vor fünf Jahren jedwede Belästigung durch Schneider und Co.

Es gibt eben Sachen, die nachgewiesenermaßen nicht helfen, und damit dann emotionalen Druck zu erzeugen, finde ich schon ganz schön schlimm,

sagt auch Co-Host Sarah Koldehoff im Der Fall-Podcast.

Mehr noch: Es ist widerwärtig. Zahlreiche Beispiele listen wir bei „Zum Weiterlesen“ auf.

Im Deutschlandfunk erklärte Benecke:

„Familien müssen sich nicht emotional von Scharlatanen manipulieren und verletzten lassen.“

Menschen, die übernatürliche Fähigkeiten versprechen, würden falsche Hoffnungen der Angehörigen wecken. Außerdem könnten ihre Angaben auch die Arbeit der Polizei behindern. Zum Beispiel, in dem sie falsche Aussagen zu möglichen Täterinnen und Tätern machen, die wiederum andere Menschen beeinflussen.

Wenn wir also aus Interesse alles über ungelöste Vermisstenfälle lesen, sollten wir eines bedenken: Fakten verbreiten ist hilfreich, sich spektakuläre Theorien ausdenken kann aber die Arbeit der Polizei behindern.

Zum Weiterlesen:

  • Hoffnung durch Hellsehen? Der Fall Peggy Knobloch, funk am 10. September 2024
  • „Es gibt keine Vermisstenfälle, für die ich keine rationale Erklärung habe“, Deutschlandfunk am 30. Oktober 2020
  • Hellseher narrt Ermittler im Fall der verschwundenen Peggy aus Lichtenberg, otz am 13. März 2014
  • Seher glaubt: Peggy liegt im Fluss, tz am 30. Januar 2014
  • Mordfall Wehr: Mit Hellseherin auf Leichensuche, swr am 26. August 2021
  • Das Medium und der Polizist, spiegel.de am 19. April 2009
  • Wut-Brief von Chefermittler an Hellseher, Berliner Kurier am 15. September 2019
  • Wut-Brief von Chefermittler: „Die Berliner Polizei geht keinen Hinweisen von Sehern und Geisterkontaktlern nach“, GWUP-Blog am 19. August 2019
  • „Vermisstenhellseher“: Wie die Betrüger ticken, GWUP-Blog am 28. Oktober 2017
  • Vermisstenhellseher“: Ein Nach-SkepKon-Facebook-Posting von Lydia Benecke, GWUP-Blog am 10. Mai 2016
  • Evelyn Störzner: Die angebliche „Vermisstenhellseherin“ und der Tod des kleinen Elias, GWUP-Blog am 4. November 2015
  • Wenn “Hellseher” vermisste Kinder finden wollen, GWUP-Blog am 5. August 2015
  • Die Vermisstenhellseherin wütet gegen die Skeptiker – und präsentiert „Beweise“, GWUP-Blog am 7. August 2015
  • Immer mehr „Beweise“ von der Vermisstenhellseherin – und der Dritte Weltkrieg, GWUP-Blog am 8. August 2015
  • Evelyn Störzner: Ein weiterer Fall der „Vermisstenhellseherin“ – und Gegenbeispiele zur Warnung, GWUP-Blog am 10. August 2015
  • Klar darf man einen Hellseher “Scharlatan” nennen, GWUP-Blog am 14. August 2015
  • Unfassbar: „Hellseher“ posten brutale Gewaltphantasien über vermisste Kinder, GWUP-Blog am 5. September 2015
  • Podcast: Hellseher gegen die RAF – natürlich erfolglos, GWUP-Blog am 4. April 2024