Nicht lustig:

Dass dieser „Breakdown“ wegen Trumps Scheitern echt ist, bestätigte die Dame selbst einen Tag später (nach Bidens Inauguration) bei Youtube.

QAnon findet in den beiden Clips zwar keine direkte Erwähnung – aber man mag erahnen, wie es um die Gefühlslage von Trump- und QAnon-Anhängern derzeit bestellt ist.

Eine Woche vor Bidens Amtseinführung sprach eine QAnon-Aussteigerin über ihr mittlerweile erloschenes „Q-Fieber“, wie sie es nennt:

https://www.youtube.com/watch?v=92dFiwGipAk

Die 35-jährige Melissa Rein Lively wurde letzten Sommer dabei gefilmt, wie sie in einen Supermarkt stürmte und dort die Maskenregale zerstörte. Ein zweites Video zeigte ihre spätere Auseinandersetzung mit der Polizei.

In verschiedenen Interviews (unter anderem mit der London Times) erzählt sie jetzt davon, wie sie „Missionarin für QAnon“ wurde:

Sie fürchtete, dass den USA eine medizinische Tyrannei droht, die zu einem „zweiten Holocaust“ führen wird.

Rein Lively ist keine „Rechte“, sie ist Jüdin und zwei ihrer Großeltern haben den Holocaust überlebt. Wer diese finsteren Eliten sind, die patriotische Amerikaner ins KZ stecken wollen, glaubte sie damals auch zu wissen: „Die Globalisten. Die UN. Die Weltgesundheitsorganisation. George Soros, Dr. Fauci.“

https://www.youtube.com/watch?v=7L3Ov-lOrsA

„Die Leute denken, QAnon, das seien zahnloser Penner irgendwo in einem Keller, aber das ist es nicht. Es sind intelligente Menschen, die Unstimmigkeiten erkennen und dann von den Algorithmen zu Seiten geführt werden, die all ihre Verdächtigungen bestätigen. Das ist einer der Gründe, warum es so heimtückisch ist.“

Rein Lively ist gewiss nicht „White Trash“. Sie hat eine Firma geleitet. Acht Wochen blieb sie in einem Therapiezentrum, in dem ein Tag mehr als 1000 Dollar kostet. Sie wurde ein Opfer ihres Stresses und der Algorithmen, davon ist sie zumindest überzeugt.

Wer sich wie Rein Lively einige Nächte durch die Wahnwelt der QAnon-Bewegung gescrollt hat, wird von da an mit immer neuem Verschwörungsstoff beliefert.

Und nun?

Jetzt besteht eine einmalige Chance,

meint der t-online-Autor Ali Vahid Roodsari:

Manch einer hat sich vielleicht sogar mit Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten wegen ihrer QAnon-Fantasien zerstritten. Ihnen sei gesagt: Nach der Vereidigung von Joe Biden zum US-Präsidenten besteht vielleicht die beste Chance, auf diese Verschwörungstheoretiker zuzugehen und, fast noch wichtiger ist: sie wieder in die Realität zurückzuholen.

Roodsari zitiert Experten wie Miro Dittrich und Pia Lamberty, die dazu raten,

… Kontakt zu euren Freund*innen/Kolleg*innen/Bekannt*innen/Familienmitglieder*innen, die ihr an die QAnon-Sekte verloren habt, aufzunehmen, um ihnen klar zu machen, dass ihr sie gerne wieder in der Realität aufnehmen werdet.

Entscheidend ist allerdings, wie stark die Betroffenen der QAnon-Ideologie verhaftet sind und wie viel sie in ihren Glauben investiert haben (Sunk Cost Fallacy).

Aktuell ist die Szene in Deutschland irritiert bis „zerrissen“ (so Felix Huesmann bei Twitter).

Praktisch bis zur letzten Minute vor Bidens Amtsübernahme hatten die QAnons auf den „Sturm“ gehofft, den großen Schlag Trumps gegen die „Deep State“-Verschwörung:

Und auch jetzt vertrauen immer noch viele dem „Plan“:

Natürlich Michael Wendler:

Auch QGlobal-Change ergeht sich weiter in kryptischen Andeutungen:

Und sogar das ist offenbar ernst gemeint:

Doch neben den „weiter Gläubigen“ gibt es auch „Die Desillusionierten“ (Belltower News), wie zum Beispiel den Verschwörungsideologen Oliver Janich, der zwischen Gewaltphantasien („Hängt Biden. Hängt Soros. Hängt sie alle, verdammt nochmal“) und Resignation oszilliert:

Aber auch einfache Supporter:

Der Standard fasst zusammen:

In großen Telegram-Gruppen sehen sich derzeit viele Anhänger betrogen, während andere Durchhalteparolen ausgeben. Immerhin passt der Abgang von Trump so überhaupt nicht in die Versprechungen, die den Jüngern des Kults jahrelang vor die Nase gehalten wurden.

„Das stellt die gesamte Bewegung infrage“, formuliert es ein Anhänger in einer Gruppe mit mehr als 18.000 Mitgliedern. Ein anderer stellt gar resignierend fest, dass damit klar sei, dass es in Wirklichkeit nie einen Plan gegeben habe. Und auch keinen „Q“ – also jenen angeblichen Insider, der mit seinen verschwörerischen Prognosen all das ausgelöst hat.

In den USA zeigt sich das gleiche Bild.

Der „QAnon-Schamane“ Jake Angeli fühlt sich von Trump „betrogen“ – ebenso wie dieser Herr von „Q“:

Sogar Ron Watkins (der Sohn von 8kun-Betreiber Jim Watkins, der im Verdacht steht, „Q“ zu sein), fordert via Telegram die QAnon-Anhänger dazu auf, „to go back to our lives as best we are able.“

Andere Online-Präsenzen der „Q-Family“ schotten sich indes gegen jeden Zweifel ab:

This is not over, have patience.

Wie geht es also weiter mit QAnon?

Im Grunde hat sich nichts an der Situation geändert, wie wir sie schon im #ferngespräch am 17. November oder in früheren Artikeln besprochen haben:

Zerfallen wird die Bewegung nicht. Sie wird wohl kleiner – dafür aber radikaler.

Thüringens Innenminister Georg Maier hat sich gerade für eine Beobachtung der QAnon-Bewegung durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. „Ein erheblicher Prozentsatz im Internet schreibt, dass sie jetzt mit dem QAnon fertig sind“, erklärt der Gründer und Präsident der US-Organisation „Advance Democracy“, Daniel J. Jones.

Aber:

Die Anhänger befinden sich jetzt an einer Kreuzung und müssen entscheiden, welchen Weg sie nehmen wollen. Doch es gibt viele Anzeichen dafür, dass QAnon und ihre unwirkliche Welt bestehen bleiben werden.

Denn einige Anhänger lassen sich nicht so einfach aus dem Tritt bringen, ihre Glaubenssätze sitzen zu tief und sie bestehen darauf, dass alles nach „Plan“ laufe und der Krieg Trumps gegen den „deep state“ jetzt erst richtig begonnen hätte.

Die QAnon-Watchseite Adornochrom merkt an:

Wir schließen uns dem Youtuber Dan Olson an, wenn er darauf hinweist, dass die Qanon-Anhänger über Jahre belogen und manipuliert wurden und zugleich bereit waren, Lügen zu glauben und sich selbst manipuliert haben. Ihr Schmerz kann ein Trennungsschmerz sein, wenn man sie in der Trennung unterstützt, er kann aber auch der Beginn weiterer Radikalisierung sein.

Vor allem, wenn man in die Verschwörungsideologie viel hineingesteckt und daher viel zu verlieren hat.

Ein neues Buch zum Thema „Umgang mit Verschwörungsgläubigen“ gibt es übrigens von der österreichischen Publizistin Ingrid Brodnig:

Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online

Einen Online-Vortrag zu QAnon hält am 28. Januar Johnny Mutante.

Zum Weiterlesen:

• In der Wahnwelt von QAnon – eine Aussteigerin berichtet, stern-online am 16. Januar 2021
• Abstruser QAnon-Kult: Jetzt besteht eine einmalige Chance, t-online am 22. Januar 2021
• Corona-Verschwörungsmythen: Radikalisierung, Beziehungsstress und die Sunk Cost Fallacy, GWUP-Blog am 27. Oktober 2020
• Biden ist Präsident – und die QAnon-Szene ist gespalten, Belltower News am 21. Januar 2021
• Biden vereidigt: So verzweifelt reagieren die QAnon/Trump-Fans in Deutschland, volksverpetzer am 21. Januar 2021
• QAnon ohne Donald Trump – eine deutsche Nahaufnahme, Deutsche Welle am 19. Januar 2021
• Trump-Ablöse stößt QAnon-Anhänger in tiefe Glaubenskrise, derStandard am 21. Januar 2021
• Neurechter Karneval: Die Ikonographie des „QAnon-Schamanen“, literaturkritik.de am 21. Jauar 2021
• Q-Anon Schamane: „Donald Trump hat mich betrogen“, Frankfurter Rundschau am 23. Januar 2021
• QAnon followers are giving up on their conspiracy theory after Biden’s inauguration: „Is anyone still holding the line?“, insider am 20. Januar 2021
• Biden inauguration leaves QAnon believers in disarray, BBC am 21. Januar 2021
• Ist „QAnon“ identifiziert? (Er ist jedenfalls kein hochrangiges Mitglied der Trump-Regierung), GWUP-Blog am 13. September 2020
• Some QAnon followers lose hope after inauguration, nbc news am 20. Januar 2021
• QAnons apokalyptische Abrechnung verpufft, n-tv am 21. Januar 2021
• „Alles nach Plan“: Wie QAnons auf die US-Wahl reagieren, GWUP-Blog am 7. November 2020
• #ferngespräch „QAnon ohne Trump“ jetzt als Hoaxilla-Podcast, GWUP-Blog am 11. Januar 2021
• Geschichte, Gegenwart und Zukunft von QAnon im Podcast „Schlecht Beraten“, GWUP-Blog am 16. Januar 2021
• Innenminister Maier unterstützt Beobachtung der QAnon-Bewegung, mdr am 21. Januar 2021
• Die lausige Trefferquote der Verschwörungsideologen, tagesspiegel am 15. Januar 2021
• „Auf dem Schlachtfeld“: Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 7. September 2020
• Wie Herr Reimann zum Verschwörungsgläubigen wurde, GWUP-Blog am 25. November 2020
• Verschwörungstheorien: Die Heimwerker der alternativen Wissenskonstrukte, GWUP-Blog am 5. November 2020
• Video: Holm Hümmler über „QAnon – Donald Trump als Messias“, GWUP-Blog am 11. Januar 2021
• Verschwörungserzählungen: Empfehlungen für strategisches Diskutieren, netzpolitik am 24. Januar 2021
• Ingrid Brodnig: Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. Brandstätter 2021, 160 Seiten, 20 €
• Filmriss im QAnon-Universum, Spiegel-Online am 24. Januar 2021