gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Techno-Mystizismus: Warum der Sherlock-Holmes-Erfinder an Geister und Feen glaubte

| 3 Kommentare

Die seltsame Affinität des „Sherlock Holmes“-Erfinders Arthur Conan Doyle zum Spiritismus war schon mal Thema bei der GWUP-Konferenz 2011 in Wien und einer Hoaxilla-Folge.

Der Mann, der seinen viktorianischen Meisterdetektiv auch „übersinnlich“ angehauchte Fälle wie „Der Vampir von Sussex“ oder „Der Hund der Baskervilles“ auf ganz rationale Erklärungen zurückführen ließ, dozierte im wahren Leben über „gänzlich Unsinniges“, propagierte Geisterglaube und Parapsychologie und ließ sich schließlich sogar von zwei Mädchen mit ihren Fotos von den „Cottingley-Feen“ hinters Licht führen.

Zu „The Case of the Cottingley Fairies“ gibt es sogar Unterrichtsmaterialien von der James Randi Educational Foundation.

Wie ist dieser merkwürdige Widerspruch zwischen Skeptizismus und Spintisiererei zu erklären?

In einem Interview mit dem Sherlock-Holmes-Magazin sagte Dr. Mark Benecke vom GWUP-Wissenschaftsrat letztes Jahr:

Die Frage ist, welche Methode verwende ich, um Schlüsse zu ziehen? Und darum finde ich es bei Doyle so toll, dass er die Grenzen eingehalten hat.

Also: „Woran glaube ich? Ich glaube an Elfen auf Fotos oder Feen. Ich glaube an spiritistische Sitzungen und Ektoplasma. Aber wenn ich Schlussfolgerungen ziehen, die ich darstellen will, zum Beispiel bei Sherlock Holmes, dann lasse ich das komplett raus, weil es da nicht reinpasst.“

Normalerweise sickert bei Autoren immer etwas aus ihrer eigenen Gedankenwelt ein. Zum Beispiel zeigt Stephenie Meyers „Twilight“ die Vampire als Mormonen. Kein Sex vor der Ehe und so weiter, im Grund sind das mormonische Vampire, weil die Autorin Mormonin ist.

Das ist bei Doyle nicht der Fall, und das ist eine großartige Leistung.“

Jetzt hat sich auch der Konstanzer Literaturhistoriker Bernd Stiegler des Falles „Arthur Conan Doyle“ angenommen.

In einem neuen Buch arbeitet Stiegler heraus, dass …

… die auf den ersten Blick so gegensätzlichen Weltsichten des Sherlock Holmes’s Erfinders im Medium der Fotografie zueinander fanden.“

Der spätere Erfolgsschriftsteller hatte seine Karriere als Autor für die größte Fotografiezeitschrift Englands begonnen und war zeit seines Lebens von Fotoapparaten fasziniert:

Was er auf Fotografien sah, war er stets geneigt zu glauben“,

schreibt die FAZ in einer Rezension zu Stieglers akribischer Arbeit. Aufnahmen von Elfen, Verstorbenen und Geistern bezeugten für Conan Doyle deren Existenz.

Die Fotografie galt dem ehemaligen Arzt als objektives Aufzeichnungsmedium, ganz so, wie er auch seinen Helden Sherlock Holmes als „die vollkommenste Beobachtungsmaschine, die die Welt je gesehen hat“, beschrieb.

Der scheinbare Kontrast zwischen nüchterner Beweisführung auf empirischer Grundlage und seinen zahlreichen Publikationen zum Thema Spiritismus war für Arthur Conan Doyle also möglicherweise gar keiner.

Dass er mit dieser Einschätzung falsch lag und dadurch unter anderem auf die zwei kleinen Schwindlerinnen hereinfiel, die Elfenzeichnungen aus einem Kinderbuch an Pflanzen gepinnt und geknipst hatten, weist ihn als „typischen Geist seiner Zeit“ aus, schlussfolgert Stiegler:

Hin und her gerissen zwischen Wissenschaftsglaube und einer Empfänglichkeit für das Übernatürliche. Beides findet sich gespiegelt im damals neuen Medium Fotografie.“

In seinem Buch „Die Elfen kommen“ schrieb Arthur Conan Doyle 1922:

„Die Wissenschaft des viktorianischen Zeitalters hatte die Welt hart und steril und nackt wie eine Mondlandschaft zurückgelassen, aber diese Wissenschaft ist in Wahrheit nur ein kleines Licht in der Dunkelheit, und außerhalb des begrenzten eindeutigen Wissens erkennen wir, dass um uns herum riesige und phantastische Möglichkeiten ihre Schatten voraus werfen“.

Und tatsächlich, merkt der FAZ-Feuilletonist an:

Welcher Glaube wäre materialistischer als derjenige, das Drüben hinterlasse Wolken auf Silberpapier, aus Frauen fließe bei überirdischer Ansteuerung „Ektoplasma“, und die Toten dränge es danach, mit uns zu telefonieren?“

In gewisser Weise gleicht Sir Arthur Conan Doyle damit heutigen „Ghosthuntern“, deren persönlicher Geisterglaube mit einer unkritischen Technikgläubigkeit einhergeht.

„Techno-Mystizismus“ gab es mithin schon Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts.

Und einer seiner größten Anhänger bescherte uns nicht nur einen zeitlosen Helden des Detektiv-Genres sondern auch das „Sherlock-Holmes-Syndrom“:

Leider ist Sherlock Holmes nur ein mässig gutes Vorbild für einen Skeptiker […] Das Problem ist, was Sherlock Holmes als die einzige mögliche logische Schlussfolgerung darstellt, ist oft nur eine mögliche Erklärung unter vielen.

Wer nicht dies nicht hinterfragt, lässt sich leicht von dieser oberflächlichen “Logik” blenden (Ähnlichkeiten mit Verschwörungstheorien sind hier ebenfalls zu erkennen).“

Zum Weiterlesen:

  • Bernd Stiegler: Spuren, Elfen und andere Erscheinungen Conan Doyle und die Photographie. S.Fischer Verlag, Frankfurt 2014
  • Detektivgeschichten und Spiritismus, Deutschlandfunk am 19. August 2014
  • Geisterstunde mit Sherlock Holmes, FAZ am 16. August 2014
  • Sherlock Holmes und die Elfen, WDR 5 am 25. Juni 2014
  • Detektiv in der Dunkelkammer, Deutschlandradio Kultur am 30. Juni 2014
  • Buchrezension: Spuren, Elfen und andere Erscheinungen, WDR 3 am 4. Juli 2014
  • Hoaxilla #145 – „Sir Arthur Conan Doyle” vom 20. Januar 2014
  • Der Mann, der den Feen vertraute, Welt-Online am 17. Mai 2009
  • Die Geschichte der Feen von Cottingley, pressenet.info
  • Arthur Conan Doyle: Zwischen Feen und Sherlock Holmes, Focus-Online am 22. Mai 2009
  • Sir Arthur Conan Doyles Krieg der Geister, Telepolis am 29. Januar 2010
  • Das Sherlock Holmes Syndrom der Terror-Experten, zoon politikon am 23. Juli 2011
  • Interview mit Dr. Mark Benecke im Sherlock-Holmes-Magazin vom 15. Juli 2013
  • Fotogrüße aus dem Jenseits, einestages am 23. Dezember 2011
  • Geisterstimmen und Electronic Voice Phenomena, GWUP-Blog am 4. November 2009
  • Ghosthunting und Techno-Mystizismus, GWUP-Blog am 16. Oktober 2009
  • Technophilie und Geisterglaube, GWUP-Blog am 2. Februar 2014
  • Sir Arthur Conan Doyle and the Spirits, Skeptical Humanities am 19. August 2014

3 Kommentare

  1. Im Conan Doyles Roman „The Poison Belt“ (1913) sind schon etliche Anzeichen des misanthropen Spiritismus zu finden, dem sich der Autor nach und nach widmete.

    http://en.wikipedia.org/wiki/The_Poison_Belt

    Den Text gibt es auch im Projekt Gutenberg. Schon alleine wegen der suggestiven Szenen der schleichenden Vergiftung lesenswert – wobei die giftige Substanz merkwürdige Ähnlichkeiten mit Tetrahydrocannabinol aufzuweisen scheint… Auch die Szenen des Sussex Countryside schlagen jede Rosamunde Pilcher um Längen. ;-) Es handelt sich dabei übrigens um den zweiten Roman mit dem raubeinigen Prof. Challenger — nach „The Lost World“.

    Im Übrigen was für eine Entwicklung: Im Jahr 1913 war noch wie selbstverständlich von einem allgegenwärtigen, alles durchdringenden Äther die Rede.

    Viel Spaß bei der Lektüre.

  2. Ich halte Conan Doyle schon lange für sehr konsequent: sein Glaube an Spiritismus u.ä. passt exakt zur Sherlock-Holmes-Methode.

    Holmes‘ Methode geht ja so: „When you have eliminated the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth“.

    Ich denke, genau so ging Doyle in realen Leben vor: er legte sich eine Liste möglicher Erklärungen für ein Phänomen zurecht, und dann eliminierte er die Erklärungen, die nicht passten.

    Das Problem dabei: Sherlock Holmes hatte den Vorteil, ein fiktives Genie zu sein, dessen Probleme so konstruiert waren, dass er sie mit seiner Methode lösen konnte. Er hatte tatsächlich eine (in seiner fiktiven Welt) vollständige Liste möglicher Erklärungen.

    Doyle hingegen war ein fehlbarer Normalsterblicher, der nicht sämtliche möglichen Erklärungen fand. Er hat zum Beispiel geglaubt, Houdini habe echte übernatürliche Fähigkeiten, weil die jeweiligen korrekten Erklärungen für Houdinis Taten nicht in seiner Liste möglicher Erklärungen standen – begrenzte Fantasie halt.

    Die Holmes-Methode (Erklärungen finden, alle bis auf eine widerlegen) funktioniert nur, wenn man ein fiktives Genie ist und alle möglichen Erklärungen kennt, wie Holmes. In der realen Welt landet man damit natürlich bei Erklärungen, die leicht zu finden und schwer zu widerlegen sind, also bei Geistern und Elfen.

  3. @ trixi
    Jetzt nutz ich mal die Gelegenheit, mich für die immer sehr interessanten weiterführenden links zu bedanken. Hat mir schon einiges an eigner Recherche erspart.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.