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Interview: „Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ mit Katharina Nocun

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Als Nachfolgeprojekt zu ihrem Bestseller „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ haben die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun ein kritisches Buch über Esoterik geschrieben:

Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik.

Das folgende Interview mit Katharina Nocun ist erschienen im Skeptiker 3/2022.

Conspirituality

GWUP: Der Titel Ihres neuen Buches, das Sie mit Ihrer Koautorin Pia Lamberty verfasst haben, impliziert, dass Esoterik gefährlich ist. Das breite Bewusstsein dafür scheint uns relativ neu zu sein.

Nocun: Meinem Eindruck nach hat dazu die Corona-Pandemie maßgeblich beigetragen. Man hat gesehen, dass bei der Impfablehnung Esoterik eine große Rolle spielt, etwa in der Anthroposophie, wo einige radikale Anhänger davon ausgehen, dass Impfungen nicht nur die natürliche Entwicklung der Kinder negativ beeinflussen, sondern auch den karmischen Prozess – also die Wiedergeburt in einem neuen Körper – stören.

Ich denke, dass deshalb viele Menschen ihre Meinung zu Esoterik geändert haben, die das Thema vorher als harmlosen Spleen ansahen. In den vergangenen zwei Jahren ist einfach sichtbarer geworden, wie stark Esoterik auch verschwörungsideologische und sogar rechtsextreme Gruppierungen beeinflusst und massiv zur Wissenschaftsfeindlichkeit beiträgt.

Konkret wo zum Beispiel?

Gerade beim Thema Medizin werden Verschwörungserzählungen über Wissenschaft, Medien und staatliche Institutionen gerne als Abwehrargument benutzt, um esoterische Angebote zu verteidigen.

Das haben wir selbst erlebt, als wir in Berlin eine Esoterikmesse besuchten. Da wird eine Pseudo-Heilmethoden vermarktet, man fragt nach der wissenschaftlichen Evidenz dafür – und bekommt als Antwort einen Vortrag über angebliche Verschwörungen der Pharmaindustrie und Verfehlungen in der Wissenschaft. So drücken sich die Anbieter davor, einen Wirksamkeitsnachweis für ihre Heilsversprechen vorlegen zu müssen.

Dazu kommt, dass Kritiker ganz schnell als Teil einer Verschwörung gegen die „Alternativmedizin“ oder ähnliches abgestempelt werden. Das kennen wir von einigen Anhängern der Homöopathie und noch vehementer von völlig autoritären Konstrukten wie etwa der „Germanischen Neuen Medizin“, deren Guru Ryke Geerd Hamer stets eine Verschwörung „jüdischer Logen“ dafür verantwortlich machte, dass sein wirren Ideen keine Anerkennung fanden.

So gesehen, wird etwas deutlicher, warum bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen auch Esoteriker mitmarschierten, die Globuli oder Chlorbleiche oder Vitamin D oder schlicht ihr „Immunsystem“ gegen Covid-19 ins Feld führten. Gibt es noch weitere Überschneidungen zwischen Esoterik und dem Glauben an Verschwörungstheorien?

Esoterik meint ursprünglich ja eine Art Geheimwissen beziehungsweise eine Lehre, die nur einem bestimmten „eingeweihten“ Personenkreis zugänglich ist. Die Esoterik bedient also – genauso wie der Verschwörungsglaube – das Bedürfnis nach Einzigartigkeit. Esoteriker wie Verschwörungsgläubige sehen sich als Aufgewachte, als Wissende, die die wahren Abläufe hinter den Kulissen des Weltgeschehens erkannt haben.

Studien belegen diesen Zusammenhang zwischen der eigenen narzisstischen Überhöhung und der Neigung, an Esoterik und Verschwörungserzählungen zu glauben.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken, eine dualistische Weltsicht, die keinen Graubereich mehr kennt, sondern nur noch Gut und Böse. Selbst wähnt man sich natürlich auf der Seite der Guten. Es gibt sogar eine Wortschöpfung für die Synthese von Verschwörungsdenken und esoterischen Überzeugungen: „Conspirituality“.

Aus diesem Grund findet sich bereits in Ihrem ersten gemeinsamen Buch mit Pia Lamberty, in dem es um Verschwörungstheorien geht, auch ein Kapitel über Esoterik, überschrieben mit „Esoterik als Motor für Verschwörungserzählungen“.

Wir haben sehr schnell gemerkt, dass man um das Thema Esoterik gar nicht herumkommt, wenn man sich mit Verschwörungserzählungen und dieser ganzen Szene auseinandersetzt. Von diversen Telegram-Gruppen bis hin zu den „Reichsbürgern“ sind wir immer wieder auf esoterische Konzepte gestoßen und haben dabei so viel Material gesammelt, dass wir bei weitem nicht alles unterbringen konnten.

Als „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ dann erschienen war und der Verlag nach einem weiteren gemeinsamen Projekt fragte, ist die Idee zu einem gemeinsamen kritischen Buch über Esoterik entstanden.

Vorher ist Ihnen das Thema nie untergekommen?

Wir haben während des Schreibprozesses natürlich überlegt, was unsere allerersten persönlichen Berührungspunkte mit Esoterik waren. Pia und ich sind ja beide in den 1990ern und frühen 2000ern aufgewachsen, in dieser Zeit war Esoterik praktisch omnipräsent. Das ging von Pendelanleitungen, Artikeln über Junghexen, Heilsteinen und Liebeszaubern in Jugendzeitschriften über die unzähligen Nachmittagstalkshows à la „Fliege“ und „Arabella“ bis hin zu Debatten über sektenartige Gruppierungen, die auch im Schulunterricht diskutiert wurden.

Spätestens seit den Massensuiziden der „Sonnentempler“ und von „Heaven‘s Gate“ in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre begriffen die meisten, dass solche esoterischen Psychogruppen kein harmloser Spaß sind.

„Harmloser Spaß“ – so wird überwiegend auch die Homöopathie eingeschätzt, die in einem Kapitel Ihres Buches ebenfalls kritisch diskutiert wird.

Ja, das ist auch unsere Erfahrung. Viele Menschen sehen klar die problematischen Aspekte von Esoterik, etwa bei der „Germanischen Neuen Medizin“ oder dem esoterischen Psychomarkt mit Nonsensverfahren wie Rückführungstherapien oder gefährlichen Erfolgsversprechen.

Die Gefahren werden aber insgesamt heruntergespielt, wenn auf vermeintlich harmlose Varianten wie Astrologie oder eben auch Homöopathie verwiesen wird. Dabei wird aber übersehen, dass auch solche Praktiken ein Türöffner sein können.

Wenn jemand bei einer Bagatellerkrankung gute Erfahrungen mit Homöopathie gemacht hat, liegt doch nahe, dass der- oder diejenige es in einigen Fällen auch bei ernsten Beschwerden mit Globuli versucht. An diesem Punkt verstehe ich auch homöopathische Ärzte beziehungsweise Ärzte mit einer homöopathischen Zusatzausbildung nicht. Nach meiner Überzeugung schließen sich evidenzbasierte Medizin und esoterische verfahren gegenseitig aus.

Man kann hier nicht zweigleisig fahren, denn das ganze Konzept der Homöopathie basiert auf esoterischen Vorstellungen, wie geistartigen Kräften und ähnlichem. Entweder steht man fest auf dem Boden der Naturgesetze – oder nicht. Beides geht nicht.

Als Expertinnen für Verschwörungstheorien sind Pia Lamberty und Sie sehr bekannt und bei Lesern, Kritikern und Medien hoch angesehen – gegen Verschwörungstheorien ist schließlich jeder irgendwie. Welche Reaktionen erwarten Sie auf dieses Buch gegen Esoterik, die angeblich „boomt“, sicher aber beliebter ist als QAnon und Co.?

Schon nach „Fake Facts“ haben uns viele Leserinnen und Leser speziell zu dem Esoterik-Kapitel angeschrieben und sich dafür bedankt. Einige schickten uns auch erschütternde Erfahrungsberichte aus ihrem privaten Umfeld, etwa über das Ausleiten von Impfungen oder Geldverschwendung für esoterische Produkte, die an Verschwörungsglauben anknüpfen.

Das zeigt uns, dass so ein Buch wichtig ist – unabhängig von den möglichen Reaktionen darauf. Wenn man sich nur noch danach richten würde, ob man Zustimmung oder Ablehnung bekommt, dürfte man keine Aufklärung mehr machen.

„Gefährlicher Glaube“ ist für den NDR-Sachbuchpreis 2022 nominiert, der am 3. November verliehen wird.

Zum Weiterlesen:

  • Pia Lamberty/Katharina Nocun: Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik. Quadriga 2022, 303 Seiten, 22 €
  • „Gefährlicher Glaube“: Betrachtungen über die Esoterik-Szene, Deutschlandfunk am 8. Oktober 2022
  • „Die Verharmlosung der Esoterik ist extrem gefährlich“, netzpolitik am 3. Oktober 2022
  • „In Krisenzeiten sind Menschen anfälliger für Esoterik“, spektrum am 29. September 2022
  • Gefährliche Heilsversprechen, Deutschlandfunk am 29. September 2022
  • Esoterik: Gefahr oder Orientierungshilfe? sat.1 am 29. September 2022
  • Pseudofeministische Esoterik: Vorsicht vor der Göttin in dir, Zeit-Online am 30. September 2022
  • Die bunte, aber betrügerische Welt der Heilkristalle auf TikTok, vice am 19. September 2022
  • Conspirituality: Wie Verschwörungsideologie die Wellness-Gemeinschaft verseucht, Belltower News am 29. September 2022
  • Esoterik, Medizin, Politik und Verschwörungstheorien: Videos der bpb-Fachtagung in Fulda, GWUP-Blog am 2. Oktober 2022

12 Kommentare

  1. Elegant egal – von der „Energie“ zur Person

    Die Wissenschaft bietet eine sehr dankbare Hilfe gegen allfällige Abgründe des Denkens, sie stellt einen wohltuend stabilen Anker dar.
    Daneben gibt es allerdings einen Anker gegen Irrsinn und Aberwitz auf einer anderen Ebene, komplementär und noch tieferreichender – eleganter, wenn man so will.

    Denn in der Wissenschaft bleibt die Frage nach „kosmischen Energien“, „Geistern“ etc gewissermassen „interessant“. Die Frage, ob man die „Energie“ von „Engeln“ messen kann, ist grundsätzlich mit Interesse, mit Themenbezug, verbunden.

    In der christlich-existentialistischen Sichtweise nun steht die Person in der Beziehungsresonanz mit einem personalen Gegenüber ewig bedingungslos im Mittelpunkt des menschlichen Daseins. Wenn die Person im Mittelpunkt steht, sind „Energien“ bedeutungslos geworden, sie haben nichts mit dem zu tun, was Hartmut Rosa unter „Resonanz“ versteht.

    Selbst im höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Hexenzauber im Raum der Realität nachweisbar gemacht werden könnte, wäre das aus genannter Sichtweise einfach „egal“.

    Übrigens öffnet sich auch von der Theodizee her der Zugang zum „egal“: In einer Welt, in der es Auschwitz geben konnte, ist ein platt allmächtiger Gott im Rahmen der kosmologischen Realität endgültig uninteressant geworden.

    Die „Allmächigkeit Gottes“ wäre dann nur innerhalb der interpersonalen Resonanzbeziehung und ihrer Ewigkeitsfrage zu finden.

  2. „Lamberty und Nocun über Esoterik: „Antisemitismus wird ignoriert“

    https://taz.de/Lamberty-und-Nocun-ueber-Esoterik/!5885366/

  3. @Martina Rheken

    Wer sich einen lustigen Abend machen möchte, liest die Kommentare unter dem Interview.

    Die Judäische Volksfront? Wir sind die Volksfront von Judäa.

  4. SRF Kultur: Sternstunde Philosophie. Rudolf Steiner und die Anthroposophie

    Rudolf Steiner hat fraglos ein grosses Erbe hinterlassen: von den Steiner-Schulen über Demeter bis zu Weleda. Wer aber war der umstrittene Begründer der Anthroposophie? Woran glaubte er wirklich? Das klären Yves Bossart und Olivia Röllin in einer Begegnung der Sternstunden Religion und Philosophie.

    Yves Bossart spricht im Studio mit der Anthroposophin und Steiner-Biografin Martina Maria Sam und mit dem Anthroposophie-Kritiker und Religionsphilosophen Ansgar Martins.

    https://www.youtube.com/watch?v=0ZLx6XC7SqQ

  5. Gerade habe ich in einem Forum gelesen, dass manch ein(r) glaubt gesund bzw. krank zu sein, wenn eine bestimmte Sternenkonstellation auftritt. Und sogar anhand dieser sagen kann, ob Ärzte, die an dem Tag eine Diagnose stellten, richtig liegen, oder ob es „ein typischer Tag für Fehldiagnosen“ war.

    Eine Userin hatte Angst, dass ihr Kind in der Kita nicht gut aufgehoben wäre – und stellte ernsthaft die Frage, ob irgendein Saturnaspekt oder so darauf hindeuten würde.

  6. @Miriam

    Und was verwundert Sie an solchen Überzeugungen?

    Das Beispiel zeigt doch gut, wie unser aller Weltanschauungen funktionieren: Komplexitätsreduktion und soziale Unterstützung.

    Wenn Sie also nicht wollen, dass jemand so einen Unsinn glaubt, müssen Sie eine Alternative anbieten, die sozial unterstützend wirkt und genauso leicht verständlich ist wie die Astrologie. So sehr ich die Wissenschaft schätze, das bietet sie nicht.

  7. @Carsten Ramsel

    Stimmt schon, ich dachte aber, dass irgendwo eine Grenze wäre. Dem ist aber offenbar nicht so.

    Wer die Sterne dazu befragt, ob das Kind in der Kita gut behandelt wird, kann ja in beide Richtungen gefährliche Schlussfolgerungen ziehen. Ich meine, so lange man es dabei belässt, einen „günstigen“ Tag für den Friseurbesuch zu ermitteln, oder den Rasen zu mähen, würde ich das als harmlose Spielerei durchgehen lassen.

    In einem Forum konnte ich aber lesen, dass dort auch sehr kranke Menschen „beraten“ werden.

  8. Es gibt ja auch astrologische Psychotherapie, Krankheitsbehandlung durch sogenannte Rückführung und überhaupt ist alles möglich, wenn man nur richtig beim Universum bestellt.

    Ich kenne durchaus Menschen, die schwere psychische Erkrankungen schamanisch behandeln ließen und sich dann in Selbstvorwürfen ergingen, nicht richtig gewünscht zu haben. Dann wird aber mitnichten umgedacht, sondern man wirft sein Geld anschließend Leuten wie Gopal Norbert Klein oder Ilan Stephanie in den Rachen.

    Das Schlimme scheint mir, dass man schwer raus kommt aus dem Schwurbelsumpf.

    Die gute Nachricht ist, es gibt aber auch Menschen, denen durchaus auffällt wie abstrus das alles ist (ich zum Beispiel) und die sich dann wieder der Wissenschaft zuwenden. Da schämt man sich dann ein bisschen für die eigene Dummheit und sieht es als lernen an.

  9. Ja, wirklich gruselig. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich selbst nicht völlig unempfänglich für so manchen Zinnobers war.

    Dass ich dort herausgefunden habe, verdanke ich tatsächlich zu einem guten Teil denen, die mit allerlei Hokuspokus warben. Irgendwann war meine persönliche „Absurditätsgrenze“ erreicht und ich habe angefangen mehr zu hinterfragen. Dabei bin ich dann auf diejenigen gestoßen, die sachliche Erklärungen boten.

    Gestört haben mich bei den Esoterikern oft Argumente, die keine waren. „Ich habe jahrelange Erfahrung.“ – Tucholsky hat es treffend formuliert, als er sagte dass Erfahrung nichts bedeutet, da man eine Sache auch 35 Jahre falsch machen kann.

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