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Quo vadis, Homöopathie-Forschung?

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Fortsetzung von „CSICon 2012“, Teil 1

Im ersten Teil meines Berichts über den Skeptikerkongress CSCIcon 2012 ging es um die „Halls of Shame“ der Paramedizin, zu denen mittlerweile sogar renommierte Universitäten wie Yale, John Hopkins und Stanford gezählt werden müssen.

Prof. Edzard Ernst verwendet in einem Blog-Posting dafür den Begriff „Quackademia“.

Und ganz aktuell hat Ernst wieder einmal am eigenen Leib erfahren, wie weit die „Quackademia“ sich bereits Raum gegriffen hat: Der renommierte Kritiker von Pseudomedizin ist aus der Berufungskommission für den neu zu besetzenden Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Uni Zürich gedängt worden.

Darüber berichtet die Süddeutsche Zeitung:

Ernst hat nun den Verdacht, dass man seinen Ruf als prominenten Kritiker der alternativen Heilverfahren benutzen wollte, um jemanden für den Lehrstuhl holen zu können, der den aufgestellten hohen Ansprüchen gar nicht genügt. Anschließend hätte man sich dann darauf berufen können, immerhin sei Edzard Ernst Mitglied der Kommission gewesen.“

Auch die Schweizer Skeptiker kommentieren den skandalösen Vorgang:

Ernst raus, Globuli rein?“

Ein ums andere Mal zeigt sich: Quackademiker wollen bei der Erforschung des Unmöglichen – wie der Homöopathie – aus nachvollziehbaren Gründen die besten und genauesten Untersuchungsmethoden aufweichen. Denn: Wenn man nicht genau hinschaut, kommt es leichter zu „Effekten“.

Ergo soll nun die „Versorgungsforschung“ her.

Darüber haben wir hier im GWUP-Blog die Medizinprofessoren Klaus-Dietrich Bock und Manfred Anlauf befragt – und bekamen eine unmissverständliche Antwort:

Derzeit beziehen sich „Alternativ“-Mediziner, in erster Linie Homöopathen, auf die Versorgungsforschung, welche die Wirksamkeit von Homöopathie gegenüber Placebo eindeutig belege. Ist das ein ernstzunehmender neuer Ansatz?

Bock: Falls die Versorgungsforschung das behauptet, was Sie sagen, so ist das blanker Unsinn. Die Versorgungsforschung verfügt über keinen eigenen oder besseren Ansatz zur Beurteilung der Wirksamkeit von Therapieverfahren als die Wissenschaftliche Medizin.

Anlauf: Natürlich gibt es Wünsche und Erwartungen von Patienten, die, wenn man ihnen entspricht, den Placeboeffekt begünstigen oder den Spontanverlauf einer Krankheit erträglicher machen können. Mit der Versorgungsforschung zielen interessierte Gruppen, zu denen auch ideologielastige Hochschulepidemiologen gehören, darauf, die hier zur Diskussion stehenden fragwürdigen Behandlungsmethoden im Leistungskatalog der gesetzlichen und privaten Versichertengemeinschaften stärker zu verankern beziehungsweise zu belassen.”

Ich möchte diesen Gedanken noch ein wenig präzisieren: Nicht, dass die Versorgungsforschung nicht ihren Platz hätte. Sie ist dann sinnvoll, wenn ein Effekt nachgewiesen ist und seine  Anwendung in der Praxis geprüft werden soll.

Aber: Die Versorgungsforschung war nie dazu da, einen Effekt nachzuweisen!

Dazu gibt es die bestens erprobten und bewährten Methoden der evidenz-basierten Medizin (EBM), etwa randomisierte kontrollierte Studien.

Was genau es damit auf sich hat, erklärt der Facharzt Dr. Werner Hessel hier im GWUP-Blog und der Video-Blogger Jörg Wipplinger:

Wie schneidet nun CAM (Komplementär- und Alternativmedizin) nach den unbestechlichen Kriterien der EBM ab?

Dieser Frage widmet sich Edzard Ernst in der aktuellen Ausgabe des Skeptical Inquirer (6/36, Nov./Dez. 2012, S. 39 – 42).

In seinem Beitrag geht er auch auf die Arbeit einer Forschungsgruppe ein, die zwischen 2005 und 2010 weltweit die größte Anzahl wissenschaftlicher Studien durchführte: die Gruppe um Claudia Witt an der Charité. Ernst bescheinigt den Berlinern …

… numerous flaws in the design, conduct, and reporting of clinical research in homeopathy.“

Heißt: Schwache Ergebnisse werden laut Ernst überinterpretiert.

Aber auch das Untersuchungsdesign sei vielfach mangelhaft, so der Autor weiter. Zum Beispiel wies bei einer sogenannten Kohortenstudie zu Ekzemen bei Kindern die Gruppe mit homöopathischer Behandlung stärkere Symptome auf, wodurch sich der statistische Regressionseffekt stärker ausprägt.

In einer anderen Studie waren die Patienten der Homöopathie-Gruppe jünger, auch dies kann das Untersuchungsergebnis verzerren. Eine dritte Studie wurde als Vergleich zwischen Homöopathie und konventioneller Behandlung dargestellt, obwohl die Homöopathie-Gruppe zusätzlich eine konventionelle Behandlung erhielt.

Dass solche Studien selbst bei negativem Ergebnis der Homöpathie-Lobby zupass kommen, betonte Kimball Atwood in seinem Vortrag beim CSICon 2012. Die Initiatoren der evidenz-basierten Medizin hätten nicht bedacht, dass dieses Instrumentarium auch zur Prüfung von völlig unplausiblen Therapien herangezogen wird, so Atwood.

Deshalb setzt er nicht allein auf die Empirie im Sinne der EBM, sondern plädiert für eine wissenschaftsbasierte Medizin.

Einzelne Studien könnten nicht 300 Jahre Wissenschaftsgeschichte mit unzähligen Untersuchungen außer Kraft setzen. Speziell kritisiert er die EBM dafür, dass sie einzelne klinische Studien höher bewerte als die Summe vieler anderer wissenschaftlicher Beweise:

For judging homeopathy, EBM deems the equivocal results of clinical efficacy trials to be of more value than other evidence discussed in this series: definitive refutation of the “law of similars”.

The doctrine of “infinitesimals” violating the second law of thermodynamics.

No coherent bases for predicting consistency or validity of “symptoms” and “provings„, or of the homeopathic prescribing scheme, and studies confirming the lack of such validity; definitive refutations of Hahnemann’s magical “theories” of what diseases are and how homeopathy works, based on his notions of “Dynamic Deranging Irritations of the Vital Force”.

Later homeopaths’ arbitrary inventions of more implausible treatments, e.g., “nosodes” and “constitutional” prescribing; recent inventions of fantastic theories to explain the failings of the rest, e.g., “water memory,” “non-local” (psychic?) explanations or “quantum-like” effects to explain the “entanglement-disrupting effects of blinding” in clinical trials, and more.“

Auch hier möchte ich präzisieren: Die evidenzbasierte Medizin ist ein historischer Meilenstein, um die Wirksamkeit von medizinischen Verfahren zu bewerten. Speziell haben wir mit randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) ein mächtiges Werkzeug entwickelt.

Wir sollten aber gleichzeitig erkennen, dass einzelne Studien oder Metaanalysen eben nicht im luftleeren Raum stehen, sondern im Zusammenhang mit anderen Plausibilitätskriterien (zum Beispiel den Naturgesetzen) gesehen werden müssen.

Beim Umgang mit Patienten mahnte Atwood in seinem Vortrag Ärzte zu Ehrlichkeit und Integrität.

Es sei unethisch, unplausible Behandlungen anzubieten, sie zu empfehlen oder Patienten ohne ihr Wissen Plazebos zu verabreichen. Vielmehr sei es eine Pflicht der Ärzte, Patienten über die fehlende Plausibilität pseudomedizinischer Verfahren aufzuklären.

Atwood spricht sich dafür aus, CAM an Universitäten und medizinischen Bildungseinrichtungen zu behandeln, jedoch nicht in Form von sinnfreien Homöopathie-Studien.

Das Thema biete vielmehr eine „goldene Gelegenheit“, Wissenschaft und kritisches Denken sowie die Geschichte der Medizin und medizinische Ethik zu lehren – also die Grundlagen für Professionalität und Qualität in der Medizin.

Zum Weiterlesen:

  • Naturheilkunde an der Universität Zürich: Wissenschaft unerwünscht? Skeptiker-Blog am 31. Oktober 2012
  • Wissenschaft in homöopathischen Dosen, Süddeutsche Zeitung am 31. Oktober 2012
  • Quackademia, edzardernst.com am 26. Oktober 2012
  • Hokuspokus an Hochschulen, Welt am Sonntag am 4. November 2012
  • Heißes Eisen Homöopathie, WDR 5 am 19. Oktober 2012
  • Abrechnung mit den weißen Kügelchen, Der Westen am 30. Oktober 2012
  • Christian Weymayr/Nicole Heißmann: Die Homöopathie-Lüge. Piper-Verlag, München 2012

Ein Kommentar

  1. Ob Claudia Witt – angesichts ihrer wissenschaftlichen Leistungen – jemals eine Professur an einer medizinischen Fakultät erhalten hätte, wäre da nicht die ihre Stiftungsprofessur finanzierende Carstens-Stiftung gewesen, darüber darf man getrost spekulieren.

    Ob sie – angesichts ihrer Forschungsleistungen und ihrer mangelnden Bereitschaft, sich in der Öffentlichkeit kritisch mit ihrem Forschungsobjekt auseinander zu setzen – die richtige Wahl für Bestallung eines Lehrstuhls ist, der in Sachen Alternativmedizin mehr als nur Cargo-Cult-Science zu betreiben beabsichtigt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

    Wenn man in Frau Witts Arbeiten der letzten Jahre am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Charité den roten Faden, ihr wissenschaftliches Credo sucht, trifft man einzig und allein auf ihre Überzeugung, dass es nicht mehr wichtig ist, herauszufinden, ob mit einem Regentanz Regen herbeigetanzt werden kann, sondern nur noch zu erforschen, ob ein Regentanz so viel Überzeugungskraft hat, dass die Menschen glauben, es läge am Regentanz, wenn es irgendwann und irgendwo regnet.

    Anders ausgedrückt: Frau Witt nennt es Forschung, wenn sie der alternativen Heiler-Branche zeigt, dass es sich – unter Ausnutzung des Placebos-Effekts und der Reparaturmechanismen des Organismus – lohnt, Hilfesuchende konsequent anzulügen.

    Das ist, angesichts der Faktenlage zur Alternativmedizin, durchaus verständlich, denn ein Studiendesign, was diesen Überlegungen gerecht wird, das sich bewusst nicht mehr mit naturwissenschaftlich eruierbaren Prozessen, sondern nur noch mit psychogenen Folgen suggerierter Wirksamkeit beschäftigt, ist der einzige Rettungsanker, der der Alternativheilerei mittlerweile geblieben ist.

    Und genau so dürfte es inzwischen deutlich sein, dass die methodische Neuorientierung, die die Apologeten der Alternativ- oder Komplementärheilerei einfordern, in erster Linie dazu dienen, die strengen Standards wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns zu umgehen.

    Frau Stiftungsprofessorin Witt hat sich einen Namen als Haushofmeisterin der Nebelkerzen-Rhetorik gemacht.
    Sie verkauft Diffuses und Banales mit unglaublicher Chuzpe als Wissenschaft und hat dabei nicht den geringsten Skrupel, trotz der Vermeidung jeglicher Konsequenzen eines streng numerischen Kalküls, den Großmeister des Qualitätsmanagments, William Edwards Deming, zu zitieren: “Auf Gott vertrauen wir. Von allen anderen verlangen wir Zahlen” (In God we trust, all others bring data.)

    So ganz richtig ist der Satz aber nicht übersetzt, was auch nicht wundert; hat doch Frau Witt den Deming wohl nur sehr oberflächlich gelesen, sonst hätte sie sich, angesichts der großen Zahl an Deming-Rosinen, die – als Bewertungskriterien auf Frau Witts Arbeiten angewendet – wohl nur ein „ungenügend“ zulassen, wahrscheinlich eine andere Zitatenquelle gesucht oder gleich ganz den Mund gehalten:

    “Wir sollten uns von der Theorie, nicht von Zahlen leiten lassen.”

    “Sie können keine Ziele verwirklichen, wenn sie nicht die richtigen Methoden haben.”

    “Beschäftige dich mit den Ursachen, nicht mit den Resultaten.”

    “Information ist nicht Wissen. Wissen entsteht durch Theorie.“

    vor allem aber:

    “Die Erfahrung lehrt nichts ohne Theorie“

    Man kann es, wie James Randi, in wenigen Worten zusammenfassen:

    “ Enjoy the fantasy, the fun, the stories, but make sure that there’s a clear sharp line drawn on the floor!
    To do otherwise is to embrace madness.“

    Frau Witt sollte sich das Randi-Zitat in riesengroßen Lettern an die Wand schreiben – sonst endet sie wie Harald Walach:
    Im wissenschaftlichen Abseits.

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