Gestern haben die Grünen den Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm vorgestellt, das im Herbst von einem Parteitag beschlossen werden soll.
Wie sieht es darin eigentlich mit der Homöopathie aus, über die es seit einem Jahr eine heftige Debatte gibt – zunächst brachte eine Gruppe von grünen Jungpolitikern einen Antrag „gegen die derzeitige Bevorteilung der Homöopathie“ ein, dann sollte eine Kommission die Position der Grünen zur Homöopathie klären, die aber scheiterte, ehe schließlich der Vorstand selbst sich an die Beschlussfassung zur Homöopathie machte.
Was ist nun beschlossen worden?
Es findet sich in dem Entwurf eine eher weiche Formulierung, mit der die Sache eigentlich entschieden sein müsste, wie Beobachter meinen:
Die ÄrzteZeitung schreibt:
Der Streit um die Position der Grünen zur Homöopathie wird in dem Papier zwar nur indirekt adressiert, aber doch deutlich beantwortet:
Die Gesundheitsversorgung müsse „dem dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen“ und „den medizinischen Fortschritt“ berücksichtigen.
Habeck gab auf Nachfrage zu, dass der Vorstand damit dem Auftrag von Parteigremien formal nicht nachgekommen sei. Dies sei Verzögerungen durch die Corona-Pandemie geschuldet. Nachdem eine parteiinterne Arbeitsgruppe zur Homöopathie Anfang des Jahres geplatzt war, hatte der Parteivorstand die Aufgabe an sich gezogen, eine klare Position zur Homöopathie zu formulieren.
Die starke Betonung der Wissenschaftsbasierung der Medizin dürfte allerdings wenig Raum für die Verteidiger homöopathie-naher Positionen lassen.
Wirklich „wenig“?
Eine kurze Interviewpassage mit Grünen-Chef Robert Habeck zu diesem Thema findet sich bei Twitter, der von einer „sehr klaren Linie“ seiner Partei spricht, bei Licht betrachtet aber nur davon redet, dass es keinen Anspruch auf die Erstattung von wirkungslosen medizinischen Präparaten geben könne. Zu den freiwilligen Satzungsleistungen der Krankenkassen sagt Habeck nichts, worauf der Antrag der Grünen Jugend aber explizit abzielte.
Also doch wieder eine diplomatische Volte, die alles beim Alten belässt?
Zum Weiterlesen:
- Grüne skizzieren Reformplan für Kliniken, aerztezeitung am 26. Juni 2020
- Grüne und Homöopathie: Die „Kommission“ ist abgesagt, jetzt soll der Vorstand ran, GWUP-Blog am 14. Januar 2020
27. Juni 2020 um 11:21
Zunächst steht da nix von Homöopathie, sondern nur ein Zitat aus den aktuell gültigen Gesetzen. Also steht da eigentlich gar nichts Politisches. Zu dem „müssen“-Satz kann man sich nämlich dazudenken: „Alles andere /kann/ erstattet werden.“ Oder „darf“. Sehr enttäuschend.
Meine Hoffnung ruht auf dem ersten Teilsatz, denn ich kann mir gerade keine einzige Indikation vorstellen, bei der die Anwendung der Homöopathie „medizinisch notwendig“ ist.
27. Juni 2020 um 13:37
Ich sehe es auch so, dass die Formulierung erst mal alles beim Alten belässt. Sie kann ja problemlos so gelesen werden, dass das medizinisch Notwendige und wissenschaftlich Belegte erstattet werden muss, der Rest erstattet werden kann, wie bisher.
Möglicherweise wurde die Formulierung bewusst so gewählt, dass sie keinen Streit nach irgendeiner Seite provoziert, auch nicht in Koalitionsverhandlungen.
27. Juni 2020 um 14:28
Bevor sich die Grünen von der Homöopathie loslösen, da müssen noch einige „Alte“ sterben…das entspricht nicht dem „Ur-Kontext“ der Grünen…Mutter Natur ist gut…und alles andere ist böse…von Wissenschaftlichkeit war nie die Rede…bei den „Ur-Grünen“ ;-)
27. Juni 2020 um 15:02
Wer jemals mit den Homöopathie-Befürwortern innerhalb der „Grünen“ diskutiert hat, wendet sich bei dieser Formulierung im neuen Grundsatzprogramm einfach nur enttäuscht ab.
Das wird die vielen Hardcore-Vertreter einer von Wunschdenken und Wissenschaftsrelativierung geprägten Homöopathie-Fraktion wenig bis nicht beeindrucken.
Sie leugnen seit jeher, dass Homöopathie keinen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis erbracht habe und behaupten das glatte Gegenteil. Und das nicht nur innerhalb der Grünen. Sehr, sehr viele Vertreter der Homöopathie sind tief davon überzeugt, dass deren wissenschaftlicher Nachweis längst erbracht sei.
Man hätte sich nur einmal die Vorträge auf dem Stralsunder homöopathischen Ärztekongress 2019 anhören müssen, wo dies mit Entschiedenheit vorgetragen und mit Beifall bedacht wurde – auf einem Ärztekongress, wohlgemerkt.
Es mag programmatisch bei den Grünen ein gewisser Schritt nach vorn sein, zum konkreten Thema Homöopathie ist das aber nur die Basis für weitere Auseinandersetzungen, da bin ich mir ziemlich sicher.
27. Juni 2020 um 15:08
@ Ralf fast nüchtern:
Was hat die Homöopathie mit „Mutter Natur“ zu tun? Homöopathika sind Produkte der Pharmaindustrie mit oft ganz unnatürlichen Ausgangsstoffen.
Aber richtig ist der Hinweis, dass die Homöopathie Teil der medizinkritischen Identität der älteren Grünen ist. In den Worten des BW-Gesundheitsministers Lucha: sie infrage zu stellen, berührt die „programmatische DNA“ der Partei.
Anlass für Medizinkritik gibt es ja genug, aber Medizinkritik auf homöopathischem Intelligenzniveau löst keine Probleme.
27. Juni 2020 um 16:04
@Joseph Kuhn
Natürlich haben Sie vollkommen Recht…Homöopathie hat nichts mit Naturheilmitteln zu tun, aber die Vorstellung einer „sanften Medizin“, die durch das Narrativ „Mutter Natur“ geschützt ist, ist auch ein essentieller Bestandteil der Homöopathie, wie sie von dem „Volk“ verstanden wird.
28. Juni 2020 um 13:01
Wenn das stimmt, ist die Formulierung 214 wohl ein Riesenerfolg für die Homöopathie-Kritiker:
„Der Wunsch vieler Grüner nach Kassenfinanzierung der Homöopathie fand keinen Eingang. Nur „Leistungen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich erforscht ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden“, heißt es unmissverständlich.“
https://www.hz.de/politik/gruene-gentechnik-ja_-direkte-demokratie-nein-47364603.html
29. Juni 2020 um 14:00
@Martina
Wie kommst du da drauf?
Letztlich darf nach der Formulierung weiterhin jede KK selbst entscheiden für welche vollkommen hirnrissigen und betrügerischen Pseudomedizinen sie das Geld ihrer Beitragszahler verschwenden will.
30. Juni 2020 um 15:15
Das „Bye Bye Globuli!“ kommt leider zu früh, aber das Bekenntnis zur evidenzbasierten Medizin im Grundsatzprogramm ist ein guter Schritt.
Die konkrete Forderung den Sonderstatus zu kippen ist was für ein Wahlprogramm und das Grundsatzprogramm bietet nun wenig Argumentationshilfe für Homöopathie-Gläubige.
30. Juni 2020 um 17:07
Knoblauch und Ingwer gegen Corona – Grünen-Abgeordnete sorgt für Irritation:
https://www.welt.de/vermischtes/article210690853/Knoblauch-gegen-Corona-Catherina-Pieroth-sorgt-fuer-Irritation.html
18. August 2020 um 13:36
„Grünen-Chef Robert Habeck legt im Homöopathie-Streit einen pragmatischen Vorschlag vor: Wer einen Zusatztarif bucht, soll Kügelchen bezahlt bekommen.“
https://taz.de/Gruenen-Konflikt-ueber-Homoeopathie/!5702645/
18. August 2020 um 13:44
@Martina:
Hier ein kurzes Video dazu:
https://twitter.com/ARD_BaB/status/1295295904484929538
18. August 2020 um 15:00
Hm, nicht gerade der Weisheit letzter Schluss. Damit verschieben die Grünen die Diskussion um die Homöopathie nur in die Zukunft. Ohne eine echte verbindliche Lösung würde es mich nicht wundern, wenn das Thema spätestens nach der nächsten Bundestag vom Esoanteil der Grünen wieder aufs Tablett gehoben und so für erneuten Zündstoff in der Partei sorgt.
18. August 2020 um 19:29
Wahltarife Homöopathie: Wurden erst vor nicht allzu langer Zeit abgeschafft, weil sie kaum in Anspruch genommen wurden. Die solidarische Finanzierung durch alle Versicherten in Form von Satzungsleistungen war die süßere Versuchung für die Zuckerfreunde.
22. September 2020 um 19:19
Liebe Homöopathie Ablehner,
schauen sie sich doch mal diese Studie an und ruhen sie sich bitte nicht immer auf ihren Vorurteilen aus
https://www.securvita.de/fileadmin/inhalt/dokumente/auszuege_SECURVITAL/202004/securvital_0420_6-11.pdf
22. September 2020 um 19:26
@Ditmar Neugebauer:
Haben wir längst.
Das ist mal wieder eine „Versorgungsstudie“, an die sich die Homöopathen verzweifelt klammern.
Versorgungsforschung belegt allerdings keine Wirksamkeit:
http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=3078
https://blog.gwup.net/2012/11/09/die-homoopathie-und-die-versorgungsforschung/
Natürlich gibt es Wünsche und Erwartungen von Patienten, die, wenn man ihnen entspricht, den Placeboeffekt begünstigen oder den Spontanverlauf einer Krankheit erträglicher machen können. Mit der Versorgungsforschung zielen interessierte Gruppen, zu denen auch ideologielastige Hochschulepidemiologen gehören, darauf, die hier zur Diskussion stehenden fragwürdigen Behandlungsmethoden im Leistungskatalog der gesetzlichen und privaten Versichertengemeinschaften stärker zu verankern beziehungsweise zu belassen.“
https://blog.gwup.net/2012/06/02/und-wieder-mal-die-dogmatischen-skeptiker/
Und was für „Vorurteile“ gleich nochmal?
https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Systematische_Reviews_zur_Hom%c3%b6opathie_-_%c3%9cbersicht
23. November 2020 um 14:46
Die Grünen haben in ihrem langwierigen Streit um die Homöopathie eine Lösung gefunden. Der Parteitag billigte am Sonntag eine Formulierung, derzufolge nur noch Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten, „die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist“. Damit gehen die Grünen auf Distanz zu Homöopathie als Kassenleistung – auch wenn die umstrittene Heilmethode in dem Text nicht ausdrücklich genannt wird.
Eine noch weitergehende Formulierung, derzufolge Leistungen, deren Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus nicht wissenschaftlich bewiesen sei, explizit als Kassenleistung ausgeschlossen werden sollten, fand aber keine Mehrheit.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/parteitag-gruene-gehen-auf-distanz-zu-homoeopathie-17065254.html?GEPC=s3