Es war ein Kinofilm, der 2012 die Verschwörungstheorie von den „Reichsflugscheiben“ und den „Neuschwabenländlern“ wieder ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit brachte:
„Iron Sky“ ist eine Science-Fiction-Komödie, die …
… Bezug [nimmt] auf den Mythos der angeblich von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs als Wunderwaffe entwickelten „Reichsflugscheiben“ sowie auf Behauptungen, die Nationalsozialisten hätten sich nach dem Krieg in eine geheime Militärbasis in Neuschwabenland zurückgezogen, um von dort aus einen erneuten Versuch der Welteroberung zu starten.“
„Ein Film voller Slapstick und Ironie“, schrieb ufo-information.de damals, warnte aber zugleich:
Das Thema der Reichsflugscheiben wird in der rechtsesoterischen Szene leider gar nicht so humorvoll behandelt wie in Iron Sky. Ganz im Gegenteil dazu werden hier braune Mythen geschürt und das rechte Klientel bedient.“
Darauf wies auch Dr. Holm Hümmler bei der Skepkon 2013 hin.
In seinem Vortrag „Nazis über uns?“ markierte der Physiker und Unternehmensberater zunächst die Eckpfeiler des Verschwörungsmythos:
- Neuschwabenland wurde während einer Expedition 1939 von Deutschland in Besitz genommen.
- Von U-Booten aus wurde dort 1942/43 die erste dauerhafte Militärbasis errichtet.
- Gegen Kriegsende setzten sich hochrangige Nazis mit geheimen Technologien (Flugscheiben) nach Neuschwabenland ab.
- Sowohl britische (1944/45) als auch amerikanische Eroberungsversuche (1947) scheiterten.
- Die USA griffen das Gebiet mehrfach (1957, 1979, 1986, 2003) mit Atomwaffen an.
- Von Neuschwabenland aus operierten deutsche Flugscheiben unter anderem im Golfkrieg 2003.
So weit, so bizarr.
Ein Blick auf die „extrem lebensfeindlichen Bedingungen“ (Hümmler) in dieser küstennahen Region der Ostantarktis sowie die Tatsache, dass die tatsächlichen Forschungsstationen dort von ständiger externer Versorgung abhängig sind, sollte eigentlich schon genügen, um die Mär von „Hitlers Festung im ewigen Eis“ als solche zu entlarven.
Weil aber Verschwörungstheoretiker dazu neigen, in winzigen Zeichen viel zu sehen, stürzen sie sich zum Beispiel auf den vielzitierten „wahren Kern“ dieser Geschichte.
Der sieht jedoch bei Licht besehen lediglich so aus, dass 1938/39 das Schiff „Schwabenland“ mit zwei Flugbooten die Region befuhr.
Sinn der deutschen Mission war jedoch nicht der Bau einer Festung, sondern im Mittelpunkt standen Vorbereitungen für die geplante Errichtung von Walfangbasen. Walfett und Tran benötigte man zur Produktion von Nitroglycerin, und deshalb wurde das Gebiet vermessen, wobei die beiden Flugzeuge auch deutsche Flaggen über der Antarktis abwarfen.
In den Kriegswirren gerieten die Kartografierungen schnell in Vergessenheit. Erst in den 1950er-Jahren wurden die Ergebnisse veröffentlicht.
Hinter dem angeblichen britischen „Angriff“ wiederum steckt lediglich die „Operation Tabarin“, die 1943 lanciert wurde, um in der Antarktis drei permanent besetzte Stationen zu errichten.
Ach ja, amerikanische Kernwaffentests gab es auch noch, allerdings nur im Jahr 1958, und mehr als 2000 Kilometer vom Antarktis-Festland entfernt.
Was haben wir noch?
Zum Beispiel zwei deutsche U-Boote (U530 und U977), die bei Kriegsende das Weite suchten und schließlich in Südamerika wieder auftauchten.
Viele weitere U-Boote sind verschollen – wären aber definitiv nicht in der Lage gewesen, tonnenweise Material in die Antarktis zu transportieren.
Soviel zu Neuschwabenland.
Was hat es mit den „Reichsflugscheiben“ auf sich?
Versuche mit Experimentalflugzeugen gab es wirklich, berichtete Hümmler.
Die sogenannten Nurflügler-Tests der Brüder Reimar und Walter Horten in den 1930er- und 1940er-Jahren gelten sogar als der Beginn der Stealth-Technologie.
Allerdings: Keiner der (nicht runden) Prototypen erreichte die Serienreife, da die unleugbaren Vorteile durch ein extrem instabiles Flugverhalten zunichte gemacht wurden.
Erst modernste Computertechnologie brachte 1989 den amerikanischen Nurflügel-Jet Northrop B-2 Spirit („Tarnkappenbomber“) zur Einsatzreife.
Der einzige echte „Rundflügler“ mit veritabel futuristischem Aussehen zur Zeit des Dritten Reiches war der Sack AS-6, der allerdings zugleich als echter Reinfall gilt:
Es wurde nie von einem geglückten Start, sondern immer nur von einigen kurzen Hüpfern berichtet“,
lesen wir bei Wikipedia.
Daneben kursieren diverse „Flugkreisel“-Mythen.
Zum Beispiel schreibt einestages über deutschen Flugzeugbau-Ingenieur Rudolf Schriever:
Dieser behauptete, bis zum 15. April 1945 an den Plänen für einen Leichtmetall-Flugkreisel gearbeitet zu haben, die er dem Reichsluftfahrtministerium vorlegen wollte. Getan hat er es nicht, und auch einen Beleg für seine Arbeit blieb Schriever schuldig. Die Flugkreiselpläne und das einzige Handmodell seien seit einem Einbruch in seine Werkstatt verschwunden, erklärte der Erfinder damals.“
Unwahrscheinlich, dass Schrievers Pläne, so diese jemals existierten, gestohlen und sich in „Reichsflugscheiben“ realisierten, denn:
Auch nach dem Krieg kam wenig Nützliches heraus“,
erklärte Hümmler den Skepkon-Teilnehmern die weiteren Forschungen in Sachen „Flugkreisel“ und „Flugscheiben“.
Auch die Tatsache, dass kauzige Hobby-Bastler wie etwa ein gewisser Viktor Schauberger als Antriebsenergie für Flugscheiben auf eine mystische Kraft namens „Vril“ gesetzt hatten, mag ein limitierender Faktor gewesen sein.
Allerdings waren Gerüchte um die „Wunderwaffen“ des Dritten Reiches durchaus bedeutsam für die Kampfmoral der Soldaten in den letzten Zügen des Zweiten Weltkriegs, belegte Hümmler mit dokumentierten Äußerungen deutscher Kriegsgefangener 1943/44.
Und genau hier schließt sich der Kreis zu den gegenwärtigen Neuschwabenland-Anhängern.
Noch 2010 fabulierte eine einschlägige Webseite über den „Ufo-Krieg am Südpol“:
Die Ereignisse werden sich nun zum Höhepunkt hin entwickeln. Die 3.Macht (DEUTSCHES REICH) wird den Sack nun zu machen und den längst überfälligen Paradigmen-Wechsel auf diesem Planeten einläuten! Der 2.Weltkrieg neigt sich dem ENDE zu! Alle Lügen dieser Welt werden ein jähes Ende finden und der Albtraum Zion wird ausgeträumt sein!!!“
Diese krude Mischung aus Esoterik und Nazi-Ideologie …
… kompensiert die eigene Machtlosigkeit“,
sagte Hümmler am Ende seines Vortrags und gab mit Youtube-Ausschnitten kurze Einblicke in die „wirren Träumereien“ der Szene.
Die abschließende Frage, ob die heutigen Neuschwabenland-Gläubigen harmlose Spinner oder eine ernsthafte Gefahr für unsere Demokratie sind, sorgte für eine kontroverse Diskussion.
Darum geht es unter anderem auch in dem esoterikkritischen Dokumentarfilm „Die Mondverschwörung“, über den wir mehrfach berichtet haben:
Zum Weiterlesen:
- Dr. Holm Hümmler im Skeptoskop
- Nazi-Flugscheiben aus Neuschwabenland, Hoaxilla-Podcast Nr. 38 vom 20. März 2011
- Artikelsammlung „Reichsflugscheiben und deutsche Ufos“ bei ufo-information.de
- Holm Hümmler: Warum stürzte WTC 7 ein? GWUP-Blog am 1. September 2011
- Holm Hümmler: Erdbebenmaschinen, GWUP-Blog am 4. Juni 2011
- Holm Hümmler: Chi – Wunderkräfte oder Kung-Fu-Humbug? GWUP-Blog am 10. Juni 2010
- Skepkon: Parawissenschaften als gesellschaftlich akzeptierte Parallelwissenschaften, GWUP-Blog am 19. Mai 2013
- Skepkon: Globuli und Pharmazie – eine Liebesgeschichte? GWUP-Blog am 19. Mai 2013
- Die Homöopathie-Lüge oder Wie wirksam ist ein Buch? GWUP-Blog am 18. Mai 2013
- GWUP-Konferenz-Rückblick: Vorsicht Seelenpfuscher! GWUP-Blog am 18. Mai 2013
- GWUP-Konferenz-Rückblick: Pseudomedizin bei Autismus, GWUP-Blog am 18. Mai 2013
- GWUP-Konferenz-Rückblick: Der Publikumstag 2013, GWUP-Blog am 13. Mai 2013
20. Mai 2013 um 10:18
Zitat: „Keiner der (nicht runden) Prototypen erreichte die Serienreife, da die unleugbaren Vorteile durch ein extrem instabiles Flugverhalten zunichte gemacht wurden.“
Hmm, gibt es einen Beleg, dass diese Aussage auf die Horten-Konstruktionen zutraf?
Das würde mich als Segelflieger interessieren – die Nurflügler waren als Segelflugzeuge schon ziemlich ausgereift. Der Wikipedia-Artikel über die Horten H IX beschreibt andere Probleme – nicht zuletzt das nahende Kriegsende.
http://de.wikipedia.org/wiki/Horten_H_IX
20. Mai 2013 um 10:45
@Josh:
Ich kann nicht für den Referenten sprechen, aber ich denke, es ging bei dem Vortrag im Zusammenhang mit den „Flugscheiben“ nur um jetgetriebene Nurflügler, also mit Motor, Triebwerken, Treibstoff etc.
Dass die Segelflugzeuge wohl ganz brauchbar waren, geht auch aus diesem Artikel hervor:
http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/4028/hitlers_traum_vom_tarnbomber.html
20. Mai 2013 um 22:51
Nach allem, was ich gefunden habe, gab es zwar von den späten 20ern bis in die 50er immer wieder Horten-Segler als Einzelstücke, die positive Bewertungen von Testpiloten bekamen und zum Teil auch Wettbewerbe gewannen, aber der meistgebaute Segler scheint die H III mit 13 gebauten Exemplaren gewesen zu sein.
Das spricht nicht unbedingt für eine serienreife Technologie. Ich bin kein Flieger, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Segler in der Hand eines Profis gute Leistungen zeigen, aber den normalen Freizeitsegelflieger überfordert haben.
Die propeller- oder strahlgetriebenen Hortens kamen nie über das Prototypstadium hinaus.
Das ergibt aber auch durchaus Sinn – je schneller die Maschine ist, desto schwieriger dürfte es sein, die vertikale Instabilität eines Flugzeugs ohne separates Höhenleitwerk auszugleichen.
21. Mai 2013 um 08:12
Hallo!
Wer erfahren will, wie die Verschwörung rund um die „neue Physik“ und NSL zerlegt wird, der ist herzlich willkommen auf unserem Blog.
unfassbarlangweilig.wordpress.com
Ein großer Vertreter ist Axel Stoll, der mit seiner braunen Esoterik einen weiten Fan-Kreis aufbauen konnte.
Hier werden 2 seiner Videos zerlegt (NSL-Treffen in der Stammkneipe):
http://unfassbarlangweilig.wordpress.com/category/esoterik/axel-stoll/
Viel Spaß beim lesen!
21. Mai 2013 um 10:50
Hm, ich finde es immer ein wenig irrelevant, sich noch mit sowas auseinanderzusetzen, das ist unter dem Niveau von Kritik. Spätestens „Mondverschwörung“ hat dazu alles nötige geleistet.
Man sollte sich lieber der Profession des ‚Unternehmensberaters‘ als Gegenstand der Kritik widmen, die produzieren mehr Mythen, als die Skeptiker jemals debunken könnten.
21. Mai 2013 um 11:02
“ ….harmlose Spinner oder eine ernsthafte Gefahr für unsere Demokratie sind…“
Auch harmlose Spinner können gefährlich werden. Spätestens dann, wenn Teufel in Menschengestalt ihnen das Gefühl geben, keine Spinner, sondern Vorreiter zu sein.
21. Mai 2013 um 20:55
Leider scheinen Vertreter des „Neuschwabenland-Mythos“ wie Axel Stoll
http://psiram.com/ge/index.php/Axel_Stoll
sowie in seinem Umfeld auch z.B. Impfgegner wie Stefan Lanka inzwischen auch unter Gymnasiasten und Jungakademikern auf Kundenfang zu gehen:
http://www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/3467-neuschwabenland-in-berlin-teil-i
17. Juni 2018 um 20:42
Eine fliegende Untertasse aus dem dritten Reich für das Kinderzimmer: Damit hat sich ein Hersteller aus NRW viel Kritik eingehandelt. Der Vorwurf: Verbreitung rechter Verschwörungstheorien.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/modellbauhersteller-revell-wegen-nazi-ufos-in-der-kritik-15645227.html
22. März 2019 um 18:52
»Iron Sky: The Coming Race« verspielt die politische Möglichkeit zerstörenden Lachens
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1114851.iron-sky-the-coming-race-reptiloide-mondnazis-und-die-hohlwelt.html