Die Sendung war gut recherchiert. Da hat Böhmermann nichts falsch gemacht. Das Thema war klar definiert, die Probleme waren gut herausgearbeitet.
So urteilt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Prof. Andreas Meyer-Lindenberg, über die Magazin Royale-Folge vom 8. September 2023 zum Thema „rituelle Gewalt“.
Die Böhmermann-Sendung war nach Programmbeschwerden (unter anderem von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs) aus der ZDF-Mediathek entfernt worden. Diese Entscheidung rief ihrerseits Kritik hervor. Vier Mitglieder des ZDF-Fernsehrats fordern eine Neubefassung mit den Programmbeschwerden bei der nächsten Sitzung dieses Gremiums im März.
Auch die DGPPN hat an den Fernsehrat geschrieben (der Brief liegt uns vor). In einem Interview mit spiegel.de wird Meyer-Lindenberg noch deutlicher:
Spiegel: In der Sendung wurde kritisch hinterfragt, ob Menschen durch Folter und Missbrauch so bearbeitet werden können, dass sie „programmiert“ sind und lebenslang gesteuert werden können.
Meyer-Lindenberg: Ein Mechanismus, der auch Mind-Control genannt wird – und der in der Form überhaupt nicht existiert. Was zudem problematisch ist: Da spielen jahrhundertealte Verschwörungsmythen mit rein. Von blutsaufenden Eliten ist die Rede, von Satanskulten. Für nichts davon gibt es Belege.
Warum gibt es dann Patienten, die so etwas nach einer Therapie berichten?
Scheinerinnerungen, sogenannte False Memories, können durch suggestives Befragen entstehen. Das muss noch nicht einmal vorsätzlich passieren, manche Therapeuten sind vielleicht überzeugt, dass es solche brutalen Verbrechen in ominösen Geheimzirkeln tatsächlich gibt. Trotzdem bleibt es ein Therapiefehler, wenn bei Patienten solche Scheinerinnerungen hervorgerufen werden.
Zu Recht verwahrt sich der DGPPN-Präsident dagegen, Traumatherapeuten „unter Generalverdacht“ zu stellen – wie zum Beispiel der „Spin Doctor“ (Blick) der Satanic Panic in der Schweiz, der Psychiater Jan Gysi, in einem larmoyanten Rundumschlag beklagt.
Allerdings sieht Meyer-Lindenberg ebenfalls völlig klar, dass „die haltlosen Theorien zu Programmierung und Geheimkulten über Jahre in Weiterbildungen vorgetragen wurden“, praktisch ohne dass sich Widerspruch aus den eigenen Reihen erhob.
Außerdem haben auch wir stets nur von einem kleinen, sehr speziellen Kreis von „Traumatherapeuten“ oder einer speziellen Traumatherapeuten-Szene geschrieben, zum Beispiel hier oder hier.
Abschließend hofft der DGPPN-Präsident, dass die Böhmermann-Sendung „wieder publiziert“ wird:
Sollte das nicht dazu kommen, müssen wir überlegen, ob wir uns als Fachgesellschaft dazu öffentlich nochmals klar positionieren.
Die DGPPN ist die größte Fachgesellschaft Deutschlands für Psychiatrie und Psychotherapie. Auch beim DGPPN-Kongress Ende 2023 in Berlin wurde das Thema Rituelle Gewalt in zwei Symposien, mit mehreren Referenten, behandelt.
Zum Weiterlesen:
- Sendung über Mythen in der Psychotherapie: „Böhmermann hat nichts falsch gemacht“, spiegel.de am 28. Januar 2024
- Satanic Panic: Ominöses rund um die Böhmermann-Sendung zum Thema rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 8. Dezember 2023
- Aus der Mediathek entfernte Böhmermann-Sendung: Was ist nur mit dem ZDF-Fernsehrat los? spiegel.de am 13. Dezember 2023
- Rituelle Gewalt: Wer ist hier im Wahn? übermedien am 11. Dezember 2023
- Jan Böhmermann nimmt sich „Satanic Panic“ vor – und zerlegt die Verschwörungstheorie, watson am 9. September 2023
- Fernsehrat: Mitglieder fordern Neubefassung, dissoziationen am 22. Dezember 2023
- Branchendienst Meedia über den offenen Brief, dissoziationen am 15. Dezember 2023
28. Januar 2024 um 19:43
Moin,
ich bin sehr froh, dass sich „meine“ Fachgesellschaft nach der ersten, eher windelweichen, Stellungnahme nunmehr klar positioniert. Puh.
Grüße
Pingback: Spiegel: Fachgesellschaft zur "Causa Fernsehrat" - Debunking SRA
16. März 2024 um 09:48
Wird es dazu ein Update geben, nachdem der Fernsehrat darauf verzichtet hat das Thema zu einer erneuten Erörterung zu bringen?
16. März 2024 um 09:56
@Sebastian:
Nun ja, mit der Nichtbeachtung des Themas bei der gestrigen Sitzung des Fernsehrats trotz eines Antrags auf Neubefassung beibt die Sachlage ja unverändert, insofern gibt es m.E. wenig upzudaten. Wir können allenfalls versuchen, eine Stellungnahme der vier Antragssteller einzuholen.
16. März 2024 um 11:59
@Bernd Harder
Wenn Sie da etwas in Erfahrung bringen könnten, fände ich das super! Zumindest die Begründung interessiert mich dann doch.
20. September 2024 um 12:17
Daß das ZDF den Beitrag offline gestellt hat, kommt wohl daher:
Zitat „Außerdem hatte sich einer seiner (Böhmermann) Mitarbeiter illegal in ein Online-Seminar Michaela Hubers eingeschleust“ – da ging es um ärztliche Schweigepflicht, die der Mitarbeiter gebrochen hatte und darum, daß er sich unter falschem Namen eingemogelt hatte, sich gar als Therapeut ausgab. Er erstattete nachher bei der Polizei eine Selbstanzeige.
20. September 2024 um 14:40
@Vera Meißner:
Nein, darum ging es bei der Programmbeschwerde bzw. bei der Entscheidung eher nicht:
https://www.aufarbeitungskommission.de/service-presse/service/meldungen/programmbeschwerde-gegen-die-sendung-zdf-magazin-royale-vom-08-09-2023/
Und diese angebliche Anzeige ist höchst seltsam und m.W. nie etwas dabei herausgekommen:
https://blog.gwup.net/2023/12/08/satanic-panic-ominoeses-rund-um-die-boehmermann-sendung-zum-thema-rituelle-gewalt/
20. September 2024 um 19:52
Die mitlesenden Juristen mögen dies gerne auch kommentieren und ggfs. korrigieren, aber der Journalist in der Huber-Veranstaltung KANN überhaupt nicht ein Privatgeheimnis nach § 203 StGB verletzt haben – er ist schließlich kein Arzt. Und ein Gehilfe bzw. Azubi wird er ja auch nicht gewesen sein.
Eher ist diese Argumentation (sofern sie wirklich eine Rolle gespielt haben sollte) ein Bumerang für Frau Huber und ihre Konsorten, wenn sie frei von der Leber weg und ohne Einwilligung ihrer Klienten außerhalb einer Behandlungssituation gegenüber Dritten ohne die nötige Anonymisierung Privatgeheimnisse verbreitet haben sollten.
Nebenbei: Sollte „bei Hubers“ eine Rekonstruktion der Identät einer Person und Zuordnung zu einer Krankengeschichte wirklich möglich sein, dann wäre das jenseits der juristischen Konsequenzen unglaublich unprofessionell – denn, aus dem Nähkästlein geplaudert:
In diversen Fortbildungsveranstaltungen mit Fallpräsentationen, -besprechungen und Balintgruppen ist mir das noch nie vorgekommen.
21. September 2024 um 11:35
Laut AGB der Webseite, worüber diese Kurse angeboten werden, sind die Zielgruppe ebenso Heilpraktiker, welche nicht der Schweigepflicht bzw. dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen.
Solche Punkte sind eher dann relevant, wenn eine Verbandszugehörigkeit vorhanden ist.
22. September 2024 um 00:44
@Vera Meißner
Der Begriff „Therapeut“ ist in Deutschland nicht geschützt. Jeder darf sich so bezeichnen. Und „ärztliche Schweigepflicht“ haben ohnehin keine Seminarteilnehmer. Es ist erlaubt, von den Inhalten zu berichten.
23. September 2024 um 03:30
@Borstel weist zu Recht darauf hin, das Schweigepflichten bzw. Offenbarungsbedschränkungen allenfalls bei den Vortragenden liegen können, die ihre Patientengeschichten bedenkenlos vor potenziell „jedermann“ ausbreiten.
In der Tat könnte der inkriminierte Straftatbestand weit eher bei Frau Huber verletzt sein als beim Undercover-Agenten von Böhmermann.
Wie gehabt. Dummes Zeug von A bis Z.