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„Ohne jede Skepsis“: SWR über die aktuellen Memory Wars und das Thema Rituelle Gewalt

| 7 Kommentare

Journalistische Nachhilfe für den ARD-Autor Michael Weisfeld, der sich selbst für einen kritischen Experten hält, aber kaum verhohlen die „Satanic Panic“-Verschwörungstheorie perpetuiert:

In der SWR2 Wissen-Folge

Erinnerung an sexuellen Missbrauch – Echt oder eingeredet?

geht es um das gegenwärtige Wiederaufflammen der „Memory Wars“ der 1990er-Jahre.

Mit dabei ist Petra Stern, der in einer Heilpraktikerschule falsche Erinnerungen an Missbrauch in der Familie eingeredet wurden (wir berichteten hier und hier).

Der Autor Jochen Paulus besuchte für seinen 30-minütigen Beitrag sowohl den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Ende November in Berlin (wo es zwei Symposien zum Thema gab) als auch eine Online-Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT), bei der eine einschlägig bekannte Referentin (vorgestellt als „Erfahrungsexpertin“) die übliche Story erzählte:

Der Hohepriester kam nun zu mir, nahm meine Hand, ging zu den Kindern und auf einmal war ein Messer in meiner Hand und er stach immer und immer wieder auf die Kinder ein. Er benutzte meine Hand dazu. Ich weiß nicht mehr so genau, ob da viel Blut war, aber die anderen Kinder haben nicht mehr geweint und sie haben sich auch nicht mehr bewegt. Er sagte es auch, sie sind tot, gestorben durch deine Hand.

Paulus war nicht überzeugt:

Das Verschwinden von so vielen Menschen sollte eigentlich auffallen. Schon in den 1990er-Jahren begab sich der FBI-Beamte Kenneth Lanning auf Spurensuche und fand: nichts. Zweifel an rituellen Morden an Kindern blieben auch nach anderen Untersuchungen.

Mit Expertinnen wie der Kriminologin Petra Hasselmann und der Rechtspsychologin Susanna Niehaus debunked der SWR-Beitrag systematisch die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie.

Nicht zuletzt wird darin auch die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ (angesiedelt bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs) kritisiert:

In den Berichten der Aufarbeitungskommission werden ohne jede Skepsis Berichte wie dieser einer angeblich Betroffenen wiedergegeben. Ob das Berichtete auch stimmt, darüber will sie sich offenkundig keine Gedanken machen.

Und das ist fatal, weil

… das aktuelle Narrativ des rituellen sexuellen Missbrauchs zu Gefahren für psychisch vulnerable Personen im psychotherapeutischen und forensischen Kontext führt,

wie wir gestern schon hier schrieben.

Zum Weiterlesen:

  • Erinnerung an sexuellen Missbrauch – Echt oder eingeredet? swr 2 am 12. Februar 2024
  • Differences Between True and False Autobiographical Memories: A Scoping Review, European Psychologist, January 2024
  • „Keinerlei empirische Evidenz“ für die Grundannahmen der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 12. Februar 2024
  • „Satanistisch-ritueller“ Missbrauch: Die Beweisfrage wird einfach weggelächelt, GWUP-Blog am 14. April 2023
  • Der Satanic Panic-Fraktion voll auf den Leim gegangen: Das Radiofeature „False Memory und sexuelle Gewalt“, GWUP-Blog am 6. Februar 2023
  • Michelle erinnert sich falsch: Wie ein Psychiater im Jahr 1980 die „Satanic Panic“ lostrat, GWUP-Blog am 25. Dezember 2023
  • Alptraum Heilpraktiker-Schule: Falsche Erinnerungen an Missbrauch in der Familie, GWUP-Blog am 9. Mai 2023
  • „Manipulierte Erinnerungen“ an sexuellen Missbrauch im Podcast Deep Science vom DLF, GWUP-Blog am 5. November 2022
  • Podcast: Susanna Niehaus spricht über Scheinerinnerungen, orf am 29. Juli 2023

7 Kommentare

  1. Vielen Dank an Peter für den Tipp und vielen Dank für die Zusammenfassung !

    Bin gespannt wann Michaela Sonnicksen ihre Studie (Dissertation) veröffentlicht. Die Zahlen sind jedenfalls krass …

    „Der wichtige Befund war, dass es nach diesem Wiedererinnern, bei dem dann der/die TherapeutIn so eine Vorannahme hatte, dass ein verdrängtes Trauma zugrunde liegt, nach diesem Wiedererinnern ging es fünf Prozent der Personen besser. 60 Prozent ging es erstmal deutlich schlechter. Dann hat sich das aber über die Zeit wieder verbessert.

    Wir wissen allerdings jetzt dann nicht, auf welches Niveau sich das am Ende verbessert hat. Aber wirklich wichtig war zu sehen, dass es 30 Prozent dieser Personen dauerhaft schlechter ging durch diese Wiedererinnerung.“

    und

    „Bei den Personen mit wiederentdeckten Erinnerungen haben in der Folge auch ungefähr die Hälfte der Personen Kontakt zu Familienmitgliedern abgebrochen. Und davon waren über ein Drittel der Kontaktabbrüche dauerhaft und vollständig. Und das bedeutet natürlich auch für diese Personen, dass da familiäre Unterstützung verlorengeht, was deren Situation natürlich nochmal verschärft.“

    Da kann man den Ausstiegsleitfaden des BERTA-Hilfetelefon von einer ganz anderen Seite betrachten:

    „Wir sehen in der Suche der Klient:innen nach Hilfe den ersten Schritt des Ausstiegs. Zu diesem frühen Zeitpunkt ist zu erwarten, dass es noch Täterkontakt gibt. Wir unterstützen Klient:innen auch dann und machen uns mit ihnen auf den Weg, sich von der Macht der Täter und Täterinnen zu befreien.

    […]

    Zu den Hilfen beim Ausstieg gehören neben den Beratungsgesprächen auch manchmal kontrollierende Tätigkeiten, mit deren Hilfe es möglich sein kann, Täter-Kontakt zu stoppen. Dazu kann zum Beispiel das Kontrollieren von Post oder Kontoauszügen gehören.
    Täter und Täterinnen versuchen oftmals, über solche Wege den Klient:innen Botschaften zukommen zu lassen. Auf diese Weise werden zum Beispiel verschlüsselte Termine, Verabredungen an bestimmten Orten mitgeteilt oder einfach Signale gesetzt: „Wir sind noch da!““

    (https://nina-info.de/images/Support-Ein_Leitfaden-komprimiert.pdf , Seite 33f)

    Schon ein ziemlich pathologisches System.

  2. @Sebastian

    In Bezug auf Deinen letzten Satz:

    Ich sage so was nicht so schnell. Aber hier wird man die Frage stellen müssen, inwieweit es sich um einen kollektiven Wahn handelt, der Teile der therapeutischen und der beratenden Szene erfasst hat.

    Solche Märchengeschichten wie von der „Erfahrungsexpertin“ (ein großartiger Euphemismus) kann man doch ohne erheblichen Realitätsverlust weder ernsthaft vortragen noch ernsthaft rezipieren.

    Fast hätte ich gesagt, wie die Homöopathen in der Medizin … Widerständig gegen wissenschaftliche wie außerwissenschaftliche Fakten. Denialismus …

  3. @Udo Endruscheit

    Ich würde die Verbreitung zu ritueller Gewalt nicht ganz so groß einschätzen, wie es bei der Homöopathie der Fall ist. So zumindest meine Hoffnung.

    Um Susanna Niehaus aus dem Beitrag zu zitieren: „Ja, also ehrlich gesagt kann ich für die Verbände nur hoffen, dass sie nicht so ganz genau hingeschaut haben, wofür sie ihren Verbandsnamen hergeben.“

    In Teilen gehe ich davon aus, dass nicht alle vom Selben reden. Zum einen durch die Vermischungen mit sexueller Gewalt und aufgrund der fehlenden, einheitlichen Definition von „Ritueller Gewalt“.

    Die DGPPN hatte das Positionspapier ebenfalls unterschrieben, sich zwischenzeitlich aber pro Aufklärung in diesem Bereich positioniert. (Siehe Böhmermann-Sendung)

    Problematisch betrachte ich es hingegen, dass einige Weiterbildungsangebote dieses Narrativ wiedergeben und Verbände wie DGTD es offenkundig nach außen tragen. Es wird der Grundstein für dauerhafte Etablierung verrückter Thesen gelegt.

    Die politischen Akteure beschleunigen in meinen Augen die Verbreitung. Die allgemein schlechte Fehlerkultur in diesem Bereich, trägt für mich zu Vertuschung und Manipulation bei. Wobei das Familienministerium generell den Ruf zu haben scheint durch Ideologien angetrieben zu werden – ohne Rücksicht auf Verluste.

    Was man im negativen Sinne vielleicht ebenfalls bedenken müsste, dass es kein reines Thema der Psychotherapie ist, sondern auch der Helfersysteme, wie zum Beispiel bei Sozialpädagogen (Traumapädagogik) und Opferverbänden.

    Eine Fachperson meinte mal zu mir: „Ich befürchte, das Problem wird sich biologisch lösen müssen“.

  4. @ Sebastian:

    Welches Positionspapier soll die DGPPN unterschrieben haben?

  5. @Joseph Kuhn

    Quelle XI des Manuskript zur Sendung

    „Positionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs“

    https://www.emdria.de/fileadmin/user_upload/news/Positionspapier_22-7-23.pdf

  6. @Endruscheit:

    Diese Frage könnte man in 2024 offensichtlich bei einigen Massenbewegungen stellen!

    „Massen neigen zu falschen Beobachtungen und kollektiven Halluzinationen“

    https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/psychologie-der-massen/5708

    Das perfideste daran, einige dieser Gruppen:
    Querdenker, Impfgegner und co. wurden von ihren „geistigen Brandstiftern“ auch über die Bücher von LeBon und Bernays, Hofer und Co in Kenntnis gesetzt, jetzt glauben Sie jede Art von Propaganda zu erkennen, leider wurden Sie nicht darin geschult gute- von schlechter Propaganda zu unterscheiden.
    Und sich selbst richtig einzuordnen was breite Bildung und fachliche Expertise angeht, war ja noch die die Stärke der Randgruppen über die wir hier sprechen…

    Nicht Jede Werbung/PR will ja nur sch…e verkaufen.

    Befeuert wird das ganze noch durch PR Kanäle und weitere Verwertungsindustrie der AFD und Co…, ThinkTanks wo man geht und steht und vorgebliche Experten.

    Buch:
    Die große Consulting-Show
    Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt

  7. @ Sebastian:

    Danke!

    Das erklärt vielleicht, warum es bei der DGPPN-Tagung Ende 2023 zwei inhaltlich unterschiedlich ausgerichtete Sessions zu dem Thema gab.

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