Im aktuellen Skeptiker (3/2019) kommt eine weitere kritische Stimme zum Thema „satanistisch-ritueller Missbrauch“ zu Wort. Wir sprachen mit der Kriminalistin Prof. Dr. Petra Hasselmann (Bremen), die dazu auch bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik Ende Oktober in Salzburg referieren wird.
Hasselmann hat die Studie
„Rituelle Gewalt“ und Dissoziative Identitätsstörung: Eine multimethodale Untersuchung zu Erwartungshaltungen an Akteure im Hilfesystem
verfasst und dafür problemzentrierte Interviews mit Frauen und Männern geführt, die sich selbst als Betroffene von „satanistisch-rituellem Missbrauch“ erachten. Dabei gewann sie die Erkenntnis, dass …
… bei vielen Interviewten ein traumatisches Ereignis oder eine herkunftsfamiliäre Lebenswunde den Ausgangspunkt für ihre Suche nach Hilfe dargestellt haben dürfte – was dann im Hilfeprozess jedoch in den Hintergrund rückte.
Im therapeutischen Setting ging es in erster Linie um die Bewältigung des attestierten Krankheitsbildes DIS und den Umgang mit Erinnerungen an rituelle Gewalt. Beides, sowohl die DIS als auch das Gewalterleben, wurde teilweise von den Interviewten selbst angezweifelt. Damit zirkuliert die Inanspruchnahme von Hilfe um eine Glaubensfrage und bearbeitet nicht zwangsläufig die eigentliche Lebenswunde.
Skeptiker: Das ist einer der Punkte, warum wir Skeptiker uns überhaupt mit diesem Thema befassen: weil Menschen konkret geschadet wird, wenn solche Pseudo-Behandlungen von der eigentlichen Traumatisierung ablenken und Therapeuten stattdessen das Konstrukt einer lebenslangen Bedrohung durch angebliche „Satanssekten“ aufrechterhalten.
Hasselmann: Die Gefahr besteht in der Tat darin, dass Betroffene sich in einem Kreislauf der ewigen Suche nach Bestätigung und Verstärkern des vermeintlich Erlebten verlieren – und zwar so lange, bis sich falsche Erinnerungen so verfestigen, dass daran nicht mehr zu rütteln ist. Das eigentliche Bedürfnis dahinter bleibt unerkannt, das Ausgangsproblem unbehandelt. Der wirkliche Grund der Rat- und Hilfesuche gerät mithin aus dem Fokus.
Skeptiker: Auf der anderen Seite zitieren Sie in Ihrem Buch die umstrittene Traumatherapeutin Michaela Huber mit dem Satz, die Gesellschaft sei noch nicht so weit, „Betroffenen ritueller Gewalt Glauben zu schenken“.
Hasselmann: Diese Aussage von Frau Huber spornt zu einem „Weiterglauben“ im Sinne eines „Weitermachens“ an. Und das hat ja auch Erfolg. Die Diskurshoheit liegt bei denen, die an der Existenz des Phänomens der rituellen Gewalt festhalten, und von dieser Filterblase aus hält es sogar Einzug in bundesbehördliche Betrachtungen und Stellungnahmen.
Skeptiker: Und das, obwohl es die immergleichen selbstimmunisierenden Behauptungen sind, mit denen die Szene agiert. Zum Beispiel, dass Polizisten und Staatsanwälte solche „monströsen Taten“ einfach nicht glauben würden. Warum aber sollten Ermittler, die sich mit Kannibalismus, Zwangsprostitution und Kinderpornografie befassen müssen, das nicht glauben, nur weil die Taten sich angeblich in einem Kult ereignen? Was soll an „satanistisch“ rituellem Missbrauch so einzigartig sein, dass in der Vorstellung von gläubigen Traumatherapeuten praktisch identische Schwerstdelikte ohne Kult-Charakter dagegen verblassen?
Hasselmann: „Rituelle Gewalt“ klingt mysteriös, unglaublich, unbegreifbar. Und bedient „das Unbegreifbare“ am Ende nicht das, was Menschen dazu animiert, Horrorfilme, Serien wie „Game of Thrones“ oder den sonntäglichen „Tatort“ zu schauen?
Ich denke nicht, dass der Begriff der „rituellen Gewalt“ existente Phänomene wie Kannibalismus oder Kinderpornographie verblassen lässt oder verblassen lassen soll. Ganz im Gegenteil – er scheint sich durch eine solche Verknüpfung regelrecht zu legitimieren und wird vielleicht sogar ein Stück weit greifbarer für alle diejenigen, die nicht verstehen, was rituelle Gewalt eigentlich bedeutet.
Denn eigentlich braucht man einen solchen Begriff ja gar nicht, wenn mögliche Tathandlungen bei einer Einzelfallbetrachtung durch bereits bestehende Straftatbestände klar umschrieben, weil definiert sind. Er ist aber mitsamt seinen impliziten Assoziationen wichtig für die ideologisch geführte Debatte, um dem Gewaltformat einen Charakter von Wahrheit und realer Existenz zu verleihen.
Skeptiker: Bestandteil dieser ideologisch geführten Debatte ist auch die Unterstellung, dass Berichten über möglichen rituellen Missbrauch seitens der Polizei kein Glaube geschenkt wird.
Hasselmann: Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft ist es, Tat und Täterschaft zu ermitteln, ein Tatgeschehen aufzuhellen, es zu rekonstruieren. Es geht nicht um das Bedienen der Glaubensfrage, sondern um ein Verifizieren und Falsifizieren.
Skeptiker: Eben, und genau dabei sind die Ermittler nie fündig geworden, weder in Deutschland noch weltweit. Für uns Skeptiker ist das natürlich ein wichtiger Punkt. Wenn wir von gläubigen Traumatherapeuten oder Betroffenen gefragt werden, was wir denn als Beweis für organisierten „satanistisch-rituellen Missbrauch“ akzeptieren würden, bestehen wir auf nachweisbaren polizeilichen Erkenntnissen, Gerichtsverfahren, Urteilen. Was auch sonst?
Hasselmann: Ich denke, es geht nicht so sehr darum, was Sie oder ich als Beweis akzeptieren. Vielmehr geht es doch darum, auch hier ganz klar zu definieren: Was genau ist ein Beweis? Und auch dabei orientiere ich mich als Kriminalistin am Recht.
Die Strafprozessordnung kennt den sogenannten Strengbeweis, kriminalistisch gesprochen unterscheidet man in Sach- und Personalbeweise. Der Personalbeweis kann beispielsweise die Aussage eines Zeugen, aber auch die Einlassung eines Tatverdächtigen sein. Als Sachbeweis gilt all das, was als Sache in irgendeiner Form beweiserheblich sein kann. Beweismittel werden im Ermittlungsverfahren erhoben, erfragt, zusammengestellt, ausgewertet, gewürdigt und dienen dann der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ob Anklage erhoben wird oder nicht.
Es stellt sich also die Frage, bis zu welchem Punkt diese behördliche Denkweise der Beweiserhebung und Beweiswürdigung akzeptiert wird. Oder ob in einem Gespräch mit Ihnen als Skeptiker oder mit mir als Forschende der Wunsch, dass „geglaubt“ wird, am Ende doch wieder dominiert.
Den Skeptiker 3/2019 mit dem vollständigen Interview gibt’s als Heft oder epaper. Den Artikel kann man auch einzeln kaufen.
Zum Weiterlesen:
- Satanisch-ritueller Missbrauch und falsche Erinnerungen: „Das eigentliche Bedürfnis dahinter bleibt unerkannt“, Skeptiker 3/2019
- „Rituelle Gewalt“ und Dissoziative Identitätsstörung: Eine multimethodale Untersuchung zu Erwartungshaltungen an Akteure im Hilfesystem. Pabst Science Publishers, Lengerich 2017, 284 Seiten, 25 €
- Ritueller Missbrauch und dissoziative Identätsstörung, GWUP-Blog am 6. September 2019
- Der aktuelle Stand in Sachen satanistisch-ritueller Missbrauch: „Verschwörungsdenken ist hier nicht hilfreich“, GWUP-Blog am 29. Juni 2019
- Skepkon-Video: Der Mythos vom satanisch-rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 13. Juni 2018
- „Erklärvideo“ des BMFSFJ zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder verbreitet Verschwörungstheorie, EZW-Newsletter am 24. März 2020
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