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„Keinerlei empirische Evidenz“ für die Grundannahmen der Satanic Panic-Verschwörungstheorie

| 2 Kommentare

Zwei weitere renommierte Experten treten der „Satanic Panic“-Verschwörungsideologie entgegen:

Im aktuellen Report Psychologie (2/2024), der Zeitschrift des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, erklären die Professorinnen für Rechtspsychologie Silvia Gubi-Kelm (Hamburg) und Luise Greuel (Bremen), die Rituelle Gewalt-Mind Control-Theorie (RG-MC) stehe

… in direktem Widerspruch zur internationalen Forschungslage der akademischen Psychologie und Psychotraumatologie.

In ihrem Artikel kritisieren die Autorinnen verschiedene Veröffentlichungen im Umfeld des Bundesfamilienministeriums und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, vor allem die Broschüre

Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen – Empfehlungen an Politik und Gesellschaft

des Fachkreises Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2018) sowie diverse Folgeverlautbarungen, darunter auch die „Stellungnahme des Betroffenenrates bei der UBSKM zum Thema organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt“ von 2023.

Die speziellen Grundannahmen der RG-MC (die weit über die – völlig unstrittige – organisierte sexuelle Gewalt auch gegen Kinder hinausgehen) verweisen Gubi-Kelm und Greuel ins Reich der Mythen, zum Beispiel:

Die wissenschaftlich fundierte psychotraumatologische Forschung kommt in Übereinstimmung mit den Befunden aus der gedächtnis- und aussagepsychologischen Forschung zu dem Ergebnis, dass emotional bedeutungsvolle und somit auch traumatische Erlebnisse in der Regel besonders gut und langfristig erinnert werden.

Die wenigen Fälle von wiederentdeckten Erinnerungen, die unabhängig bestätigt werden konnten, zeichneten sich dadurch aus, dass sie „spontan und nicht auf explizites Bemühen wieder erinnert wurden“ und zum Zeitpunkt ihres Auftretens „weder als traumatisch noch als missbräuchlich wahrgenommen wurden“.

  • „Die These von den eingeredeten Erinnerungen ist falsch.“

In experimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass ein bedeutender Prozentsatz (zirka 15 bis 30 Prozent) von Personen Scheinerinnerungen an vermeintlich autobiografische Ereignisse ausbildet […]

In Therapien, in denen suggestive Methoden über einen längeren Zeitraum dargeboten werden, ist von einer noch höheren Rate der Ausbildung von Scheinerinnerungen auszugehen. Der Prozess der Ausbildung von Scheinerinnerungen ist empirisch gut erforscht und hinsichtlich seiner charakteristischen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen gut beschreibbar.

  • Meine Erinnerungen kamen ohne Therapeuten und ich war nie in einer Klinik.“

Ein direkter Einfluss Dritter ist nicht zwingend. Es können auch Inhalte (z. B. aus den Medien) in autosuggestiver Form aufgegriffen und gegebenenfalls durch Dritte verstärkt werden.

  • „Mind Control“ im Sinne einer absichtsvollen Programmierung der – teils kindlichen – Opfer durch Bewusstseinsspaltung und -manipulation.

Aus psychologischer Sicht stellt sich vor allem die Frage, wie eine derartige Induktion von schwerwiegenden Dissoziationsstörungen erfolgen kann und woher die mutmaßlichen Täterinnen und Täter diese der Fachwelt bislang verborgenen Strategien der Fremdkontrolle generiert haben könnten.

Diese Skepsis wird von Vertreterinnen und Vertretern der Neurowissenschaften geteilt, die eine derart umfassende Fremdkontrolle menschlichen Verhaltens für unmöglich erachten.

Das Fazit von Gubi-Kelm/Greuel:

Die im Rahmen des vom BMFSFJ geförderten Projekts erhobenen Befunde sind bestenfalls als erste Einblicke in innere Wahrheiten und subjektive Narrative mutmaßlich von (ritueller) sexualisierter Gewalt Betroffener zu verstehen.

Sie sind keinesfalls geeignet, seit Jahrzehnten etablierte, wissenschaftlich fundierte Begutachtungsverfahren durch bislang nicht näher spezifizierte Alternativverfahren zu ersetzen.

Zuvor waren bereits in der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform sowie in Praxis der Rechtspsychologie kritische Fachbeiträge zur RG-MC-Verschwörungsideologie erschienen.

Zum Weiterlesen:

  • Rituelle sexuelle Gewalt: Zur aktuellen Kontroverse über ein polarisierendes Narrativ, Report Psychologie 2/2024
  • Satanic Panic: „Böhmermann hat nichts falsch gemacht“, urteilt die größte psychiatrische Fachgesellschaft Deutschlands, GWUP-Blog am 28. Januar 2024
  • „Ins Groteske gehend“: Gericht urteilt gegen die Satanic Panic, GWUP-Blog am 14. Januar 2024
  • Skeptiker-Interview mit Aileen Oeberst: „Keine überzeugende Evidenz für das Phänomen der verdrängten Erinnerungen“, GWUP-Blog am 20. Juni 2023
  • Video: „Falsche Erinnerungen und ihre Folgen“ mit Aileen Oeberst, GWUP-Blog am 12. Mai 2023
  • War alles gar nicht so gemeint: Renommierte Fachleute treten von der Satanic-Panic-Ideologie zurück – aber nur halbherzig, GWUP-Blog am 19. November 2023
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: Eine Verschwörungsideologie bedroht wissenschaftlich fundierte Standards, GWUP-Blog am 30. Mai 2023
  • „Ohne jede Skepsis“: SWR über die aktuellen Memory Wars und das Thema Rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 13. Februar 2024

2 Kommentare

  1. Die Verlinkungen innerhalb des Textes finde ich dieses mal besonders interessant!

    Dem Traumazentrum Kassel würde ich fast schon Humor attestieren. Wieso verlinken eigentlich Fachgesellschaften auf YouTube-Videos anstatt auf aktuelle wissenschaftliche Beiträge?

    Die DGVT hatte den Kanal von Fräulein *deren Name nicht genannt werden darf* ebenfalls verlinkt. (https://www.dgvt.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Fachgruppen/Literarurliste.pdf)

    Die offizielle „Broschüre“ des Fachkreises findet man übrigens bei der BKSF (Bundeskoordinierung), neben den Förderern und Unterstützern dieses Meisterwerks.

    https://www.bundeskoordinierung.de/de/article/117.fachkreis-beim-bmfsfj-ver%C3%B6ffentlicht-empfehlungen-an-politik-und-gesellschaft.html

    Man mag es kaum glauben, dass deren Definition zu Ritueller Gewalt in anderen Ausarbeitungen übernommen wurde.

    Es gab ja auch dieses eine schöne Positionspapier (https://www.dgvt.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Aktuelles/Positionspapier_1-7-23_.pdf), wo alle möglichen Gesellschaften unterschrieben haben.

    Als ich einige anschrieb, um nach deren Definition „Ritueller Gewalt“ zu fragen, kam natürlich keine Antwort … bis auf eine.

    In dieser einen Antwort meinte die Dame, dass sie das Positionspapier gar nicht unterschrieben hätten. Nach dem Hinweis dass sie es doch unterschrieben hätten, wollte sie sich zwar erkundigen, aber eine Rückmeldung fehlt bis heute.

    Es würde mich wundern, wenn alle das Gleiche unter dem Begriff verstehen.

    Hach ja … manchmal würde ich mich gerne mehr mit dem Thema beschäftigen. Vielen Dank für das Veröffentlichen!

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