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Krebs und Esoterik: Was tun gegen das Geschäft mit der Verzweiflung Schwerkranker?

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Am 16. Juni fiel das Urteil im Heilpraktiker-Prozess von Ingolstadt (wir berichteten).

Neben der Heilpraktikerin Renate G. wurde auch der Hersteller des wirkungslosen Krebs-„Wundermittels“ BG-Mun zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt.

Als Zeugin in dem jahrelangen Gerichtsverfahren gegen das betrügerische Duo war die Medizinstudentin Sandra Kloiber aufgetreten, die auch von Stern-TV interviewt wurde.

Die Mutter der 29-Jährigen erkrankte 2015 an Brustkrebs und suchte unter anderem Hilfe bei dem BG-Mun-Hersteller Ulrich B. Sandra Kloiber war dabei und schildert in einem aktuellen SZ-Artikel ihre Eindrücke:

Allein schon der Treffpunkt: Ein Büro im Osten Bayerns, billig eingerichtet mit Pflanzen auf griechischen Säulen. Und dann Ulrich B., ein Mann in schlabbrigem T-Shirt, das schüttere Haar zum Pferdeschwanz gebunden, auf seiner Visitenkarte ein falscher Adelstitel.

Er zeigte ein Video, das an Unterkomplexität kaum übertroffen werden kann: Ein Mann hatte Krebs, dann ging es ihm wieder gut, der Grund: BG-Mun. Einfach so sollten sie das glauben. Wie es genau wirke, wollte Kloiber wissen und B. redete von Metastasen, die sich verflüssigten. Er überzeugte sie nicht.

Ihrer Mutter gefiel, was er über die Pharmaindustrie sagte. Früher sei das Mittel zugelassen gewesen, aber die mächtigen Konzerne wollten mit Chemotherapien Geld verdienen. Kloibers Mutter nickte, sie fotografierte seine Kreditkarte ab, überwies später 6000 Euro.

Und spritzte sich gleich dort die erste Dosis in eine Bauchfalte.

Alexandra Kloiber starb 2018 mit 48 Jahren.

Allerdings war BG-Mun nicht der einzige Strohhalm, an den die Patientin sich klammerte. Von „Krebs-Diäten“ nach der Warburg-Hypothese über Pseudo-Ratgeber wie „Krebs als Chance“ bis hin zu Hyperthermie und einer dendritischen Zelltherapie versuchte Sandra Kloibers Mutter so ziemlich alles – nur keine evidenzbasierte Behandlung mit guten Erfolgsaussichten.

Und Sandra Kloiber, angehende Ärztin, musste hilflos zusehen:

Wie oft haben sie gestritten! Die Gespräche liefen immer gleich ab, sagt Kloiber. Ihre Mutter redete von einer neuen Methode. Ihr Vater sagte: „Ich bin Bäcker, was soll ich da sagen?“ Sandra Kloiber referierte ihre Recherchen und ihre Mutter reagierte „zickig“.

In dem SZ-Artikel geht es daher nicht nur um das Geschäft mit der Verzweiflung schwerkranker Menschen, sondern auch um die Fragen: Warum glauben Menschen diese kruden Theorien? Und wie könnte man das verhindern?

Bei Alexandra Kloiber waren es wohl „schlechte Erfahrungen mit Krankenhäusern“ und darüber hinaus das, was Edzard Ernst hier auflistet: der Glaube an das eigene Bauchgefühl und die Verlockung unhaltbarer Heilsversprechen.

Was hätte man dagegen tun können?

Verständlich erklären, was Krebs überhaupt ist, und die Angst vor der Chemo nehmen, sagt Prof. Jutta Hübner in dem Beitrag:

Ärzte seien nicht geschult darin, auf skeptische Patienten einzugehen […] „Viele Ärzte haben nicht ausreichend Zeit, sich um Nebenwirkungen zu kümmern. Für Ernährungsberatung ist oft kein Geld da. Da haben wir ein Riesenproblem.“

Noch ein Riesenproblem:

„Die Wunderheilerei findet weit verbreitet im System statt“, findet Jutta Hübner. Kliniken wie die, in die Alexandra Kloiber ging [für eine sogenannte regionale Chemotherapie] seien im Gesundheitssystem verankert, in ihnen arbeiten Ärzte, einige Therapien werden von den Kassen übernommen. Wirkt alles überzeugend.

Wie soll ein Laie wissen, dass er woanders, etwa in einem zertifizierten Brustzentrum, in dem Ärzte Abweichungen von den Leitlinien begründen und dokumentieren müssen, wahrscheinlich besser aufgehoben wäre?

Der Artikel endet damit, dass Alexandra Kloiber kurz vor ihrem Tod im Geldbeutel eine Visitenkarte von Ulrich B. findet und nach der Erinnerung ihrer Tochter „Was für ein Schwein“ flüstert.

Zu spät.

Zum Weiterlesen:

  • Krebs und Esoterik: Getrennte Welten, sz+ am 14. September 2023
  • Therapiefreiheit ist kein Freibrief für Betrug: Haftstrafen im Ingolstädter Heilpraktiker-Prozess, GWUP-Blog am 16. Juni 2023
  • Stern-TV über den BG-Mun-Prozess in Ingolstadt, GWUP-Blog am 25. Juni 2023
  • „Warum Deutsche ihre Heiler lieben“ von Edzard Ernst, GWUP-Blog am 6. September 2023

3 Kommentare

  1. Ich glaube, in dem geschilderten Fall vertraute die Patientin nicht auf die evidenzbasierte Medizin, da ja schon bei der Diagnosestellung feststand, dass der Krebs bereits metastasiert hat und eine Operation nicht mehr möglich wäre.

    Trotzdem hätte die evidenzbasierte Medizin ihr sicher helfen können, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.

    Eine Freundin von mir bekam kürzlich, mit Mitte Zwanzig, die Diagnose Brustkrebs. Die Behandlung schlug gut an. Sie hat reelle Aussichten, den Krebs dauerhaft besiegt zu haben.

    Mit ihr wurde nur wenig gesprochen. Sie weiß, dass das Personal viel zu tun und kaum Zeit hat. Aber wenn eine Patientin nach vier Stunden ambulanter Chemo zögernd vor dem Arzt stehenbleibt – und dann die Frage hört: „Ist noch was?“, weiß man, was die vermeintlichen Heiler der „Alternativmedizin“ den Patienten Wichtiges geben – neben der zweifellos gefährlichen „Behandlung“.

  2. Eine von der christlichen St. Michaelsvereinigung gegründete Stiftung lockt Krebserkrankte mit pseudowissenschaftlichen Behauptungen in ihr Kurhaus am Bodensee. Ehemalige Patientinnen berichten.

    https://www.woz.ch/2339/esoterische-medizin/habe-ich-meinen-tumor-also-auch-gemacht/!C0T7A0Y0CH2Q

  3. Krebsforschung: Die neuen Waffen gegen den Krebs

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