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Pizzagate, Adrenochrom und Co.: Der Verschwörungs-„Tatort“ am Sonntagabend aus Dresden

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Immerhin:

Ein „Tatort“, der Querdenker und Verschwörungsgläubige offenbar ernsthaft erregt hat:

Dabei fokussierte „Katz und Maus“ durchaus nicht so stark auf das Thema Verschwörungstheorien, wie in vielen Ankündigungen zu lesen war.

„Pizzagate“ – ja, diese krude Story aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf von 2016 gab offenkundig das reale Vorbild für den Dresdener „Tatort“ ab.

Aber schon „die Bezugnahme auf den QAnon-Kult“ (saechsische.de) wird allenfalls subtil angedeutet, etwa in Form der Verschwörungs-Webseite „4 Pi“, analog zu dem Imageboard 4chan.

Der Rezensent von stern.de meint denn auch, dass es diesen „Tatort“

… nicht unbedingt gebraucht hätte. Wer sich ernsthaft für das Thema Verschwörungstheorien interessiert, der sollte sich lieber den Podcast Hoaxilla anhören.

Die FAZ rechnet dem Sonntagskrimi immerhin an, dass der Zuschauer nun wisse, „wie Verschwörungsmythen funktionieren“.

Dazu trägt in erster Linie der Verschwörungsmythen-Superspreader Holger Kirbach (Paul Ahrens) bei – ein zynischer Clickbait-Profi, der sich im Netz „Grinsekatze“ nennt und „wie am Fließband“ Content über „die Neue Weltordnung, Klimalüge, 9/11, Neuschwabenland, Pizzagate, Adrenochrom“ und vieles mehr produziert:

Das Beste an Verschwörungstheorien ist ihre Unwiderlegbarkeit,

erklärt er dazu knapp.

Ansonsten fasst wohl spiegel.de die 90 Minuten am besten zusammen:

Von der Schnitzeljagd zur Seelenschau. Während die erste Hälfte noch wie ein konventioneller Psychopathen-Thriller funktioniert, bei der die Kollegen mittels übertrieben kompliziert ausgestreuter Zeichen und Symbole in eine bizarre Parallelwelt gelenkt werden, öffnet die zweite Hälfte tiefe Einblicke in die Funktionsweise eines manipulierten Geistes.

Episodenhauptdarsteller Hans Löw zeichnet hochsensibel nach, wie ein leicht labiler Mensch vom Irrsinn infiltriert wird.

In der Tat sind können Menschen, die einer Verschwörungstheorie anhängen,

… nicht deswegen als psychisch krank im Sinne der Klassifikation psychischer Störungen bezeichnet werden,

schreibt die österreichische Psychologin Karoline Hochreiter in der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie:

Sie sind auch nicht wahnsinnig, denn: Wahn ist von Verschwörungsglauben dadurch unterscheidbar, dass sich bei einem Wahn die Person in der Erzählung selbst einbezogen findet, während eine Verschwörungstheorie etwas erzählt, was im Außen vermutet wird.

Jedoch:

Mit großer Wahrscheinlichkeit aber werden Symptome, die schon vor dem Eintauchen in eine Verschwörungswelt vorlagen, dadurch verstärkt.

Oft sind Menschen davon betroffen, die sensibel sind, sich nicht gut abgrenzen können, eventuell von der Erfolglosigkeit eines politischen Engagements enttäuscht sind. Einige Kolleginnen berichten, dass die Corona-Pandemie bei ihren Klientinnen Traumatisierungen getriggert hat.

Das bringt dieser „Tatort“ ganz gut rüber:

Hier ist ein Mann, der mit mangelnder Impulskontrolle und massivem Narzissmus erst seine eigene Familie zerlegt hat, um dann in Fake-News die Erklärung für die selbst verursachte soziale Katastrophe zu finden […] Das eigene Versagen ist vergessen, die Welt hat Unrecht […] Es gibt ziemlich viel Wahres in den Dialogen, die Jan Cronauer und Stefanie Veith geschrieben haben.

„Katz und Maus“ findet sich in der ARD-Mediathek, eine Zusammenfassung zum Beispiel beim Kölner Stadt-Anzeiger oder Wikipedia.

Zum Weiterlesen:

  • Corona-Verschwörungstheorien und Psychotherapie, Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie volume 21, pages 395–407 (2022)
  • „Tatort“: Wenn der Vater die eigene Tochter für Fake hält, Welt-Online am 20. November 2022
  • So war der „Tatort“ aus Dresden, Kölner Stadt-Anzeiger am 20. November 2022
  • Tatort“ Dresden: Das wurde gestern um 23 Uhr ins Netz gestellt, Zeit-Online am 20. November 2022
  • „Tatort“-Kritik: Ein neuer Tag und neue Lügen, Stuttgarter Nachrichten am 20. November 2022
  • Dresdner „Tatort: Katz und Maus“: Entführung durch einen Querdenker, rnd am 19. November 2022
  • Diese Verschwörungserzählung war Vorbild für den neuen Tatort aus Dresden, rnd am 20. November 2022
  • „Q“ ist wieder da: Was bedeuten die neuen Botschaften des angeblichen Regierungsinsiders? GWUP-Blog am 26. Juni 2022
  • Video: Hey Wolfi über die „Schwurblerkönigin bei TikTok“ aka malice in wQnderland, GWUP-Blog am 18. November 2022
  • Von Pizzagate bis Sandy Hook: Die menschlichen Kosten von Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 19. August 2021
  • Ein Jugendthriller zum Thema Verschwörungsmythen: „Shelter“, GWUP-Blog am 1. November 2021
  • Xavier Naidoo und die satanische Adrenochrom-Verschwörung, GWUP-Blog am 7. April 2020
  • Kampf gegen Dämonen im „Tatort“ – und in der Realität, GWUP-Blog am 3. Oktober 2022

5 Kommentare

  1. Ich fand den Tatort super, richtig super, und stimme dem letzten Absatz voll zu.

  2. „Der neue „Tatort“ aus Dresden endete am Sonntagabend abrupt. t-online hat eine Antwort auf die Frage, die sich jetzt viele Zuschauerinnen und Zuschauer stellen.“

    https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/tatort/id_100083938/-tatort-in-dresden-offenes-ende-so-geht-es-weiter.html

  3. „Das leere und etwas dumme Gesicht vom Mann hinter der Mausmaske bleibt im Gedächtnis. Man trifft ihn in jeder zweiten Nachrichtensendung, weil er irgendwo in der Welt schon wieder Dummheiten und Schlimmeres macht, unterstützt, wählt.“

    https://www.fr.de/kultur/tv-kino/abgruende-polizei-dresden-tatort-ard-katz-und-maus-verschwoerung-91924651.html

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