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Der schwierige Umgang mit Verschwörungsgläubigen

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twitterte gestern Dr. Florian Aigner.

In der Tat sind Verschwörungstheorien auch in den vergangenen zwei Tagen ein beherrschendes Thema in vielen Medien gewesen – allen voran Die Zeit, die mit diesem Dossier aufmacht:

Der Artikel zeichnet ausführlich nach, wie „das Virus der Verschwörungtsheorie immer mehr Besitz“ von Vegan-Koch Attila Hildmann ergreift. Ein Hausbesuch bei dem „schon lange im Ruhestand“ befindlichen Mikrobiologen Sucharit Bhakdi lässt deutlich werden, wie sehr der Corona-Verharmloser „Gefallen an seiner neuen Nebentätigkeit als Youtuber gefunden hat“ und dass das „Sich-selbst-infrage-Stellen“ bei dem emeritierten Professor nicht mehr klappt.

Daneben geht es um ein Psychologen-Ehepaar, das eine der „Hygiene-Demos“ in Berlin besucht, dort aber „kein wirklich gutes Gefühl unter diesen Menschen“ hat.

Das ist ehrenwert – und auch Christian Ehring macht bei extra 3 noch einmal deutlich, dass bei den Corona-Protesten „sicherlich auch ein paar Vernünftige dabei sind“:

Aber die müssen sich vielleicht auch fragen, mit wem zusammen sie da demonstrieren.

Parallel zu dem gedruckten Zeit-Dossier sind drei Online-Beiträge erschienen:

In dem letztgenannten Essay schreibt Anselm Neft über einen Verschwörungsgläubigen in seinem Umfeld:

Ich fühle mich ohnmächtig, weil seine angeblichen Fragen („Es wurden also kaum 5G-Masten während des Lockdowns installiert?“) tatsächlich auf Gerüchte zurückgreifen, die sich leicht streuen und nur mühsam widerlegen lassen. Ich bin in diesem Austausch auf eine Statistenrolle in einem Schauspiel festgelegt.

Was ich auch sage, bietet nur die Bühne für die Selbstinszenierung meines Gegenübers, gerade wenn ich durch Widerspruch seine Besonderheit unterstreiche. Will ich das nicht mitmachen, bleibt mir nur der Kontaktabbruch.

Oder?

Gerade die Frage nach dem Umgang mit Verschwörungsgläubigen steht derzeit bei vielen Artikeln im Vordergrund. Eine unsystematische Zusammenschau:

Dr. Holm Hümmler warnt im HR-Magazin maintower zunächst einmal vor illusorischen Erwartungen:

Man darf nicht die Erwartung haben, man redet mit jemandem und überzeugt ihn – das wird nicht passieren. Man hat nicht das sofortige Erfolgserlebnis.

Trotzdem müsse man klarstellen, dass es Widerspruch gibt. Ein realistisches Ziel sei es, zum Nachdenken anzuregen:

Wenn ich zum Beispiel auf Faktenchecker-Seiten verweise und sachlich Informationen anbiete, die die kruden Konstrukte auseinandernehmen, erreiche ich womöglich diejenigen, die beginnen, die Widersprüche der Verschwörungstheoretiker wahrzunehmen, oder sich an ihren Gewaltfantasien stoßen.

Das bestätigt auch Saba-nur Cheema von der Bildungsstätte Anne Frank in einem Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung (zirka 30 Minuten):

Die pädagogische Leiterin erklärt, dass Menschen durchaus ihre Überzeugung plötzlich ändern könnten, weil sie zum Beispiel …

… eine Info dann doch total absurd finden oder jemand in ihrer Gruppe sie stört. Und dann kommen sie zu den Bezugspersonen zurück, die sie nicht für komplett verrückt erklärt haben, sondern die weiterhin mit ihnen im Gespräch geblieben sind.

„Emotionale Verbindung“, „Respekt“ und „Wertschätzung“ sind auch drei von sechs Punkten, auf die Dana Buchzik bei Edition F fokussiert – aber auch das „Recht auf Selbstschutz“.

Der Psychologe Sebastian Bartoschek bekräftigt das:

Man sollte sich erst einmal ehrlich fragen: „Will ich überhaupt das Gespräch darüber suchen?“ Denn wenn ich das tue, muss ich das auch wertschätzend gestalten. Es bringt nichts loszupoltern – damit kann ich niemanden überzeugen und werde im Zweifelsfall nur noch mehr verlieren. Wir nennen das den „Backfire-Effekt“ – je stärker jemand angegriffen wird, desto stärker ist seine Reaktion. Diese Tendenz kann man zwar menschlich sehr gut verstehen, aber sie bringt einen im Diskurs nicht weiter.

Man sollte sich immer wieder Zeit nehmen, die Faktenlage zu erklären und die Dinge gemeinsam und in Ruhe zu Ende zu denken. Das ist sehr zeit- und energieintensiv und sollte vorher gut bedacht sein. Auf jeden Fall sollte man an der Seite der Person bleiben und sie nicht fallen lassen. Das ist ähnlich wie bei Sektenmitgliedern. Da würde man vielleicht auch nicht immer über die Sache diskutieren – aber signalisieren: „Ich bin für dich da, auch wenn ich von dem, was du sagst, nichts halte.“

Der Psychologe Alexander Waschkau von Hoaxilla sieht es ähnlich:

Im privaten Umfeld ist es wichtig, Verschwörungsmythen zu widersprechen und falsche Behauptungen nicht stehen zu lassen. Ideal wäre es dabei, nicht direkt auf einen Konfrontationskurs zu gehen, damit das Gegenüber gewillt bleibt, im Diskurs zu bleiben. Ist das verschwörerische Weltbild aber komplett geschlossen und gegen Kritik immunisiert, wird man diese Personen nicht mehr erreichen können.

Eine gute Einstiegsfrage lautet meiner Erfahrung nach: „Was muss geschehen, damit Du von Deiner Meinung abrückst?“ Mit dieser Frage kann man die grundsätzlich Bereitschaft, vom Verschwörungsmythos abrücken zu wollen, ausloten.

Das rät auch der Sozialpsychologe Roland Imhoff von der Gutenberg-Universität Mainz:

„Verschwörungstheoretiker haben entweder ein verstärktes Bedürfnis danach, Kontrolle über ihr Leben zu erlangen oder ein besonders hohes Bedürfnis, einzigartig zu sein“ – so beschreibt Imhoff Verschwörungstheoretiker.

In der Diskussion mit ihnen gehe es also nicht darum, sie zu überzeugen, dass sie einer Verschwörungstheorie glauben, sondern herauszufinden, ob die Theorie gerechtfertigt und plausibel ist oder nicht. Deshalb rät er dazu, auf einer Metaebene zu reden. „Beide Seiten sollten sich fragen: Was könnte denn gegen meine Theorie sprechen?“

„Mit Fakten kommt man nicht weiter, weil es wenige Möglichkeiten gibt, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.“ Es geht laut Imhoff darum, wer welcher Quelle glaubt und vertraut. Wenn das bei beiden Gesprächsteilnehmern verschiedene Quellen sind, werden sie sich niemals einigen.

Grundsätzlich gelte in der Diskussion mit Verschwörungstheoretikern: „Es bringt wenig, sich darüber lustig zu machen.“ Laut Imhoff sollte man „die Sorgen der Menschen ernst nehmen, ohne ihren Theorien zuzustimmen“. Nur dann könne ein Austausch gelingen.

Hinter Verschwörungstheorien stecken auch immer bestimmte Motivationen, Nöte, Sorgen oder Bedürfnisse, so Imhoff. „Wenn die Intention hinter der Verschwörungstheorie anderweitig befriedigt wird, dann braucht es vielleicht keine Verschwörungstheorie mehr.“

Vor allem in den sozialen Medien sei Widerspruch wichtig:

„In einem offenen Diskurs sollte man bestimmte Dinge nicht unwidersprochen lassen“, sonst entstehe ein verzerrtes Bild von Öffentlichkeit. Langwierige Diskussionen dagegen seien oft wenig sinnvoll, weil sie nur geringe Erfolgsaussichten hätten: Da könne man sich fragen, „wie wertvoll einem die eigene Lebenszeit ist.“

Die sieben häufigsten (Falsch-)Aussagen und was man ihnen entgegensetzen kann …

… hat dubito zusammengestellt, zum Beispiel „Corona ist weniger gefährlich als eine herkömmliche Grippe“ oder „Wir leben in einer Meinungsdiktatur“.

Bei netzpolitik.org schreibt Daniel Laufer von der Sehnsucht nach einem „Zauberwort“, mit dem man Verschwörungsgläubige wieder auf die rechte Bahn holen kann:

Aber so einfach ist es natürlich nicht.

Wer Angehörigen helfen will, muss herausfinden, warum sie Verschwörungserzählungen anhängen, was dieser Glaube ihnen bedeutet, und letztlich, was er ihnen bringt. Im Gespräch merkt man, ob es beispielsweise eine Angst vor Impfungen gibt oder ob sich jemand vor allem wichtig machen will […]

Viel lasse sich zudem mit emotionalen Anekdoten erreichen, am besten mit Bezug zu einem selbst. Schauermärchen über die angeblichen Folgen von Impfungen könnte man zum Beispiel begegnen, indem man klar macht, wie wenig man sich selbst vor diesen fürchtet, und welche gefährlichen Konsequenzen das Coronavirus für viele Menschen hatte, die daran erkrankt sind, weil es noch keinen Impfstoff gibt.

Schlussendlich geht es darum, den Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, das sie sich andernfalls im Verschwörungsglauben verschaffen. Anteilnahme beruhigt einen Menschen mehr und löst ihn eher aus seinem Gedankengut als dagegen zu reden.

Aber auch diese Strategie kann scheitern. Oft geschehe dies, wenn man anfangs zu lange gezögert habe und die Betroffenen bereits zu tief in diese Welt abgerutscht seien, so Riede.

Darauf hat auch Katharina Nocun in den vergangenen Tagen mehrfach hingewiesen, deren Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ heute erscheint (mit Pia Lamberty).

Dem rbb sagte die Netzaktivistin:

Nicht erst, wenn Menschen irgendwann bei Chemtrails und Echsenmenschen angelangt sind, sollte man eingreifen. Es hilft, Fragen zu stellen: Warum glaubst du das, wer behauptet das? Dabei sollte man sich in Diskussionen nicht im Klein-Klein verlieren, denn meist geht es um das grundlegende Narrativ: dass jemand den Medien, der Politik, der Wissenschaft als Ganzes misstraut.

Wenn jemand über „die Medien“ redet, sollte man einhaken und nachfragen: Wer sind „die Medien“? Die Bildzeitung, die taz? Ist es sinnvoll, derart unterschiedliche Akteure in einen Topf zu werfen?

Wir können auch schauen: Hat die Person finanzielle Schwierigkeiten, kriselt es in der Beziehung, im Job? Wenn man an zugrunde liegenden Problemen etwas ändert, dann ist manchmal die Verschwörungserzählung als Fluchtpunkt nicht mehr attraktiv.

Bei öffentlichen Diskussionen ist Gegenrede wichtig. Vor allem rassistische, antisemitische Verschwörungserzählungen sollte man nicht einfach so stehen lassen, schon um ein Zeichen zu setzen: Das glaubt nicht die Mehrheit.

Auch im Youtube-Kanal von Philippe Wampfler warnt Nocun (ab Minute 4:40) vor dem Impuls, es „wegzuschieben“, wenn bei einem Familientreffen Verschwörungsmythen geäußert werden:

Damit verpasst man möglicherweise den Zeitpunkt, zu dem die Leute noch erreichbar sind. Je früher man interveniert, desto besser.

Außerdem könne es eine gute Strategie sein, einfach Fragen zu stellen:

Es ist wichtig, Widerspruch zu zeigen. Im Internet oder in grossen Chatgruppen geht es dabei auch um die stillen Mitleser. Im Freundes- oder Familienumfeld ergibt es Sinn, die Person im Zwiegespräch darauf anzusprechen, in einem ruhigen und sachlichen Ton – auf gar keinen Fall herablassend.

Es kann auch eine gute Strategie sein, einfach Fragen zu stellen. Etwa: Wer steht denn hinter diesem Medium, auf das du dich beziehst? Hat diese Person eine politische Agenda? Wie finanziert sich diese Website?

Wie erklärst du dir, dass eine Million Wissenschaftler Teil dieser Verschwörung sein müssen – und kein Einziger das bisher enthüllt hat? Oder wie wahrscheinlich ist es denn, dass eine geheime globale Verschwörung von hochintelligenten Milliardären existiert, wenn das ein B-Promi auf Instagram aufdeckt?

Da lohnt es sich, an den kritischen Geist zu appellieren.

Dass das Sinn hat und funktionieren kann, zeigt dieser aktuelle Twitter-Thread:

An einem Stück kann man das Ganze auch bei Plazeboalarm nachlesen.

Update vom 7. September: „Auf dem Schlachtfeld: Umgang mit Verschwörungsgläubigen“

Zum Weiterlesen:

  • Corona-Mythen: Hilfe, Papa glaubt an die Impfverschwörung, Zeit-Online am 2. Juni 2020
  • Die Pandemie der Infantilität, telepolis am 14. Mai 2020
  • Mein Freund, der Verschwörungstheoretiker, Psiram am 14. Februar 2018
  • Wie man zum Verschwörungstheoretiker wird und zurück, Plazeboalarm am 13. Mai 2020
  • Wenn die Eltern plötzlich an Verschwörungstheorien glauben, netzpolitik.org am 13. Mai 2020
  • „Sag mal, wie wahrscheinlich ist das?“, woz am 14. Mai 2020
  • Verschwörungsmythen und Corona-Demos: Widersprechen? Zuhören? Oder auslachen? GWUP-Blog am 12. Mai 2020
  • Mein Onkel, die Verschwörungstheorien-Schleuder, derStandard am 3. Mai 2020
  • Soll ich? Oder soll ich nicht… auf die Verschwörungstheorien meines Vaters eingehen? Bayern 3 am 15. April 2020
  • Video: Wer muss sich eigentlich von Verschwörungstheorien bedroht fühlen? GWUP-Blog am 1. Januar 2020
  • Verschwörungstheorien: Wenn einem die Worte fehlen, GWUP-Blog am 20. August 2017
  • Why people believe in conspiracy theories – and how to change their minds, The Conversation am 18. August 2017
  • Wie berichten über Verschwörungserzählungen? mediendienst-integration am 13. Mai 2020
  • „Verschwörungstheorien und Impfgegnertum hingen schon vor Corona zusammen“, Spiegel-Online am 14. Mai 2020
  • “Corona ist kein Killervirus” – RND-Streitgespräch mit einem Pandemieskeptiker, rnd am 14. Mai 2020
  • Wie und warum arbeit Rubikon News? psiram am 13. Mai 2020
  • Sie spürt die Not, er sieht die Kranken, Zeit-Online am 11. Mai 2020
  • Ferngespräch: Die Pandemie des Gemunkels, salonkolumnisten am 13. Mai 2010
  • Detlef, Ken und Attila wissen Genaueres, SPON am 10. Mai 2020

6 Kommentare

  1. Verschwörungstheorien sind wohl so eine Art entgleiste Heuristik der schnellen Orientierung in der Welt. Phylogenetisch war es sicher vorteilhaft, nicht immer erst hypothesenfalsifizierend zu testen, welche Befürchtungen stimmen und welche nicht.

    Und was sich auf diese Weise einmal „bewährt“ hat, gibt man nicht wieder so gerne auf. Das funktioniert schon bei Tauben, wie Skinner einst gezeigt hatte. Bei uns Menschen kommen stabilisierend Aspekte des Sozialverhaltens dazu, z.B. dass schräge Ansichten in einer Echokammer gemeinschaftsfördernd sind und einem zugleich das Gefühl vermitteln, etwas Besonderes zu sein, also einen sozialen Ranggewinn suggerieren.

    Viel anders funktionieren andere Weltanschauungen auch nicht. Die gibt man auch nicht gleich auf, nur weil jemand kritische Einwände hat.

  2. Was passiert am 15. Mai?

    Ich sitze im Büro und arbeite. Das hätte ich aber schon am 14.5, 13.5, 12.5 und sogar 11.5 vorhersagen können.

    Man bin gut. Komm ich jetzt ins Internet? :)

  3. Diese „Müdigkeit“ ereilte mich schon vor gut einem Jahrzehnt, von der Florian berichtet. Da kannte ich noch die GWUP gar nicht. Naja… was solls. dann macht man eben im Übermüdungsmodus weiter. Irgendwie gar nichts zu tun, bringt auch nichts. Leider ist nur meine Geduld bei persönlichen Gesprächen recht schnell aufgebraucht.

  4. „Man sollte sich erst einmal ehrlich fragen: „Will ich überhaupt das Gespräch darüber suchen?“ Denn wenn ich das tue, muss ich das auch wertschätzend gestalten. Es bringt nichts loszupoltern – damit kann ich niemanden überzeugen und werde im Zweifelsfall nur noch mehr verlieren. “ das ist absolut richtig, sollte aber für alle gelten. Auch für afd Leute und diverse andere. Wenn ich dran bleiben will und sie nicht durch Dämonisierung stärken will.
    In einer Welt, in denen Menschen an religiöse Wunder, Erlösung und dergleichen hoffen und glauben, wundern mich solche „Verschwörungsvarianten“ überhaupt nicht.

  5. Pingback: Aller Anfang ist schwer - Mrs. Eluhut

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