Interessantes Interview heute in der Welt mit Prof. Peter Strohschneider, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Neben Wissenschaftsmarketing und dem Autoritätsverlust von Wissenschaft in unserer Gesellschaft geht es zum Schluss auch um die Frage:
Neigen die Menschen mehr zum Aberglauben?“
Strohschneiders Antwort:
In den Buchhandlungen werden jedenfalls die Esoterikregale immer länger. Die Menschen sind auf der Suche nach Sinnstiftung und Anleitung zur Lebensführung. Sie findet man in unserer Welt kaum ohne Wissenschaft, aber auch nicht mit ihr allein.
Es wird übrigens für die Wissenschaften eine immer massivere Herausforderung, überzeugend die Grenze zu Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft zu ziehen. Diese Frage gehört zu denjenigen, die mich am allermeisten interessieren.
Und ich muss zugeben, sie ist offen.“
So, ist sie das?
Schade, dass das Gespräch an dieser Stelle endet, denn wir hätten gerne gewusst, wie der DFG-Präsident zu dieser Einschätzung kommt.
Vor sechs Wochen hat der Geobiologe Prof. Reinhold Leinfelder hier seinen Ansatz für den Auf- und Ausbau einer Wissensgesellschaft vorgestellt.
In diesem Zusammenhang legte GWUP-Vorstand Dr. Julia Offe auch konkret dar, wie die Wissenschaft mit Esoterikern umgehen sollte, und zwar in den renommierten Helmholtz-Perspektiven.
Und zur „Grenzziehung“ zwischen „Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft“ findet man zahlreiche gute und praxistaugliche Vorschläge, etwa bei Astrodicticum simplex und bei den Skeptikern.
Ist es nicht eher so, lieber Herr Professor Strohschneider, dass Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kolleginnen an den Universitäten und in den Wissenschaftsverbänden schlicht der Mut und der Wille fehlt, öffentlich gegen „Nichtwissenschaft und Pseudowissenschaft“ Stellung zu beziehen?
Wie kann es sein, dass in Traunstein eine „Hochschule für Homöopathie“ startet, ohne dass ein Aufschrei quer durch alle echten Hochschulen und Forschungsgremien geht?
Wie kann es sein, dass …
… mit Ausnahme der kleinen und bescheidenen GWUP keine Fachgesellschaft sich mit diesen Themen beschäftigt“,
wie Prof. Martin Lambeck im aktuellen Skeptiker schreibt?
Darüber würden wir gerne mal mit Herrn Professor Strohschneider sprechen.
Zum Weiterlesen:
- Warum die Wissenschaft nicht alle Antworten hat, Welt-Online am 16. März 2014
- Wissenschaftsmarketing – nicht nur für Skeptiker, GWUP-Blog am 12. Januar 2014
- Wissenschaftsfeindlichkeit: Galileo gestern und heute, GWUP-Blog am 15. Februar 2014
- Vince Ebert zur Wissenschaftsfeindlichkeit, arprin am 14. Juli 2013
- Glaube und persönliche Erfahrung in der Wissengesellschaft, GWUP-Blog am 27. Januar 2014
- Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, Astrodicticum simplex am 16. August 2012
- GWUP-Info: Parawissenschaft – Pseudowissenschaft
- „Pseudowissenschaft“ bei Psiram
- Parawissenschaften als gesellschaftlich akzeptierte Parallelwissenschaften, GWUP-Blog am 19. Mai 2013
- Die Placebo-Republik: Parallelwissenschaften in Politik und Gesellschaft, Skeptiker 4/2013
- Was wird Ihr Studienabschluss in Zukunft noch wert sein, wenn …, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 13. März 2014
17. März 2014 um 20:07
Geisteswissenschaftler werden mich steinigen ;-)
Das ist aber das Problem, wenn man Naturgesetze einer Interpretation unterwirft, verzichtet man auf Evidenz.
Aber gerade die Fakten (Verifizierbarkeit, Falsifizierbarkeit) sind der Garant für Wissenschaft.
In den letzten Jahrhunderten hat sich die evidenzbasierende Wissenschaft durchgesetzt, die, weitest möglichst, die Interpretation in den Hintergrund stellt, und das aus gutem Grund.
Das beliebte Eso-Argument: „Das ist noch nicht wissenschaftlich erforscht“, ist ein „Todschlagargument“; wir sollten vielmehr uns auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse „reduzieren“. Aussagen über „metaphysische“ Dinge, können wir nicht tätigen. Das war auch für mich ein Argument, um nicht mehr zu glauben. In der Theologie werden viele Aussagen getroffen, die nicht durch Fakten belegt sind, die aber in der Logik des Systems „Religion“ durchaus schlüssig sind.
Das aber kann dazu verleiten, daß man dieses System annimmt. Typisch für das Aufrechterhalten dieser Systeme ist der „Zirkelschluss“; das System bestätigt sich selbst, ohne Fakten die evidenzbasierend sind zu liefern; so verhält es sich auch mMn mit der Pseudowissenschaft.
17. März 2014 um 23:33
Das ist wirklich schrecklich. Die Universitäten verkaufen ihre Redlichkeit an Stiftungsprofessuren und Pseudo-Instituten, Hauptsache Geld kommt rein. Das ist wirklich eine Beschädigung des Wissenschaftsstandortes Deutschland.
Ich glaube auch, dass sich die großen Wissenschaftsgesellschaften einfach zu Schade sind Stellung zu beziehen. Oben im Elfenbeinturm sieht der Sumpf an Esoterik und Pseudowissenschaften ja auch gar nicht so schlimm aus.
Peinlich, dass man sich nicht mehr traut klare Stellung zu beziehen wie damals die bekannte Marburger Erklärung http://de.wikipedia.org/wiki/Marburger_Erklärung_(1992)
So etwas kann ich mir heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Soviel Charakter und klare Positionierung kommt doch nicht mehr aus den Fachgesellschaften. Schande!
18. März 2014 um 14:34
Ich habe Herrn Strohschneider bis jetzt immer als einen sehr scharfsinnigen Wissenschaftler und Denker erlebt. Deshalb fände ich ein Gespräch von Skeptikern mit ihm eine hervorragende Sache.
22. März 2014 um 12:29
Ich weiss nicht, warum es für viele so schwer sein soll, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft entweder zu erkennen oder zu formulieren. Ich hatte das in den Anfängen meiner Bloggerzeit einmal mit einem nicht allzu langen Artikel versucht:
http://nesselsetzer.wordpress.com/2012/06/21/wissenschaft-vs-erfahrung-wie-funktioniert-wissenschaft/
Ich denke, dass mir damit relativ einfach gelungen ist, die Grenze zwischen Esoterik, Erfahrung und Selbsttäuschung und der evidenzbasierenden Wissenschaft auch für Laien deutlich und einfach darzustellen, vorausgesetzt, er/sie will es auch verstehen. Gegen Verblendung hilft ja bekanntlich nix…