Von Holger von Rybinski
,,Indonesier erforschen Deutsche“ lautet der Titel eines Berichts auf Spiegel-online diese Woche.
Die Autorin Anett Keller berichtet von einem Projekt, bei dem indonesische Ethnologiestudenten die Religiosität der Deutschen untersuchten. Insbesondere das in Indonesien offenbar verbreitete Klischee, Europäer seien nicht religiös und deshalb nicht moralisch, wollten die jungen Leute von der Uni Freiburg unter die Lupe nehmen.
Dabei haben die Studenten eine Reihe von Gruppierungen analysiert, die ihrer Ansicht nach in irgendeinde Form von religiöser Überzeugung vertreten.
Dazu zählten sie beispielsweise auch Veganer, die aus ethischer Überzeugung jede Art von tierischen Produkten zum Verzehr ablehnen, also auch Milch, weil sie deren Produktion für Tierquälerei halten, und sogar die Jugendorganisation der Grünen:
Nach vier Wochen Forschung können die indonesischen Gäste das Vorurteil der Areligiosität der Deutschen nicht bestätigen. So fand Fitria, dass die Veganer durchaus missionarische Züge trugen und dass der Schutz der Umwelt für sie quasi-religiösen Charakter annimmt. Inda Marlina ging es bei ihrem Forschungsgegenstand, der Jugendorganisation der Partei die Grünen, ganz ähnlich. Der konsequente Umweltschutz und der Enthusiasmus der jungen Aktivisten sei beeindruckend. ,Für sie ist es eine Art Religion. Sie wollen damit die Welt verändern,‘ sagt sie.“
Am Ende äußert sich eine der Studienteilnehmerinnen wie folgt:
Vielleicht sind die Deutschen doch weniger rational, als ich dachte. Die glauben sogar, dass Hunde eine Seele und Gefühle haben.“
Nicht nur das. Eigentlich sind wir bei dieser Betrachtung noch gut weggekommen. Was, wenn die angehenden Ethnologen sich mehr Zeit genommen und noch genauer hingeschaut hätten? Was hätten sie dann erst zu Tage gefördert?
Zum Beispiel dieses:
Lehrkräfte, die mittels dubioser Bewegungsübungen Energieblockaden beseitigen wollen (Edu-Kinestetik), Tageszeitungen und Lifestylezeitschrifen, die Horoskope präsentieren, Menschen, die Wünschelrutengeher beauftragen, um störende Wasseradern aufzuspüren, Ernährungsberater, die Diäten empfehlen, mit denen man den Körper angeblich entschlacken und entgiften kann.
Haus- und Kinderärzte, die glauben, man könnte die ,,geistartige Information“ von Wirkstoffen in Flüssigkeiten oder Zuckerkügelchen bis zum Nichtmehrvorhandensein mittels Verschütteln oder Verreiben ,,potenzieren“ und daraus wirksame Medikamente basteln, Neo-Hexen, die angeblich uralte überlieferte magische Praktiken betreiben, Ex-Staatssekretäre und Minister, die glauben, die Amerikaner hätten die Anschläge auf das World Trade Center selbst angezettelt.
Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen schicken, wo ihnen beigebracht wird, dass es verschiedene ,,Wesenglieder“ der Seele gibt und Krankheiten von schlechtem Karma herrühren (Waldorf-Pädagogik), promovierte Psychologen und Physiker, die (mit Steuergeldern bezuschusste) sog. parapsychologische Beratungsstellen betreiben und davon schwadronieren, dass es Psychokinese gibt, und so weiter, und so fort.
Nein, ein indischer, indonesischer, chinesischer, afrikanischer Student, der unvoreingenommen mit wachen Augen das ,,Volk der Dichter und Denker“ beobachtete, er müsste kopschüttelnd zu dem einen Schluss kommen: Die Deutschen, die sind wirklich unverbesserlich abergläubisch!
19. November 2011 um 19:13
Klar doch – „In China essen sie Hunde“. Was mich angeht, ich glaube nicht, dass Hunde Gefühle haben, ich weiß es.
19. November 2011 um 21:32
Es wird Zeit, dass ich mir ein Flattr-Abo einrichte. Dann kann ich u.a. auf dieser Seite endlich mal klicken :).
19. November 2011 um 22:12
Also wirklich, dass Hunde als hochentwickelte Säuger Gefühle haben, sollte wohl kein Diskussionspunkt sein, oder hab ich da eine Neudefinition des Terms „Gefühle“ verschlafen?
Ganz allgemein lässt das was ihr über die Studie schreibt schon hellhörig werden, gerade ihre Definition von Religiösität…
19. November 2011 um 22:46
„Hunderte Millionen Menschen benutzen den elektrischen Strom, ohne aufzuhören, an die magische Kraft von Gesten und Beschwörungen zu glauben. Der römische Papst predigt durchs Radio vom Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein. Kinostars laufen zur Wahrsagerin. Flugzeugführer, die wunderbare, vom Genie des Menschen erschaffene Mechanismen lenken, tragen unter dem Sweater Amulette. Was für unerschöpfliche Vorräte an Finsternis, Unwissenheit, Wildheit!“
aus Leo Trotzki – Porträt des Nationalsozialismus (1933)
20. November 2011 um 11:57
Hallo Holger,
Was ich an dem Spiegel-Artikel interessant fand:
Irgendwie ist Ethnologie auch immer ein Spiel mit den eigenen Vorurteilen Fremden gegenüber.
Auch die Indonesier haben ihre Vorurteile im Gepäck: Europäer wären unmoralisch, weil unreligiös? … da würde ich als Atheist aber mal heftig widersprechen.
LG, bis bald.
20. November 2011 um 18:13
Milchproduktion sollte man durchaus rational und vor allem skeptisch betrachten.
21. November 2011 um 11:05
@Veganer:
Thema verfehlt.
25. November 2011 um 15:52
Aussagen zu tätigen wie „die glauben sogar, dass“ scheint mir aber wenig wissenschaftlich fundiert, egal welche Nationalität der Befragte hat.
25. November 2011 um 16:16
Missionarische Züge der Veganer?
Dann ist der Atomausstieg auch eine Religion!?
Und zu jemseneier’s Anmerkung
„Auch die Indonesier haben ihre Vorurteile im Gepäck: Europäer wären unmoralisch, weil unreligiös? … da würde ich als Atheist aber mal heftig widersprechen.“
Ich als Atheist kann da nur zustimmen.
Ich bin unmoralisch, da ich mich vor keiner jenseitigen Strafe fürchte.
Jedoch gibt es auch noch die Ethik.
Das ist aber auch alles eine Frage der Definition.
14. Dezember 2011 um 12:04
Mit dem Hinweis auf die Veganer stimme ich auch nicht überein – sicher, es gibt dort (wie andernorts auch) esoterische Tendenzen. Aber wenn die Lage so ist, dass die Haltung von Tieren zur Erzeugung von Nahrungsmitteln über 40% des CO2-Ausstoßes weltweit bewirkt und von den Nahrungsmittel, die für ein Schnitzel oder Steak verfüttert werden, viele Hungernde ernährt werden könnten, dann frage ich mich, wo ich bei einer bewussten Entscheidung zur veganen Ernährung „religiös“ handle.
Vegane Ernährung ist sinnvoll, sie ist nur nicht leicht und geht uns allen ein wenig an den gewohnten Lebensluxus – ja, aber die Entscheidung zu dieser Ernährungsweise kommt bei vielen Menschen durchaus gerade aus der aufgeklärten Denkweise.
Mit Artikeln wie diesen erschweren sie es leider, dass Menschen, die einen verantwortungsvollen Lebensstil pflegen, ernst genommen werden. Verantwortungsvolles Handlen ist eben nicht religiös und ich würde mir wünschen, dass Sie auch darüber in der sonst üblichen, von mir so gern gesehenen, aufgeklärten Weise berichten.
Herzlichen Dank
Georg Mayer
14. Dezember 2011 um 15:28
@Georg Mayer
Sie dreschen einen Strohmann. Der Artikel zitiert lediglich die Kriterien der indonesischen Studenten. Wo die Berichterstattung da nicht aufgeklärt sein soll, erschließt sich mir nicht.
30. November 2013 um 19:23
Als ehemaliger Skeptiker empfehle ich mal die Lektüre von R. W. Emerson. Sehr befreiend, wie ich denke, von diesem ganzen Klein-Klein :-)
1. Dezember 2013 um 13:34
@ Philosophin
„Ehemaliger Skeptiker“?
Von Leichtgläubigen, die zu Skeptikern wurden, hörte ich schon öfter.
Aber umgekehrt?
Hm, für mich nicht nachvollziehbar;-)
Im Ernst:
Gehe mal davon aus, dass Sie meinten, als ehemaliges Skeptiker-Mitglied…