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Richard Gutjahr wirft dem BR fehlende Unterstützung gegen Verschwörungstheoretiker vor – und verlässt den Sender

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Wow – pikant:

Der Journalist Richard Gutjahr hat am Silvestertag einen Brief an den Intendanten des Bayerischen Rundfunks veröffentlicht, in dem er erklärt, die Sendeanstalt zu verlassen und diese Entscheidung ausführlich begründet.

Zur Erinnerung:

Gutjahr war im Juli 2016 als Augenzeuge des LKW-Terroranschlags in Nizza und des rechtsradikalen Anschlags in München ins Visier von „Verschwörungstheoretikern, Neonazis und Reichsbürgern“ geraten, die …

… meine Familie bis zum heutigen Tag terrorisieren.

Wir berichteten hier („Unter Beschuss: Wie es ist, von Verschwörungstheoretikern und Hatern bedroht zu werden“), hier (“ Video: Nach Nizza und München – Anatomie eines konspirologischen Shit-Tsunamis“) und hier („Vortragsvideo: Leben mit Verschwörungstheorien – Überlasst die Welt nicht den Idioten, sagt Richard Gutjahr“) darüber.

Gutjahr wirft dem BR-Intendanten Ulrich Wilhelm nicht nur vor, ihn juristisch, finanziell und menschlich im Stich gelassen zu haben, sondern auch Unwahrheiten über die Angelegenheit zu verbreiten:

Vor drei Jahren hatte ich mich in einem persönlichen Brief an Sie gewandt. Ich hatte versucht, Ihnen die Situation begreiflich zu machen, in der sich meine Familie und ich befinden.

Sie hätten uns helfen können, hätten sich aktiv und für alle Welt sichtbar vor Ihren Mitarbeiter stellen können. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, zugleich Vorsitzender der ARD – was für ein Zeichen wäre das gewesen!

Stattdessen haben Sie weggeschaut – und das obwohl Sie als einer der Wenigen schon frühzeitig über alle Details, insbesondere über die antisemitischen Motive unserer Angreifer, bestens informiert waren.

Zusätzliche Brisanz gewinnt dieser außergewöhnliche Vorgang durch den Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Derzeit kritisieren Journalistenverbände (zum Beispiel DJV, ver.di und Freischreiber), einzelne Kolleginnen und Kollegen sowie Politiker massiv den WDR-Intendanten Tom Buhrow (seit heute auch ARD-Vorsitzender), der sich für den „Umweltsau“-Song zur Klimapolitik entschuldigt und das Satire-Video gelöscht hat. Buhrow wird fehlende Haltung und Rückgratlosigkeit vorgeworfen.

Wegen eines „sarkastischen“ (taz) Twitter-Tweets in dieser Angelegenheit erreichten einen freien Mitarbeiter der „Aktuellen Stunde“ des WDR Gewalt- und Todesdrohungen. Auch andere Journalisten des Senders werden wegen des „Umweltsau“-Videos beleidigt und bedroht.

Buhrow hat mittlerweile angekündigt, „mit allen juristischen Mitteln dagegen vorzugehen“ und den betroffenen Mitarbeitern sogar Personenschutz angeboten:

In unserem Land ist etwas richtig krank, und wir haben alle dazu beizutragen, dass sich das ändert.

Internetexperten gehen davon aus, dass die Empörungswelle gezielt von rechten Netzwerken orchestriert wird – was uns wieder zu Richard Gutjahr bringt, der seinen offenen Brief so beschließt:

Was wir in disruptiven Zeiten wie diesen brauchen, ist kein öffentlich-rechtliches Google oder Facebook, sondern vor allem Führungskräfte mit Rückgrat, Herz und moralischem Kompass. Führungskräfte, die nicht nur auf Medienkongressen und in Interviews über Werte und Verantwortung reden, sondern diese Tag für Tag vorleben.

Update: Der BR hat mittlerweile Gutjahrs Vorwürfe „strikt zurückgewiesen“. Zu dem Twitter-Thread geht es hier.

Zum Weiterlesen:

  • In eigener Sache, gutjahr.biz am 31. Dezember 2019
  • Richard Gutjahr verlässt den BR – und macht Intendanten schwere Vorwürfe, redaktionsnetzwerk deutschland am 31. Dezember 2019
  • Hass-Stürme im Netz: Solidarität muss bedingungslos sein, SPON am 31. Dezember 2019
  • Shitstorm von rechts: So entstand die Empörungswelle zum „Umweltsau“-Video, redaktionsnetzwerk deutschland am 30. Dezember 2019
  • „Umweltsau“-Skandalisierung: Die Empörungsmaschine läuft heiß, SPON am 30. Dezember 2019
  • Journalistenverband fordert vom WDR Rückendeckung für freie Mitarbeiter, tagesspiegel am 30. Dezember 2019
  • Vortragsvideo: Leben mit Verschwörungstheorien – „Überlasst die Welt nicht den Idioten“, sagt Richard Gutjahr, GWUP-Blog am 1. November 2018
  • Im Visier von Reichsbürgern, Impfgegnern und anderen Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 19. Februar 2019
  • Video: So funktioniert der Infokrieg im Internet, GWUP-Blog am 1. Januar 2020

13 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Hinweis auf dieses wichtige Thema!

    Zur rechten (genauer: rechtsextremen) Mobilisierung gegen den WDR, bzw gegen den gesamten öffentlich rechtlichen Rundfunk:

    Die Spontandemo vor dem ‚WDR“-Gebäude in Köln wurde praktisch ausschließlich von ortbekannten Neo-Nazis (wie der Düsseldorfer „Bruderschaft Deutschland“, die auch die Demo-Ordner stellten), Antisemiten und völkischen Anti-Feministinnen (wie dem Frauenbündnis Kandel“ organisiert.

    Die Themen der Rednerinnen betrafen das übliche rechtsextreme (Wahn)Spektrum, das hier auch Dauerthema ist:

    Neben: Ausländer, „die Kindergeld abzocken“, „islamisierung“, „Linke, bzw „Antifa-Propaganda“ beim WDR (und beim Öffentlich rechtlichen Rundfunk überhaupt, vor allem: „Indoktrinierung im öffentlichen Schulsystem“, „Impfzwang“, „Unterdrückung alternativer Medizin“, („dadurch tausende Krebs-toter“) „Klima-Hysterie“.

    (Ich hab‘ mir heute , während einer Wachbereischaft, wg (Böllerei und so) Eigen-dokumentationen der „Nicht-Rechten“ auf YT der Demo angetan)

  2. BR-Eklat: Bekannter Moderator erhebt schwere Vorwürfe – und verlässt den Sender

    https://www.merkur.de/bayern/br-bayerischer-rundfunk-richard-gutjahr-ulrich-wilhelm-zr-13412043.html

  3. Der Journalist Richard Gutjahr wird seit drei Jahren im Netz diffamiert und bedroht. In seinem Abschiedsbrief an den BR prangert er nun die Untätigkeit des Senders an – der weist die Vorwürfe zurück.

    https://www.spiegel.de/netzwelt/web/richard-gutjahrs-offener-brief-an-den-br-mit-dem-hass-allein-gelassen-a-1303270.html

  4. @crazyfrog:

    Der BR spricht von einem „Aufhebungsvertrag“ – ich habe die Passage mit der „Kündigung“ entsprechend angepasst.

  5. Hätte der WDR-Intendant und neue ARD-Vorsitzende Tom Buhrow nicht einfach still bei seinem Vater am Krankenbett sitzen können, statt sich dem Mob zu ergeben und öffentlich zu entschuldigen, wo es nix zu entschuldigen gibt?

    https://meedia.de/2019/12/30/kommentar-oma-umweltsau-vom-shitstorm-zur-staatsaffaere/

  6. @Alexander W.:

    Ist schwierig. Auch Mitarbeiter kritisieren Buhrows Haltung weiter, während er sich auf „Senioren“ und „Enkel“ beruft.

  7. In einem offenen Brief wird WDR-Intendant Tom Buhrow wegen seiner Entschuldigung für den „Umweltsau“-Satiresong kritisiert. Er sei in eine Falle rechter Trolle getappt und habe seine Mitarbeiter alleingelassen.

    https://www.spiegel.de/kultur/tv/tom-buhrow-und-das-umweltsau-lied-kritik-von-tv-autoren-a-1303783.html

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