Schlechte Karten für die Kunden von „Wahrsagern“ und „Hellsehern“. Obwohl deren Dienstleistung „objektiv unmöglich“ ist, können sie dafür grundsätzlich Geld verlangen. Das entschied heute der Bundesgerichtshof in Karlsruhe:
Ein Kunde muss für magische Leistungen zahlen, wenn er diese im Bewusstsein darüber erkaufte, dass die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist, sich also irrationalen Verhaltens bewusst ist, hieß es in dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil.“
Positiv ist indes:
Honorarverträge von Wahrsagern und Kartenlegern können nach Ansicht des BGH jedoch sittenwidrig und nichtig sein, wenn sie mit Kunden in „schwierigen Lebenssituationen“ oder psychisch labilen oder leichtgläubigen, unerfahrenen Menschen abgeschlossen wurden.“
Wir baten den Hamburger Juristen Dr. Jan-Peter Ewert um einen Kommentar zu dem „Wahrsager-Urteil“:
In einer heute veröffentlichten Entscheidung erweiterte der BGH deutlich die Rechte von Hellsehern und anderen Anbietern übersinnlicher Dienstleistungen, ihr Honorar einzuklagen.
Was war geschehen?
Ein Mittvierziger stürzte aus Beziehungsproblemen in eine Lebenskrise und fand vermeintliche Hilfe bei einer Kartenlegerin. Diese half ihm anfangs noch unentgeltlich, in der Folge bauten sich aber Rechnungen von mehr als EUR 35.000 auf, die der Mann stets zahlte. Erst nach einem knappen Jahr an der Angel der Kartenleserin entschied sich der Mann, zu einer Sektenberatungsstelle zu gehen. Von dieser unterstützt, verweigerte der Mann die Zahlung der letzten Rechnung über EUR 6.723,50. Die Kartenleserin klagte.
Land- und Oberlandesgericht Stuttgart wiesen die Klage zurück (Kommentar dazu hier). Diese Entscheidungen konnten nicht überraschen, denn es war bislang gängige Entscheidungspraxis, dass übersinnliche Dienstleistungen auf eine im Rechtssinne unmögliche Leistung gerichtet sind. Für unmögliche Leistungen ist aber auch keine Bezahlung geschuldet (§ 326 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 275 Abs. 1 BGB).So entschied z.B. das Landgericht München I im Jahre 2006, dass der Lohn für einen missglückten Liebeszauber zurückgezahlt werden müsse (Az. 30 S 10495/06), ähnlich entschied 1997 das AG Grevenbroich gegen eine Magierin, die offenbar die Partnerschaftsprobleme ihres Kunden ebenfalls nur unbefriedigend behandelt hatte.
Der BGH legt mit seinem heutigen Urteil neue Maßstäbe an. Er geht davon aus, dass viele Menschen wissen, dass die von Ihnen in Anspruch genommenen „Dienstleistungen“ nicht mit den Naturgesetzen zu vereinbaren sind. Gehen sie dennoch freiwillig einen solchen Vertrag ein, müssen sie auch die Zeche dafür bezahlen. Eine Ausnahme gilt nur noch für Fälle, in denen die Ausbeutung des Kunden als sittenwidrig anzusehen ist. Um das herauszufinden, verwies der BGH die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das OLG zurück.
Das heutige Urteil birgt die Gefahr, Tür und Tor für Klagen von Kurpfuschern jeglicher Couleur zu öffnen. Musste in der Vergangenheit der Kunde nur darlegen, dass die vereinbarte Leistung den Naturgesetzen widerspricht, um aus dem Zahlungsanspruch herauszukommen, muss er nunmehr belegen, dass er sich in einer Notlage befand, die ausgebeutet wurde. Der BGH weist in seiner heutigen Entscheidung selbst darauf hin, dass sich viele Personen, die derartige Verträge schließen, in einer schwierigen Lebenssituation befinden oder es sich bei ihnen um leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Menschen handelt. Der Senat stellt insofern fest, dass in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB gestellt werden dürfen.
Schwieriger wird die Lage für Opfer von Quacksalbern damit aber allemal.“
Dass die obersten deutschen Richter ein typisches Sowohl-als-auch-Urteil gefällt haben, wird auch in den Presse-Schlagzeilen deutlich, die von „Herber Schlag für Wahrsager“ bis hin zu „Wahrsagen darf kostenpflichtig sein“ reichen. Nun muss also das Landgericht Stuttgart dem BGH-Urteil zufolge prüfen, ob die Kartenlegerin die Zwangslage und das mangelnde Urteilsvermögen ihres Kunden ausgebeutet und damit gegen „die guten Sitten“ verstoßen hat.
Zum Weiterlesen:
- BGH-Urteil zum Kartenlegen schlägt Wellen, Wahrsagerchecks Blog am 14. Januar 2011
- Wahrsager-Urteil des BGH: Preis des Übersinnlichen, Spiegel-Online am 13. Januar 2011
- Wahrsagern und Kartenlegern wird das Geschäft erschwert, Focus-Online am 13. Januar 2011
- Schwarze Magie an deutschen Gerichten, Focus-Online am 13. Januar 2011
- Magie und Recht, Gemischte Gedanken-Blog am 13. Januar 2011
- Magie ist nicht unmöglich – aber sittenwidrig, FAZ am 13. Januar 2011
13. Januar 2011 um 20:53
Honorarverträge von Wahrsagern und Kartenlegern können nach Ansicht des BGH jedoch sittenwidrig und nichtig sein, wenn sie mit … leichtgläubigen, unerfahrenen Menschen abgeschlossen wurden.”
Ist es nicht ein hinreichender Beleg für Leichtgläubigkeit, wenn man zu einem Wahrsager geht und auch noch Geld dafür bezahlt?
13. Januar 2011 um 21:38
Schwieriges Thema, ich denke, dass der „schön-dass-wir-mal-über-mein-Leben-gesprochen-haben-Aspekt“ im Rahmen einer Astrologie oder Wahrsager-Dienstleistung durchaus bezahlt werden könnte, dann besteht die Leistung aber im Sprechen und Tipps geben und nicht in dem wirklichen Schauen in die Zukunft. Ich vermute, dass das ein Problem sein könnte. Es gibt ja noch Vertragsfreiheit bei uns und wenn zwei einen Vertrag darüber machen, dass es A gern mal wissen würde, ob sie sich von ihrem prügelnden Partner B trennen sollte, dann könnte Wahrsager C ja in die Kugel schauen und sagen: „Ja“. okay, hat 1 h gedauert und macht 120 EUR.
Interessant auch dieser Beitrag zum aktuellen Urteil: http://gemischte-gedanken.blogspot.com/2011/01/magie-und-recht.html?spref=fb
13. Januar 2011 um 22:07
Ich bin mit Herrn Dr. Ewert einer Meinung, dass man sich im Sinne des Verbraucherschutzes ein anderes Urteil gewünscht hätte. Allerdings meine ich, dass man nicht nur mit der – in den krassen Fällen wohl häufig zu bejahenden – Ausbeutung einer Zwangslage argumentieren kann, sondern als Geschädigter auch die Prämisse des BGH in Frage stellen kann, dass man nämlich letztlich gewusst hat, dass man sich auf ein tatsächlich unmögliches Unterfangen eingelassen hat. Das dürfte bei den wenigsten Wahsagekunden der Fall sein.
Nur nebenbei: Das Urteil ist noch nicht veröffentlicht, bislang gibt es nur eine kurze Pressemitteilung des BGH, für ein abschließendes Urteil ist es daher noch zu früh.
13. Januar 2011 um 22:31
Sogar die BILD berichtet kritisch gegen Wahrsager, was denn da los ;-)
http://www.bild.de/BILD/ratgeber/ratgeber/2011/01/13/wahrsager-bgh-urteil/kartenlegen-lebensberatung-das-muessen-sie-wissen.html
14. Januar 2011 um 00:30
Das würde bedeuten, dass ein Scharlatan (Homöopath, Kartenleger, Akupukteur, etc,) vorsorglich in seinen Geschäftsbedingungen auf die Unmöglichkeit der Leistung hinweisen sollte, damit sich der Kunde später nicht auf seine Unwissenheit und seinen Glauben an die Wirksamkeit der Methode berufen kann um die Bezahlung so zu vermeiden.
14. Januar 2011 um 00:40
soweit ich das verstehe, finde ich es nicht so schlecht…
Kurzgesagt klingt es ja danach, als würden ausbeuterische Fälle geahndet werden können, nicht aber jene Fälle, über die ich mich ohnehin kapitaldarwinistisch mit einem Nelson Muntz’schen „Haaa Haa“ bedanke, wenn ich sie in der Zeitung lese.
Krasses Gegenbeispiel: wäre es ethischer, könnten Börsenspekulanten, welche sich auf Astrologen berufen, ihre Vertrauensdummheit an die „Berater“ abwälzen?
14. Januar 2011 um 07:59
Wie wäre es einfach mit einer vertraglich festgelegten Zahlung nach erfolgter Hilfe, eintreten der Vorhersage oder was auch immer dem Kunden da versprochen worden ist? Dann wäre der Käs´ für die meisten Anbieter einer solchen „Dienstleistung“ wahrscheinlich gesse. ;)
14. Januar 2011 um 10:52
Eine leider sehr schwammige und vielseitig auslegbare Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Weshalb werden eigentlich die allzu gutgläubigen, uninformierten Menschen (davon gibt es leider viel zuviele!) nicht generell vor diesen esoterischen, betrügerischen Abzockern durch eine eindeutige gesetzliche Regelung geschützt ? Nur ein striktes Verbot für esoterische Dienstleistungen, die mit unlauteren Versprechen erschlichen werden, schützt die Menschen vor diesen offensichtlichen Betrügereien.
Im Jahre 2003 war es ausgerechnet die bayerische CSU, die im Bundestag einen Gesetzesentwurf zur Regelung des Psychomarktes einbrachte. Dieser unter dem Begriff „Lebensbewältigungshilfegesetz“ bekannt gewordene Gesetzesentwurf fand jedoch in der damaligen rot-grünen Koalitionsregierung unter Gerhard Schröder keine Zustimmung. Einmal mehr war es die Alles-Verweigerer-Partei DIE GRÜNEN, die diesem Entwurf die Zustimmung versagte. (Übrigens: Die Grüne Renate Künast ist auch eine Verfechterin alternativer Medizin wie die Homöopathie.)
Nachzulesen unter http://www.AGPF.de – Stichworte „Psychomarkt und Lebensbewältigungshilfegesetz“.
Wie mir der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete, Dr. Stefan Kaufmann, auf Anfrage mitteilte, ist derzeit keine neue Initiative für ein solches Gesetz geplant.
Während Maßnahmen zum Verbraucher- und Konsumentenschutz für Lebensmittel längst selbstverständlich sind, bestehen für den Esoterikmarkt kaum, bzw. nur ungenügende Schutzvorschriften. Ein Verbot, wie es z.B. für Drogen besteht, existiert für die Droge „Esoterik“ leider nicht.
Fakt ist, dass z.B. die als harmlos bewertete Esoterikdisziplin „Astrologie“ (nachweislich eine Pseudowissenschaft) für labile Gemüter die Funktion einer Einstiegsdroge in weitere, abstruse Esoterikdisziplinen hat. Die dabei entstehenden psychischen Schäden werden von der Politik und der Öffentlichkeit weitgehend verharmlost und ignoriert.
14. Januar 2011 um 11:36
Sollte man Verträge mit Wahrsagern, Kartenlegern und Konsorten nicht einfach dem Werkvertragsrecht zuordnen? Die Freundin kommt zurück, dann gibts Geld, bleibt sie weg gibts auch keine Bezahlung.
14. Januar 2011 um 13:47
Die bestehenden Aufklärungspflichten sind völlig ausreichend, um zu zufriedenstellenden Rechtsergebnissen zu gelangen. .- s.“Astrologie und Recht“ (Juristische Dissertation 2010)
Volker H. Schendel
14. Januar 2011 um 14:45
@Herr Schendel: Es war sicher viel Arbeit, nahezu sämtliche aktuellen Medienberichte zum BGH-Urteil mit dieser Ihrer Eigenwerbung zu versehen, nicht wahr? Das erinnert mich fast ein wenig an das übliche Astro-Marketing – und siehe da, schon finden sich entsprechende Hinweise, von Ihnen selbst verfasst und präsentiert bei amazon:
<<Der Titel der Dissertation , zu dem dieses Buch die Anlagen enthält, lautet: "Die Astrologische Beratung – eine Herausforderung für das Recht".
Hintergrund der Notwendigkeit eines Anlagenbandes ist, daß die Abgrenzung zwischen Vulgärastrologie (Zeitungshoroskope, Astro – TV – Shows und manche Astro – Hotlines) und seriöser Astrologie zwar wichtig ist, aber in der Dissertation (die noch nicht fertiggestellt ist) zuviel Platz beansprucht hätte. <<
Dass die Unterscheidung zwischen "seriöser" und "unseriöser" Astrologie vollkommen unsinnig ist, hätte nur einige wenige Sätze in Ihrer Arbeit beansprucht, etwa in diesem Sinne:
https://blog.gwup.net/2011/01/03/seriose-und-unseriose-astrologie/
<<Die Darstellung der seriösen Astrologie wurde daher anhand der Texte von Dr. Peter Niehenke mit dessen freundlicher Genehmigung im Anlagenband vorgenommen. <<
Ah ja, in einer "wissenschaftlichen" Arbeit zur Astrologie darf ein hoher Funktionär des dt. Astrologenverbands die "seriöse" Astrologie nach Gutdünken darstellen? Falls Sie mal eine Arbeit über die Schädlichkeit des Rauchens verfassen möchten, empfehle ich als Gutachter Dr. Marlboro.
<<Auch die Darstellung der fast kriminellen Machenschaften amerikanischer Wissenschaftler zur Diskreditierung der Astrologie konnte nur im Anlagenband stattfinden.<<
Ah, von daher weht der Wind … Ich komme zu der Annahme, dass Ihre angebliche "Dissertation" eine Art Rechtfertigungs- und Werbeschrift für die Astrologie ist, oder können Sie diesen Eindruck irgendwie zerstreuen?
14. Januar 2011 um 19:47
Die Ansicht des BGH finde ich OK.
Es ist doch nicht sinnvoll, dass sich nur die anderen damit beschäftigen, dass ich nicht betrogen werde. Wenn mein Selbsterhaltungstrieb nicht einmal mehr ausreicht, mich von einem Astrologen fernzuhalten und mir das Geld dabei so wenig wehtut, dass ich 35.000 Euro zum Fenster hinauswerfe, dann verdiene ich es nicht besser.
Ich sehe das die Meinung des BGH als Aufforderung, den eigenen Verstand gelegentlich auch zu benutzen.
15. Januar 2011 um 00:33
@Ranolf
Klar, der BGH geht von einem „mündigen Bürger“ aus, und das muss er auch. Deswegen hat mich das „Urteil“ nicht besonders gewundert. Sehr schön ist, dass folgender Satz in der BGH-Pressemeldung steht:
Daher dürfen in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB gestellt werden.
Meien Meinung: Wer den Schwachsinn als solchen nichterkennt ist offenbar so stark „geistig geschwächt“, dass er sich auf §138 BGB berufen kann … … da hilft übrigens auch keine Ausrede des Anbieters, wie ein Urteil zum Thema Heilsteine nahe legt (http://wahrsagercheck.wordpress.com/2009/04/03/werbung-fur-heilsteine-unzulassig/).
17. Januar 2011 um 05:28
Ich denke, dass der BGH sich nicht so „recht“ im Klaren wahr, welch Urteil hier zu fällen sei und sich hierfür bei „seriösen…“ Ratschlag holte, welchen er dann verkündete. Wenn ich so in meinen Kristallspiegel schaue, könnte man bei so einem Gesetz auch die Strafunmündigkeit von unter 14Jährigen abschaffen.
17. Januar 2011 um 16:15
Ich finde das Urteil des BGH gut. Jeder Mensch hat das Recht zu glauben was er möchte. Hier einzuschränken, woran man glauben darf ist undenkbar und viel zu nahe an der Denkweise derjenigen, die Galileo einsperren wollten.
Wichtig ist es, die Schwachen zu beschützen, aber darüber hinaus, muss jeder selbst entscheiden, ob er für solchen Blödsinn sein Geld zum Fenster hinauswerfen möchte oder nicht.
7. April 2011 um 11:25
Bitte das fertigzudenken. Wer den Bürger wirksam vor Leichtgläubigkeit schützen möchte, verbiete bitte gleich alle Religionen mit. Man zeige mir bitte die scharfe Trennlinie zwischen Glauben und Aberglauben!
7. April 2011 um 11:32
@Enrice: Im besagten Fall geht es weniger um „Leichtgläubigkeit“, sondern um eine konkrete Behauptung des Anbieters („Ich kann dieses und jenes für Sie bewirken“) plus einer konkreten Schädigung („Das kostet Sie XXXX Euro“) des Kunden.
Vor Leichtgläubigkeit kann man niemanden „schützen“ – sondern nur darauf hinwirken, dass Scharlatane diese Leichtgläubigkeit nicht über Gebühr ausnutzen können.
24. März 2016 um 18:56
Neuer Artikel zu dem alten Urteil:
http://www.advopedia.de/news/aktuell/wahrsager-und-kartenleger-keine-vertraege-mit-labilen