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Hunde essende Migranten, Blut trinkende Eliten und die Debatte um rituellen Missbrauch

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In Springfield essen sie die Hunde, die Leute, die hierhergekommen sind, sie essen die Katzen. Sie essen die Haustiere der Menschen, die dort leben.

Dass Donald Trump an dieser Stelle im TV-Duell mit Kamala Harris (wie später auch sein Vizepräsidentschaftskandidat JD Vance bei X) Fake News verbreitete, lässt sich bis zu einem Buch des amerikanischen Erzählforschers Jan Harold Brunvand aus den 1980ern zurückverfolgen:

So weit, so „absurd“, wie Mimikama schreibt – aber fast noch harmlos gegen den Auftritt der Komikerin Roseanne Barr am Mittwoch bei einem Interview mit dem ehemaligen Fox News-Moderator Tucker Carlson in Fort Worth:

They eat babies. That is not bullshit. That’s true,

brach es aus der 71-Jährigen heraus.

It’s not just the dogs and the cats. There are full on vampires, and everybody still thinks I’m crazy. But I’m not crazy. They’re full on vampires. They love the taste of human flesh, and they drink human blood. They do, Tucker.

Wer „sie“ sind, blieb wie immer vage – vermutlich „die Eliten“ vom ominösen Deep State, den Trump angeblich bekämpft.

Das Gleiche hatte sie bereits im April bei einer Spendenaktion der Trump-Unterstützerin Kari Lake von sich gegeben.

1991 erzählte Barr dem People-Magazine, dass sie während einer Therapie „verdrängte Erinnerungen“ an sexuellen Missbrauch in ihrer Familie wiedererlangt hätte. 2018 rückte sie davon ab, indem sie in einer Fernsehshow auf die Frage „Now you don’t think you were sexually abused?“ antwortete:

Well, I think psychologically. Everybody in my whole family is messed up.

Bei ihrem öffentlichen Bekenntnis 1991 in einer Presbyterianerkirche in Denver sei sie „mehr als 20-mal von Applaus unterbrochen“ worden, schrieb People damals. Der Skeptical Inquirer warnte dagegen schon 1993:

Roseanne Barr recently learned for the first time, while in therapy, that she had been repeatedly molested by her parents, starting when she was three months old! Barr’s parents and sisters deny it and have threatened legal action. […]

The point is not to deny that hideous sexual abuse of children occurs, but that, when it does, it is not forgotten and only “remembered” decades later under hypnosis.

Warum Roseanne Barr heute von Babys fantasiert, deren Blut getrunken wird, wissen wir nicht. Der Fall zeigt aber, wie wichtig aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtungen sind, worauf wir gestern bei unserem Update zum „Horror-Prozess“ von Braunschweig hingewiesen haben.

Wie wenig sich indes die einschlägig bekannte Rituelle Gewalt-Mind Control-Szene (RG-MC) darum schert, erlebte der evangelische Weltanschauungsbeauftragte Andreas Oelze (Stuttgart) bei der Online-Fortbildung „Rituelle sexuelle Gewalt, auch mit satanischem Hintergrund“ der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT):

An einem Abend sei sie vom „Hohepriester“ der Gruppe in den Wald geführt und dort lebendig begraben worden. Zurück im Keller habe er sie, ihre Hand mit einem Messer leitend, dazu gezwungen, auf die übrigen Kinder einzustechen und sie umzubringen. Sie selbst habe nach Aussage des „Hohepriesters“ nur deswegen überlebt, weil ihr Geburtstag auf einem satanischen Feiertag liege.

Einige Tage später habe in der Kapelle der [heute nicht mehr bestehenden Lungen-] Klinik eine Trauerandacht mit sechs Kindersärgen stattgefunden. Zurück im Kinderheim habe sie immer wieder Albträume von in schwarzen Kutten gekleideten Männern und von der Trauerfeier gehabt.

Indessen habe sie an all diese Geschehnisse zunächst keine aktive Erinnerung mehr gehabt. Erst mit der Geburt ihrer eigenen Tochter seien die Erinnerungen wieder ausgelöst worden.

Solche Schilderungen einer „Erfahrungsexpertin“ nimmt man einfach gläubig hin:

Fragen zur Existenz solcher Gruppen […] oder zum Fehlen kriminologischer Belege wurden nicht ernsthaft aufgenommen,

schreibt Oelzen in der Zeitschrift für Religion und Weltanschauung (4/2024).

Auch Falschbehauptungen waren zu hören, zum Beispiel:

Es gibt keine „False-Memory-Bewegung“, sondern Gedächtnisforschung als akademisches Feld, die sich natürlich nicht nur mit „ritueller Gewalt“ beschäftigt, sondern mit Falscherinnerungen in verschiedenen Kontexten.

Oelzens Fazit:

Die Frage nach der faktischen Realität des Erlebten wie nach der Existenz von Gruppierungen, die organisierte rituelle Gewalt im Kontext satanistischer Rituale durchführen, wurde nicht diskutiert.

Auch die Annahme, dass eine Dissoziative Identitätsstörung (DIS) gezielt von Tätern erzeugt werden könne oder dass diese dauerhaft „mind control“ über ihre Opfer ausübten, blieb unhinterfragt.

Insgesamt konnte die Veranstaltungsreihe so dem eigenen Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte, nüchterne Stimme im aufgeheizten und polarisierten Diskurs zu sein, leider nicht gerecht werden.

In seinem Artikel streift Oelzen auch die Magazin Royale-Sendung zum Thema „Rituelle Gewalt“ vom September 2023, die aus der ZDF-Mediathek entfernt wurde, nachdem der Fernsehrat des Zweiten sich mit knapper Mehrheit der Kritik von einigen Interessengruppen daran angeschlossen hatte – unter anderem der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Wie grotesk deren Programmbeschwerde auf allen Ebenen war, hat jetzt der Jurist und Chefredakteur von Legal Tribune Online (LTO), Felix W. Zimmermann, herausgearbeitet:

Für die angebliche „unabhängige“ Aufarbeitungskommission darf es schon keine Debatte über die Glaubhaftigkeit von Aussagen über sexuellen Missbrauch geben, selbst wenn darin Satanismus vorkommt.

Dass auch diejenigen Personen schützenswerte Opfer sind, denen durch manipulative Therapeuten Missbrauchserfahrungen eingeredet werden, übergeht die Aufarbeitungskommission dabei vollständig und lässt derartige Personen mithin im Stich.

Denn ihr offenbar unantastbares Credo lautet, dass Missbrauchserfahrungen nicht angezweifelt werden dürfen.

Das ist fatal – hat das Urteil von Braunschweig gerade wieder gezeigt.

Zum Weiterlesen:

  • ZDF-Magazin-Royale-Sendung über „Rituelle Gewalt“ weiter offline: Rettet der ZDF-Fern­sehrat seinen Ruf? lto am 26. September 2024
  • Blaming Immigrants For Eating Pets Is An Old American Urban Legend, forbes am 15. September 2024
  • Migranten essen Haustiere: Trump verbreitet absurde Fake News, mimikama am 11. September 2024
  • Wie J.D. Vance zum Verschwörungstheoretiker wurde, essentiel.lu am 25. September 2024
  • Die sonderbare Evolution von J.D. Vance, Jüdische Allgemeine am 26. September 2024
  • Tucker Carlson Just Hit a New Low, The New Republic am 27. September 2024
  • „They Eat Babies“: Roseanne Barr Goes On Wild Rant During Tucker Carlson Event, International Business Times am 27. September 2024
  • Roseanne Barr warns of baby blood-drinking Democrats in bizarre communiqué from Mar-a-Lago, salon am 4. April 2024
  • Deep State USA: Verschwörungsmythos oder reale Gefahr? Deutschlandfunk am 13. September 2024
  • A Star Cries Incest, people am 7. Oktober 1991
  • Roseanne Barr Walks Back Story About Incest Claims, Tells Sean Hannity Abuse Was Only Psychological, entertainment tonight canada am 27. Juli 2018
  • Roseanne makes startling live TV retraction and DENIES her father sexually abused her, despite detailing in 1991 interview how he „molested her until she left home at 17“, dailymail am 27. Juli 2018
  • Martin Gardner: The False Memory Syndrome, Skeptical Inquirer Volume 17, No. 4 (auch als PDF)
  • Ritueller Horror oder Justizirrtum? „Hanebüchenen Schilderungen auch mal Einhalt gebieten“, GWUP-Blog am 3. September 2024
  • „Ohne jede Skepsis“: SWR über die aktuellen Memory Wars und das Thema Rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 13. Februar 2024
  • Positionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs, Infoportal Satanic Panic am 16. März 2024
  • „Böhmermann hat nichts falsch gemacht“, urteilt die größte psychiatrische Fachgesellschaft Deutschlands, GWUP-Blog am 28. Januar 2024
  • Ominöses rund um die Böhmermann-Sendung zum Thema rituelle Gewalt, GWUP-Blog am 8. Dezember 2023
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: „Esoterischer Unsinn“ – und die Sache mit der Strafbarkeit, GWUP-Blog am 16. September 2024

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