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„Ins Groteske gehend“: Gericht urteilt gegen die Satanic Panic

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Aufklärung wirkt.

Im März 2023 berichteten wir hier über einen Fall von vorgeburtlichem Sorgerechtsentzug, weil die Psychotherapeutin einer schwangeren jungen Frau der „Satanic Panic“ verfallen war.

Unglaublich, aber wahr.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek aus dem vergangenen Jahr:

Verhandelt wurde der Antrag eines Vaters auf Übertragung des alleinigen Sorgerrechts, weil die Mutter einige seltsame und potenziell kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen gezeigt hatte.

Der Beschluss des Gerichts vom 22. November 2023 (Übertragung der elterlichen Sorge allein auf den Kindesvater) liest sich wie das Protokoll einer verschwörungsideologischen Radikalisierung, mit allen Elementen der Satanic Panic, auf die wir seit 2018 immer wieder hinweisen.

Das Gericht zeichnet darin akribisch nach, wie in den Ausführungen der Antragsgegnerin (der Mutter)

  • aus einer psychotische Episode und einem postremissivem Erschöpfungssyndrom nach und nach eine „absichtsvoll erzeugte dissoziative Identitätsstörung“ wird
  • aus innerfamiliärem sexuellem Missbrauch allmählich riesige „Täternetzwerke“ werden
  • die Schilderung der an der jungen Frau begangenen Verbrechen „im zeitlichen Verlauf immer weiter ausgedehnt und verstärkt“ werden, und zwar „bis ins Groteske gehend“
  • sämtliche Widersprüche in dem Verhalten und den Aussagen der jungen Frau mit der These einer von Täterseite „absichtsvoll erzeugten dissoziativen Persönlichkeitsstörung“ wegerklärt werden
  • und welche Rolle ein ganz bestimmter Zirkel von Traumatherapeuten dabei spielt, der sich in seinen Überzeugungen permanent gegenseitig bestätigt:

Glücklicherweise war es im ausgehenden Jahr 2023 schon nicht mehr ganz so leicht, vor Gericht mit jeder Verschwörungstheorie durchzukommen, wenn sie nur von angeblichen „Fachleuten“ vorgetragen wird.

So hielt das Amtsgericht fest:

Es ist nicht schwierig, hinter den Namenskürzel (z.B. bei 53, 64 und 65) bekannte Protagonistinnen der Satanic Panic-Szene in Deutschland auszumachen.

Am Ende (102) betont das Gericht noch einmal explizit die „unrühmliche, unprofessionelle Rolle des Helfernetzwerks“ der jungen Frau.

Immerhin:

In einem ähnlichen Verfahren hatte 2019 das Amtsgericht Schwäbisch Hall zwei Beratungsstellen für „Überlebende von ritueller Gewalt“ als „Komplotteure“ kritisiert und ihnen einen Teil der Kosten auferlegt. Diese Entscheidung wurde allerdings vom Oberlandesgericht Stuttgart wieder kassiert.

Zum Weiterlesen:

  • Michaela Huber für den Goldenen Aluhut nominiert, GWUP-Blog am 7. Oktober 2020
  • Nicht wiedergutzumachender Schaden: Unser Gespräch mit dem Opfer einer „Satanic Panic“-Fehlbehandlung aus der aktuellen Spiegel-Story, GWUP-Blog am 12. März 2023
  • Michelle erinnert sich falsch: Wie ein Psychiater im Jahr 1980 die „Satanic Panic“ lostrat, GWUP-Blog am 25. Dezember 2023
  • Zwei Beratungsstellen unterstützten eine Mutter im Sorgerechtsstreit. Jetzt werden sie zur Kasse gebeten, stern.de am 6. August 2021
  • Familienrichterin entlarvt falschen Missbrauchsfall: Die Lüge, die immer monströser wurde, spiegel.de am 19. November 2021
  • Podcast: „Sorgerechtsstreit – Aus Liebe wird Krieg“ vom 12. Juli 2022
  • Sorgerechtsstreit: „Er sagt: Die Sandra ist krank. Sie sagt: Der Martin ist böse“, zeit.de am 21. Februar 2022

8 Kommentare

  1. Aufgrund der Bekanntheit und der Selbstinszenierung, betrachte ich die Protagonisten auch als Personen des öffentlichen Lebens, wodurch die Nennung von Namen in meinen Augen durchaus legitim und notwendig wäre.

    Deutlich öfter scheinen Menschen, mit diesem bestimmten Therapie-Hintergrund, bei Entscheidungen zum OEG abzublitzen, wenn sie zum Beispiel Opferrente beziehen wollen. Dies würde auch erklären, warum in diese Richtung mehr Bedarf gesehen wird. Ein mir bekannter Beschluss ist dort auch ziemlich detailreich und es geht ebenfalls um satanische Kulte.

    Wenn man in dem Bereich mal ein wenig recherchiert, findet man einige Personen schnell wieder … auch aus dem Bereich der UBSKM.

    Vielen Dank für das Aufgreifen des Beschlusses.

  2. Aus dem Beschluss:

    16 Die ins Absurde gesteigerten Vorwürfe der Antragsgegnerin gegen ihre Herkunftsfamilie und den Antragsteller lassen die Antragsgegnerin als psychisch schwer gestört erscheinen.

    18 Es spricht viel dafür, dass eine frühe psychische Erkrankung der Kindesmutter in jahrelangen Behandlungen nicht in Richtung einer Heilung therapiert, sondern krankheitsverstärkend behandelt worden ist; möglicherweise unabsichtlich, im schlimmsten Fall aber bewusst zum finanziellen Wohl der behandelnden Therapeuten und zum Bedeutungsgewinn des von der Antragsgegnerin (Bl. 14 R) so benannten „Helfernetzwerks“. Dieser Eindruck ergibt sich aus einer Zusammenschau der in den Verfahren 737 F 49/22 und 51/22 eingereichten Unterlagen, aus dem schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag der Beteiligten sowie den beigezogenen Akten.

    Die Kindsmutter ist in die Fänge von Scharlatanen und Gurus geraten. Darunter muss sie jetzt leiden, ebenso wie vermutlich das Kind.

    Ich würde mir wünschen, dass die sog. Therapeuten irgendwann für ihre Taten (sie haben Leben zerstört) zur Rechenschaft gezogen werden können.

  3. Schließe mich dem Wunsch von RPGNo1 an.

    Nachdem ich den Beschluss fast in Gänze gelesen habe, frage ich mich:

    1. Könnte der Antragsteller sowohl die Antraggegnerin als auch deren „Sachverständige“ juristisch belangen wegen Verleumdung, übler Nachrede etc.? Das sind immens rufschädigende Vorwürfe, die dort geäußert wurden.

    2. Angesichts der Details, die das Amtsgericht akribisch dokumentiert hat, müsste es doch irgendwie möglich sein, diesen „Therapeuten“ juristisch beizukommen. Zumindest langfristig. Und weshalb schließen Berufsverbände solche menschenschädigenden Kollegen und Kolleginnen nicht aus?

    Da wurde das Leben einer sowieso schon schwer Erkrankten (Schizophrenie ist kein Schnupfen) systematisch immer weiter zerstört statt aufgebaut, zusätzlich wurden mittelbar das Leben und die Gesundheit ihrer Familie schwer beeinträchtigt, v.a. das Leben und die Gesundheit ihres Kindes.

    In dem Beschluss steht so viel drin, was deutlich macht, dass eine Clique von Verschwörungstherapeut*innen ihre Patientinnen und Patienten letztlich missbraucht für ihr eigenes Glaubenssystem.

    Dem Amtsgericht sei Dank für seine saubere Arbeit.

  4. In Bezug auf das rechtliche Beikommen solcher therapeutischen Vergehen würden mich weitere Informationen ebenfalls interessieren.

    Aus meiner Erfahrung ist es im Bereich Psychologie relativ schwer. Erhebt man bei der Therapeutenkammer Vorwürfe werden diese geprüft und es erfolgen interne Ermittlungen. Wird ein Berufsvergehen festgestellt kann es zu Bußgeldern und Einschränkungen der Berufsausübung kommen.

    Teils kann wohl auch das Gesundheitsamt zusätzlich einschreiten und an der Kammer vorbei arbeiten, wobei mir hier die rechtlichen Möglichkeiten unbekannt sind (weil Hörensagen und so weiter).

    Geht es um Schadensersatzansprüche, befindet man sich im Strafrecht und es muss auf einer rechtlichen Basis nachgewiesen werden, welche Rechte verletzt wurden und welche Folgen entstanden sind.

    Gerichte entscheiden nach Recht und nicht nach Moral!

    Aufgrund von Interpretationsmöglichkeiten ist es dann wie auf hoher See (man muss manchmal Glück haben).

    Besonders schwierig wird es dann wie hier, im Familienrecht, weil fast alles auf Interpretation und Meinung beruht, inklusive völlig überlasteter Ämter.

    Meiner Einschätzung nach gehen solche Fälle meistens ohne großartige Sanktionen und Entschädigungen für Opfer aus, besonders im Bereich Psychotherapie. Begibt man sich in eine Beratung, wird der Raum fast schon rechtsfrei, da hier sämtlicher Heilauftrag entfällt und auch keine Verpflichtung besteht, Behandlungsprotokolle zu führen.

  5. >>> Aufklärung wirkt.

    Na ja. Gerade erst am Freitag im DLF, offenbar als Wiederholung, mit Zitaten aus einem Werk von Frau Huber, der Titel führt aber hier im Blog zu keinem Treffer:

    https://www.hoerspielundfeature.de/wenn-toechterseelen-zerbrechen-teufelsmuetter-100.html

    Das Feature

    Teufelsmütter
    Wenn Töchterseelen zerbrechen
    Von Rosvita Krausz
    Regie: Antje Vowinckel
    Produktion: Deutschlandfunk 2019

    Franziska wurde von ihrer Mutter eingesperrt, Klara als Dreijährige an Familie und Nachbarschaft verkauft. Auch Susanne, Judith und Dorothee wurden als Kinderprostituierte herumgereicht und gefoltert. Wie kann eine Tochter damit leben, dass sie von ihrer eigenen Mutter gequält wurde?

    Susanne zum Beispiel entkam der Satanssekte erst mit Mitte 40. Unter neuem Namen begann sie in einer anderen Stadt ein zweites Leben.

    Dorothee, 54, weiß seit vier Jahren mit Gewissheit, was geschehen ist. Sie fand den Ort – eine abgelegene Kirche am Rande eines Industriegebietes – an dem sie als Achtjährige eingesperrt und gefoltert wurde.

    Wer von besonders traumatischen Kindheitserinnerungen berichtet, wird von Außenstehenden schnell für verrückt erklärt. Tatsächlich sind die Erinnerungen der Betroffenen oft bruchstückhaft, eigentümlich zeitlos. Das ist typisch für diese Art der Traumata und genau das wollen die Täter: Wer weder Ort noch Zeit des Verbrechens nennen kann, wird als Zeuge von Polizei und Gericht nicht ernst genommen.

  6. Dieses Feature ist allerdings starker Tobak!

    Ich bestreite nicht, daß die dort interviewten Frauen schlimme familiäre, womöglich auch sexualisierte, Gewalt erlitten haben mögen (wobei ich trotzdem gerne wüßte, ob es hierfür unabhängige Bestätigungen gibt).

    Und daß man mit Vernunftargumenten gegen die hohe Emotionalität des Themas gewiß schwer ankommt, liegt auf der Hand.

    Besonders absurd: Dass satanische Rituale an den Externsteinen durchgeführt worden sein sollen – warum nicht gleich auf dem Marktplatz Horn-Bad Meinberg? Und natürlich führte ausgerechnet der katholische Pfarrer den Satanskult an …

    Worüber ich allerdings dann doch lachen mußte, obwohl es überhaupt nicht lustig war: Eine der Frauen berichtet darüber (ab 32:36), daß sie nach der erlittenen satanisch-rituellen Gewalt „[…] zu einer Sinti-und-Roma-Familie zu einem Lager gebracht“ worden sei, um sie wieder aufzupäppeln.

    Unwidersprochen wird hier ein übles Klischee verbreitet, das auch nicht gerade abgemildert wird, indem hier nicht von den „Zigeunern“ gesprochen wird (die ja bekanntlich die Kinder stehlen).

    Man darf froh sein, daß nicht auch noch ein Rabbiner eingeführt wird, der das Blut der geschlachteten Kinder für die Matzot auffängt …

  7. @borstel

    Von den neo-paganen Sonnenwendfeiern zu satanischen Ritualen an den Externsteinen ist es nur ein kurzer Weg und Horn-Bad Meinberg ist doch schon für dieses Yoga-Clübchen bekannt, das wir hier einmal besprochen haben.

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