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#facebookdown und die zehn Tage der Finsternis

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Der weltweite Ausfall von Facebook, Instagram und WhatsApp am Montagabend hatte auf Verschwörungsgläubige eine Wirkung wie die sieben Posaunen der Apokalypse:

Die Deutungen reichen vom Startschuss für die „10 Days of Darkness“ (laut QAnon der Beginn des Sieges über die Dunkelmächte des „Deep State“) bis hin zum gegenteiligen Extrem: der endgültigen Stillschaltung aller „Aufklärer“ und „Wahrheitssucher“.

Irgendwo dazwischen gibt’s noch jede Menge Geschwurbel über Datenklau, Impfzwang, die Polwanderung oder Putin.

Eine Zusammenfassung der Panik-Postings und der verschiedenen Deutungen des Ereignisses gibt’s bei Walulis Daily (zirka zwölf Minuten):

Auch der Datenanalyst Josef Holnburger hat einen Thread dazu verfasst:

Bei jedem Großereignis: sei es eine Naturkatastrophe, der Start einer Pandemie, ein lokaler Blackout oder Facebook funktioniert für ein paar Stunden nicht – die QAnon-Anhänger:innen hoffen auf Eskalation. Dass es jetzt endlich losgeht mit den erhofften Tribunalen.

Die 10 Days of Darkness sollen nach den meisten QAnon-Anhänger:innen eine schlimme Zeit werden: Bürgerkrieg, kein Strom, viele Tote, Militär auf den Straßen. Danach soll aber eine goldene Zeit für die Anhänger anbrechen: „The Great Awakening“ – die „Toten“ nehmen sie in Kauf.

Viele meinen jetzt gerade die 10 Days of Darkness zu erkennen weil #whatsappdown und #facebookdown, sie freuen sich auf den in ihrer Ideologie nahenden Bürgerkrieg und die Endzeit.

Ein „Day of Darkness“ war der gestrige Dienstag allerdings auch für Facebook selbst. Die Whistleblowerin Frances Haugen sagte im Unterausschuss für Verbraucherschutz, Produktsicherheit und Datensicherheit des US-Senats als Zeugin aus.

Zwei Jahre lang hat Haugen bei Facebook in der Zentrale in Menlo Park gearbeitet. Die Süddeutsche Zeitung schreibt über ihren Einstieg in die Firma:

Sie zögerte. Lange. Facebook hat unter Techies einen notorisch schlechten Ruf. Die Geheimniskrämerei der Konzernleitung. Der Mangel an konsequentem Veränderungswillen. Die Kungelei mit Trump. Was auch ein Grund dafür ist, dass der Konzern es so schwer hat, Leute zu finden.

„Ich habe mich so gequält“, sagt sie. Aber sie hatte von Anfang an die Hoffnung, dass sie innerhalb des Konzerns vielleicht etwas zum Besseren verändern könnte. Es war eine sehr persönliche Motivation. „Ich habe es selbst erlebt, was Falschinformationen und Hetze anrichten können“, sagt sie.

Ein sehr enger Freund hatte sich über soziale Medien radikalisiert. „Ich musste mit ansehen, wie er wegen Dingen, die er auf 4chan und Reddit gelesen hat, völlig aus der Bahn geworfen wurde. Er diskutierte mit mir darüber, dass George Soros die Weltwirtschaft steuert. Das war das reinste Land der Verschwörungstheorien.“

Als die Personalbeschafferin von Facebook ihr zusagte, dass sie im Konzern mithelfen werde, Falschinformationen und Hass einzudämmen, unterschrieb sie.

Daraus wurde aber nichts:

Einmal zum Beispiel habe ihr Team mit einer Veränderung des Algorithmus erreicht, dass Desinformation auf Facebook in einem Quartal fast um ein Drittel zurückgegangen wäre. Aber dann stellten sie fest, dass die Desinformation gleich wieder anstieg. Irgendjemand hatte zur gleichen Zeit ebenfalls am Algorithmus rumgeschraubt. Die beiden Abteilungen wussten nicht, was die jeweils andere tat.

„Unsere kleinteiligen Änderungen wurden von Maßnahmen zunichtegemacht, die allein darauf ausgerichtet waren, die Plattform weiter wachsen zu lassen, sodass unsere Bemühungen überhaupt nicht mehr ins Gewicht fielen“, sagt sie. Das Problem mit der Desinformation war einfach nur noch größer geworden.

Ihre Chefs habe das gar nicht interessiert.

Frances Haugen betont allerdings, die Firma befinde sich in einem ständigen Interessenskonflikt zwischen öffentlicher Sicherheit und den eigenen Profiten. Und diese Konflikte würden immer zugunsten der eigenen Profite gelöst.

Dabei gäbe es viele einfache Lösungen, die dafür sorgen würden, dass bestimmte gefährliche Inhalte „ein bisschen weniger viral“ gehen, sagt sie. Maßnahmen, die auch in internen Dokumenten genauestens untersucht werden. Etwa, dass das Teilen von bestimmten Inhalten mit einer Warnung versehen wird, wenn Facebook-Moderatoren zu dem Schluss kommen, dass sie problematisch sein könnten. Oder ein „Reshare Limit“, eine automatisierte Begrenzung, wie oft Inhalte mit anderen geteilt werden können […]

Aber das gehe auch zulasten des Wachstums und deswegen würden solche Lösungen nicht konsequent umgesetzt, sagt Frances Haugen.

Der Auftritt der 37-Jährigen vor dem Ausschuss wird als „überzeugend“ beschrieben: „Die Senatoren schienen keinen Zweifel an Haugens Glaubwürdigkeit zu haben.“

Dass Haugens Aussagen einen langfristigen Effekt haben werden, glauben Experten jedoch nicht. Auch am Montag habe sich wieder gezeigt, dass der Ausfall von Facebook bei den Nutzern mehr Aufmerksamkeit erregte als der Umgang des Konzerns mit Daten sowie seine sonstigen Praktiken.

Zum Weiterlesen:

  • „Moralischer Bankrott“ – Facebook-Whistleblowerin sagt vor US-Senat aus, Welt-Online am 6. Oktober 2021
  • Schwere Vorwürfe gegen Facebook, tagesschau.de am 5. Oktober 2021
  • Anhörung von Whistleblowerin: „Ich glaube, dass Facebook unsere Demokratie schwächt“, Spiegel-Online am 5. Oktober 2021
  • Whistleblowerin Haugen: „Facebook verdient Geld mit Hass und Wut“, tagesschau.de am 4. Oktober 2021
  • Frances Haugen: Die 6 wichtigsten Enthüllungen der Facebook-Whistleblowerin, t3n am 5. Oktober 2021
  • Fehler im System, SZ+ am 5. Oktober 2021
  • Facebook-Whistleblowerin: Das Geschäft mit der sozialen Abhängigkeit, Zeit-Online am 5. Oktober 2021
  • Facebook ohne jeden Plan: Quack wird wiederhergestellt, die Aufklärung darüber gelöscht, GWUP-Blog am 17. Februar 2018
  • Gefährliche Gesundheitsinfos: Facebook schafft keine Transparenz, medwatch am 14. Februar 2018
  • Wie der Facebook-Ausfall Verschwörungs­theoretikern wieder Aufwind gibt, rnd am 5. Oktober 2021
  • Stundenlanger Ausfall von Facebook: Ist das der Beweis für den Great Reset? news.de am 5. Oktober 2021
  • QAnon sieht im Facebook-Ausfall den „Tag X“, Belltower News am 5. Oktober 2021

3 Kommentare

  1. Ob sich die Schwurbelfans schon mal überlegt haben, dass Trumps herbeigesehnter Sieg über den Deep State sie ihres Lebensinhalts berauben würde?

  2. „Helga & Marianne diskutieren an ihrem Gartenzaun über den großen Blackout bei Facebook, Instagram und WhatsApp. Während Helga an einen Unfall des Praktikanten glaubt, hat Marianne eine andere schreckliche Idee.“

    https://www.youtube.com/watch?v=Y270jOUgnZ0

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