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Spektakuläres Urteil: Globuli dürfen nicht mit Inhaltsstoffen beworben werden, die gar nicht nachweisbar sind

| 14 Kommentare

Kurz: Wo Belladonna D30 draufsteht, ist kein Belladonna drin,

pflegte Prof. Martin Lambeck zu sagen.

Für die Physik ist das vollkommen klar – für die Justiz bislang nicht so richtig.

Im vergangenen Jahr wies das Landgericht Darmstadt die Unterlassungsklage des Vereins „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“ ab, der beantragt hatte, einem Homöopathika-Hersteller zu verbieten, das Produkt „HCG C30 Globuli“ unter dieser Bezeichnung zu bewerben oder in den Verkehr zu bringen.

In dem Pseudo-Diätmittel „HCG C30 Globuli“ ist der angebliche Inhaltsstoff, das Schwangerschaftshormon HCG, zwar ebenfalls nicht enthalten – aber der offenbar Homöopathie-affine Richter urteilte allen Ernstes:

Dass der Ausgangsstoff bei dieser Dosierung „aufgrund der extremen Verdünnung mit den bisher bekannten wissenschaftlichen Methoden nicht mehr nachweisbar ist, führt nicht dazu, dass angenommen werden kann, dass der Stoff tatsächlich nicht in dem homöopathischen Medikament enthalten ist“.

Das sieht das Oberlandesgericht Frankfurt allerdings anders.

In der Berufungsverhandlung am 10. Juni 2021 verurteilte das OLG die beklagte Apotheke dazu,

… es bei Meidung eines Ordnungsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, geschäftlich handelnd das streitgegenständliche Produkt in Tropfen und in Globuli-Form unter der Bezeichnung „HCG C30 Globuli“ zu bewerben/bewerben zu lassen; in den Verkehr zu bringen/zu bringen lassen, wenn es nicht das Schwangerschaftshormon HCG enthält,

teilte uns die Pressestelle des Oberlandesgerichts Frankfurt auf Anfrage mit.

Dass dieses Urteil in den deutschen Medien bislang keine Erwähnung fand, liegt wohl daran, dass es nicht veröffentlicht wurde, da es sich um ein sogenanntes Anerkenntnisurteil handelt, das ohne Begründung „allein aufgrund des Anerkenntnisses einer Partei“ ergeht.

Im österreichischen Standard indes hat der Jurist Sascha Jung ausführlich dazu Stellung genommen:

Was bedeutet das nun?

Vereinfacht gesagt: Wenn ein homöopathisches Produkt der Apotheke einen Hinweis auf einen bestimmten Ausgangsstoff enthält, muss dieser auch nachweisbar enthalten. Ansonsten darf die Apotheke dieses Produkt nicht bewerben oder vertreiben.

Der Apotheke bleiben zwei Möglichkeiten: Die Werbung und Kennzeichnung mit den Ausgangsstoffen beibehalten und diese lediglich so gering verdünnen, dass sie in den homöopathischen Mitteln nachweisbar bleiben; oder in den Produktbezeichnungen jeglichen Hinweis auf die angeblichen Ausgangsstoffe unterlassen.

Jung wertet das Urteil vor allem als „Handlungsanstoß“ für den Gesetzgeber.

Bevor Verbraucherschützer, Skeptiker (oder auch Konkurrenten) künftig den Globuli-Herstellern ihre „irreführende und unlautere Praxis“ mit einstweiligen Verfügungen untersagen, könnte zur Abwechslung auch mal die Politik aktiv werden und „Verbote der Werbung und Kennzeichnung mit Ausgangsstoffen homöopathischer Produkte“ erlassen.

Leider gilt das zunächst nur für Homöopathika, die nicht als Arzneimittel registriert sind.

Der kleine Apotheker muss aufpassen, wie er seine selbstgemachten Globuli nennt, Big (Homeo-)Pharma kratzt das nicht,

kommentiert das INH.

Immerhin:

Apotheken-Umsatz mit Homöopathika in Deutschland, laut ABDA:

  • 2018: 378 Mio €
  • 2019: 368 Mio €
  • 2020: 325 Mio €

Zum Weiterlesen:

  • Ein Urteil stellt die Bewerbung homöopathischer Produkte infrage, derStandard am 8. Juli 2021
  • Video: „Kanzlei WBS“ zu dem Globuli-Urteil von Darmstadt, GWUP-Blog am 13. April 2020
  • Zertifizierte Fortbildung zum Thema Homöopathie jetzt online, GWUP-Blog am 5. Juli 2021
  • Homöopathie in Deutschland: Zuckerkugeln gegen alles, goethe.de am 8. Juli 2021
  • Homöopathie als Revolution der Wissenschaft? Laborjournal am 19. April 2005

14 Kommentare

  1. Es ist bezeichnend, wenn man ein rationales Urteil hierzulande als „spektakulär“ bezeichnen muss.

    Aber Vorsicht, nicht zu früh gefreut! Ein OLG ist nicht die Höchstinstanz, und wenn die Homöopathen sich zusammentun und den Instanzenweg bis zum Ende beschreiten… siehe David Bardens. Auf Hoher See und vor Gericht – ihr wisst schon.

    Und außerdem: im Leberkäs ist weder Leber noch Käs drin, trotzdem darf er so heißen.

  2. @nota.bene

    im Leberkäs ist weder Leber noch Käs drin, trotzdem darf er so heißen.

    Schlechtes Beispiel:

    Leberkäse bedeutet dem Wortursprung nach „Reste im Kasten“, was treffend auch die Herstellung des Produkts beschreibt. Die Bezeichnung Leberkäse führt gelegentlich in die Irre, da Leberkäse ursprünglich keinen Bezug zum Organ Leber hatte, wie es auch heute noch im bayerischen Leberkäs (siehe unten) der Fall ist. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Substantiven Leber und Käse. Leber leitet sich ursprünglich von althochdeutsch laiba ab, was so viel wie Rest bedeutet. Das Suffix -käse ist eine Dialektvariante für Kasten.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Fleischk%C3%A4se

  3. Bei Gerichtsurteilen wie diesem kommt es mir immer vor wie beim Videoschiedsrichter im Fußball: Nach kurzer Euphorie hält man inne und muss abwarten, ob es überhaupt rechtskräftig ist bzw in den Folgeinstanzen Bestand hat *seufz

    Die Unterscheidung zwischen registrierten und anderen Globuli ist natürlich völlig absurd.

    Besonders erfreulich ist dagegen der gemeldete Umsatzrückgang. Auch wenn zu befürchten ist, dass die Branche umso mehr um sich schlagen wird.

    p.s. Die Verwendung des Wortes „nachweisbar“ ist ja schon beim ersten Urteil kritisiert worden. Jetzt steht es wieder da (und nicht etwa „enthalten“ oder so). Was genau bedeutet es denn? Bedeutet es „theoretisch nachweisbar“ oder muss der Anbieter eine (teure!) Labormessung in Auftrag geben?

  4. @ nota.bene:

    Hier gibt es keinen Instanzenweg mehr. Gegen ein Anerkenntnisurteil gibt es ein Rechtsmittel allenfalls mit der Begründung, ein Anerkenntnis habe gar nicht vorgelegen.

    In diesem Einzelfall ist die Sache gegessen. Der Grund für das Anerkenntnis dürfte wohl auch gerade darin gelegen haben, dass die Beklagten ein Urteil mit ordentlich Tacheles in den Gründen ebenso scheuten wie ein BGH-Urteil, das dann in der Tat allerhöchstrichterlich und damit noch schädlicher gewesen wäre.

  5. @RPGNo1:

    Ein besseres Beispiel wäre die Kalbsleberwurst gewesen. Darin ist genau nirgends Kalbsleber enthalten – sie enthält in der Regel etwas Kalbfleischanteil von 15 %, außerdem Schweinefleisch und Schweineleber. Und nicht verschüttelt, sondern gerührt.

  6. @klauszwingenberger:

    Wenn das einerseits kein höchstinstanzliches Gericht ist, aber das Urteil das Ende des Instanzenwegs darstellt, ist es dann auch allgemeingültig oder betrifft es nur den konkreten Streitgegenstand, also HCG C30 dieser einen Apotheke, oder gilt das jetzt für alle homöopathischen Hochpotenzen?

    @RPGNo1:

    Gutes Beispiel für die Art und Weise einer Bewertung. Nur, weil Leber nicht Leber und Käs nicht Käs bedeutet, darf er sich Leberkäs nennen. So eine Begründung wird sicher auch irgendeinem Anwalt zu HCG C30 & Co. einfallen, und irgendein Richter wird das gut finden.

    Auch hier wieder wieder der Hinweis zum Fall Bardens, wo die absurde Begründung des Lanka-Anwalts bei den Richtern Anklang gefunden hat.

  7. @ nota.bene:

    Es betrifft, wie alle Gerichtsurteile (mit Ausnahme von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) nur den Streitgegenstand dieses Falls. Alles darüber hinaus sind keine rechtlichen Bindungen, sondern faktische.

    Instanzgerichte werden in aller Regel nicht von Grundsätzen in höchstrichterlichen Entscheidungen abweichen, weil sie nicht die Neigung haben, sich blutige Nasen zu holen. Irgendwann traut sich dann doch einmal jemand, weil ein konkreter Fall vorliegt, in dem sich die Unhaltbarkeit der hergebrachten Grundsätze aufdrängt.

    Dann wandert es hinauf zum BGH, und der nennt es dann meistens „Klarstellung“ oder „Präzisierung“, was man bei klarem Verstand nur als Schwenk um 180 Grad bezeichnen würde. Dieser Ablauf wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas ridikül, aber im Großen und Ganzen bewährt es sich ganz gut, meistens schafft es auf Jahrzehnte hinaus zumindest Rechtssicherheit.

    Zur Sache hier: im Grunde gilt da gar nicht Bestimmtes. Als Anerkenntnisurteil beruht die OLG-Entscheidung nur auf der Tatsache, dass die Beklagtenseite ein Anerkenntnis abgegeben hat, nicht auf irgendwelchen Erwägungen in der Sache.

    Das wichtigste hier ist nur, dass das Urteil aus Darmstadt beim Berufungsgericht anscheinend so wenig Gegenliebe fand, dass man bei der Beklagten das Hasenpanier ergriff, um Schlimmeres zu vermeiden.

  8. Wir finden es prima, dass das aktuelle Urteil mal ein Schlaglicht auf die Groteske Homöopathie wirft. Nur hat es eben keine Konsequenzen für die „arzneiliche“ Homöopathie, die sich so lange auf der Sonnenseite befindet, wie nicht der gesetzliche Schutzzaun des AMG um sie herum fällt. Das nur zur Verdeutlichung.

    https://www.facebook.com/Informationsnetzwerk-Hom%C3%B6opathie-INH-249989248680621

  9. @Bernd Harder

    So blöd es auch ist, dass die DHU weiterhin ihren Zucker mit nicht enthaltenen Inhaltsstoffen bezeichnen darf… es gibt auch genügend Hersteller, die sogar die laxen Regeln zur Registrierung eines Homöopathikums umgehen und den Kram als Nahrungsergänzungsmittel verkaufen.

    Da ist der namensgebende Inhaltsstoff dann oft auch nicht nur über die Nachweisgrenze hinaus verdünnt, sondern war nie enthalten – die Kügelchen sind „radionisch informiert“.

    Bekannte Beispiele sind auch hier HCG C30 Globuli oder Manuka Globuli (z.B. hier https://www.amazon.de/-/en/Saint-Nutrition%C2%AE-Manuka-Honey-Globules/dp/B083ZDWQ9L?language=de_DE), wobei ich insbesondere letztere für echten Betrug halte, da hier mit wirklich vollmundigen Versprechungen und sogar dem Gehalt von MGO im Honig (der dann letztendlich nicht drin ist) geworben wird.

    Allein schon diesen Schund vom Markt zu bekommen, wäre ein Fortschritt.

    @Martina Rheken
    Leider hinter einer Bezahlschranke

  10. @ Christian Becker:
    Allein schon diesen Schund vom Markt zu bekommen, wäre ein Fortschritt.

    Allerdings.

    Ich finde es nach wie vor unfassbar, dass diese Mittel überhaupt als Medikamente registriert werden können, dass sie die Bezeichnung von gar nicht (erst oder mehr, praktisch egal) enthaltenen Substanzen im Namen haben dürfen und dass das ganze nicht allgemein als bestenfalls Spinnerei, schlimmstenfalls Betrug, aber eigentlich so oder so Scharlatanerie gesehen wird.

    Das in einem Land, wo ernsthaft über ein Verbot von Bezeichnungen wie Veggie-Burger oder -Bratwurst o.ä. nachgedacht wurde, weil die Bezeichnung irreführend sein sollen. Irgendwie passt mir das nicht zusammen.

  11. …jetzt verstehe ich das Gerede des Medicon-Apothekers zu Erlangen gleich besser:

    Vor ein paar Tage kaufte ich dort Augentropfen gegen brennende, tränende, trockene Augen. Verkauft wurde mir „Euphrasia D3“ von Weleda. Was es damit auf sich hat, erfuhr ich erst im Beipackzettel und einer Web-Recherche. Ich kann bestätigen, dass die Wirkung vergleichbar mit Leitungswasser ist, also geht schon ein bisschen :-)

    Meine heutige Reklamation wurde problemlos akzeptiert, 11,90€ in bar zurück. Aber mein Hinweis, dass es sich doch wohl gehört, Kunden auf den homöopathischen Hintergrund hinzuweisen, wurde so nicht akzeptiert.

    Schließlich bedeutet „D3“, dass tatsächlich und messbar Moleküle eines Wirkstoffs enthalten seien…

  12. @Thoralf Baum:

    11,90€ in bar zurück.

    Sehr gut, das sollte jeder so machen.

    Da ich sehr häufig Augentropfen brauche, ist mir dieses Zeug schon x-mal angeboten worden, sodass ich es kenne.

    Schließlich bedeutet „D3“, dass tatsächlich und messbar Moleküle eines Wirkstoffs enthalten seien…

    Genau, die meisten Apotheker versuchen dann ernsthaft, eine Wirksamkeit herbeizureden. Es ist kaum zu glauben.

    Gerne kommt dann noch die Behauptung, „Euphrasia“ würde schließlich gegen die „Ursachen“ wirken, andere Mittel „nur gegen die Symptome“.

    Ich sage dann immer: „Prima, genau das will ich. Denn ich glaube kaum, dass Ihr komisches Zeug ursächlich die viele Arbeit am Bildschirm beseitigt.“

  13. „Aus aktuellem Anlass: Für Nichts darf man auch mit Nichts werben“:

    https://gutepillen-schlechtepillen.de/aus-aktuellem-anlass-fuer-nichts-darf-man-auch-mit-nichts-werben/

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