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Verschwörungsmythen kontern: ein Interview mit Ingrid Brodnig

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Wir sprechen oft erst mit unseren Liebsten über Verschwörungserzählungen, wenn es schon zu spät ist,

bedauert Katharina Nocun in einem aktuellen Gespräch – und ergänzt bei hr-info:

Wir brauchen eine Impfung gegen Verschwörungserzählungen.

„Prebunking“ nennt das die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig.

Im neuen Skeptiker sagt sie:

Auch wenn wir das Glück haben, dass in unserem Familien- und Freundeskreis niemand an Verschwörungsmythen oder Medizin-Fakes glaubt, können wir präventiv tätig werden – indem wir zum Beispiel interessante Videos teilen, die die Mechanismen von Desinformation und Wissenschaftsleugnung aufzeigen.

Oder in der Schule. Sicher ist es richtig und wichtig, den Schülern Medien- und Internetkompetenz zu vermitteln. Ich finde aber, man könnte ebenso gut mit einem Logiktraining anfangen, bei dem schon Kinder und Jugendliche ein Gespür für falsche Behauptungen entwickeln können.

Beispielhaft zeigte das Dr. Norbert Aust bei einer Tagung der „Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Exteremismus“ 2017 in Regenstauf. Eine Zusammenfassung seines Vortrags

Kognitive Täuschungen und Fehlschlüsse

findet sich im Tagungsband, der hier zum kostenlosen Download bereitsteht.

Schülervorträge zum Thema Verschwörungstheorien können zum Beispiel beim Weltanschauungsreferat der Diözese Augsburg kostenlos gebucht werden.

Brodnig hat gerade das Buch „Einspruch!“ veröffentlicht. Darin skizziert sie eine „strategische Form des Diskutierens“.

Im Skeptiker-Interview erklärt Brodnig:

Ich bin überzeugt davon, dass jede und jeder Einzelne einen positiven Beitrag zur Debattenkultur leisten kann – auch wenn es keine Garantie gibt, dass mein Argument verstanden wird und dass ich jemanden damit erreiche.

Im Wesentlichen gebe ich Erkenntnisse wieder, wie man die Chancen dafür ein Stück weit verbessern kann.

Aber schon diese kleinen Schritte sind für Menschen hilfreich, die im persönlichen Umfeld erleben, dass der eigene Vater ein Desinfektionsmittel trinkt, weil er gehört hat, es würde gegen das SARS-CoV-2-Virus helfen, oder ein guter Kumpel plötzlich nur noch von der großen Weltverschwörung redet.

Zu den Erfolgsaussichten einer Diskussion mit Verschwörungsgläubigen führt die Autorin aus:

Es macht einen riesigen Unterschied, wie tief jemand schon im Verschwörungsglauben drinsteckt. Manche interessieren sich einfach nur dafür oder finden solche Geschichten spannend, ohne zu einhundert Prozent davon eingenommen zu sein. Dann ist es natürlich noch eher möglich, argumentativ durchzudringen.

Aber selbst wenn mein Gegenüber stark an Verschwörungsmythen glaubt, kann man auf verschiedene Strategien zurückgreifen. Zuallererst sollte man sich aber selbst immer die Frage stellen, welches Ziel man realistischerweise beim Diskutieren verfolgt.

Unrealistisch ist etwa die Vorstellung, mit einem gut recherchierten und eloquent vorgetragenen Faktencheck die Angelegenheit schnell zu erledigen.

Ein nüchternes, wirklichkeitsnahes Anliegen kann es dagegen sein, beim Gegenüber einen Hauch von Zweifel zu wecken. Damit wäre schon viel getan. Das kann eventuell mit Fragen gelingen, die das Gespräch auf die Inkonsistenzen von Verschwörungstheorien lenken.

Ein wichtiges Kapitel in „Einspruch!“ ist zudem

Wie erkennt man, wer tatsächlich Expertise hat?

Dazu sagte uns Brodnig:

Pseudo-ExpertInnen wie Sucharit Bhakdi richten enorm viel Schaden an.

Es gibt in jeder Debatte Contrarians, die sich gegen den wissenschaftlichen Konsens stellen, und es gibt Möglichkeiten zu eruieren, welche Position dem Stand der Forschung entspricht und wer tatsächlich fachkundig ist. Das ist aber durchaus Arbeit, sowohl für JournalistInnen als auch für interessierte Laien.

Oberflächlich betrachtet hat Bhakdi zwar einen akademischen Grad und ist als Mikrobiologe sogar eigentlich vom Fach – das sind prinzipiell zwei Kriterien, die für ihn sprechen. Aber es gibt noch einige weitere Punkte, bei denen dann deutlich wird, dass er kein SARS-CoV-2-Experte ist.

Zum einen hat er keinerlei aktuelle Publikationen zum Thema vorzuweisen. Bhakdi ist ein Professor im Ruhestand und sein umstrittenes Buch „Corona Fehlalarm?“ erschien als Sachbuch in einem normalen Publikumsverlag, nicht als Peer-Review-Fachveröffentlichung.

Zum anderen fallen eine Reihe von schiefen Argumentationsmustern darin auf. Zum Beispiel betreibt er ein ausgeprägtes Cherry Picking und blendet durchweg Erkenntnisse aus, die gegen seine Auffassung sprechen

Und wie würde sie einem Bekannten oder Familienmitglied kurz und anschaulich erklären, wieso Christian Drosten ein Corona-Experte ist, Bhakdi dagegen nicht?

Ich würde zeigen, dass Bhakdi seine Position zu keinem Zeitpunkt der Pandemieentwicklung ernsthaft in Frage gestellt hat, während Drosten offen und locker mit neuen Erkenntnissen umgeht.

Beobachten konnte man das beispielsweise in den vergangenen drei Monaten, als B.1.1.7 auftauchte und Drosten seine Einschätzung dieser Mutante Schritt für Schritt korrigierte: von der anfänglichen Hoffnung, die neue Variante des Coronavirus müsse nicht so stark ansteckend sein, bis hin zur ernsten Warnung.

Prebunking würde hier bedeuten, den Leuten zu vermitteln, dass nicht derjenige recht hat, der bei Youtube „DIE WAHRHEIT“ verkündet – sondern eher derjenige, der keine Wahrheit verspricht.

Der Skeptiker (1/2021) mit dem vollständigen Interview erscheint Mitte März.

Zum Weiterlesen:

  • Interview mit Katharina Nocun: „Wir brauchen eine Impfung gegen Verschwörungserzählungen“, hr-info am 26. Februar 2021
  • Wenn die Eltern an Verschwörungsmythen glauben, jetzt am 25. Februar 2021
  • Wenn Eltern in Verschwörungsideologien abdriften, Süddeutsche am 22. Februar 2021
  • Wenn Mama Corona leugnet: Verschwörungsmythen in der Familie, ndr am 28. Februar 2021
  • Kinder haben Schnauze voll vom Verschwörungswahn ihrer Eltern, mimikama am 22. Februar 2021
  • The new science of prebunking: how to inoculate against the spread of misinformation, bmc am 7. Oktober 2019
  • Der schwierige Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 15. Mai 2020
  • „Auf dem Schlachtfeld“: Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 7. September 2020
  • Wie Herr Reimann zum Verschwörungsgläubigen wurde, GWUP-Blog am 25. November 2020
  • Ex-Verschwörungsgläubige erzählt, volksverpetzer am 27. September 2020
  • Sucharit Bhakdi ist für Covid-19 nicht bloß kein Experte – es ist viel schlimmer, Relativer Quantenquark am 24. Oktober 2020
  • WDR 5 „Redezeit“ mit Ingrid Brodnig vom 18. Februar 2021
  • Buchtipp: „Einspruch!“ von Ingrid Brodnig, radio eins am 18. Februar 2021
  • Profitipps gegen Verschwörungstheorien, orf am 13. Februar 2021
  • Ingrid Brodnig: Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. Brandstätter 2021, 160 Seiten, 20 €

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